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Blasenbildende Dermatosen im Kindesalter
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Agnes Schwieger-Briel
Universitäts-Kinderspital, Zürich<br> E-Mail: Agnes.Schwieger@kispi.uzh.ch
30
Min. Lesezeit
29.08.2019
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<p class="article-intro">In diesem Artikel soll die diagnostische Herangehensweise bei neu aufgetretener Blasenbildung aufgezeigt und die häufigsten blasenbildenden Erkrankungen sollen je nach verschiedener Altersgruppe vorgestellt werden. Eine Vollständigkeit der vorgestellten Dermatosen wird angesichts der grossen Zahl nicht angestrebt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><div id=""keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Vesikel oder Blasen sind Zeichen eines intraepidermalen Adhäsionsverlusts.</li> <li>Die grosse Zahl potenzieller Auslöser reicht von genetischen Veränderungen bis hin zu externen Traumata.</li> <li>Eine gute Anamnese sowie die genaue Betrachtung der Morphologie der Effloreszenzen und ihrer Anordnung helfen meist, die Zahl der Differenzialdiagnosen einzuengen.</li> </ul> </div> <p>Blasen sind Teil vieler unterschiedlicher Dermatosen. Sie sind, unabhängig von ihrer Ursache, Zeichen eines Defekts der desmosomalen oder hemidesmosomalen Strukturen mit daraus resultierendem Adhäsionsdefekt. Als zugrunde liegende Mechanismen können angeborene, genetische Erkrankungen von erworbenen Erkrankungen wie z. B. Autoimmunerkrankungen, Infektionen oder Traumata unterschieden werden.</p> <h2>Herangehensweise</h2> <p>Stellt sich ein Kind mit einer blasenbildenden Dermatose vor, gilt es, verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Eine gute Anamnese und eine erste Abschätzung des Allgemeinzustandes sind elementar:</p> <ul> <li>Erscheint das Kind krank, besteht Fieber oder eine Reduktion des Allgemeinzustands?</li> <li>Wann sind erstmalig Blasen aufgetreten, gab es einen Auslöser?</li> <li>Liegt eine positive Eigen- oder Familienanamnese für blasenbildende Erkrankungen vor?</li> <li>Besteht eine Mitbeteiligung der Schleimhäute von Augen, Mund und oder Gastrointestinal- bzw. Urogenitaltrakt?</li> <li>Wurden kürzlich neu rezeptierte Medikamente eingenommen?</li> <li>Wichtig ist auch, ob die Anamnese plausibel erscheint, da Blasen auch häufig bei einer Dermatitis artefacta auftreten können.</li> </ul> <p>Die Morphologie der Blasen sowie deren Anordnung und Lokalisation helfen, die Liste möglicher Erkrankungen einzuengen. So stellen sich oberflächliche Blasen eher schlaff, bereits eröffnet bzw. erosiv dar. Tiefer intraepidermal bzw. hoch junktional gelegene Blasen sind hingegen meist intakt und zeigen eine prallere Füllung. Auch die Grösse der Effloreszenzen – liegen Vesikel oder Blasen vor – unterscheidet sich je nach Ursache. Bei länger bestehenden Erkrankungen finden sich zudem Assoziationen wie z. B. Milien, Narben, Pigmentierungsstörungen sowie Nageloder Haaranomalien.