Neue Projekte in der österreichischen Urologie
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Friedrich H. Moll, MA, FEBU1
Univ.-Prof. Dr. Shahrokh F. Shariat2
1 Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Düsseldorf
Kurator Museum, Bibliothek und Archiv zur Geschichte der Urologie,
Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V.Düsseldorf, Berlin
E-Mail: friedrich.moll@uni-koeln.de
2 Leiter der Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Wien
Die Geschichte der Österreichischen Gesellschaft,ehemals Wiener Urologischen Gesellschaft für Urologie, ist von spannenden Wendepunkten gekennzeichnet. Von ihrer Gründung über jüdische Einflüsse bis zu Brüchen durch den Nationalsozialismus prägen spannende und bislang noch kaum erforschte Themen die Fachgeschichte. Ein neues Projekt der ÖGU widmet sich diesen Fragen und stellt die Ergebnisse 2025 im Rahmen des Österreichisch-Bayerischen Urologiekongresses in Wien vor.
Eine Geschichte der Wiener Urologischen Gesellschaft (WUG) bzw. der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie (ÖGU) ist noch nicht geschrieben. Noch immer fehlen wichtige Biografien in der Österreichischen Nationalbiografie, ÖNB, hier seien exemplarisch Vorstandsmitglieder und Präsidenten der ÖGU von Richard Übelhör, dem ersten Ordinarius für Urologie (1901–1977), über Viktor Blum (1877–1953, Chicago) bis zum wichtigsten NS-Repräsentanten Koloman Haslinger (1889–1944) genannt.
Anton Ritter von Frisch (1849–1917)
Otto Zuckerkandl (1861–1921)
Gallus Pleschner (1883–1950)
Viktor Blum (1877–1953)
Trotz eines reichen Quellenmaterials in unterschiedlichen Archiven national und international war der Historisierungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg lange auf die Sichtweise der meinungsführenden Wiener Medizinhistorikerin Erna Lesky (1911–1976), NSDAP-Mitglied (MitgliedsNr. 7.252.714, seit 1939), konzentriert, die Führungspersönlichkeiten der Wiener Medizin und ihrer Schulen herausstellte und sich als erste Ordinaria im Mainstream und Denkstil ihrer männlichen Fakultätskollegen bewegte. Dies hatte innerhalb der innerurologischen Fachgeschichtsschreibung naturgemäß Vorbildfunktion.1–4Lesky hatte sich in Publikationen oftmals auf Teilaspekte von innerurologischen Arbeitengestützt, die unter dem Aspekt der lokalen Fachdifferenzierung in einer Fortschrittsgeschichte zwischen 1911 und 1936 publiziert worden waren. Somit waren zeitaktuelle Fragen der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, wie akademische Netzwerke und ihre Strukturen, internationaler Wissenschaftstransfer oder Fragen zur Konstitutionder modernen Hochschulmedizin insbesondere in Wien, hier weniger repräsentiert.
Zum 75-Jahre-Jubiläum der Fachgesellschaft wurden durch den ehemaligen Präsidenten der ÖGU (1986–1987) und späteren Archivar der ÖGU Peter Paul Figdor (1926-2020) Einzelpersönlichkeiten in einer zweiteiligen Publikationherausgestellt.5
Mittlerweile wurden Teilaspekte aus der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen eines großen Projektes der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. aufgearbeitet.6–8 In einem größeren, geförderten Projekt hat sich nunmehr die ÖGU unter dem Motto „Nur wer die Gegenwart kennt, kann Zukunft gestalten“ der Aufgabe angenommen, in einem multinationalen Forscherteam aktuelle Forschungsfragen – von Fragen zurGeschichte der WUG/ÖGUals Institution bis zur Institutionalisierung, zu Exzellenz und Netzwerken – wissenschaftshistorisch bearbeiten zu lassen und die Ergebnisseals deutsch- und englischsprachige Buchpublikation einer breiten medizinischen und fachhistorischen Öffentlichkeit zu präsentieren. Zudem ist hierzu im Rahmen des Österreichisch-Bayerischen Urologiekongresses 2025 in Wien eine wissenschaftshistorische Ausstellung vorgesehen.9
