Update zu Urtikaria und Angioödem
Autor:
Dr. Clemens Schöffl
Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie
Medizinischen Universität
Graz
E-Mail: clemens.schoeffl@medunigraz.at
Von urtikariellen Hautveränderungen spricht man, wenn es in der oberen Dermis zu einer Vasodilatation und Permeabilitätssteigerung der Gefäße kommt. Geschieht dies eine Ebene tiefer – in der unteren Dermis und der Subkutis – macht sich die Durchlässigkeit der Gefäße in Form eines Angioödems bemerkbar. Diese Symptome können lästig und quälend, aber auch tödlich sein.
Keypoints
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Antihistaminika sind die Therapie der ersten Wahl bei Urtikaria, diese können gegebenfalls bis zur vierfachen Tagesdosis gesteigert werden.
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Eine Steroidtherapie kann für die Kurzzeitbehandlung der Urtikaria gut wirksam sein, ist jedoch zur Langzeitbehandlung der Urtikaria ungeeignet.
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Antihistaminika, Steroide und Adrenalin sind bei bradykininvermittelten Schwellungen – wie dem hereditären Angioödem – nicht wirksam.
Es gibt nicht wenige Erkrankungen, die mit Quaddeln und Angioödemen einhergehen können. So zeigen sich beispielsweise urtikarielle Hautveränderungen bei allergischen Reaktionen, Mastozytose, Urtikariavaskulitis, Schnitzler-Syndrom oder etwa im urtikariellen Stadium eines bullösen Pemphigoids. Auch beim Angioödem ist die Liste an Differenzialdiagnosen lange,sie beinhaltet neben Vaskulitiden und allergischen Reaktionen auch Lymphabflussstörungen, Cheilitis granulomatosa, Emphyseme, systemischen Lupus erythematodes oder das Gleich-Syndrom, um nur einige zu nennen.
Dieser Artikel befasst sich vordergründig mit dem Krankheitsbild der Urtikaria und den teils gar nicht so seltenen Formen der bradykininvermittelten Angioödeme.
Zu Letzteren zählt das ACE-Hemmer-vermittelte Angioödem, welches bei ca. 0,1–0,7% jener Patienten auftritt, dieMedikamente aus dieser Klasse einnehmen. Schwellungen unter AT1-Rezeptorblockern sind mit 0,3% etwas seltener. In absoluten Zahlen wird für Österreich eine Jahresinzidenz von ca. 2000–3000 Patienten angenommen, die Schwellungen unter Einnahme von Präparaten aus diesen beiden Medikamentengruppen entwickeln. Häufig betroffen ist der Kopf-Hals-Bereich. Grund für die Angioödeme unter ACE-Hemmern ist der verlangsamte Abbau von Bradykinin durch die Hemmung des Angiotension-Converting-Enzyms, welches am Bradykininabbau beteiligt ist. Warum es nur bei einem kleinen Teil der Anwender von Medikamenten der beiden Gruppen zu Schwellungen kommt, ist unklar, es dürften aber genetische Faktoren und Lebensstilfaktoren eine Rolle spielen. Zwischenzeitliche Analysen von laufenden internationalen Studien – an denen auch die Hautklinik Graz beteiligt ist – zeigen, dass bei einem Teil der Studienteilnehmer Varianten in denjenigen Genen zu finden sind, die man vom hereditären Angioödem(HAE)kennt.
Hereditäres Angioödem
Das seltene, autosomal-dominant vererbte HAEist der klassische Vertreter der bradykininvermittelten Angioödeme. Im Gegensatz zu den histaminergen Angioödemen, wie sie bei der Urtikaria auftreten können, finden sich beim HAE keine Quaddeln und kein Juckreiz. In Österreich sind ca. 150 HAE-Patienten bekannt, die Dunkelziffer dürfte etwa doppelt so hoch liegen. Die Angioödemattacken treten unterschiedlich oft und an unterschiedlichen Lokalisationen auf.Sie halten unbehandelt ca. 2–5 Tage an, können sehr schmerzhaft und beeinträchtigend sein und im schlimmsten Fall, bei Affektion der Atem-schluck-Straße, auch tödlich enden. Vor Verfügbarkeit der ersten Therapien sind 25–30% der HAE-Patienten erstickt.
