„Men’s health“ als ganzheitliches Gesundheitskonzept
Autor:innen:
Dr. Heidemarie Ofner
Dr. Julia Weiss
Prim. Univ.-Prof. Dr. Shahrokh F. Shariat
Universitätsklinik für Urologie, Medizinische Universität Wien
E-Mail: julia.weiss@meduniwien.ac.at
Weltweit sterben Männer in jüngerem Lebensalter als Frauen. Gründe hierfür finden sich quer durch das Thema Männergesundheit – ein gesamtheitlicher Gesundheitsbegriff, der geschlechtsspezifische und nichtgeschlechtsspezifische Erkrankungen sowie das männliche Gesundheits- und Sozialverhaltenbeinhaltet.
Keypoints
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Männergesundheit beinhaltet die Behandlung von geschlechtsspezifischen und nichtge- schlechtsspezifischen Krankheiten sowie männliches Ge- sundheits- und Sozialverhalten.
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„Men’s health“-Strategien setzen an allen Komponenten an, um Männergesundheit ganzheitlich zu verbessern.
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Im „gender gap“ der Mortalität zeigt sich, dass Männer jünger als Frauen sterben, wofür biologische, jedoch auch soziokulturelle Aspekte ursächlich sind.
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Um nachhaltige Entwicklungsziele zu erreichen und Gesundheitsdaten für alle zu verbessern, muss Gender berücksichtigt werden – auch das männliche Geschlecht.
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Die Urologie ist der Drehpunkt und ideale Ansprechpartner für Themen rund um die Männergesundheit – sie sieht und behandelt „men’s health“ ganzheitlich.
In Österreich geht man bei Frauen von einer Lebenserwartung ab Geburt von 84,2 Jahren aus, bei Männern jedoch nur von 79,4 Jahren.1 Wenn Geschlecht in der weltweiten Gesundheitspolitik berücksichtigt wird, liegt der Fokus großteils auf Frauen, obwohl es klare Hinweise auf schlechtere Gesundheitsdaten bei Männern gibt. Ein Bewusstsein für „men’s health“ zu schaffen, ist ein Ansatz eines geschlechtssensiblen Gesundheitswesens, das Facetten von der Biologie bis zu sozio-kulturellen Umständen berücksichtigt, um nachhaltige Entwicklungsziele zu unterstützen und die Gesundheitslage für alle zu verbessern.
„Gender gap“ der Mortalität
Der „gender gap“ der Mortalität wird seit Jahrzehnten weltweit beobachtet und er wurde durch die Covid-19-Pandemie weiter verstärkt (Abb.1).2 Gründe hierfür finden sich zum einen in der geschlechtsspezifischen Biologie: Männer erkranken häufiger und in einem jüngeren Alter an schweren Herzerkrankungen. Die Rate an „premature deaths“ aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen ist bei Männern deutlich höher als bei Frauen.3 Männer erkranken jedoch auch häufiger und vor allem im jüngeren Alter an metabolischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus und die Rate an Männern mit metabolischem Syndrom ist deutlich höher als bei Frauen.4 Zum anderen spielen jedoch auch soziokulturelle Aspekte und das männliche Sozialverhalten im „gender gap“ der Mortalität eine Rolle. Die Suizidrate ist bei Männern signifikant höher als bei Frauen und auch die Prävalenz von Unfällen – teilweise mit tödlichem Ausgang – weist ein ähnliches Muster auf.5,6
Abb. 1: Unterschied zwischen der Lebenserwartung von Frauen und Männern bei der Geburt. Positive Werte deuten auf eine höhere Lebenserwartung von Frauen hin; negative Werte deuten auf eine höhere männliche Lebenserwartung hin (Quelle: Global Change Data Lab)2