<br /> Um die Wahrscheinlichkeit verschiedener Diagnosen abzuschätzen, muss das Alter des Patienten berücksichtigt werden. Insbesondere Blasen bei Neonaten oder kleinen Säuglingen lassen an genetische Ursachen wie eine Epidermolysis bullosa oder eine epidermolytische Ichthyose denken, aber auch Infektionen kommen in dieser Altersgruppe sehr häufig vor. Bei älteren Säuglingen und kleinen Kindern überwiegen die Infektionskrankheiten und bullöse Iktusreaktionen, aber bei ihnen können auch noch später auftretende Genodermatosen und auch seltene Autoimmunerkrankungen wie das bullöse Pemphigoid oder die lineare IgA-Dermatose vorkommen. Bei älteren Kindern und Jugendlichen spielen dann neben den Infektionen zunehmend allergische und exogene Faktoren eine Rolle, so kommen hier vermehrt auch photo-/ phytotoxische Dermatosen oder eine Dermatitis artefacta infrage. Letztere können Ausdruck einer psychischen Erkrankung sein, sind aber häufig auch Folge spielerischer Selbstversuche i. S. einer Teilnahme an durch die sozialen Medien verbreiteten «challenges».</p> <h2>Häufige oder typische Ursachen von Blasenbildung</h2> <p><strong>Kleine Säuglinge, Neugeborene</strong></p> <p>Epidermolysis bullosa (EB)<br /> Bei den kleinen Säuglingen muss man bei kongenitalem/perinatalem Auftreten von Blasen oder Erosionen an eine Epidermolysis bullosa denken. Insbesondere wenn zusätzlich eine akrale Aplasia cutis vorliegt.<br /> Die Epidermolysis bullosa beschreibt eine Gruppe von seltenen genetisch determinierten blasenbildenden Dermatosen. Sie kann autosomal dominant oder rezessiv vererbt werden. In den meisten Fällen liegt ein durch genetische Mutationen hervorgerufener Defekt eines Ankerproteins vor, durch den die Funktion der Desmosomen oder der Hemidesmosomen beeinträchtigt ist, was zu einer reduzierten Stabilität des Zellverbands der Haut gegenüber mechanischer Belastung führt. Insbesondere bei Scherkräften kommt es zu einem Auseinanderstreben der Zellen mit sekundärer Blasenbildung. Je nach anatomischer Lage der Spaltbildung werden unterschiedliche klassische Formen der EB – die EB simplex, junctionalis und dystrophica sowie die Kindler-EB – definiert (Abb. 1).</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1902_Weblinks_lo_derma_1902_s21_abb1_schwieger.jpg" alt="" width="2157" height="1194" /></p> <p> </p> <p>Diagnose der EB<br /> Die Diagnose einer EB wird meist klinisch gestellt. Für die prognostisch sehr bedeutsame Bestimmung des genauen Subtyps wird dann ein Immunfluoreszenzmapping (IFM) einer aus dem Rand einer Blase entnommenen Hautbiopsie erstellt. Bei dieser Untersuchung werden die für die EB relevanten Ankerproteine in der Hautprobe angefärbt, um neben ihrer Farbintensität auch die Lage der Blase zu den verschiedenen Proteinen zu bestimmen. Da die genaue Prognose der Erkrankung aber letztlich sehr von dem betroffenen Gen und der genauen Mutation abhängt, ist möglichst rasch eine Mutationsanalyse anzustreben.<br /> Patienten mit dringendem Verdacht auf eine EB sollten an spezialisierte Zentren überwiesen werden, in der Schweiz sind diese Teil der dermatologischen Abteilungen des Inselspitals Bern und des Kinderspitals Zürich, zudem werden erwachsene Patienten auch am Unispital Basel behandelt.</p> <p>Häufigste Differenzialdiagnosen der EB im Neugeborenenalter<br /> Bei Neonaten werden vor allem zwei Diagnosen relativ häufig mit einer EB verwechselt. Zum einen ist dies die neonatale bullöse Impetigo, zum anderen die weitaus seltenere epidermolytische Ichthyose.