Kapazitätsreduktionen in der Urologie
Autorin:
Dr. Silvia Türk
Sektionschefin I.R. für Gesundheitssystem
Abteilung für Qualität i. Gesundheitssystem & Gesundheitssystemforschung
Bundesministerium f. Soziales, Gesundheit, Pflege & Konsumentenschutz, Wien
E-Mail: silvia@tuerk.at
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Die zwei zurückliegenden Jahre der Pandemie waren für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen mit extremen Herausforderungen verbunden. Um die Versorgung weiterhin zu gewährleisten, gab es Einzelmaßnahmen und die quantitative Versorgung – auch in der Urologie – wurde von Krankenanstalten, Bundesempfehlungen und den vorherrschenden Rahmenbedingungen bestimmt. Ein Vergleich der vorliegenden Zahlen mit dem Vorpandemieniveau gibt Aufschluss über Personal- und Leistungsänderungen in der Urologie in der Pandemie.
Keypoints
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Kapazitätsreduktionen wurden nicht bundesweit verordnet, sondern von den Krankenhausträgern angeordnet.
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In der Urologie kam es zu einer Aufwertung der Ärztezahl im nichtbettenführenden, ambulanten Bereich.
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Das Pflegepersonal an bettenführenden Abteilungenwurde deutlich reduziert.
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Die Zahl der Ausbildungsstellen zum Facharzt für Urologie und Andrologie wurde erhöht.
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Der Einbruch der Leistungszahlen bei maligner Diagnose konnte im 2. Quartal 2020 rasch kompensiert werden.
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Die Zahlen zeigen eine Verschiebung zugunsten der Laparoskopie (vs. offen) bei radikaler Prostatektomie.
Mangels eines Pandemieplanes waren die zwei zurückliegenden Jahre davon geprägt, dass Gesetze und Verordnungen sehr kurzfristig ausgearbeitet und beschlossen werden mussten. Der Bedarf an Spitals- und Intensivbetten stieg während der Pandemie in nicht kalkulierbare Höhen. Für die neuartige Infektionskrankheit Covid-19 gab es zu Beginn keine kausale Therapie, die Infektionswege waren kaum eingrenzbar und Diagnose- und Therapiepfade unklar. Das Gesundheitsministeriums hat für die ausreichende Versorgung der Bevölkerung, inklusive ausreichender Kapazitäten an Spitals-und Intensivbetten, zu sorgen, ohne gleichzeitig die Akut- und Notversorgung zu gefährden
Von Bundesseite gab es Empfehlungen, jedoch keine Weisungen oder Erlässe, wie die Versorgung im Einzelfall zu gewährleisten sei. Die konkreten Einzelmaßnahmen und die quantitative Versorgung waren jedoch von den jeweiligen Krankenanstalten und den spezifischen Rahmenbedingungen bestimmt gewesen.
Versorgungstruktur
Die Struktur der Gesundheitsversorgung ist komplex und geprägt von unserer föderalen Staatsstruktur. Mit der Gesundheitsversorgung sind in der Pandemie 10–15 Ministerien befasst, neun Bundesländerverwaltungen, 99 politische Bezirke und über 2000 Gemeinden.
Das Parlament mit den fachzuständigen Ministerien ist die oberste gesetzgebende Ebene. Ministerien können zusätzliche Verordnungen zu den jeweiligen Gesetzen verfügen. Auf Landesebene werden Landesgesetze und Verordnungen zum Bezug der Bundesgesetze erlassen, das Bundesgesetz ist der Mindeststandard. Die politischen Bezirke, die Gemeinden und die Krankenhausträger sind die ausführenden Organe.
Die Schnittstelle zwischen Bund und Ländern sind innerstaatliche Verträge, z.B. die 15a-Vereinbarung (Bundesverfassungsgesetz, Art. 15a regelt Finanzierung und Organisation der Gesundheitsversorgung im stationären Bereich, 1.Säule).
Die 2. Säule der Gesundheitsversorgung, die nichtstationäre Versorgung, besteht aus den niedergelassenen Ärzten, Ambulatorien und Spitalsambulanzen und den Instituten. Die Verrechnung dieser Leistungen erfolgt großteils über das solidarische Sozialversicherungssystem. Die Sozialversicherungen haben einzelne pandemiebezogene Leistungen sowie Impfungen im niedergelassenen Bereich bezahlt. Strukturübergreifend hat die Standesvertretung (Landes- und Bundesärztekammern) Organisationsarbeit und die Verteilung von medizinischem Material übernommen. Die 3.Säule der Gesundheitsversorgung ist laut Sanitätsgesetz 1872 (!) die „öffentliche Gesundheit“, die die Bevölkerung vor Seuchen und Infektionen schützen soll. Zur öffentlichen Gesundheit gehören die Amtsärzte und Bezirksärzte unter der Organisation der Landeshauptleute. In der Pandemie obliegen der öffentlichen Gesundheit u.a. das Meldewesen, die Kontaktverfolgungen sowie die permanente Datenanalyse. Das Bundesministerium hat über die mittelbare Bundesverwaltung Vorgaben und Aufsicht zu gewährleisten. In einer Pandemie erfordert diese komplexe Konstellation von Zuständigkeiten ein erhebliches Maß an Koordination und gemeinsames Vorgehen in Belangen der Steuerung, Planung und Finanzierung. Exemplarisch eine Aufzählung einiger Gesetze, die in der Pandemie wichtig waren und geändert werden mussten:
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Epidemiegesetz
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Ärztegesetz
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Apothekengesetz
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Medizinproduktegesetz etc.