Pathophysiologie
Dem klassischen HAE (C1-Inh-HAE I und II) liegt eine Mutation im SERPING1-Gen zugrunde, welches für C1-Inh codiert. Dieser – beim HAE verminderte – Faktor hat mehrere Funktionen, unter anderem hemmt er physiologisch das Enzym Kallikrein im Blut. Die Funktion des Kallikreins wiederum ist es, vom Kininogen Bradykinin abzuspalten. Fehlt nun diese Bremsfunktion des C1-Inh oder ist sie zu schwach (wie bei C1-Inh-Mangel) kommt es zur übermäßigen Bildung von Bradykinin.Dieses dockt vermehrt an den Bradykinin-B2-Rezeptor am Endothel an, woraufhin es zur Vasodilatation und Permeabilitätssteigerung und infolge dessen zum Ödem kommt. Beim überwiegenden Teil der Attacken (2/3) lässt sich kein Auslöser eruieren. Man weiß jedoch, dass grippale Infekte oder banale Erkältungskrankheiten, aber auch Verletzungen, Zahneingriffe oder ungewohnte längere Tätigkeiten (langes Sitzen oder langes Stehen) eine Schwellung triggern können.
Symptomatik
Schwellungen können überall auftreten, häufig betreffen sie die Haut der Extremitäten, aber auch das Gesicht und der Genitalbereich können betroffen sein. Ähnlich häufig wie Hautschwellungen sind HAE-Attacken im Gastrointestinaltrakt. Diese gehen mit heftigsten krampfartigen Schmerzen einher, die bis hin zum Erbrechen und zu Diarrhö führen können. Der Großteil der Patienten wird bis zum 20. Lebensjahr erstmalig symptomatisch. Die Zeit bis zur richtigen Diagnosestellung beträgt allerdings mehrere Jahre (6,5 im Durchschnitt in Österreich).
Diagnostik
Für die Diagnose des HAE ist eine Blutuntersuchung unerlässlich, sofern die Anamnese entsprechende Hinweise liefert (wiederkehrende Schwellungen, Antihistaminika und Steroide wirken nicht, keine Quaddeln). Die C1-Inh-Funktion und der C4-Komplementfaktor sind bei HAETyp 1 und 2 erniedrigt, nicht nur in der akuten Schwellungsattacke, sondern dauerhaft. In den letzten Jahren konnte man auf molekularer Ebene Mutationen in diversen weiteren Genen finden (Faktor XII, Plasminogen, Kininogen1, Angiopoetin1, Myoferlin, Heparan Sulfate 6-O-Sulfotransferase 3), welche ebenfalls pathophysiologisch beim HAE anzusiedeln sind, jedoch mit normalen C1-Inh-Werten sowie C4-Werten einhergehen. Das ACE-Hemmer-induzierte Angioödem kann man anhand der Laborwerte nicht erkennen. Sollten die Schwellungssymptome erst im fortgeschrittenen Alter auftreten und nicht auf Antihistaminika oder Steroide ansprechen, ist differenzialdiagnostisch eine lymphoproliferative Erkrankung mit Autoantikörperbildung gegen den C1-Inh auszuschließen.