<br /> Die neonatale bullöse Impetigo wird durch eine Infektion mit Koagulase-positivem <em>Staphylococcus aureus</em> (meist Phagentyp 2) ausgelöst, welcher örtliche epidermolytische Toxine bildet. Diese führen durch eine Aufspaltung von Desmoglein 1 zu hohen intraepidermalen Spalten und damit zu schlaffen Blasen und rundlichen Erosionen (Abb. 2). Der Allgemeinzustand der Kinder ist gut. Die Diagnose ist klinisch zu stellen, im Zweifel kann man einen Abstrich aus dem Blasengrund für eine Gramfärbung und Kultur entnehmen. Bei sehr begrenztem Befund kann eine topische Therapie mit antiseptischen Externa erfolgreich sein, bei ausgedehnterem Befund hingegen ist eine systemische antibiotische Therapie mit z. B. Amoxicillin/Clavulansäure über 7–10 Tage indiziert. Bei Neonaten ist aufgrund der schlechten Resorption oraler Antibiotika in aller Regel eine initiale intravenöse Therapie notwendig, um eine Ausbreitung zu vermeiden. Ein geringer Teil der unbehandelten Kinder mit einer bullösen Impetigo entwickelt im weiteren Verlauf ein Erysipel.<br /> Die bullöse Impetigo ist von einem «staphylococcal scalded skin syndrome» (SSSS) zu unterscheiden. Dies ist ebenfalls eine Toxin-vermittelte Erkrankung, welche aber im Gegensatz zur bullösen Impetigo durch hämatogene Streuung generalisiert auftritt. Das SSSS betrifft Säuglinge und Vorschulkinder gleichermassen, seltener sind auch ältere Kinder noch betroffen. Beim SSSS kommt es bei reduziertem Allgemeinzustand zu einer ausgesprochenen Schmerzhaftigkeit der Haut. Den dann auftretenden erythematösen Maculae gehen oberflächliche Erosionen voraus. Typisch ist zudem das perorale und zum Teil periorbikulare Ekzem mit feinen radiären Hautrissen, welches manchmal das erste Zeichen der Erkrankung sein kann. Beim SSSS sind eine intravenöse Therapie und eine grosszügige Rehydratation zum Ausschwemmen des Toxins indiziert. Zusätzlich wird meist eine gute Analgesie und nach Besserung des Hautbefundes eine vorsichtige Wundtherapie benötigt.<br /> Bei der epidermolytischen Ichthyose liegt eine meist autosomal dominant vererbte Mutation in KRT1 oder KRT10, nur selten in KRT2, vor. Bei der Geburt zeigen die betroffenen Kinder eine verdickte, mazerierte Epidermis, bei welcher sich grossflächige Blasen und Erosionen finden (Abb. 3). Nach der Säuglingsperiode nimmt die Hautfragilität zugunsten des typischen ichthyosiformen Hautbilds ab, wobei eine gewisse Hautfragilität die Patienten dennoch über ihre Kindheit hinweg begleiten kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1902_Weblinks_lo_derma_1902_s22_abb2_schwieger.jpg" alt="" width="1417" height="774" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1902_Weblinks_lo_derma_1902_s23_abb3_schwieger.jpg" alt="" width="350" height="309" /></p> <p><strong>Ältere Säuglinge und Kleinkinder</strong><br /> Bei älteren Säuglingen ist vor allem bei wiederholter Blasenbildung an gleicher Lokalisation an eine kutane Mastozytose zu denken (Abb. 4). Der kutanen Mastozytose liegen meist Mutationen im c-Kit-Proto-Onkogen zugrunde. Sie kommt bei kleinen Kindern vor allem in 3 Formen vor: in Form einzelner oder weniger Mastozytome, etwas seltener als makulopapulöse Form (ehemals Urticaria pigmentosa) und sehr selten als diffuse kutane Mastozytose. Eine systemische Mastozytose ist eine Rarität.<br /> Die kutane Mastozytose entwickelt sich meist in den ersten Lebensmonaten, kann aber auch in der Kindheit neu entstehen. Die Neigung zu Blasenbildung geht in aller Regel innerhalb der ersten 3 Lebensjahre deutlich zurück.