
KI in der Dermatologie
Autoren:
Dr.med. Christian Haas
Prof. Dr.med. Alexander Navarini
Dermatologie und Allergologie
Universitätsspital Basel
E-Mail: alexander.navarini@usb.ch
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Die Dermatologie zählt zu den Fachgebieten der Medizin, in denen visuelle Befunde eine zentrale Rolle spielen. Die Haut als grösstes Organ des Menschen erlaubt oftmals eine Vorhersage von Krankheiten wie Psoriasis, Ekzemen oder Hautkrebs anhand äusserlicher Merkmale. Mit dem Aufkommen neuer Technologien und insbesondere der künstlichen Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren eine Dynamik entwickelt, die das Potenzial hat, diagnostische Abläufe, Therapieentscheidungen und sogar die allgemeine Gesundheitsversorgung grundlegend zu verändern. Dies gilt nicht nur in hochspezialisierten Zentren, sondern zunehmend auch in unterversorgten Regionen, in denen beispielsweise teledermatologische Ansätze die einzige zeitnahe Option darstellen, um Betroffenen zu helfen.
In diesem Artikel werden wir in auf die Entwicklung, den aktuellen Stand und die Perspektiven des Einsatzes von KI in der Dermatologie eingehen, speziell am Beispiel der Psoriasis, aber auch mit Blick auf andere Hautkrankheiten. Einerseits wird thematisiert, wie KI-basierte Anwendungen bereits in der Teledermatologie und diagnostischen Unterstützung eingesetzt werden. Andererseits werden die Anforderungen und Hürden diskutiert, um diese Technologien verantwortungsbewusst in den Praxisalltag zu integrieren – von Fragen der Datenerhebung über die Validation von Modellen bis hin zur flächendeckenden Umsetzung.
Leistungsfähigkeit der KI hängt von zugeführten Daten ab
Ein Wegbereiter der Entwicklung, KI in der Dermatologie zu nutzen, ist Professor Justin Ko von der Stanford University, der bereits im Jahr 2017 eine vielbeachtete Publikation veröffentlichte. Darin legte er dar, wie KI-Modelle dermatologische Diagnosen stellen können und dass sie dabei eine Treffergenauigkeit erreichen können, die der von menschlichen Experten in nichts nachsteht. Diese Publikation markierte einen bedeutenden Wendepunkt in der Fachwelt und führte dazu, dass Szenarien, in denen KI-basierte Verfahren Dermatologinnen und Dermatologen bei ihrer Diagnostik unterstützen oder zumindest bei Standardaufgaben entlasten könnten, wieder in den Fokus rückten. Noch provokanter formuliert, liess die Arbeit sogar vermuten, dass menschliche Hautärzte in bestimmten Nischen bald «überflüssig» werden könnten, da KI-Systeme Diagnosen schneller und ressourcenschonender erstellen würden.
In der praktischen Anwendung stellt sich jedoch heraus, dass solche disruptiven Szenarien nicht ganz so einfach realisierbar sind. KI ist ein mächtiges Werkzeug, dessen Leistungsfähigkeit jedoch von den Daten abhängt, die ihm zugeführt werden. Zudem ist ein umfangreiches, durchdachtes Umfeld erforderlich, um einen klinischen Mehrwert zu generieren.