Geschlechterunterschiede finden sich aber auch im Bereich der Immunologie; dies offenbarte sich drastisch während der Covid-19-Pandemie. Es zeigte sich eine deutlich erhöhte Mortalität bei Männern mit Covid-19-Infektion im Vergleich zu Frauen. Scully et al. beschrieben die Outcomes nach Covid-19-Infektionen in Zusammenhang mit dem Geschlecht, wobei sich herausstellte, dass in 38 Ländern die Covid-19-Mortalität bei Männern fast doppelt so hoch war wie bei Frauen.7 In China mussten während der Pandemie deutlich mehr männliche Patienten hospitalisiert werden als weibliche und die Rate an Intensivstationsaufenthalten war bei Männern signifikant höher.8 Dieses Bild zeichnete sich auch in anderen Ländern ab: In den USA erwies sich die Covid-19-Mortalität bei Männern als um das Eineinhalbfach höher als bei Frauen.9,10 Durch Tiermodelle konnte gezeigt werden, dass diese geschlechtsspezifischen Unterschiede zum Teil auf biologische Faktoren wie Steroidhormone,aber auch X-chromosomalcodierte Rezeptoren zurückzuführen sein könnten. Es konnten geschlechtsspezifische Unterschiede in der Virusdetektion, beim Eintritt des Virus in die Zelle und auch bei der Immunantwort gezeigt werden.7,11
„Risks of being a man“
Zu den „risks of being a man” zählen jedoch auch eine höhere Krebsinzidenz und -mortalität. In Österreich ist die Zahl an Krebsneuerkrankungen und Todesfällen aufgrund von Krebserkrankungen pro Jahr bei Männern um ca. 16% höher als bei Frauen. Eine große Rolle spielt hierbei das Prostatakarzinom mit einer Inzidenz von ca. 7000 Neuerkrankungen pro Jahr; in Österreich sterben jährlich knapp 1500 Männer an Prostatakrebs.12,13 Die Lancet Commission on Prostate Cancer veröffentlichte 2024 eine Prognose, die einen drastischen Anstieg dieser Zahlen vorhersagt. Es wird mit einer Verdopplung dieser Zahlen bis 2040 gerechnet (Abb. 2).14 Als Hauptursache dieses Anstieges wird die immer älter werdende Weltbevölkerung angenommen. Diese Zahlen betonen die Relevanz von adäquaten und klinisch intelligenten Screeningprogrammen. Jedoch stehen auch die weitere Optimierung der Aufklärung der Bevölkerung sowie die Versorgung der Erkrankung im lokalen und fortgeschrittenen Stadium plus die Weiterentwicklung von personalisierten Therapiemöglichkeiten im Fokus.14
Abb. 2: Planungsansicht zum Anstieg der Fälle von Prostatakrebs (James ND et al. Lancet 2024)14
Lifestyle-Unterschiede
Beim Vergleich der Männergesundheit mit der von Frauen zeigen sich sowohl beim Lifestyle als auch beim Gesundheitsverhalten deutliche Unterschiede. Diese machen sich im alltäglichen Leben wie bei der Ernährung, beim Sport und bei der allgemeinen Gesundheitskompetenz bemerkbar. Männer in Österreich, aber auch weltweit betreiben im Durchschnitt mehr Kraftsport als Frauen und nehmen durchschnittlich an anspruchsvolleren Fitnessprogrammen und Sportartenteil, die häufiger zu Verletzungen führen. Aufzeichnungen der Statistik Austria zeigen, dass Männer vor allem an Muskelaufbau interessiert sind, während Frauen sich häufig eher für Sportartenbegeistern, die weniger belastungs- und verletzungsintensiv sind. Laut der Gesundheitsbefragung 2019 der Statistik Austria in Österreich betreiben 20,9% der Männer zwischen 15 und 60 Jahren mehr als 5 Stunden pro Woche Sport, während es bei den Frauen im gleichen Alter nur 15,2% sind.1
Andererseits ist die Ernährung ein weiterer wichtiger Aspekt im Gesundheitsverhalten. Hier zeigen sich ebenso signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Laut der Gesundheitsbefragung 2019 geben 58,7% Frauen in allen Altersgruppen an, täglich oder mehrmals die Woche Obst zu essen – bei Männern sind es lediglich 40,7%.15 Ähnliches gilt für den täglichen oder mehrmals die Woche stattfindenden Verzehr von Gemüse (55,4%vs. 38,9%). Laut der Befragung verzehren Männer doppelt so häufig regelmäßig Fleisch oder Wurstwaren als Frauen. Des Weiteren zeigt sich, dass bei mehr Männern als Frauen Nikotinabusus vorliegt. Im Jahr 2019 haben in Österreich 23,5% der Männer und 17,8% der Frauen geraucht.15 Adipositas und Übergewicht sind beim männlichen Geschlecht ebenfalls häufiger – das „Zu viel“ auf der Waage spielt eine zentrale Rolle als Risikofaktor für eine Vielzahl an Erkrankungen und kann zusätzlich soziale und psychologische Belastungen mit sich bringen.
