Trotz Innovationen bei AD: Allgemeinmassnahmen bleiben obligat
Bericht:
Dr. med. vet. Susanne Kammerer
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Zur Zunahme der atopischen Dermatitis (AD) in westlichen Industrienationen existieren zahlreiche Hypothesen. Trotz Einführung von Biologika und «small molecules» bleiben Patientenaufklärung und Hautpflege eine conditio sine qua non in der Behandlung.
Die Lebenszeitprävalenz der atopischen Dermatitis hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Gemäss den Ausführungen von Prof. Dr. med. Johannes Ring, ehemaliger Ordinarius für Dermatologie und Allergologie und Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein in München, leben derzeit ca. 30 Millionen Menschen in Europa mit AD. Bei Kindern sind 10–20% der Population betroffen, bei Erwachsenen 3–5%. 84% der Betroffenen leiden an einer milden AD. Ungefähr 2% erleben einen schweren Verlauf, entsprechend betrifft dies extrapoliert ca. 320000 Kinder und bis zu 1,5 Millionen Erwachsene.
Versuche zur Erklärung der Zunahme von AD-Fällen
Obwohl die AD weltweit vorkommt, ist sie doch in westlichen Gesellschaften häufiger als in nichtindustrialisierten Ländern. Für die Zunahme der AD-Fälle, aber auch anderer allergischer Erkrankungen gibt es nach Ausführung von Prof. Ring eine Vielzahl von Hypothesen:
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Die Hygiene-Hypothese: Eine unzureichende Stimulation des Immunsystems durch reduzierte mikrobielle Exposition in frühen Lebensjahren könnte das Risiko für atopische Erkrankungen erhöhen.
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Die Dschungel-Hypothese: Die Infektion mit Parasiten von frühester Kindheit an «beschäftigt» speziell IgE und hat so eine Schutzwirkung
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Die Alpin-Hypothese: Der frühe Kontakt zu frischer Kuhmilch und die Stallexposition entfalten eine Schutzwirkung
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Ökologische Faktoren: Umweltverschmutzung (insbesondere Feinstaub und Abgase) und Klimawandel tragen zu einer höheren Allergenexposition bei: So sind mit Luftschadstoffen beladene Pollen aggressiver, die zunehmende Erwärmung hat eine verlängerte Pollensaison zur Folge.
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«Westernisierung» des Lebensstils: Veränderte Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsmangel und Stress könnten als Auslöser fungieren. In vielen, wenn auch nicht allen Studien war die Exposition gegenüber extrem verarbeiteten Nahrungsmitteln mit einem erhöhten Risiko für Asthma und AD assoziiert.
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Genetische Faktoren: Mutationen in Genen, die mit der Immunantwort assoziiert sind (CTLA4, ERAP, TICAM), korrelierten in Studien mit einem erhöhtem AD-Risiko.
Pest, Autoimmunerkrankungen und allergische Lebenspartner
Allergische Erkrankungen boten in der Geschichte der Menschheit womöglich einen evolutionären Vorteil: So zeigten DNA-Untersuchungen von Skeletten aus Pestfriedhöfen im Vergleich zu solchen aus anderen Zeiträumen, dass es durch das Auftreten der Pest zu Mutationen in Genen der Immunantwort kam: Dadurch konnten Träger dieser Mutation in ihren Makrophagen Yersinia pestis besser eliminieren. Diese und andere «protektive» Varianten überlappen allerdings mit Allelen, die heute mit einem erhöhten Risiko für Autoimmunerkrankungen assoziiert sind.1
Besonders schwer zu erklären ist dieser Zusammenhang: Eine deutsche Fall-Kontroll-Studie zeigte, dass der enge Kontakt mit Partnern, die an Allergien leiden, das Risiko, selbst an Heuschnupfen zu erkranken, mehr als verdoppelt. Die Gründe hierfür werden in ähnlichen Lifestyle-Faktoren gesehen, sind aber im Wesentlichen unklar.2
Die Folgen der AD
Auch wenn noch nicht klar ist, wie stark die einzelnen Faktoren einwirken, ist die AD ein wachsendes Gesundheitsproblem, das durch eine komplexe Interaktion von genetischen, Umwelt- und Lebensstilfaktoren begünstigt wird und erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen hat. Insbesondere der starke Juckreiz und die Stigmatisierung belasten die Betroffenen physisch und psychisch. Ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen zeigte sich auch in Studien: Im Vergleich zu Erwachsenen ohne AD ist bei Personen mit AD das relative Risiko für eine Depression um 42% höher, für Stress- und Angststörungen um 55% und für Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen um 52%.3 Eine weitere Studie zeigte, dass Patienten mit AD, selbst nach Anpassung von Risikofaktoren (u.a. Alter, Geschlecht, perinatale Gesundheitsprobleme oder Atopien in der Anamnese), ein um 54% erhöhtes Risiko für ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom haben.4 Zudem besteht ein hohes Risiko für Komorbiditäten wie Asthma oder allergische Rhinitis. Die AD verursacht hohe direkte und indirekte Kosten durch die Behandlung und/oder Arbeitsausfälle der vorwiegend jungen Patienten.