Unter bestimmten Umständen kann KI in der Dermatologie hilfreich bei Monitoring oder Diagnostik sein
Im Rahmen des «Gene to Clinic»-Kongresses wurde über die Entwicklungen im Bereich der KI für die Dermatologie diskutiert sowie über die besondere Bedeutung, die sie für das Fach Psoriasis hat. Psoriasis betrifft allein in den USA geschätzt rund 7,5 Millionen Menschen. Besonders besorgniserregend ist, dass viele der Betroffenen gar nicht oder nur unzureichend behandelt werden, wobei die begrenzte Verfügbarkeit von Fachärzten, insbesondere in ländlichen Regionen, ein wesentlicher Faktor ist. Darüber hinaus brechen zahlreiche Patienten ihre Therapie ab oder suchen erst gar nicht medizinischen Rat, sei es aufgrund zu langer Wartezeiten oder wegen der Angst vor hohen Kosten. In einigen Fällen ist das Bewusstsein für die potenziellen Vorteile einer modernen systemischen Therapie, die die Lebensqualität erheblich verbessern könnte, schlichtweg nicht vorhanden. Automatische Diagnose und Behandlung mit Telemedizin könnten hier Abhilfe schaffen – aber die Entstehung von wirklich nützlichen Systemen lässt bislang auf sich warten.
Ärztinnen und Ärzte müssen in die Entwicklung eingebunden werden
Von entscheidender Bedeutung ist die Einbeziehung von Ärztinnen und Ärzten in den Entwicklungsprozess von KI-Systemen, um eine optimale Gestaltung dieser Technologien zu gewährleisten und die bestmöglichen Ergebnisse für die Patientinnen und Patienten zu erzielen. Das Beispiel der elektronischen Krankengeschichten verdeutlicht, dass klinische Arbeitsabläufe durch mangelhafte Softwarelösungen beeinträchtigt werden können, und betont die Notwendigkeit einer frühzeitigen Einbindung medizinischer Fachexpertise in den Entwicklungsprozess. Wir Ärztinnen und Ärzte hätten uns sicherlich nicht selbst zum stundenlangen Tippen und Formatieren gezwungen, wären wir von Anfang an dabei gewesen bei der Digitalisierung der Medizinsysteme.
Eine ähnliche Problematik besteht, wenn Big-Tech-Unternehmen versuchen, KI-Systeme in der Dermatologie zu implementieren, ohne über klinisches Fachwissen zu verfügen. Die hohen Anforderungen an Patientensicherheit, Datenschutz und Behandlungsqualität lassen sich nicht mit einem unbedachten «Move fast and break things»-Ansatz vereinbaren, wie er in anderen Branchen zu beobachten ist. Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass KI-Technologien im Gesundheitsbereich weitaus mehr leisten können, als nur die ärztliche Expertise zu «imitieren». So führte die Einführung von Röntgenapparaten oder CT-Geräten in der Vergangenheit zu einer Revolution in der Diagnostik, da sie einen Blick unter die Hautoberfläche ermöglichten. In ähnlicher Weise könnte KI aus Bilddaten Informationen extrahieren, die für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar sind. Algorithmen könnten Muster erkennen, diese klassifizieren und mit weiteren patientenbezogenen Daten, wie beispielsweise Laborwerten, verknüpfen. So könnte ein scheinbar unauffälliger Hautfleck Aufschluss über das Risiko für Gelenkentzündungen geben, oder ein Foto einer Psoriasis-Plaque könnte Prognosen liefern, ob eine bestimmte Biologikatherapie bei diesem Patienten mit einer von der KI ermittelten Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird oder nicht.
Dieses Zusammenspiel von Big Data, KI-Algorithmen und klinischer Expertise kann am Ende zu einem echten Mehrwert in der Patientenversorgung führen. Die Entlastung von Routineaufgaben ermöglicht es Dermatologinnen und Dermatologen, sich stärker auf jene Aspekte zu konzentrieren, die durch KI nicht geleistet werden können. Hierzu zählen die Einbettung des Patienten in ein empathisches Behandlungskonzept, die gemeinsame Entscheidungsfindung bei komplexen Krankheitsverläufen und das Ausbalancieren verschiedener Lebensumstände des Patienten. Damit KI in dieser Weise funktionieren kann, bedarf es jedoch einer Reihe von Voraussetzungen und einer kontinuierlichen Zusammenarbeit aller Akteure: Forscherinnen und Forscher, Klinikerinnen und Kliniker, Softwareentwicklerinnen und -entwickler, Ethikerinnen und Ethiker, Gesundheitspolitikerinnen und -politiker und nicht zuletzt der Patientinnen und Patienten selbst.