Gesundheitskompetenz bedeutet, im alltäglichen Leben gesundheitsfördernde und präventive Entscheidungen zu treffen. Hier erreicht die österreichische Bevölkerung laut einer Befragung im Jahr 2020 rund 85 von 100 Punkten.16 Eine Auswertung der Statistik Austria und des Dachverbands der Sozialversicherungsträger zeigt jedoch, dass Frauen deutlich häufiger Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen als Männer – und dies ohne die Miteinberechnung von gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen.16,17
Fertilität
Ein weiterer bedeutender Punkt beim Thema „men’s health“ ist die Sexual- und Reproduktionsmedizin, wobei Fertilität hier eine zentrale Rolle spielt. Die in den letzten Jahren zunehmende Infertilität stellt eine komplexe Herausforderung dar. Weltweit sinkt die Spermienqualität, was durch eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst wird. Dazu zählen sozioökonomische Aspekte, die Ernährung und auch Umwelteinflüsse.18 Komorbiditäten wie Adipositas, Hypertonus und psychologischer Stress scheinen hier eine entscheidende Rolle zu spielen. Siekönnen oxidativen Stress fördern, der durch Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse zu Apoptose und DNA-Schäden von Spermien führen kann, was wiederum die Infertilität begünstigt.18 Männer leiden häufiger an Adipositas als Frauen – Übergewicht kann zu besagtem oxidativem Stress beitragen. Zudem werden immer häufiger schädliche Substanzen in der Nahrung und im Trinkwasser sowie in der Atemluft nachgewiesen. Diese Substanzen, wie Mikro- oder Nanoplastik, lagern sich im Gewebe sowie in Körperflüssigkeiten ab.19 Es besteht die Hypothese, dass dies zu Infertilität und sinkender Spermienqualität beiträgt – hier bedarf es jedoch weiterer Forschungstätigkeit, an welcher sich auch die Medizinische Universität Wien beteiligt.
„Men’s health“ als präventive Maßnahme
Männer mit Problemen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit gezielt anzusprechen, könnte die Früherkennung und Behandlung von vielen Erkrankungen erheblich fördern. Durch eine frühzeitige Diagnose könnten nicht nur unmittelbare Gesundheitsprobleme besser behandelt werden, sondern es ließen sich auch längerfristige gesundheitliche Risiken mindern. Zusätzlich zu Lifestyle-Empfehlungen mit Ernährungstipps, Empfehlungen für Sport und Anti-Raucherkampagnen ist es wichtig, Männer frühzeitig über potenzielle Krankheiten aufzuklären und gegebenenfalls zu screenen. Männer sollten genauso wie Frauen über sogenannte „Red flag“-Symptome und Anzeichen einer potenziellen malignen Erkrankung informiert sein. Eine Bewusstseinsstärkung für „men’s health“ könnte dazu führen, dass Männer schneller ärztlichen Rat in Anspruch nehmen. Dies trägt nicht nur zur Steigerung des persönlichen Gesundheitsbewusstseins bei, sondern wirkt auch vorbeugend gegen potenziell schwerwiegende Krankheiten, die ohne frühzeitige Intervention unentdeckt bleiben könnten.
