
Warum ist Leadership gerade jetzt in der Medizin gefragt?
Autor:
Univ.-Prof. Dr.Lars-Peter Kamolz, MSc
Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie
Universitätsklinik für Chirurgie
Medizinische Universität Graz
COREMED – Kooperatives Zentrum für Regenerative Medizin, Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH
VLKÖ – Verband der Leitenden
Krankenhausärzte Österreichs
E-Mail: lars.kamolz@medunigraz.at
Die Definition des Begriffes „Führung“ ist – gemessen an deren täglicher Bedeutung – erstaunlich unübersichtlich: Was Führung ist, ist sehr umstritten. Philosophen, Psychologen, Wirtschaftler und andere Disziplinen arbeiten in einer langen Tradition an der Frage, was Führung ist und wie man richtig führt. Der nachfolgende Artikel bietet einen Überblick über die häufigsten Führungsstile und aktuelle Herausforderungen.
Das deutsche Wort Führung entspricht dem englischen Wort „leadership“, welches zur Wortfamilie „lead“ gehört. „Lead“ wiederum leitet sich von „laed“ ab, was so viel wie „Pfad“ oder „Weg“ bedeutet.
Demnach ist eine führende Person jemand, der vorangeht, um anderen den Weg zu weisen. „Führung ist also nicht die Beschäftigung mit Gegenwartsproblemen, sondern die Gestaltung der Zukunft“, weiß Daniel Goeudevert, Autor und Ex-VW-Vorstand. Doch bevor wir uns mit der Zukunft beschäftigen, möchte ich einen kurzen Überblick über die Geschichte der Führungsmodelle und Führungstheorien geben.
Historischer Überblick: Führungsmodelle und Führungstheorien
Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich der Ansatz der Eigenschaftstheorie der Führung, die besagt, dass Führungserfolg nur durch gewisse persönliche Fähigkeiten und Eigenschaften bedingt ist. Diese Theorie impliziert aber, dass der Führungserfolg nur von den Persönlichkeitsmerkmalen des Führenden beeinflusst wird, also unabhängig von anderen Faktoren wie Situation und Mitarbeitern ist. Sie schließt auch den Umstand aus, dass Menschen sich entwickeln bzw. entwickelt werden können. Trotz heftiger Kritik an dieser Eigenschaftstheorie aufgrund ihrer Monokausalität kann sie nicht gänzlich abgelehnt werden, da Persönlichkeitsmerkmale wie Intelligenz, soziale Kompetenz und Offenheit zumindest eine grobe Orientierung dessen geben können, was den Führungserfolg begünstigen kann.
In den 1960er-Jahren widmete sich die „Führungsforschung“ der Beeinflussung durch die jeweilige Situation. In dieser Zeit wurde auch der Begriff der situativen Führung geprägt, der in vielen Bereichen auch heute noch immer verwendet wird und voraussetzt, dass unterschiedliche Situationen unterschiedliches „Verhalten“ benötigen bzw. voraussetzen.
Mitte der 1980er-Jahre entstand ein durch Bernhard Bass geprägtes neues Führungsmodell, welches auf dem Konzept der transaktionalen Führung aufbaut. Entscheidend hierbei sind 4 Komponenten:
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Vorbildfunktion: Die Führungskraft dient als charakterliches und moralisches Vorbild. „Die Kernkompetenz von Führung ist Charakter“, so Warren Bennis, ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler.
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Inspirierende Motivation: Die Führungskraft wirkt motivierend und inspirierend, indem sie Visionen vermittelt, Zielsetzungen Sinn verleiht und auf Bedürfnisse eingeht.
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Intellektuelle Anregung: Die Führungskraft regt Kreativität und innovative Denkweisen der Mitarbeiter durch die Ermutigung zum Aufbrechen klassischer Gewohnheiten und zum Anwenden selbstständiger Problemlösungskompetenz an. Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry hat dies im folgenden Zitat vortrefflich beschrieben: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Individuelle Unterstützung: Der einzelne Mitarbeiter wird individuell gefördert, indem die Führungskraft Verantwortung überträgt, Kompetenzen der Mitarbeiter entwickelt und diese an Entscheidungen teilhaben lässt.