Chancen und Grenzen der Datenerfassung bis zur KI-gestützten Diagnose
Der Prozess der KI-gestützten Versorgung ist komplex und erfolgt nicht plötzlich. Ein wesentlicher Aspekt ist die Datenerhebung, da KI-Modelle auf maschinellen Lernverfahren basieren, die grosse Mengen an qualitativ hochwertigen Daten erfordern. In der Dermatologie sind dies zumeist digitale Bilder von Hautbefunden, ergänzt um Metainformationen wie Alter, Geschlecht, Fitzpatrick-Hauttyp, medizinische Vorbefunde und Laborwerte. Bei chronischen Erkrankungen wie Psoriasis kommen Längsschnittdaten hinzu, die Aufschluss über die Entwicklung des Hautbildes nach Beginn einer bestimmten Therapie geben, über das Auftreten von Schüben sowie über bestehende Begleiterkrankungen.
Die Datenerfassung stellt Dermatologinnen und Dermatologen häufig vor grosse Herausforderungen, da sie an ihre Kapazitätsgrenzen stossen. Im klassischen Klinikbetrieb ist es schwierig, dafür zusätzliches Personal oder ausreichend Zeit zu finden. Die Teledermatologie spielt hier eine entscheidende Rolle, da sie eine gute Grundlage für KI-Lösungen bildet. Mithilfe telemedizinischer Angebote können Patientinnen und Patienten selbstständig Bilder ihrer Hautbefunde einsenden, ähnlich wie bei Apps, die bestimmte Symptome erfassen. Die Ärztin bzw. der Arzt kann die Bilder begutachten, Rückfragen stellen und gegebenenfalls eine Therapieempfehlung oder Rezepte ausstellen, ohne dass die Betroffenen persönlich in der Praxis erscheinen müssen. Solche Konzepte sind bereits vorhanden, beispielsweise in Form reiner Online-Dermatologie-Dienstleister oder in Krankenhausverbünden, die die Versorgung entlegener Regionen anstreben.
Teledermatologie kann vor allem in ländlichen Regionen hilfreich sein
Die Vorteile dieser Modelle sind evident: Die Wartezeiten können verkürzt werden, insbesondere in ländlichen Regionen ermöglicht die Teledermatologie den Zugang zu fachärztlichem Rat, ohne dass stundenlange Anfahrten erforderlich sind. Ferner kommt eine solche Lösung mobilitätseingeschränkten Personen zugute, weil für sie eine Anreise oft eine grosse Zusatzbelastung darstellt. Langfristig kann diese Form der Versorgungsstruktur auch zu einer Reduktion der Kosten führen. Eine Studie aus Stanford zeigte, dass sich dadurch nicht nur die Wartezeiten drastisch verkürzen liessen – die Patientenzufriedenheit stieg ebenfalls. Darüber hinaus generieren die behandelnden Ärztinnen und Ärzte digitale Daten, die am Ende wieder für maschinelles Lernen genutzt werden können, zur Entwicklung oder zur Verbesserung bestehender Algoritmen. Allerdings ergeben sich in diesem Zusammenhang zentrale Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Qualität und Konsistenz der erfassten Daten. Die von den Patienten erstellten Fotos weisen häufig eine deutliche Variabilität in Bezug auf die Qualität auf. Faktoren wie unterschiedliche Lichtverhältnisse, verschiedene Kameramodelle, mangelnde Bildschärfe oder fehlende Referenzen in Bezug auf die Grösse der abgebildeten Pathologie erschweren eine konsistente KI-Auswertung. Darüber hinaus sind ethische und rechtliche Implikationen im Zusammenhang mit der Übertragung grosser Mengen sensibler Patientendaten in einen Cloudspeicher ohne adäquate Datensicherheits- und Datenschutzkonzepte zu berücksichtigen. Lösungen für diese Herausforderungen zu finden, ist essenziell, um die Teledermatologie zu einer zuverlässigen Quelle qualitativ hochwertiger Daten zu machen.
