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Mehr Zeit für rasche Diagnose und qualitativ hochwertige Behandlung
Jatros
30
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14.03.2019
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<p class="article-intro">Viele dermatologische Erkrankungen sind entzündlicher Genese. Oft sind mehrere Organsysteme gleichzeitig involviert, wie etwa bei der Psoriasis, der Psoriasisarthritis oder dem Lupus erythematodes. Eine frühzeitige Diagnose zu stellen und die Patienten bestmöglich zu führen, wird meist nur durch gezielte Fragestellungen erreicht. Das gelingt in einer Wahlarztpraxis. Priv.-Doz. Dr. Rainer Hügel hat gemeinsam mit dem Rheumatologen Dr. Boris Lindner das Entzündungszentrum Wien (EZW) gegründet, um dem interdisziplinären Ansatz in der Praxis gerecht zu werden.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Derma_1901_Weblinks_rainer_hugel_und_boris_lindner_ccmark_glassner.jpg" alt="" />Rainer Hügel und Boris Lindner ©Mark Glassner</p> <p><strong>Sie bieten Patienten einmal im Monat eine dermatologisch-rheumatologische Sprechstunde an. Welche Vorteile vereint die interdisziplinäre Spezialsprechstunde im Vergleich zur Monoordination?<br />R. Hügel:</strong> Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind eine raschere Diagnostik und dementsprechend eine raschere Therapieentscheidung sowie eine Nachbetreuung auf höchstem Niveau möglich. Neben Zeitgewinn wird auch mehr Sicherheit, nicht nur für den Patienten, sondern auch für uns als betreuende Ärzte, erreicht.<br /><strong>B. Lindner:</strong> Der größte Vorteil für die Patienten liegt natürlich in der deutlich beschleunigten Diagnostik. Bei uns erspart sich einerseits der Patient, dass er im Zuge der Abklärung seiner Beschwerden von A nach B und wieder zurückgeschickt wird; andererseits können auch möglicherweise voneinander abweichende Therapievorschläge der beiden Spezialisten gleich vor Ort angepasst werden. Dadurch kommt es sicherlich zu weniger Verunsicherung der Patienten.</p> <p><strong>Ist Patienten mit entzündlichen Hauterkrankungen bewusst, dass es sich nicht nur um reine Hautmanifestationen handelt? Wie schätzen Sie den derzeitigen Wissensstand ein?<br />R. Hügel:</strong> Nehmen wir zuerst das Beispiel der Psoriasisarthritis. Während diese Erkrankung in den 1990er-Jahren (auch unter Ärzten) noch ein Schattendasein fristete, konnte durch die steigende Interdisziplinarität zwischen Dermatologen und Rheumatologen und die in den letzten 15 bis 20 Jahren stark vergrößerte Auswahl an therapeutischen Möglichkeiten ein zunehmendes Bewusstsein für den Zusammenhang von Psoriasis (als Hauterkrankung) und assoziierter Arthritis geschaffen werden. Aufgrund der Initiativen von Patienten- Selbsthilfegruppen und der Pharmaindustrie, insbesondere auch im Internet, konnte diese Erkenntnis in den letzten Jahren auch verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht werden.<br />Bei vielen anderen entzündlichen Erkrankungen, die sowohl mit Haut- als auch Gelenkbeteiligung einhergehen (können), ist dies nicht der Fall. Neben den Kollagenosen und Erkrankungen aus dem vaskulitischen Formenkreis zählen hierzu (seltenere) autoinflammatorische Erkrankungen wie beispielsweise der Morbus Still, das Schnitzler- Syndrom oder der Morbus Behçet, aber auch Erkrankungen wie Sarkoidose und die interstitielle granulomatöse Dermatitis mit Arthritis, um nur einige Beispiele zu nennen.</p> <p><strong>Wie beurteilen Sie die Awareness, dass es Jahre später zur PsA kommen kann respektive umgekehrt, dass es eine Psoriasisarthritis sine psoriase gibt? Wie führen Sie Ihre Patienten?