<br /> Die Diagnose der Mastozytose ist klinisch, kann aber gegebenenfalls durch einen positiven Darier-Test bestätigt werden. Hier wird das betroffene Areal vorsichtig gerieben und so werden durch Ausschüttung von Histamin aus den Mastzellen eine Schwellung und eine Rötung provoziert. Man sollte aber gerade bei isolierten Mastozytomen vorsichtig vorgehen, da bei allzu beherztem Reiben bei den Säuglingen ein generalisierter Flush mit zum Teil auch Kreislaufschwäche ausgelöst werden kann. Nur selten ist für die Diagnose eine Biopsie notwendig.<br /> Die Therapie der Mastozytose ist im Wesentlichen symptomatisch. Die betroffenen Kinder sollten speziell bei ausgedehnterem Befund gut über Histamin-freisetzende Trigger (Medikamente, mechanische Stimuli, Insektenstiche etc.) informiert werden. Patienten mit ausgedehnterem Befund bekommen ein Notfallset bestehend aus einem Systemsteroid (z. B. Prednisolon oder Betamethason), einem Antihistaminikum und für ausgewählte Fälle einem Adrenalinpen.<br /> Eine andere relativ häufige Ursache für vorwiegend akrale Blasen sind bullöse Stichreaktionen. Hier kommt es durch entzündliche und allergische übermässige Reaktionen zu meist prallen Blasen im Bereich unbekleideter Hautareale.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1902_Weblinks_lo_derma_1902_s23_abb4_schwieger.jpg" alt="" width="350" height="377" /></p> <p> </p> <p><strong>Schulkinder/Jugendliche</strong><br /> In der Altersgruppe der Schulkinder sind die häufigeren Ursachen von Blasen allergischer oder exogener Genese. So werden bullöse Hand- und Fussekzeme (Cheiro/Podopompholyx) vermehrt gesehen. Auch bullöse Formen der polymorphen Lichtdermatose, insbesondere der sogenannten «juvenile spring eruption» mit Vesikeln und Blasen auf der Ohrhelix, kommen vermehrt vor.<br /> In dieser Altersgruppe, in der Kinder zunehmend autonom werden und alleine zum Spielen aus dem Haus gehen, sieht man gerade in den Sommermonaten Fälle von phytotoxischen (z. B. durch Wolfsmilchgewächse) und phytophototoxischen («Wiesengräserdermatitis») Dermatosen. Typisch ist hier die meist ungewöhnliche oder lineare Verteilung mit Vesikel- oder Blasenbildung einige Stunden bis Tage nach Pflanzenkontakt (Abb. 5).<br /> Ein neueres Phänomen sind diverse «challenges», welche über die sozialen Medien verbreitet werden, wie z. B. die Eiswürfel- Salz-Challenge, bei der ein Eiswürfel auf einem Salzbett oder auch das lange Sprühen mit Spraydosen auf der Haut zu einer lokalen Erfrierung mit Blasenbildung führt. Häufig ist es den Kindern/Jugendlichen peinlich, dass sie die Veränderungen selbst herbeigeführt haben, und sie vermeiden daher eine detaillierte Darstellung der Genese. Daher sind die genaue Betrachtung der Morphologie und genaues Nachfragen von grosser Bedeutung.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Derma_1902_Weblinks_lo_derma_1902_s23_abb5_schwieger.jpg" alt="" width="350" height="299" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<ul> <li>Fine JD et al.: Inherited epidermolysis bullosa: updated recommendations on diagnosis and classification. J Am Acad Dermatol 2014; 70(6): 1103-26</li> <li>Shwayder T et al.: Epidermolytic Ichthyosis. In: Longitudinal Observation of Pediatric Dermatology Patients. Cham: Springer, 2019. pp19-21 ∙ Schwieger-Briel A, Has C: Blasen im Kindesalter – mit einem Algorithmus zur richtigen Diagnose. pädiatrie: Kinderund Jugendmedizin hautnah 2015; 27(Suppl 7): 10-15</li> </ul>
</div>
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