Aus juristischer Perspektive: der assistierte Suizid in Österreich
Autor:
Mag. Dr. Thomas Pixner, LL.M.
Universität Innsbruck und FH Gesundheit Tirol
E-Mail: thomas.pixner@fhg-tirol.ac.at
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Das Thema rund um den assistierten Suizid weist bereits seit Jahrzehnten hohe ethische, gesellschafts- und rechtspolitische Präsenz auf. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2021 (G 138/2019) wurde festgestellt, dass sich aus dem Recht auf ein menschenwürdiges Sterben auch das Recht ableitet, dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.
Keypoints
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Voraussetzung für eine Sterbeverfügung ist eine unheilbare, binnen sechs Monaten zum Tode führende Krankheit oder eine schwere, dauerhafte Krankheit mit anhaltenden Symptomen.
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Die sterbewillige Person muss volljährig und entscheidungsfähig sein und über Behandlungs- und Handlungsalternativen, Beratungsangebote sowie über die Dosierung, Einnahme, Auswirkungen und Komplikationen des letalen Präparates aufgeklärt werden.
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Physische Hilfeleistung bei einer Selbsttötung ist strafbar, wenn eine Tatbestandsalternative des §78 Abs 2 StGB erfüllt ist.
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Die unmittelbar zum Tod führende Handlung muss von der sterbewilligen Person selbst gesetzt werden.
Damit war die Strafbarkeit der Hilfeleistung bei einer Selbsttötung (Wortwendung im § 78 StGB idF BGBl. 60/1974 „oder ihm dazu Hilfe leistet“) verfassungswidrig und wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Wirkung 31.12.2021 aufgehoben. Deshalb sah sich der Gesetzgeber veranlasst, die Hilfeleistung bei einer Selbsttötung (mit BGBl. I 242/2021) neu zu regeln. Dabei wurde der Straftatbestand der Mitwirkung an der Selbsttötung (§ 78 StGB, BGBl. 60/1974 idF BGBl. I 242/2021) neu geregelt und ein Sterbeverfügungsgesetz geschaffen.1–4
Sterbeverfügung
Eine Sterbeverfügung ist ein Nachweis eines dauerhaften, freien und selbstbestimmten Entschlusses zur Selbsttötung (§ 1 Abs 1 StVfG, BGBl. I 242/2021). Inhalt einer Sterbeverfügung sind (§ 5 StVfG)2
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der Entschluss der sterbewilligen Person, ihr Leben zu beenden;
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die ausdrückliche Erklärung, dass dieser Entschluss frei und selbstbestimmt nach ausführlicher Aufklärung gefasst wurde;
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optional können hilfeleistende Personen angegeben werden. Die hilfeleistende Person darf nicht gleichzeitig eine Person sein, welche die ärztliche Aufklärung durchführt (§ 6 Abs 4 StVfG).
Die sterbewillige Person muss zu den Zeitpunkten der ärztlichen Aufklärungen und Errichtung der Sterbeverfügung volljährig und zweifelsfrei entscheidungsfähig sein (§6 Abs 1 StVfG). Bestehen Zweifel, so ist die Entscheidungsfähigkeit mittels Testverfahren festzustellen oder es muss ein psychiatrisches oder psychologisches Gutachten eingeholt werden (§ 7 Abs 4 StVfG).Ferner dürfen auch keinerlei Willensmängel vorliegen (§ 6 Abs 2 StVfG). Die aufklärenden Ärzt*innen und beteiligten Jurist*innen haben die Entscheidungsfähigkeit und die selbstbestimmte Entschlussfassung zu bestätigen (§§ 7 Abs 1 und 8 Abs 3 Z 2 StVfG). Ist die sterbewillige Person nicht (ausreichend) entscheidungsfähig, so kann eine Sterbeverfügung unter keinen Umständen errichtet werden, da die Errichtung aufgrund deren Höchstpersönlichkeit vertretungsfeindlich ist (§4 StVfG).2, 4
Eine Sterbeverfügung kann nur errichten, wer an einer unheilbaren, binnen sechs Monaten zum Tode führenden Krankheit („terminale Krankheit“) leidet (§3 Z 8 StVfG) oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen („schwere und dauerhafte Krankheit“). Insgesamt muss die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen (§6 Abs 3 StVfG). Unter Krankheit ist jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand zu verstehen (§6 Abs3 StVfG iVm § 120 Abs 1 Z 1 ASVG).2,4