Bundesempfehlungen
Empfehlungen des Bundes an die Länder, um die Herausforderungen in der Pandemie zu meistern, gab es erstmals im November 2020. Dies waren z.B.:
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Register über die Intensivbelegungen
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bundesländerinterner Ausgleich der Betten- und Intensivkapazitäten
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Umwandlung von Normalstationen
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länderübergreifende Vereinbarungen bei Verknappung von Intensivbetten
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Bereitstellung von geeignetem Personal bis zur Rückholung von pensioniertem Personal
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medizinische Empfehlungen (erstellt von der Fachgesellschaft für Anästhesie und Reanimation)
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Empfehlung des Verschiebens von Therapien und Operationen
Im niedergelassenen Bereich wurden einzelne pandemiebezogene Leistungen und zum Teil Impfungen von den Sozialversicherungen bezahlt, hier waren besonders die Standesvertretungen (ÖÄK) gefordert, die Pandemie mit Bund und Ländern zu koordinieren.
Maßnahmen in urologischer Versorgung
Für die urologischen Abteilungen wurden Maßnahmen vom jeweiligen Krankenhausträger vorgegeben. Das betraf den Personaleinsatz, die Bettenkapazitäten, Leistungsreduktionen, z.B. von Therapien und Operationen, es betraf aber auch die Arbeitszeit, Ärzteausbildung und Organisation sowohl patientenbezogen als auch in Hinblick auf erhöhte Krankenstände des Krankenhauspersonals.
Personal- und Leistungsänderungen in der Pandemie
Dem Bundesministerium müssen aus allen Fondskrankenhäusern (mit öffentlichen Geldern finanzierten Krankenhäusern; entspricht fast allen Krankenhäusern in Österreich) Personalzahlen inklusive der Besetzung der Ärzteausbildungsstellen und die Leistungszahlen gemeldet werden. Diese Daten stehen aktuell bis inklusive des 4. Quartals 2021 und teilweise für 2022 zur Verfügung. Nach Auswertung dieser Zahlen zeigte sich Folgendes:
Das ärztliche Personal gemessen in Vollzeitäquivalenten (nicht Anzahl an Ärzten) im bettenführenden Bereich urologischer Abteilungen blieb über die Jahre 2019 bis 2021 fast ident. Im nicht bettenführenden (ambulanten) Bereichhingegen kam es zu einer Erhöhung (Tab. 1). Beim Pflegepersonal an urologischen Abteilungen kam es in den Jahren 2019–2021 bei den bettenführenden Abteilungen zu einer Reduktion (Tab. 2).
Tab. 1: Ärztliches Personal von urologischen Abteilungen aller Fondskrankenhäuser Österreichs in Vollzeitäquivalenten (Quelle: BMSGPK)
Tab. 2: Pflegepersonal urologischer Abteilungen aller Fondskrankenhäuser in Österreich in Vollzeitäquivalenten (Quelle: BMSGPK)
Aus den Zahlen der Ärzte in Ausbildung zum Facharzt für Urologie und Andrologie, die quartalsweise an das Bundesministerium gemeldet werden, ist eine Erhöhung der Zahl der besetzten Ausbildungsplätze von 2020 bis inkl. 2. Quartal 2022 ersichtlich (Tab. 3).
Tab. 3: Ärzte in Ausbildung zum Facharzt/zur Fachärztin jeweils zu Quartalsbeginn (Quelle: BMSGPK/ÖÄK)
Die medizinischen Einzelleistungen werden monatlich erhoben. Die Auswertung aller urologischen Leistungen, für die es eine LKF(leistungsfinanzierte Krankenhaus-Finanzierungs-)Abrechnung gab, hat eine deutliche Leistungsreduktion während des 1. Lockdowns (2. Quartal 2020) ergeben, die jedoch bereits im 3. Quartal 2020 nicht mehr ersichtlich war.
Ab dem 4. Quartal 2020 und im Gesamtjahr 2021 kommt es in den Quartalsvergleichen mit 2019 zu einer kontinuierlichen und anhaltenden Reduktion der LKF-Gesamtleistungen in der Urologie (Tab.4).