Interdisziplinäre Herangehensweise
Um die Prävention, Diagnose und Behandlung dieser Erkrankung zu verbessern, ist eine interdisziplinäre Herangehensweise erforderlich. Besonders grosse Bedeutung hat hier die Schulung von AD-Patienten, die alle sechs Wochen in Treffen von jeweils zwei Stunden stattfindet. Wesentlich ist hier, Patienten einzubinden und nur kurze Vorträge zu halten.
Hautpflege: Emollentien werden immer noch zu spärlich eingesetzt
Auch wenn wir nach Ausführung von Prof. Ring heute «die schöne neue Welt» der Biologika und Kinase-Inhibitoren erleben, seien allgemeine Massnahmen und eine adäquate Hautpflege unverändert wichtig für eine erfolgreiche Behandlung. Dazu gehört auch die Aufklärung über Provokationsfaktoren und ihre Elimination: z.B. Hausstaubmilbenkarenz oder der Verzicht auf unverträgliche Nahrungsmittel wie Haselnüsse. Besonders wesentlich ist auch die Hautpflege mit Emollentien, um die gestörte Barrierefunktion zu verbessern. «Der grösste Fehler, der nach wie vor gemacht wird, ist, dass nicht genug aufgetragen wird», erklärte Prof. Ring. Gemäss der Fingerspitzenregel («fingertip unit», FTU) reicht eine FTU bei Erwachsenen für eine Fläche von nur ca. zwei Handflächen. Mindestens 250g Creme pro Woche sind für Erwachsene nötig, soll der gesamte Körper eingecremt werden.
Aktuell weist eine chinesische Studie noch auf einen weiteren Vorteil eines üppigen Emollentiengebrauchs hin: In einer Studie an Senioren (≥65 Jahre) verlangsamte sich Bei Studienteilnehmern, die Emollentien verwendeten, über einen Zeitraum von drei Jahren der kognitive Abbau im Vergleich zu Studienteilnehmern, welche keine Creme auftrugen (erhoben in der Global Deterioration Scale, hochsignifikant: p<0,0001).5
Neue Therapieoptionen
Ein Fortschritt bei leichteren AD-Formen sind neue nichtsteroidale Topika, z.B. Ruxolitinib, Tapinarof oder Modulatoren des Hautmikrobioms. Für die moderate bis schwere AD sind inzwischen zahlreiche neue Optionen wie JAK-Hemmer, Phosphodiesterase-Hemmer und Zytokinblocker gegen IL-4, IL-13 und IL-31 zugelassen. Nach Ausführung von Prof. Ring gehen die Therapiestrategien bei Neurodermitis hin zu zielgerichteten Ansätzen: JAK-Inhibitoren («small molcules») haben durch die Blockade des Signalwegs einen breiteren Ansatz und bewirken eine breite Immunsuppression. Der monoklonale Antikörper Dupilumab inhibiert sowohl IL-4 als auch IL-13 durch Blockade der IL4Rα-Untereinheit von Typ-I- und Typ-II-Rezeptoren. Der monoklonale Antikörper Tralokinumab ist am spezifischsten: Er inhibiert IL-13 durch Blockade der Bindung sowohl am IL-13Rα1- als auch am IL-13Rα2-Rezeptor.
Quelle:
«Therapie des atopischen Ekzems»; Vortrag von Prof. Johannes Ring, München, im Rahmen von DERM Alpin 2024 am 19. Oktober 2024 in Salzburg
Literatur:
1 Klunk J et al.: Nature 2022; 611: 312-9 2 Schäfer T et al.: Allergy 2004; 59: 781-5 3 Schmitt J e al.: Br J Dermatol 2009; 161: 878-3 4 Romanos M et al.:J Epidem Community Health 2010; 64: 269-73 5 Ye L et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2022; 36: 1382-8
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