Die sterbewillige Person muss von zwei Ärzt*innen mit ius practicandi, eine*r davon mit palliativmedizinischer Qualifikation, über Behandlungs- und Handlungsalternativen, Beratungsangebote sowie über die Dosierung, Einnahme, Auswirkungen und Komplikationen des letalen Präparates samt Begleitmedikation aufgeklärt werden. Ferner ist die sterbewillige Person darüber aufzuklären, dass mit einer verbindlichen Patientenverfügung lebensrettende Behandlungen abgelehnt werden können (§7 Abs 2 StVfG). Eine*r der aufklärenden Ärzt*innen hat eine Anordnung zur Dosierung und Einnahmedes letalen Präparates samt Begleitmedikation zu treffen (§7 Abs 2 Z 2 und 3 sowie Abs 3 StVfG).2, 4
Zwei Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung bei „terminalen Krankheiten“ bzw. drei Monate nach der ersten ärztlichen Aufklärung bei „schweren und dauerhaften Krankheiten“ (Wartefristen; § 8 Abs 1 StVfG), aber spätestens ein Jahr nach der zweiten ärztlichen Aufklärung kann die Sterbeverfügung schriftlich vor einem/einer Notar*in oder rechtskundigen Mitarbeiter*in einer Patientenvertretung nach § 11e KAKuG (§3 Z 6 StVfG) errichtet werden. Dabei ist die Dokumentation über die ärztlichen Aufklärungen wiederzugeben und über rechtliche Aspekte (Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, letztwillige Verfügung, strafrechtliche Grenzen der Hilfeleistung und weitere Rechtsfolgen) zu belehren. Diese*r Jurist*in hat schriftlich die Personalien der sterbewilligen Person, das Vorliegen eines freien und selbstbestimmten Entschlusses, die Entscheidungsfähigkeit, das Einhalten der Wartefristen sowie die rechtskonforme ärztliche Aufklärung unter Beifügung der Dosierungsanordnung zu bestätigen. Die Sterbeverfügung ist für ein Jahr oder bis zum vorherigen Widerruf wirksam (§8 StVfG).2, 4
Mitwirkung an der Selbsttötung
Das letale Präparat von 15g Natrium-Pentobarbital (§§2 und 4 StVf-Präp-V, BGBl. II 16/2022) samt Begleitmedikation Metoclopramid (§5 StVf-Präp-V) darf von öffentlichen Apotheken nach Vorlage einer wirksamen Sterbeverfügung an die sterbewillige Person oder die in der Sterbeverfügung als hilfeleistende Person genannte Person abgegeben werden (§11 Abs 1 StVfG).2, 4Das letale Präparat kann oral oder mittels PEG-Sonde sowie intravenös mit Infusion appliziert werden (§3 StVf-Präp-V). Wesentlich ist, dass die unmittelbar zum Tode führende Handlung von der sterbewilligen Person selbst gesetzt wird, sie also peroral selbst in den Mund einführt, mittels PEG-Sonde oder Infusion die Applikation selbst in Gang setzt.
Keine Person ist verpflichtet, Hilfeleistungen, wie etwa die ärztliche Aufklärung, die Mitwirkung bei der Errichtung oder die Abgabe des Präparates, zu erbringen oder sonst in irgendeiner Form an einer Selbsttötung mitzuwirken (§2 Abs 1 StVfG). Keine Person darf wegen der Mitwirkung oder der Weigerung zur Mitwirkung an einer Selbsttötung in welcher Art auch immer benachteiligt werden (§2 Abs 2 StVfG).2, 4
Verboten und strafbewehrt sind Werbungen für eigene oder fremde Hilfeleistung oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Selbsttötung geeignet sind. Dies umfasst das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen gegenüber einem unbestimmten Personenkreis (§ 12 Abs 1 iVm §13 StVfG). Zulässig ist es, eine sterbewillige Person, also eine Person mit einem entsprechenden Sterbewunsch, auf dieMöglichkeit der Errichtung einer Sterbeverfügung hinzuweisen. Ärzt*innen, Notar*innen, Patientenvertretungen und Apotheken sind jedenfalls berechtigt, auf ihre jeweiligen Leistungen im Rahmen des Sterbeverfügungsgesetzes hinzuweisen, auch gegenüber einem unbestimmten Personenkreis (§12 Abs 2 StVfG).2, 4
Verboten und strafbewehrt ist auch das Versprechen-Lassen oder die Annahme von wirtschaftlichen Vorteilen für das Anbieten oder die Durchführung von Hilfeleistungen im Zusammenhang mit einer Selbsttötung. Eine Aufwandsentschädigung, sofern der Aufwand nachgewiesen werden kann, ist zulässig (§ 12 Abs 3 iVm §13 StVfG).2, 4