Bias durch Ungleichverteilung in Datenbanken
Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Ungleichverteilung in Datenbanken, die durch die historische Fokussierung auf hellhäutige Probanden in vielen Bilddatenbanken entsteht. Hauttyp VI (sehr dunkle Haut) sowie Bilder von seltenen Erkrankungen sind in diesen Datenbanken stark unterrepräsentiert, was zu sogenannten Bias-Effekten führt. Obwohl das KI-System zuverlässig lernt, bestimmte Erkrankungen auf heller Haut zu erkennen, kann es bei dunkler Haut durch das falsche Einordnen atypischer Krankheitsbilder zu Fehlern kommen. Wenn etwa ein in einer Diagnoseapplikation integrierter Algorithmus vorrangig auf Daten von hellhäutigen Patienten trainiert wurde, kann es passieren, dass Diagnosen für dunklere Hauttypen zu selten, falsch oder fälschlicherweise gar nicht gestellt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Diagnose der Psoriasis, bei der das System die sichtbaren Entzündungen in dunklerer Haut nicht korrekt interpretiert, wodurch im schlimmsten Fall keine rechtzeitige oder adäquate Therapie stattfindet. Um dies zu vermeiden, müssen unter grossen Anstrengungen möglichst vielfältige Datensätze aufgebaut werden. Unsere Forschungsgruppe startete in diesem Zusammenhang den Versuch, dem entgegenzuwirken, indem wir das PASSION-Projekt in Afrika lancierten und dabei viele Tausend konsentierter Bilder von Haut in einem möglichst vielfältigen Spektrum zu sammeln begannen. Nur durch eine aktive Sammlung unterrepräsentierter Fälle lässt sich langfristig ein KI-Modell entwickeln, das für die gesamte Bevölkerung zuverlässig arbeitet.
Ein weiteres Beispiel für Bias, diesmal im nichtvisuellen Bereich, sind Pulsoximeter, die bei schwarzen Patienten systematisch zu hohe Sauerstoffwerte gemessen haben. Möglicherweise haben somit viele solcher Patienten zu lange keine Atemunterstützung bekommen. Dies sind nur zwei Beispiele unter vielen, auch in anderen Medizinbereichen, in denen die Technologie zwar grundsätzlich zuverlässig ist, in deren Entwicklung aber bestimmte Bevölkerungsgruppen unzureichend berücksichtigt wurden.
Die Validierung der KI-Modelle stellt eine weitere Herausforderung dar. Selbst wenn die Datenerfassung gut funktioniert und eine grosse und diverse Bilddatenbank vorhanden ist, ist die Validierung der erstellten KI-Modelle von entscheidender Bedeutung. Die Leistung der Systeme kann in Test-Sets mit bekannten Diagnosen evaluiert werden, doch das sagt noch wenig darüber aus, wie robust sie später in der Praxis sind. So kann die Validität der Modelle, die in einer Klinik in Nordeuropa entwickelt worden sind, sich in regionalen Tests auf anderen Kontinenten mit anderen Kameras, Lichtverhältnissen, Hauttypen und Inzidenzraten als unzureichend erweisen. Ein wesentlicher Aspekt in der KI-Entwicklung ist daher die Generalisierbarkeit. In der Dermatologie und in anderen Fachgebieten wurde wiederholt die Erfahrung gemacht, dass die Leistungsfähigkeit von Modellen im Praxisalltag signifikant abnehmen kann. Ein Beispiel hierfür sind Anwendungsfälle in Entwicklungs- oder Schwellenländern, wo die Internetverbindung weniger stabil ist, Geräte älter sind oder andere Arten von Hauterkrankungen gehäuft vertreten sind als in Industrienationen. Ein Beispiel ist ein von Google entwickeltes KI-Modell zur automatischen Erkennung diabetischer Retinopathie, das unter Laborbedingungen hervorragende Ergebnisse erzielte. Jedoch konnte es in Thailand unter suboptimalen Rahmenbedingungen betreffend Licht, Kameraeinstellungen und Qualifikation des Personals nicht mit dem gewünschten Erfolg eingesetzt werden. Diese Art von Implementierung resultierte in einer hohen Anzahl falscher Verdachtsdiagnosen. In der Dermatologie ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass die Implementierung eines Systems jeweils an lokale Besonderheiten angepasst wird. Andernfalls ist eine Verbesserung der Situation nicht zu erwarten, im Gegenteil, es besteht das Risiko einer Überlastung des Gesundheitssystems oder einer Fehlversorgung.