<br />R. Hügel:</strong> Nach aktueller Literatur geht bei ca. zwei Dritteln der Patienten die Schuppenflechte der Gelenkentzündung voraus. Für Dermatologen ist daher bei der Betreuung der Patienten mit Psoriasis vulgaris eine sorgfältige Anamneseerhebung bezüglich Arthralgien, Gelenkschwellungen, Rücken-/Kreuzschmerzen und/oder einer anamnestischen Finger- bzw. Zehenschwellung i.S. einer Daktylitis nicht nur bei der Erstordination, sondern auch bei Folgeordinationen essenziell. Bei mir in der Praxis füllt jeder Patient mit Psoriasis neben dem Lebensqualitätsfragebogen (DLQI) auch den GEPARD(German Psoriasis Arthritis Diagnostic)-Fragebogen aus, der sich zum Screening eignet. Zudem sind das Vorliegen einer Nagelbeteiligung sowie die Frage nach einer positiven Familienanamnese bezüglich PsA von Bedeutung, da in diesen Fällen das Risiko für die Entwicklung einer assoziierten Arthritis deutlich erhöht ist.<br />Bei Patienten mit „vermeintlicher“ PsA sine psoriase sollte auf die Inspektion der Rima ani nicht vergessen werden. Nicht selten kann hier eine scharf begrenzte Rötung die einzige kutane Manifestation darstellen und eine Biopsie im Zweifel die Diagnose sichern. Bei fehlenden Psoriasiseffloreszenzen ist es sinnvoll, den („rheumatologischen“) Patienten über die kutanen Erscheinungen der Psoriasis in ihren Grundzügen aufzuklären und im Falle des Auftretens von Hautveränderungen die Vorstellung bei einem Facharzt für Dermatologie zu empfehlen.<br /><strong>B. Lindner:</strong> Als Rheumatologe hat man sehr oft mit Gelenksentzündungen unklarer Ursache zu tun, die häufig auch als „seronegative rheumatoide Arthritis“ diagnostiziert werden. Bei allen diesen noch unklaren Entzündungen sollte man als Rheumatologe – je nach Befallmuster der Gelenke bzw. der Wirbelsäule – die PsA sine psoriase im Hinterkopf behalten bzw. auch selbst auf die Suche nach Hautläsionen gehen. Im Optimalfall hat man natürlich einen Facharzt für Dermatologie in der Ordination im Nebenzimmer.</p> <p><strong>Die PsA verursacht nicht die rasch fortschreitenden, dramatischen Gelenksdestruktionen wie die RA, dennoch kommt es zu Gelenkserosionen. Wie lautet das Therapieschema des Rheumatologen bei PsA?<br />B. Lindner:</strong> Uns Rheumatologen stehen die Empfehlungen der EULAR (European League Against Rheumatism) zur Verfügung, die zuletzt – auch durch österreichische Beteiligung – im Jahr 2015 ein Update erfahren haben. Im Prinzip ist für die Wahl der Therapie der Phänotyp entscheidend – das heißt, welche Gelenke befallen sind bzw. ob eine axiale Beteiligung vorliegt. Die EULAR empfiehlt hier ähnlich wie bei der rheumatoiden Arthritis, falls eine Behandlung mit NSAR nicht ausreicht, bei einer peripheren Arthritis den Beginn mit konventionellen DMARDs („disease modifying antirheumatic drugs“), hauptsächlich Methotrexat (alternativ Sulfasalazin oder Leflunomid). Im Falle eines Therapieversagens und bei ungünstigen prognostischen Faktoren wird im nächsten Schritt der Beginn (bzw. die Kombination) mit einem Biologikum, in erster Linie TNF-alpha-Inhibitoren, aber auch IL-12/23-Inhibitoren oder IL-17-Inhibitoren, alternativ auch der Einsatz von Januskinase-Hemmern empfohlen. Bei hauptsächlich peripherer Arthritis ist auch der Einsatz von Abatacept möglich; ebenso ist zur Behandlung einer PsA seit 2015 mit Apremilast ein Phosphodiesterase- 4(PDE4)-Hemmer zugelassen. Im Falle einer im Vordergrund stehenden axialen Beteiligung werden DMARDs nicht eingesetzt. Hier kommt es bei fehlendem Ansprechen auf NSAR gleich zum Einsatz axial wirksamer Biologika.</p> <p><strong>Wer behandelt die PsA vornehmlich – der Dermatologe oder der Rheumatologe?<br />R. Hügel:</strong> Im besten Fall natürlich beide gemeinsam in einer interdisziplinären Sprechstunde. Die weitere Hauptbetreuung bei Folgeordinationen übernimmt i.d.R. der Rheumatologe. Optimal ist jedoch eine zusätzliche dermatologische Verlaufskontrolle in regelmäßigen Abständen.<br /><strong>B. Lindner:</strong> Als Rheumatologe drängt man sich im Falle einer PsA in den Vordergrund. Im Falle unserer interdisziplinären Sprechstunde sprechen wir uns allerdings immer ab, um die Therapie sowohl vom rheumatologischen als auch vom dermatologischen Gesichtspunkt aus optimal zu gestalten.</p> <p><strong>Wie läuft die interdisziplinäre Spezialsprechstunde konkret ab? Sehen Sie die Patienten gemeinsam oder nacheinander oder besprechen Sie erst einmal nur die Befunde?