«Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde»
Bericht:
Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Wer hätte gedacht, dass wir Viren als unsere Freunde bezeichnen, aber genau das ist bei den Bakteriophagen der Fall. Selbst die heilende Wirkung des Ganges wird mit Bakteriophagen in Verbindung gebracht. Phagen haben in der Diagnostik und Therapie von Infektionen Potenzial und könnten dereinst zur Lösung des Problems mit Antibiotikaresistenzen beitragen. Aber der Weg dahin ist weit, wie das Referat von Dr. med. Lorenz Leitner, Zürich, am WebUp für Infektiologie zeigte.
Rezidivierende Harnwegsinfektionen (HWI) sind ein häufiges und belastendes Problem, das zu einer eingeschränkten Lebensqualität und einer Zunahme von Morbidität und Mortalität führt. «Warum einige Menschen wiederholt an Harnwegsinfektionen leiden und andere nicht, diese Frage ist nicht vollständig geklärt», sagte PD Dr. med. Lorenz Leitner, Oberarzt Neuro-Urologie am Universitätsspital und der Universitätsklinik Balgrist. Fest steht aber, dass durch den häufigen Einsatz von Antibiotika bei HWI Resistenzen gefördert werden.
Eine alternative Behandlung von bakteriellen Infektionen, die jüngst auch im Zusammenhang mit infizierten Kriegsverletzungen ukrainischer Soldaten von sich reden gemacht hat, ist die Phagentherapie. «Bakteriophagen sind natürlich vorkommende und spezifisch gegen Bakterien wirksame Viren, die genetisch verändert und therapeutisch genutzt werden können», erklärte Leitner. Die Viren heften sich an die Bakterien an, injizieren ihr Genom und nutzen die Replikationsmechanismen des Bakteriums, um sich zu vervielfältigen, während das Bakterium zugrunde geht.
Die Entdeckung der Bakteriophagen geht auf die beiden Wissenschaftler Félix d’Hérelle und Frederick Twort Anfang des 19. Jahrhunderts zurück.1 1921 erschien die erste Publikation zur Phagentherapie bei Kindern mit Infektionen.2 Die erste grössere und erfolgreiche Anwendung von Phagen fand 1927 statt, als d’Hérelle die Ziehbrunnen in indischen Dörfern mit Bakteriophagen «impfte», die er zuvor von Choleraopfern isoliert hatte, und damit die Sterblichkeit infolge von Cholera verringern konnte.
Selbst für die heilende Wirkung des Ganges könnten Bakteriophagen verantwortlich sein. Im 19. Jahrhundert fiel auf, dass Menschen, die im Ganges badeten, seltener durch die saisonal auftretenden Choleraepidemien starben. Eine Untersuchung von Faruque et al. in der Gegend von Dhaka, Bangladesch, während einer Epidemie mit multiresistenten Cholerabakterien konnte zeigen, dass der Epidemie zunächst eine hohe Prävalenz des krankheitsverursachenden Bakterienstamms vorausgegangen war, gefolgt von einer Zunahme der entsprechenden Phagen am Ende der Epidemie.3 Überlebende mit Cholera hatten also sowohl die Cholerabakterien wie auch die Phagen aufgenommen. Die Autoren vermuteten, dass das Ende der Epidemie durch die Wirts-vermittelte Phagenamplifikation und konsekutive Abnahme der Cholerabakterien in der Umwelt ausgelöst wurde.
Ein Ausflug nach Georgien
«Die Entdeckung von Penicillin und modernen Antibiotika hat die weitere Erforschung und Anwendung in der westlichen Welt zum Erliegen gebracht», sagte Leitner. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurde die Phagentherapie jedoch weiter angewendet. Mit der Zunahme von Antibiotikaresistenzen hat das Interesse an der Therapie wieder zugenommen. Dass sich Lorenz Leitner am Projekt «ImmunoPhage» der Hochschulmedizin Zürich beteiligt, kommt nicht von ungefähr. Bei der Behandlung von Patienten mit neurourologischen Problemen insbesondere bei liegendem Blasenkatheter, zum Beispiel nach Rückenmarksverletzungen, sind rezidivierende HWI ein häufiges Problem.
Die Wissenschaftler wandten sich für eine Zusammenarbeit an das Eliava-Institut in Tiflis, Georgien, wo seit Jahrzehnten an Bakteriophagen geforscht wird. In Georgien sind Phagencocktails als frei verkäufliche Präparate in der Apotheke erhältlich. Ein Phagogramm bei 41 E.-coli- und 9 K.-pneumoniae-Stämmen, die von Schweizer Patienten mit HWI isoliert wurden, zeigte, dass 66–93% der E.-coli-Stämme sensibel auf den kommerziellen Phagencocktail reagierten. Darüber hinaus konnten mit einem einzelnen Bakteriophagen der Eliava-Kollektion alle neun K.-pneumoniae-Stämme abgetötet werden.4 Der nächste Schritt bestand darin, die Phagen anhand von Bakterien, die gegen viele Antibiotika resistent sind, zu trainieren, um deren Wirkung zu optimieren. Die Ergebnisse waren vielversprechend: Bei sechs von neun Patienten, denen die Bakteriophagen intravesikal verabreicht wurden, konnte der Bakterientiter reduziert werden. Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit der Phagentherapie wurden keine beobachtet.