KI als Hilfe bei therapeutischer Begleitung oder Monitoring
Abgesehen von der reinen Diagnostik kann der Einsatz von KI in der Dermatologie auch das therapeutische Monitoring entscheidend vereinfachen. Es laufen Projekte, bei denen Patientinnen und Patienten mit Akne oder Psoriasis digital begleitet werden. In definierten Abständen werden Fragebögen zur Krankheitsaktivität, zur Lebensqualität oder zu Nebenwirkungen beantwortet, aktuelle Hautfotos hochgeladen und automatisierte Feedbacks zur Notwendigkeit einer Dosisanpassung oder Empfehlungen eines persönlichen Kontakts mit der Praxis gegeben. Diese Vorgehensweise entlastet die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erheblich. Anstatt einer Vielzahl von Folgeterminen, die jeweils 10 Minuten in Anspruch nehmen, kann ein Dermatologe z.B. anhand des Dashboards unmittelbar erkennen, welche zehn Patienten eine ärztliche Intervention benötigen, deutlich sichtbar an Abweichungen von Werten oder Bildern. Die übrigen 990 Patienten gelten in diesem Moment als stabil und benötigen lediglich die standardmässige Rückmeldung, die auch durch medizinisches Fachpersonal oder sogar enstprechende KI-generierte Texte erfolgen kann.
Die Implementierung einer derartigen KI-gestützten Telemonitoring-Lösung bietet grosses Potenzial. Einerseits trägt sie zur Qualitätssteigerung der Versorgung bei, indem kritische Verläufe effizienter erkannt werden. Andererseits ermöglicht sie eine Entlastung der Kapazitäten der Klinik, was insbesondere bei chronischen Krankheiten mit hohem Betreuungsaufwand von entscheidender Bedeutung ist. Es ist jedoch essenziell, die nötigen technischen Voraussetzungen nicht zu unterschätzen. Eine gute Internetverbindung, verlässliche Endgeräte sowie ein breiteres Verständnis und Akzeptanz für Telemedizin in der Bevölkerung sind Grundvoraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren. In Regionen mit niedriger Digitalisierungsrate besteht daher auch die Gefahr, dass Patientengruppen abgehängt werden.
Perspektiven, Verantwortung und Ausblick – technologischer Fortschritt und klinischer Mehrwert
Der Einsatz von KI in der Dermatologie ist derzeit von vielen Hoffnungen und Erwartungen geprägt. Gleichzeitig gibt es jedoch Hürden, die uns zeigen, dass sich die Entwicklung in einer frühen Phase befindet. Die KI soll dazu beitragen, Daten so zu nutzen, dass eine kontinuierliche Verbesserung des gesamten diagnostischen Prozesses ermöglicht wird. Wie könnte diese Zukunft konkret aussehen?