<br />R. Hügel, B. Lindner:</strong> Wir sehen einen interdisziplinär zu behandelnden Patienten unmittelbar nacheinander.<br /> Sämtliche Befunde des Patienten werden nach der Untersuchung von beiden Fachdisziplinen diskutiert, sodass eine gemeinsame Bewertung vorgenommen werden kann. Der von uns beiden getragene therapeutische Vorschlag wird festgelegt und im Anschluss dem Patienten erläutert und mit ihm gemeinsam wird eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise getroffen.</p> <p><strong>Wo liegen Ihre weiteren fachlichen Schwerpunkte? Sie behandeln Kollagenosen wie Lupus, Sklerodermie und Polymyositis, bitte schildern Sie einen Fall aus Ihrer Praxis!<br />R. Hügel:</strong> Im Wesentlichen umfasst das Spektrum sämtliche chronisch-entzündlichen Erkrankungen, bei denen Überschneidungen unserer beiden Fachdisziplinen auftreten können, also die bereits von Ihnen erwähnten Kollagenosen (wie Lupus erythematodes, systemische Sklerodermie, Dermatomyositis und Sjögren-Syndrom), den Formenkreis der Vaskulitiden und auch seltenere Erkrankungen, wie z.B. das Schnitzler- Syndrom oder den Morbus Still.<br />Zum Beispiel kam eine Patientin mit Livedo reticularis in meine dermatologische Sprechstunde. Im Rahmen der durchgeführten Diagnostik konnte ein systemischer Lupus erythematodes festgestellt werden und nach Vorstellung in unserer interdisziplinären Sprechstunde wurde eine entsprechende Therapie eingeleitet. Die weitere Betreuung erfolgt nun über Dr. Lindner.<br /><strong>B. Lindner:</strong> Als Rheumatologe versuche ich, quasi im Zentrum des Geschehens zu bleiben, den Überblick über den Patienten zu haben und die Fäden zu ziehen. Beispielsweise wird bei SLE-Patienten, die in der interdisziplinären Ordination gesehen werden, neben der dermatologischen Begutachtung und Therapieplanung von meiner Seite eine weiterführende Diagnostik zur Abklärung einer möglichen Organbeteiligung (wie Herz, Lunge, Niere, Nervensystem, Gelenke etc.) veranlasst, um diese möglichst früh zu diagnostizieren und ggf. eine Therapieanpassung durchzuführen.</p> <p><strong>Wie sieht die Kooperation mit dem Krankenhaus bezüglich hochaktiver Autoimmunerkrankungen wie SLE mit Nierenbeteiligung aus?<br />B. Lindner:</strong> Durch meine Tätigkeit an der Abteilung für Rheumatologie im Krankenhaus Hietzing besteht hier die Möglichkeit, Patienten mit sehr schweren rheumatischen Erkrankungen bzw. im Falle einer schweren „Schubsymptomatik“ zur Diagnostik oder Therapie an den stationären Bereich weiterzuleiten.</p> <p><strong>Lichen sclerosus et atrophicus und Lichen ruber manifestieren sich neben der Haut auch häufig (oder ausschließlich) an den Schleimhäuten. Gynäkologen, Urologen, HNO-Ärzte und Zahnärzte sehen diese Erkrankungen oft als Erste. Wollen Sie Ansprechpartner für diese Kollegenschaft werden?<br />R. Hügel:</strong> Diese beiden von Ihnen erwähnten Erkrankungen sind Paradebeispiele für entzündliche Erkrankungen, bei denen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den genannten Fachdisziplinen aus meiner Sicht heutzutage unumgänglich ist. Dies gilt auch für andere Erkrankungen mit Schleimhautbefall, z.B. die blasenbildenden Autoimmundermatosen wie Pemphigus vulgaris oder Schleimhautpemphigoid, bei denen auf jeden Fall Dermatologen mit einbezogen werden sollten.</p> <p><strong>Das Konzept, das Sie mit der Wahlarztpraxis verfolgen, ist innovativ und bietet den Vorteil des gemeinsamen Wissenspools unter einem Dach. Glauben Sie, dass es der richtige Zeitpunkt für diese Entscheidung war?<br />R. Hügel:</strong> Definitiv war es der richtige Zeitpunkt. Diese Form der dermatologischen- rheumatologischen Interdisziplinarität wird ja an einigen Kliniken bereits seit Jahren praktiziert. Für mich steht jedoch fest, dass die Umsetzung in einer Wahlarztpraxis im Vergleich zur Klinik mehr Gestaltungsspielraum und selbstbestimmtes Handeln bietet.</p> <p><em><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></em></p></p>
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