Tab. 4: Alle urologischen Leistungen pro Quartal von 2019 bis 2021 (Quelle: BMDGPK)
Die Subgruppenanalyse von Patienten mit maligner Hauptdiagnose an urologischen Abteilungen zeigt im zweiten Quartal 2020 (1.Lockdown) eine Reduktion der Leistungen. Im darauffolgenden Quartal (3. Quartal 2020) waren die Zahlen wieder auf dem Niveau der Vorpandemiezeit (Tab. 5)
Tab. 5: Krankenhausaufenthalte pro Quartal mit Hauptdiagnose bösartiger Neubildungen v.a. in Niere, Nierenbecken, Ureter, Blase, Urachus (ICD: C64-C68) von 2019 bis 2021 (Quelle: BMSGPK)
Eine weitere Subgruppenanalyse zeigte das Zahlenniveau exemplarisch ausgesuchter urologischer Einzelleistungen, die sehr häufig in allen Krankenanstalten durchgeführt werden: radikale Prostatektomie (RPE) und Zirkumzision. Bei der radikalen Prostatektomie (offen oder laparoskopisch) liegen die Zahlen 2020 und 2021 über (laparoskopisch) und auf bzw. unter dem Niveau (offen) von 2019. Offenbar kam es zu einer Verschiebung zugunsten der Laparoskopie. Bei der Zirkumzision kam es zu keiner Erho-lung der Zahlen im Vergleich zu 2019 (Tab. 6).
Tab. 6: Exemplarisch ausgesuchte urologische Einzelleistungen pro Quartal (Quelle: BMSGPK)
Zusammenfassung
Abschließend kann festgehalten werden, dass die föderale Versorgungsstruktur die Bewältigung der Pandemie erschwert hat. Die Kapazitätsreduktionen wurden nicht bundesweit verordnet, sondern nach den spezifischen Rahmenbedingungen von den Krankenhausträgern angeordnet und umgesetzt, daher kam es zu (bundesländerweisen) Unterschieden in der Patientenversorgung. Die besondere Herausforderung bestand für den öffentlichen Gesundheitsdienst, der bisher ein Schattendasein geführt hatte und weder personell noch technisch vorbereitet war, in der Koordination auf allen Ebenen, im Meldewesen, in der Kontaktverfolgung sowie in der permanenten Durchführung von Datenanalyse, um darauf aufbauend die Maßnahmen abzuleiten. Der öffentliche Gesundheitsdienst stieß in der Pandemie sehr bald an seine Grenzen. Personell kam es in der Urologie zu einer Aufwertung der Ärztezahl im nichtbettenführenden Bereich, während das Pflegepersonal an bettenführenden Abteilungen deutlich reduziert wurde. Eine Interpretation ist nur nach näherer Betrachtung der Zahlen je nach Versorgungstyp des Krankenhauses (Universitäten, Schwerpunkt- und Standardhäuser) und der Situation der einzelnen Abteilung möglich. Während der Pandemie kam es zu einer Erhöhung der Zahl an besetzten Ausbildungsstellen für Urologie und Andrologie. Eine Herausforderung besteht darin, den Ärzten in Ausbildung zum Urologen die vorgeschriebenen Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten (Fallzahlen) in der vorgesehenen Zeit zu vermitteln und einer Verlängerung der Ausbildungszeit entgegenzuwirken. Die Zahlen zur Zirkumzision, als Beispiel für einen in der Urologie oft durchgeführten Eingriff ohne besondere Anforderungen an Strukturen, lässt vermuten, dass eine Verschiebung in den niedergelassenen Bereich stattgefunden haben könnte oder die Indikation strenger gestellt und der Eingriff zeitlich verzögert worden sein könnte. Die Versorgung der Bevölkerung mit urologischen Leistungen war schwierig, wurde aber gewährleistet. Der Einbruch der Leistungszahlen bei maligner Diagnose konnte im 2. Quartal 2020 rasch kompensiert werden. Die Gesamtheit der urologischen Leistungen erreichte im 2. Quartal 2020 mit 15348 Leistungen während des 1.Lockdowns einen Tiefpunkt und war im 3. Quartal 2020 wieder auf dem Niveau vom 3. Quartal 2019 (20945 vs. 20319 Leistungen), jedoch kam es dann bis zum 4.Quartal 2021 wiederum zu einer kontinuierlichen Reduktion. Dieses Phänomen bedarf einer näheren Betrachtung auf Krankenhaus-/Abteilungsebene und länderübergreifend. Auch die exemplarisch ausgesuchten urologischen Einzelleistungen, bei denen es zu einer anhaltenden Reduktion seit dem 2. Quartal 2020 gekommen ist, sollten einer genaueren Analyse zugeführt werden. Die Versorgung der Bevölkerung mit urologischen Leistungen wurde während der Pandemie unter großen Anstrengungen und Bemühungen aufrechterhalten, jedoch hat uns die Pandemie einen Spiegel vorgehalten und uns die Schwächen unseres Gesundheitssystem erbarmungslos aufgezeigt.
Literatur:
bei der Verfasserin
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