Bei sehr dunkler Haut kann eine Diagnostik mittels KI erschwert sein, da aktuell Bilder vom Hauttyp VI (sehr dunkle Haut) sowie Bilder von seltenen Erkrankungen in den Datenbanken noch stark unterrepräsentiert sind, was zu Bias-Effekten führt
KI-Systeme könnten zu integralen Bausteinen einer digitalen Infrastruktur werden, in der Diagnosen, Therapieempfehlungen und Patientenfeedback nahtlos ineinandergreifen. Analog zur Funktionsweise moderner Assistenzsysteme in Automobilen, welche die Spur halten oder automatisch in einer Gefahrensituation eine Notbremsung einleiten können, könnte eine künftige Praxissoftware in Echtzeit KI-gestützte Hinweise generieren. Ein Beispiel wären die Erfassung eines Hautbildes, welches auf eine frühe Form von Psoriasis hindeutet, und die darauffolgende Empfehlung, das Vorliegen einer Begleiterkrankung wie Diabetes oder ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen zu berücksichtigen. Die Realisierung solcher Funktionalitäten erfordert jedoch eine sinnvoll aufgebaute Struktur der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) sowie eine Verknüpfung mit einer KI-Lösung, die auf medizinisch abgesicherten Datenquellen basiert. Langfristig könnte sich dadurch das Rollenbild der Dermatologinnen und Dermatologen wandeln, da sie weniger Zeit für reine Diagnostik aufwenden würden, weil KI-Systeme bei typischen Standardfällen unterstützend wirken. Stattdessen läge der Schwerpunkt auf komplexen Entscheidungen, der interdisziplinären Koordination und der persönlichen Patientenführung. Gerade in der Psoriasis, wo Komorbiditäten wie Psoriasis-Arthritis, Übergewicht und Depressionen eine grosse Rolle spielen, wäre eine derartige Fokussierung auf das Gesamtbild sehr wünschenswert.
Implementierung und Zusammenarbeit
Ein zentraler Punkt ist die Zusammenarbeit verschiedenster Akteure. Entwicklerinnen und Entwickler von KI benötigen fachlichen Input, um die relevanten medizinischen Fragestellungen zu verstehen. Das vermeintlich banale Ziel, einen Psoriasisherd von einem Ekzem zu unterscheiden, repräsentiert längst nicht alle Aspekte der klinischen Realität. Die Schweregradbestimmung, die Erfassung von Beeinträchtigungen im Alltag, das Screening auf Gelenkbeteiligung oder das Herausarbeiten individueller Risikofaktoren sind dabei ebenfalls von grosser Bedeutung. Es ist essenziell, dass das medizinische Fachpersonal frühzeitig in diesen Entwicklungsprozess eingebunden wird, um die Entstehung von Anwendungen zu gewährleisten, die sowohl technologisch als auch praktisch der Versorgung entsprechen. Ferner sind einheitliche Qualitätsstandards erforderlich und die Kompatibilität einer KI-Anwendung mit unterschiedlichen klinischen Softwareprodukten muss gewährleistet sein. Schwierigkeiten hierbei können beispielsweise durch abweichende Kameratechnologien oder unterschiedliche Arbeitsabläufe entstehen. Die Entwicklung von Leitlinien, Zertifizierungen und gemeinsamen Referenzdatensätzen ist daher unabdingbar, um die Verwendung von KI-Lösungen durch Ärztinnen und Ärzte mit reproduzierbaren Resultaten in gleichbleibend hoher Qualität zu gewährleisten. Die Entwicklung grosser, repräsentativer Datenbanken, die Hauterkrankungen bei verschiedenen ethnischen Gruppen, Altersgruppen und Krankheitsstadien abbilden, ist dabei ein Grundbaustein. Zudem ist eine regelmässige Aktualisierung dieser Datenbanken erforderlich, da sich therapeutische Verfahren und Diagnosekriterien stetig weiterentwickeln.
