Pseudomedizin zur Therapie allergischer Erkrankungen
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Bernhard-Michael Mayer
Bereichsleiter Pharmakologie & Toxikologie
Institut für Pharmazeutische Wissenschaften
Karl-Franzens-Universität Graz
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Allergien zählen zu jenen chronischen Erkrankungen, die zwar nicht lebensbedrohlich sind, aber die Lebensqualität erheblich einschränken. In Anbetracht des oft mäßigen Heilerfolgs anerkannter medizinischer Therapien neigen viele Allergikerinnen* zursogenannten Alternativmedizin, die man in Anbetracht des Fehlens von Alternativen besser als Pseudomedizin bezeichnen sollte. Die Verzweiflung der Betroffenen machen sich nicht nur geschäftstüchtige Herstellerinnen und selbsternannte Wunderheilerinnen, sondern vor allem auch Apotheken zunutze.
Keypoints
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Trotz aggressiver Werbung und weiter Verbreitung gibt es keine Evidenz für die Wirksamkeit pseudomedizinischer – sogenannter „alternativer“–Heilmittel zur Therapie von Allergien.
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Es besteht keine Notwendigkeit, den Darm zu entschlacken oder den Körper zu entsäuern.
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Homöopathie beruht auf vorwissenschaftlichen Konzepten, die mit heutigen Erkenntnissen unvereinbar sind. Es gibt keine Evidenz für über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung.
Die Opfer der lukrativen Geschäftsmodelle mit unwirksamen Heilmitteln leiden zumeist an einer Einschränkung ihrer Lebensqualität durch vergleichsweise milde, aber nur unzulänglich behandelbare Symptome wie Kopfschmerzen, Hauterkrankungen, Beschwerden des Gelenkapparats, Störungen der Verdauung oder des Schlafs und eben Allergien. In Tabelle 1 sind neben evidenzbasierten und möglicherweise wirksamen Verfahren die am häufigsten propagierten Pseudomethoden zur Therapie von Allergien gelistet. Die besonders intensiv beworbenen Therapien wie Darmreinigung und Homöopathie werden in diesem Artikel kurz diskutiert.
Tab. 1: Evidenzbasierte und möglicherweise wirksame Verfahren sowie die am häufigsten propagierten Pseudomethoden zur Therapie von Allergien
Etablierte und möglicherweise wirksame Therapiemethoden
Die wirksamste Methode ist die Vermeidung der Exposition gegenüber Allergenen, was aber vielfach nicht realisierbar ist. Bei identifizierten Allergenen hat sich eine über mehrere Jahre konsequent durchgeführte Hyposensibilisierung, also „Impfung“ mit dem Allergen, als wirksam erwiesen. Standard in der Therapie typischer Allergien („Heuschnupfen“) sind Antihistaminika, auch inhalativ oder intranasal verabreichte Glukokortikoide zählen zum Standard.1 Bei unzureichender Wirkung der Standardtherapien kommen monoklonale Antikörper – Biologika – zum Einsatz, mit denen die allergische Immunreaktion abgeschwächt werden soll.1
Neben diesen etablierten Verfahren sind auch möglicherweise wirksame Therapien in Betracht zu ziehen. Dazu zählen diverse pflanzliche Präparate und Probiotika, für die dieStudienlageheterogen ist. Interessant ist auch die kürzliche Entwicklung einer Lutschtablette mit Beta-Laktoglobulin, einem Protein, das in unpasteurisierter Milch und in den Stäuben von Tierställen vorkommt. Gemäß ersten klinischen Studien reduziert es die Häufigkeit allergischer Reaktionen und imitiertdamit den bekannten „Bauernhofeffekt“.2
Darmreinigung und Entsäuerung
Eine aktuelle Suche mittels Google lieferte jeweils über eine Million Treffer zu „Darmreinigung“ und „Übersäuerung“. Glaubt man den Werbeversprechen, ist ein „verschlackter“ Darm die Ursache aller erdenklichen physischen und psychischen Krankheiten, vom Haarausfall über Allergien, Depressionen und Herzerkrankungen bis hin zu Krebs.
Abhilfe schafft angeblich nur die „Entschlackung“ des Darms mithilfe diverser in Apotheken erhältlicher Mittelchen, vor allem diverser Tees oder als „Detox“ bezeichneter Pulver. Dieses Therapiekonzept beruht auf dem mittelalterlichen „horror autotoxicus“, also der Angst vor Selbstvergiftung durch Stoffwechselprodukte, sowie dem von Galen überlieferten Konzept der „Ausleitung“ von Krankheiten. Aderlass, Magnetfelddecken, das Schröpfen oder die Ausleitung von Impfungen sind weitere Beispiele für pseudomedizinische Verfahren, die auf derartigen Vorstellungen beruhen.
Auch wenn gelegentlich Verdauungsprobleme wie Durchfall oder Obstipation auftreten mögen, scheidet der Körper überzählige Stoffe selbstständig aus und es verbleiben keine giftigen Überreste im Darm. Es ist daher nicht erforderlich, den Darm aktiv zu reinigen.3 Davon ausgenommen sind tatsächliche Vergiftungen sowie ärztliche Untersuchungen oder Operationen.