Die Urologie befasst sich mit benignen und malignen Erkrankungen des Mannes und übernimmt zusätzlich die Betreuung hinsichtlich der männlichen Sexual- und Reproduktionsgesundheit. Behandelnde Urolog:innen sind somit der Drehpunkt und ideale Ansprechpartner:innen für Themen rund um Männergesundheit.
Literatur:
1 Statista GmbH: Lebenserwartung bei der Geburt in Österreich nach Geschlecht von 2013 bis 2023. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/18642/umfrage/lebenserwartung-in-oesterreich ; zuletzt aufgerufen am 12.11.2024 2 Global Change Data Lab: The sex gap in life expectancy has changed over time. https://ourworldindata.org/data-insights/the-sex-gap-in-life-expectancy-has-changed-over-time ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2024 3 Zhang J et al.: Global gender disparities in premature death from cardiovascular disease, and their associations with country capacity for noncommunicable disease prevention and control. Int J Environ Res Public Health 2021; 18(19): 10389 4 Magliano DJ, Boyko EJ: IDF Diabetes atlas 10th edition scientific committee. https://diabetesatlas.org/idfawp/resource-files/2021/07/IDF_Atlas_10th_Edtion_2021.pdf ; zuletzt aufgerufen am 12.11.2024 5 Macrotrends LLC: European Union Suicide Rate 2000-2024. https://www.macrotrends.net/global-metrics/countries/EUU/european-union/suicide-rate ; zuletzt aufgerufen am 3.11.2024 6 European Commission: European Road Safety Observatory. https://road-safety.transport.ec.europa.eu/european-road-safety-observatory_en ; zuletzt aufgerufen am 3.11.2024 7 Scully EP et al.: Considering how biological sex impacts immune responses and Covid-19 outcomes. Nat Rev Immunol 2020; 20(7): 442-7 8 Chen N et al.: Epidemiological and clinical characteristics of 99 cases of 2019 novel coronavirus pneumonia in Wuhan, China: a descriptive study. Lancet 2020; 395(10223): 507-13 9 City of New York: Covid-19: data. https://www1.nyc.gov/site/doh/covid/covid-19-data.page ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2024 10 Karlberg J et al.: Do men have a higher case fatality rate of severe acute respiratory syndrome than women do? Am J Epidemiol 2004; 159(3): 229-31 11 Tharakan T et al.: Are sex disparities in Covid-19 a predictable outcome of failing men‘s health provision? Nat Rev Urol 2022; 19(1): 47-63 12 Statistik Austria: Krebserkrankungen. https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gesundheit/krebserkrankungen ; zuletzt aufgerufen am 3.11.2024 13 Najari BB et al.: Sex disparities in cancer mortality: the risks of being a man in the United States. J Urol 2013; 189(4): 1470-4 14 James ND et al.: The Lancet Commission on prostate cancer: planning for the surge in cases. Lancet 2024; 403(10437): 1683-1722 15 Statistik Austria. Österreichische Gesundheitsbefragung. 2019. https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Oesterreichische-Gesundheitsbefragung2019-Annex.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2024 16 Griebler et al.: Gesundheitskompetenz in Österreich: Ergebnisse der Österreichischen Gesundheitskompetenz-Erhebung HLS19-AT. 2021. https://oepgk.at/website2023/wp-content/uploads/2023/04/hls19-at-bericht-bf.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2024 17 Statistik Austria: Krankheitsprävention. https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gesundheit/gesundheitsversorgung-und-ausgaben/krankheitspraevention ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2024 18 Ayad B et al.: Oxidative stress and male infertility: evidence from a research perspective. Front Reprod Health 2022; 4: 822257 19 Skakkebæk NE et al.: Environmental factors in declining human fertility. Nat Rev Endocrinol 2022; 18(3): 139-57
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