Ethische und rechtliche Aspekte
Der zunehmende Einfluss von KI in verschiedenen Lebensbereichen führt zu einer wachsenden Verantwortung, sie ethisch und rechtlich korrekt einzusetzen. Dem Datenschutz kommt im medizinischen Bereich besondere Bedeutung zu, da die Privatsphäre von Patientinnen und Patienten schon alleine durch gesetzliche Vorgaben streng geschützt werden muss. KI-Systeme, die zentral in einer Cloud laufen, stellen hier besondere Anforderungen an die Datensicherheit, während dezentrale Lösungen sicherer, jedoch oft technisch komplexer und schwerer zu pflegen sind. Es bedarf daher eines klar definierten Rechtsrahmens und standardisierter Zertifizierungsprozesse, die einen sicheren Betrieb garantieren. Ein weiterer ethischer Aspekt ist die Fairness: Wie kann verhindert werden, dass bestimmte Patientengruppen durchs Raster fallen oder eine qualitativ schlechtere Diagnose erhalten? Wie ist zu verfahren, wenn ein KI-System eine wahrscheinliche Diagnose stellt, das menschliche Gegenüber aber zu einem anderen Schluss kommt? Und wer haftet, wenn es dadurch zu einer falschen Behandlung zum Nachteil des Patienten oder gar zu einem Schaden kommt? Ein weiteres relevantes Thema ist das sogenannte «Black Box»-Phänomen, bei dem ein Algorithmus Zusammenhänge erkennt, die für den Menschen nicht nachvollziehbar sind. Dies sind die grossen Herausforderungen für die Akzeptanz der KI, denn Ärztinnen und Ärzte müssen sich darauf verlassen können, dass sie rationale, überprüfbare, reproduzierbare und gesetzeskonforme Entscheidungen treffen.
Der grösste Antrieb für KI in der Dermatologie – und der Medizin insgesamt – sollte jedoch immer in der Verbesserung der Patientenversorgung bestehen. Gerade im Fall von Psoriasis leiden viele Menschen nicht nur an den Hautläsionen, sondern auch an psychischen Belastungen, sozialer Isolation und weiteren Begleiterkrankungen. In Bezug auf die vorliegende Arbeit besteht die Chance darin, dass durch KI-basierte Lösungen die Krankheit bei mehr Betroffenen rechtzeitig erkannt wird, diese diagnostiziert und einer passenden Therapie zugeführt werden können. Der Zugang zu spezialisierten Dermatologen, insbesondere bei schweren Verläufen, kann beschleunigt werden, wodurch Wartezeiten verkürzt weden können und die Gefahr von Spätfolgen reduziert werden kann. Zudem können durch automatisierte Abläufe Ressourcen im Gesundheitssystem effizienter eingesetzt werden. Ähnliche Erfahrungen wurden bereits bei Telekonsilen in anderen Fachgebieten gesammelt. In der Pädiatrie oder Radiologie trägt die Telemedizin zur Entlastung von Kliniken in strukturschwachen Regionen bei und führt dort zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität. Auch das ärztliche und pflegerische Personal profitiert von dieser Entlastung, da es häufig unter hohem Zeitdruck arbeitet. Wenn eine KI die Routinedokumentation oder Vorab-Screenings übernimmt, kann das Team beispielsweise mehr Zeit für das persönliche Patientengespräch aufwenden.
Besonders interessant ist die Vorstellung, dass KI die Befunddokumentation selbstständig generieren könnte («ambient intelligence»). Gespräche zwischen Arzt und Patient werden per Spracherkennung aufgezeichnet, der Algorithmus strukturiert die wesentlichen Inhalte und generiert einen zusammenfassenden Eintrag in die Krankenakte, inklusive möglicher Empfehlungen für das weitere Vorgehen. Dies spart Zeit und kann die Qualität des Arzt-Patienten-Kontakts verbessern, da der Arzt sich nicht mehr so sehr auf den Bildschirm konzentrieren muss, sondern den Blick dem Patienten zuwenden kann. Für die erfolgreiche Implementierung von KI in der dermatologischen Versorgung sind eine sehr verlässliche Technologie sowie robuste Datenschutzmassnahmen essenziell. Die Richtung ist klar: KI könnte die medizinische Arbeit von administrativen Aufgaben befreien und die Beziehungsebene zwischen Arzt und Patient stärken.