Therapie
In den letzten Jahren haben sich die Therapiemöglichkeiten wesentlich erweitert. Neben der Akuttherapie mit C1-Inh-Konzentraten steht auch der Bradykininrezeptorantagonist Icatibant zur Verfügung. Zuletzt ist die Langzeitprophylaxe, sprich das vollständige Unterdrücken von Schwellungsattacken, zunehmend in den Vordergrund gerückt. Früher wurde dazu Danazol verwendet, ein attenuiertes Androgen; heutzutage, nicht zuletzt aufgrund der guten Therapiealternativen, ist diese Therapieoption wegen der potenziellen Nebenwirkungen bei Langzeitgabe nicht mehr zeitgemäß. Zur Prophylaxe stehen heute neben den C1-Inh-Präparaten auch Lanadelumab, ein Antikörper gegen Kallikrein, und demnächst mit Berotralstat ein Small Molecule, welches das Enzym Kallikrein inhibiert, zur Verfügung. Weitere aussichtsreiche Wirkstoffkandidaten sind in klinischen Studien.
Urtikaria
Ebenfalls mit Angioödemen einhergehen kann die Urtikaria. Bei diesem Krankheitsbild gilt es die akute Urtikaria, die weniger als 6 Wochen andauert, und die chronische Urtikaria zu unterscheiden. Die akute Form wird sehr häufig durch Infekte, aber auch Nahrungsmittel oder Medikamente ausgelöst. Vielfach findet man aber keinen Auslöser; die Symptome sind selbstlimitierend und bilden sich innerhalb weniger Wochen zurück. Dementsprechend ist eine weiterführende Diagnostik bei der akuten Urtikaria nicht indiziert. Sollte sich jedoch ein akutes Infektgeschehen als Ursache herausstellen, gilt es dieses zu behandeln. Die akute Urtikaria ist etwa 10- bis 100-mal häufiger als die chronische Form, welche länger als 6 Wochen andauert. Zur Symptomlinderung kommen H1-Antihistaminika der neuen Generation zum Einsatz, bei ausgeprägter Symptomatik kann auch ein kurzfristiger Kortisonstoß indiziert sein.
Die chronische Urtikaria lässt sich in zwei Subtypen unterteilen: die chronische spontane Urtikaria (csU) und die chronische induzierbare Urtikaria (CIndU).
Bei der spontanen Urtikaria treten die Symptome spontan, also ohne spezifischen Auslöser auf, bei der induzierbaren Form können beispielsweise physikalische Trigger wie Wärme, Kälte, Licht, Druck, mechanische Irritation oder die Erhöhung der Körpertemperatur Trigger sein. Die Urticaria factitia oder auch symptomatischer Dermographismus genannt, ist vor der Kälteurtikaria und der cholinergen Urtikaria die häufigste induzierbare Form.
Diagnostik
Die Diagnostik beginnt mit einer gründlichen, zielführenden Anamnese: Symptombeginn/-dauer, Verlauf, Rezidivhäufigkeit, Vortherapien, Leidensdruck, Begleitsymptome und -erkrankungen sowie potenzielle verstärkende Faktoren (Infekte, Medikamenteneinnahme). Mit einer anschließenden klinischen und Laboruntersuchung gilt es andere systemische Erkrankungen auszuschließen. Wenn neben den Angioödemen oder Quaddeln auch Fieber, ein generelles Krankheitsgefühl sowie muskuloskelettale Beschwerden auftreten, sollte an autoinflammatorische Erkrankungen gedacht werden. Die chronische induzierbare Form kann man mittels spezifischer Provokationstests bestätigen oder ausschließen. Bei der chronischen spontanen Urtikaria ist eine Basisdiagnostik mit Blutbild und Bestimmung der Entzündungswerte sowie Gesamt-IgE und Schilddrüsenantikörper hilfreich. Wichtig ist hierder Ausschluss von Differenzialdiagnosen, wie chronischen Infekten (z.B. Helicobacter pylori), Autoimmunprozesse, eventuell eine Allergie, die sich als Urtikaria maskiert, oder NSAR-Unverträglichkeiten. Bei langem Bestehen der Symptome ist eine Fokussuche indiziert (inkl. Oberbauchsonografie, HNO- und zahnärztliche Abklärung).