Fehlende Evidenz
Der anschliessende Vergleich mit der Literatur war frustrierend:5 «Es gab viele Case Reports, aber das Einzige worin sich diese glichen, war, das alle alles anders gemacht hatten», sagte Leitner. Die Wissenschaftler entschieden sich, in Zusammenarbeit mit dem nationalen Tsulukidze-Zentrum für Urologie in Tiflis eine randomisierte Studie durchzuführen. Die eingeschlossenen 113 Patienten mit komplizierten oder rezidivierenden unkomplizierten HWI, die für eine transurethrale Prostataresektion (TUR) vorgesehen waren, wurden 1:1 zu einer 7-tägigen intravesikalen Therapie mit Bakteriophagen oder Placebo (PLO) oder zu einer systemischen Antibiotikatherapie randomisiert.6 Am Ende der Therapie wurde eine Urinkultur aus dem Harnwegskatheter entnommen. Dabei zeigte sich, dass die Wirksamkeit insgesamt niedrig war und sich zwischen den Behandlungsgruppen nicht unterschied. «Der einzige Lichtblick war die im Vergleich zu PLO und Antibiotika niedrigere Rate von unerwünschten Ereignissen unter der Phagentherapie», so Leitner. Auch andere randomisierte und kontrollierte Phase-II-Studien mit Phagen waren mehrheitlich negativ. Eine Ausnahme war die Untersuchung von Bakteriophagen gegen P. aeruginosa versus Standard of Care bei Kindern mit chronischer Otitis. Für den Erfolg der Studie waren gemäss Leitner folgende Faktoren verantwortlich: der Nachweis der Erregersensibilität anhand eines Phagogramms vor Studienbeginn, die Stabilität des eingesetzten Phagenprodukts und einer guter Zugang zum Infektionsort. Als mögliche Ursachen für das negative Resultat der Studie bei Patienten mit HWI nannte er den erschwerten Zugang zur Harnblase und die irritierende Wirkung des Blasenkatheters.
Therapeutisches und diagnostisches Potenzial
Mit dem Ziel, die Evidenz für die Phagentherapie zu verbessern, haben die Forschenden zusammen mit Kollegen im Ausland die Datenbank «Phagistry» ins Leben gerufen, in der retrospektiv und zukünftig auch prospektiv alle behandelten Fälle erfasst werden sollen. Mit den beiden Nationalfonds-Projekten «CAUTIphage» und dem HMZ-Projekt «ImmunoPhage» soll die Epidemiologie der HWI genauer untersucht und die Pathophysiologie besser verstanden werden. «Unser Ziel ist es, wirksame Phagen gegen Harnwegsinfektionen zu isolieren, diese genetisch zu verbessern und dann in randomisierten kontrollierten Studien zu untersuchen», sagte Leitner. Nachdem man initial eine Erregerdatenbank zusammengestellt, potenzielle Kandidaten getestet und besonders wirksame selektioniert habe, sei man nun bei der Produktion des Phagenprodukts.
Doch die Bakteriophagen sollen nicht nur therapeutisch genutzt werden, sondern auch in der Diagnostik. Dazu haben Forschende von der ETH erstmals ein Nanoluciferaseprotein in Bakteriophagen integriert. Nach der Infektion mit dem sogenannten «Reporterphagen» beginnt das Bakterium das Nanoluciferaseprotein zu exprimieren und zu leuchten. Dadurch kann eine Infektion nachgewiesen werden.
Der diagnostische Test mit Reporterphagen zum Nachweis einer HWI infolge der drei wichtigen Zielbakterien E. coli, Klebsiellen und Enterokokken zeigte eine Sensitivität zwischen 66 und 81%, eine Spezifität von 97–98% und eine «accuracy» von 88–96%. Eine weitere Möglichkeit der genetischen Modifikation ist, die Wirkung der Bakteriophagen durch die Zugabe eines Enhancers zu erhöhen. «Unsere aktuelle Strategie ist, dass wir mithilfe des Reporterphagen das Bakterium zuerst identifizieren. Wenn wir es nachweisen können, wissen wir auch, dass wir es mit den Effektorphagen abtöten können.»
Quelle:
Forum für medizinische Fortbildung, WebUp Infektiologie vom 21. November 2023
Literatur:
1 www.wikipedia.org , abgerufen am 2.10.2024 2 Bruynoghe R et al.: Essais de thérapeutique au moyen du bacteriophage. Soc Biol 1921; 85: 1120-1 3 Faruque SM et al.: Self-limiting nature of seasonal cholera epidemics. Role of host-mediated amplification of phage. PNAS 2005; 102: 6119-24 4 Sybesma W et al.: Bacteriophages as potential treatment for urinary tract infections. Front Microbiol 2016; 7: 465 5 McCallin S et al.: Current state of compassionate phage therapy. Viruses 2019; 11: 343r 6 Leitner L et al.: Intravesical bacteriophages for treating urinary tract infections in patients undergoing transurethral resection of the prostate: a randomized, placebo-controlled, double-blind clinical trial. Lancet Infect Dis 2021; 21: 427-36 7Meile S et al.: Engineered reporter phages for detection of Escherichia coli, Enterococcus, and Klebsiella in urine. Nat Commun 2023; 14: 4336 8 Du J et al.: Enhancing bacteriophage therapeutics through in situ production and release of heterologous antimicrobial effectors. Nat Commun 2023; 14: 4337
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