Fazit und Ausblick
Die Entwicklung von KI in der Dermatologie schreitet kontinuierlich voran. Technologisch sind wir an einem Punkt, an dem Algorithmen signifikante Fortschritte erzielen können, insbesondere bei der Erkennung von Hautkrebs, Psoriasis und anderen häufigen Erkrankungen. Allerdings ist der Weg zur breiten, sinnvollen Integration in den klinischen Alltag noch lang. Dies ist auf Herausforderungen wie die Qualität und den Schutz der Daten, die Reduktion von Bias, die Festlegung ethischer Rahmenbedingungen und die praktische Implementierung zurückzuführen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine erfolgreiche Integration von KI in die dermatologische Versorgung bereits in wenigen Jahren möglich sein wird, sofern alle beteiligten Akteure – Forscherinnen und Forscher, Klinikerinnen und Kliniker, Softwareentwicklerinnen und -entwickler, Politik, Ethikkommissionen sowie Patientinnen und Patienten – an einem Strang ziehen.
Dabei sollte das übergeordnete Ziel stets darin bestehen, die Qualität der Versorgung zu verbessern, ohne dabei die ärztliche Expertise infrage zu stellen. KI kann dazu beitragen, das klinische Vorgehen effizienter, genauer und patientenzentrierter zu gestalten, dabei unterstützen, monotone Routinetätigkeiten zu automatisieren, und dort, wo menschliche Erfahrung und Empathie unabdingbar sind, diese ergänzen. KI ist folglich als eine Erweiterung der Fähigkeiten des Personals zu betrachten, als Werkzeug, das einem sehr spezifischen Zweck dient, für den es eigens entwickelt und trainiert wurde. Persönlicher Austausch, eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen und Feingefühl in der Kommunikation bleiben weiterhin unersetzlich. Für Patientinnen und Patienten, die unter Hautkrankheiten wie Psoriasis leiden, eröffnet sich die Perspektive einer schnelleren, treffsicheren Versorgung – selbst in abgelegenen Regionen. Obwohl ein vollautomatisiertes System ohne ärztliche Aufsicht in naher Zukunft als unwahrscheinlich angesehen werden muss, können hybride Ansätze, etwa teledermatologische Konsile, durch KI unterstütztes Monitoring und digitale Patientenschulungen, den Zugang zu Therapien signifikant verbessern. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer symbiotischen Verbindung von Technologie und menschlicher Expertise. Der Fokus sollte stets auf der Verbesserung der Lebensqualität der Patientinnen und Patienten, der Vermeidung unnötigen Leidens und der Maximierung des Therapieerfolgs liegen. KI kann hierbei ein leistungsstarkes Instrument sein, vorausgesetzt, es wird verantwortungsbewusst entwickelt und eingesetzt.
Literatur:
● Duffner K.: Hautkrebs-Screening – wie künstliche Intelligenz Einzug in die Dermatologie hält. Schw Z Onkol 2024; 4-5: 28-009 ● Gössinger EV et al.: Patient and dermatologists’ perspectives on augmented intelligence for melanoma screening: A prospective study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2024; 38(12): 2240-9 ● Gottfrois P et al.: PASSION for Dermatology: Bridging the diversity gap with pigmented skin images from sub-saharan Africa. Med Image Comput Comput Assist Interv 2024; DOI: 10.1007/978-3-031-72384-1_66 ● Gröger F et al.: Towards reliable dermatology evaluation benchmarks. arXiv preprint 2023; arXiv:2309.06961. DOI: 10.48550/arXiv.2309.0696 ● Justin K.: Harnessing the power of technology in transforming psoriasis care. Gene-to-Clinic 2024 (Vortrag) ● Navarini AA, Goessinger E.: Modern dermatology. Swiss Natl Congr Dermatol 2024 (Vortrag)
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