Des Weiteren kann als Ursache der csU eine Autoallergie vorliegen, beispielsweise IgE gegen die Thyreoperoxidase oder aber auch Antikörper gegen IgE bzw. den IgE- Rezeptor auf Mastzellen und basophilen Granulozyten. Es kommt in der Folge zur Aktivierung und Degranulation der Mastzellen, zur Ausschüttung der Mediatoren und so zur Quaddel, zum Angioödem, zum Juckreiz.
Therapie
Das vordergründige Behandlungsziel aller Urtikariaunterformen ist das Erreichen einer vollständigen Beschwerdefreiheit. Hierfür sollten einerseits mögliche Auslöser beseitigt bzw. gemieden werden. Andererseits wird eine symptomatische medikamentöse Therapie eingeleitet.
Bei dieser gilt generell, dass die chronische Urtikaria immer auf die gleiche Weise zu therapieren ist, unabhängig davon, ob Quaddeln, Angioödeme oder beides auftreten. Die Therapie der CIndU erfolgt analog zurTherapie der csU. Initial wird mit einem H1-Antihistaminikum in Standarddosierung gestartet,es kann bei Bedarf auf bis das 4-Fache gesteigert werden. Wenn nach 2–4 Wochen keine ausreichende Kontrolle der Beschwerden eintritt (das beobachtet man bei etwa jedem dritten oder vierten Patienten), sollte man eine zusätzliche Therapie mit Omalizumab als nächsten Schritt erwägen. Omalizumab, ein Anti-IgE-AK, senkt die Konzentration von zirkulierendem IgE und führt zu einer Herunterregulierung von IgE-Rezeptoren auf Mastzellen und basophilen Granulozyten. Wenn auch das noch nicht die gewünschte Krankheitskontrolle bringen sollte, kann man die Dosis steigern oder/und das Intervall verkürzen bzw. als letzten Schritt zusätzlich zu den Antihistaminika Cyclosporin A versuchen (Abb.1). Studien haben gezeigt, dass 39% der csU-Patienten auf Antihistaminika in Standarddosierung gut ansprechen. Bei denjenigen, die unter der Standarddosierung keine ausreichende Symptomkontrolle erreicht hatten, konnte man in 63% der Fälle mit einer Höherdosierung eine Symptomkontrolle erreichen. Ähnlich wie beim HAE ist auch im Bereich der Urtikaria die Forschungstätigkeit sehr rege. Diverse Substanzen und Therapieansätze– teilweise bereits für andere Indikationen zugelassen – sind in Erprobung. Beide Erkrankungen, die chronische Urtikaria und das HAE, gehen mit teils massiven Einschränkungen der Lebensqualität einher.Es bedarf daher einer steten Evaluierung und gegebenfalls Adaptierung der Therapie mit dem Ziel der Symptomkontrolle.
Abb. 1:Empfohlener Behandlungsalgorithmus für Urtikaria. AH: Antihistaminikum; CU: chronische Urtikaria; Erstlinientherapie mit H1-Antihistaminika der 2. Generation (auch in Entwicklungsländern, meist billiger als alte sedierende Antihistaminika), sehr gutes Sicherheitsprofil, gute Wirksamkeit. Zweitlinie (Omalizumab als Zusatz zu H1-Antihistaminika der 2. Generation) = hochwertige Belege: hohe Kosten, sehr gutes Sicherheitsprofil, sehr gute Wirksamkeit. Drittlinie (Ciclosporin als Zusatztherapie) = hochwertige Belege: mittlere bis hohe Kosten, mäßiges Sicherheitsprofil, gute Wirksamkeit. Kurzzeitbehandlung mit Kortikosteroiden = geringe Qualität der Nachweise: geringe Kosten, weltweite Verfügbarkeit, gutes Sicherheitsprofil (nur für Kurzzeittherapie), gute Wirksamkeit während der Einnahme, aber nicht für die Langzeittherapie geeignet. Adaptiert nach Zuberbier et al.: The International EAACI/GA²LEN/EuroGuiDerm/APAAACI Guideline for the definition, classification, diagnosis, and management of urticaria. Allergy 2021; 10.1111/all.15090
Literatur:
beim Verfasser
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