Auch die vielfach propagierte „Übersäuerung“ als Ursache von Erkrankungen ist ein hartnäckig überlieferter Mythos. Der Säure-Base-Haushalt von Säugetierorganismen ist penibel reguliert, bereits eine Absenkung des pH-Werts um wenige Zehntel wird als Azidose bezeichnet, die in ernsten Fällen intensivmedizinische Behandlung erfordert. Übersäuerung als Ursache von Erkrankungen und deren Korrektur durch basische Ernährung oder kommerziell erhältliche Mittel beruhen auf unhaltbaren pseudomedizinischen Konzepten, für die in der modernen Medizin kein Platz ist.4
Homöopathie
Dieses von Samuel Hahnemann 1796 eingeführte Verfahren erfreut sich noch heute breiten Zuspruchs durch die Bevölkerung. In Österreich betrug der Umsatz mit Homöopathika im Jahr 2022 etwa 50 Millionen Euro.5 Die Homöopathie beruht auf zwei mit moderner Medizin und Naturwissenschaft unvereinbaren Vorstellungen: Erstens sollen Wirkstoffe, die ein bestimmtes Symptom auslösen, dieses Symptom auch beseitigen. Gemäß diesem von Hahnemann propagierten Ähnlichkeitsprinzip sollte also z.B. ein Wirkstoff, der Kopfschmerzen bewirkt (z.B. Nitroglycerin), nach ritueller „Potenzierung“ Kopfschmerzen beseitigen.6
Zweitens soll die Wirkung von Arzneistoffen umso stärker sein, je stärker diese – in 10er- oder 100er-Schritten – verdünnt werden, in vielen Fällen so stark verdünnt, dass in der Arznei kein einziges Molekül des Wirkstoffs enthalten ist. Dieser eklatante Widerspruch zum Grundgesetz der Dosisabhängigkeit biologischer Wirkungen wird mit diversen haarsträubenden Modellen erklärt. So soll im Rahmen der rituellen Verdünnungen (10x in Richtung Erdmittelpunkt auf ein Lederbrett schlagen) eine Potenzierung der Wirkung erfolgen, wobei sich das Wasser die Struktur des Wirkstoffs merkt und diese Information auf den Organismus überträgt. Da diese Erklärung selbst vielen ausgewiesenen Homöopathinnen suspekt erscheint, werden mittlerweile zunehmend quantenphysikalische Phänomene propagiert. Diese Pseudoerklärungen haben den Vorteil, dass weder die Homöopathinnen noch deren Kundinnen Quantenphysik verstehen und nur mit einem erstaunten „Aha“ reagieren können.
Obwohl von Vertreterinnen der Homöopathie oft anders dargestellt, gibt es auch nach über 200 Jahren keine Evidenz für eine über den Placeboeffekt hinausgehendeWirkung homöopathischer Arzneimittel. Alle bisher veröffentlichten Studien weisen erhebliche methodische Mängel auf oder wurden von den Autorinnen manipuliert. Ein Beispiel ist die von Homöopathinnen gefeierte Studie des Wiener Homöopathen Univ.-Prof. Dr. Michael Frass, deren positiveEffekte gemäß einer veröffentlichten Analyse des Studiendesigns auf schwerwiegendemwissenschaftlichem Fehlverhalten beruhen.7
Zusammenfassend sollte festgestellt werden, dass bei Nachweis der Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel die Erkenntnisse von Natur- und Biowissenschaften der vergangenen 200 Jahre grundsätzlich zu revidieren wären.
* Aus Gründen der Leserlichkeit verwendet der Autor bei geschlechtsspezifischen Formulierungen ausschließlich die weibliche Form; Männer und andere Geschlechter werden dabei stets mit adressiert.
Literatur:
1 Klimek L et al.: Current management of allergic rhinitis. J Allergy Clin Immunol Pract 2024; 12: 1399-1412 2 Mayerhofer H et al.: The extended farm effect: the milk protein beta-lactoglobulin in stable dust protects against allergies. Allergol Select 2022; 45: 252-8 3 Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE): Entgiftungsdiäten, Schlank im Schlaf-Diät, HCG-Diät – ein Überblick. DGEinfo 2018; 3: 39-45 4 Berres I, Braun K: Mythos oder Medizin – Kann der Körper übersäuern? Spiegel Online 2016. https://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/kann-der-koerper-uebersaeuern-mythos-oder-medizin-a-1095119.html ; zuletzt aufgerufen am 13.6.2024 5 Rennert D: Das Problem mit der Homöopathie. Der Standard 2024. https://www.derstandard.at/story/3000000195854/das-problem-mit-der-homoeopathie ; zuletzt aufgerufen am 13.6.2024 6 Praxis Dr. Friese: Homöopathische Kopfschmerzbehandlung. https://www.dr-friese.de/medizinische-informationen-kopfschmerzbehandlung/; zuletzt aufgerufen am 13.6.2024 7 Informationsnetzwerk Homöopathie: Verbesserungen beim Überleben von Lungenkrebspatienten mit homöopathischer Komplementärbehandlung ? (Frass et al. 2020) – eine Studienkritik. https://netzwerk-homoeopathie.info/studienkritik-zu-lungenkrebsstudie-frass-et-al-2020/ ; zuletzt aufgerufen am 13.6.2024
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