Bereits zur Gründung einer Urologen-vereinigung in Österreich können mehrere Erinnerungskulturen aufgegriffen werden. Waren bereits 1906/1907 österreichische Urologen bei der Gründung der Deutschen Fachgesellschaft in führenden Posten paritätisch vertreten (Anton Ritter von Frisch [1849–1917], Wiener Allgemeine Poliklinik, Otto Zuckerkandl [1861–1921], RothschildSpital, Wien, Georg Kapsammer [1871–1911] u. a.), sollte es noch bis nach dem Ersten Weltkrieg, bis 1919, dauern, bis sich in Wien eine „Wiener Urologische Gesellschaft“ unter dem Vorsitz von Otto Zuckerkandl gründete. Aufgrund des hohen Anteilsjüdischer Kollegen besonders in Wien sollten viele Wissensstränge nach 1938 durch den Holocaust abreißen. Aus einer 1935 in „Österreichische Gesellschaft für Urologie“ umbenannten Wiener Gesellschaft, die unter Viktor Blum (1877–1853, Chicago) noch maßgeblich an der Ausrichtung des Internationalen Urologenkongresses im September 1936 beteiligt und Gastgeber der „Société Internationale d’Urologie“ (SIU) war, wurde am 22. Februar 1939 wieder eine „Wiener Urologische Gesellschaft“ als Fachgruppe der „Wiener Medizinischen Gesellschaft“. Vorsitzender war das politisch besonders zuverlässige NS-Mitglied Koloman Haslinger (NSDAP-Mitglieds-Nr. 6.201.678). Die Gesellschaft konnte infolge der Kriegsereignisse immer seltener tagen.
1946/1947 wurde dann erneut eine Österreichische Gesellschaft für Urologie unter dem Vorsitz des unbelasteten Gallus Pleschner (1883–1950, Schüler von Leopold Casper [1859–1959]), dem 1938 die Venia Legendi entzogen worden war, wiederbegründet. Pleschner war schon Sekretär der 1919 gegründeten Wiener Gesellschaft gewesen und stellte damit eine persönliche Kontinuität her.
Heute ist eine lebendige Erinnerungskultur innerhalb der ÖGU auch durch die Auslobung von Preisen wie dem Richard-Übelhör-Forschungsstipendium oder dem OttoZuckerkandl-Preis für „besondere Leistungen auf dem Gebiet der Urologie“ manifestiert.
Literatur:
1 Seebacher F: Die Leskys. Akademische Karrieren in Netzwerken politischer Systeme des 20. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte und Philosophie der Wissenschaften. Verlag der ÖAW, Wien 20242 Seebacher F: „Mit dem Geist redlichen Dienens“. Die akademische Karriere der NSV-Ärztin und Medizinhistorikerin Erna Lesky. ZfG 2021; 69: 1038-57 3 Seebacher F: Erna Lesky, „Herrin“ der Sammlungen des Josephinum. Wissensrepräsentation und Wissensproduktion im Zentrum der Geschichte der „Wiener Medizin”. In: Seidl J, Kästner I: Tauschen und Schenken. Wissenschaftliche Sammlungen als Resultat europäischer Zusammenarbeit. Düren: Shaker20204 Horn S: Auftrag und Erfüllung. Erna Lesky und medizinhistorische Narrative im 20. Jahrhundert. In: Fillafer FL, Wallnig T: Josephinismus zwischen den Regimen. Eduard Winter, Fritz Valjavec und die zentraleuropäischen Historiographien im 20. Jahrhundert. Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts. Wien: Boehlau2016;181-2125 Figdor PP:75 Jahre Österreichische Gesellschaft für Urologie. Nachrichten Österreichische Gesellschaft für Urologie1994; (4-9): 5-8 6 Hubensdorf M: Urologie und Nationalsozialismus in Österreich.In: Krischel M, Moll F, Bellmann J, Scholz A, Schultheiss D (Hrsg.): Urologen im Nationalsozialismus. Zwischen Anpassung und Vertreibung.Berlin: Hentrich und Hentrich2011; 139-727 Butta-Bieck F: „Juden sind nicht erwünscht“. Vertreibung jüdischer Urologen aus Österreich.In: Krischel M, Moll F, Bellmann J, Scholz A, Schultheiss D (Hrsg.):Urologen im Nationalsozialismus. Zwischen Anpassung und Vertreibung.Berlin: Hentrich und Hentrich 2011;123-38 8 Hubensdorf M: Urology and national socialism inAustria.In: Schultheiss D, Moll F: Urology under the Swastika. EUA, Davidsfonds Uitgeverij: Antwerpen2017:18-49 9 Shariat S: Gemeinsam in die Zukunft gehen. ÖGU aktuell 2023; 4:20-1
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