Strafrechtliche Aspekte
Aus strafrechtlicher Perspektive setzt eine Selbsttötung voraus, dass der Entschluss, das eigene Leben zu beenden, autonom gefasst und die unmittelbar zum Tode führende Handlung von der sterbewilligen Person vorsätzlich selbst gesetzt wird. Eine Selbsttötung kann damit nur dann vorliegen, wenn die sterbewillige Person bei der Vornahme der Tötungshandlung auch ausreichend entscheidungsfähig ist und keine Willensmängel vorliegen.2, 4, 5
In der neuen Fassung des Straftatbestands bleibt das „Verleiten“ zur Selbsttötung in unveränderter Form strafbar. Verleitung zur Selbsttötung liegt dann vor, wenn eine Person zur Selbsttötung überredet wurde oder die letzten Skrupel dieser Person beseitigt werden.2, 4, 5
Neu geregelt wurde die „Hilfeleistung“ bei der Selbsttötung. Unter Hilfeleistung war in der alten Fassung sowohl die physische (etwa Legen einer Magensonde) als auch die psychische (etwa moralischer Beistand) Unterstützung bei der Selbsttötung strafbewehrt.2, 4, 5 In der Neufassung ist nur mehr die physische Hilfeleistung strafbewehrt und zwar dann, wenn eine Tatbestandsalternative des §78 Abs 2 StGB erfüllt ist.1, 2, 4 Strafbar ist demnach die physische Hilfeleistung bei der Selbsttötung einer Person,1–4
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die minderjährig ist,
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die an keiner terminalen oder schweren und dauerhaften Krankheit leidet,
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die keine ärztliche Aufklärung über die Sterbeverfügung erhalten hat, oder
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aus einem verwerflichen Beweggrund.
Demnach ist eine physische Hilfeleistung bei der Selbsttötung straffrei, wenn die sterbewillige Person volljährig und entscheidungsfähig ist, an einer terminalen oder dauerhaften und schweren Krankheit leidet und über die Sterbehilfe ärztlich aufgeklärt wurde sowie die hilfeleistende Person keinerlei verwerfliche Beweggründe (z.B. um zu erben) hat. Für die Straffreiheit der physischen Hilfeleistung ist das Vorliegen einer gültigen Sterbeverfügung dezidiert nicht notwendig, auch wenn die Errichtung einer solchen zum legalen Bezug eines letalen Präparates erforderlich ist.1, 2, 4
Handelt es sich um keine Selbsttötung, sondern um eine Fremdtötung, können allenfalls die Tatbestände des Mordes (§75 StGB) oder der (grob) fahrlässigen Tötung (§§80 f StGB) erfüllt sein. Fremdtötung in diesen Sinne liegt etwa dann vor, wenn das Opfer nicht entscheidungsfähigwar oder Willensmängel vorlagen. Das Delikt der Tötung auf Verlangen gem. §77 StGB ist eine Privilegierung des Mordes und liegt dann vor, wenn die unmittelbar zum Tode führende Handlung vom Täter auf das ernstliche und eindringliche Verlangen des Opfers vorgenommen wurde (aktive/direkte Sterbehilfe). Dies wäre etwa der Fall, wenn ein letales Präparat auf das ernstliche und eindringliche Verlangen eines entscheidungsfähigen Patienten direkt in dessen Mund verabreicht wird. Die Zubereitung eines Getränkes mit einem letalen Präparat und das Hinführen eines Strohhalmes zum Mund einer sterbewilligen Person sinddagegen physische Hilfeleistungen bei der Selbsttötung, insofern die sterbewillige Person entscheidungsfähig war sowie keine Willensmängel bestanden und auch keine Verleitung zur Selbsttötung vorliegt.2, 4, 6
Literatur:
1 Dokalik D et al.: Die Errichtung einer Sterbeverfügung und der neue Tatbestand des § 78 StGB. ÖJZ 2022; 3: 161 2 ErlRV 1177 BlgNR XXVII. GP 3 Ganner M: Neues Sterbeverfügungsgesetz. ÖZPR 2021; 6: 180 4 Ganner M et al.: Quality in Healthcare. Dying Disposition Act. Leiden: Brill, 2022. 175-91 5 Kienapfel D, Schroll HV: Strafrecht. Besonderer Teil I. Delikte gegen Personenwerte. 4. Auflage. Wien: Manz, 2016 6 Pixner T, Brugger M: Rechtsgrundlagen für nicht-ärztliche Gesundheitsberufe. Wien: Manz, 2022
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