„High-Impact Leadership“
In den letzten Jahren wird vermehrt ein „neues“ Führungsmodell/Konzept, die sogenannte „High-Impact Leadership“, propagiert. Auf der Homepage der Cambridge-Universität kann man zu „high-impact leaders“ folgende Definition finden: „High-Impact Leader sind in der Lage, die Komplexität der heutigen Zeit zu steuern, Veränderungen zu katalysieren und soziale und wirtschaftliche Systeme neu zu gestalten – um positive soziale und ökologische Ergebnisse zu erzielen. High-Impact Leader schaffen es, den wirtschaftlichen Erfolg mit einem Benefit für die Gesellschaft in Einklang zu bringen.“
Warum taucht aber gerade jetzt dieses Modell auf? Die Wirtschaft und Politik werden heute von verschiedenen Trends und Entwicklungen beeinflusst. Hiervon sind Unternehmen und ihre Mitarbeiter genauso betroffen wie die Gesellschaft als Ganzes.
Dieser Wandel hat auch Auswirkungen auf das Denken und Handeln der Menschen. Unternehmen müssen rasch auf diesen Wandel reagieren, um Schritt halten zu können. Im derzeitigen globalen Kontext gibt es also nur eine Konstante: den Wandel.
Herausforderungen für die Leadership in der heutigen Zeit
Natürlich hat die Corona-Krise gewaltige Veränderungen mit sich gebracht; viele Wissenschaftler sehen sie aber auch als Katalysator für Prozesse und Trends, die in der einen oder anderen Form sowieso gekommen wären – durch die Corona-Krise wurden sie nur verdeutlicht und beschleunigt.
Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung hat einige „Megatrends“ detektiert: Der stärkste Handlungsdruck besteht hinsichtlich der demografischen Entwicklung und des Wertewandels, aber auch die Digitalisierung und Virtualisierung des Zusammenlebens, die Globalisierung und die Ressourcenverknappung inkl. Umweltveränderungen haben einen massiven Einfluss auf uns, unsere Gesellschaft und somit auf unser Führungsverständnis.
In Hinblick auf den Wertewandel tendiert die westliche Welt zu einer Abkehr von materialistischen Werten. An deren Stelle rücken postmaterialistische Werte der Selbstentfaltung. Digitalisierung und Virtualisierung als Ergebnis der multiplen technologischen Innovationen verkörpern ebenfalls einen Megatrend, welcher einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsweise der heutigen Zeit ausübt. Neue Möglichkeiten des mobilen Arbeitens (HomeOffice) und die Bildung virtueller Arbeitsteams stellen besondere Herausforderungen auch für die Personalführung dar. Dadurch wird aber auch klar, dass die Führung über Kontrolle nicht mehr zielführend ist, sondern die Führung über Ziele und Ergebnisse an die entsprechende Stelle tritt bzw. treten muss.
Verschiedene Faktoren wie Klimawandel, Bewusstsein für Nachhaltigkeit sowie knapper und teurer werdende Ressourcen sind die Ursache für den Trend zur Energie- und Ressourcenorientierung. Doch nicht nur die Politik und die Wirtschaft sind hiervon betroffen, auch Unternehmen und ihre Führungskräfte müssen diesem Trend Aufmerksamkeit schenken.
Leadership bietet Orientierung
Bedingt durch diese und andere Trends gewinnt Führung wieder an Bedeutung. Hierin besteht auch der Unterschied zwischen Management und Führung: Für mich bedeutet Management, sich gemeinsam mit seinem Team um die erfolgreiche Abwicklung des Tagesgeschäfts zu kümmern, Führung heißt aber, mittels strategischer Ausrichtung den Fortbestand der Organisation bei gleichzeitiger Übernahme der Verantwortungfür die Mitarbeiter und für die Gesellschaft zu sichern.
Führung gibt also Orientierung in einem sich rasch wandelnden Umfeld. Kommunikation nimmt einen Großteil der Arbeitszeit einer Führungskraft ein.
Führung gewinnt immer dann an Bedeutung, wenn sich eine Organisation einer schnell wandelnden Umwelt ausgesetzt sieht. Immer dann rückt direkte Führung – Führung durch Menschen – in den Vordergrund, im Gegensatz zur indirekten Führung durch Strukturen und Systeme.
Dies ist gerade im Hinblick auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation deutlich zu erkennen, in der Personen in den Blickpunkt rücken. Sie erklärt aber auch, warum in den 1990er-Jahren v.a. der Begriff Manager verwendet wurde und jetzt wieder immer häufiger der Begriff Leader gebraucht wird.
Kommen wir daher nochmals zurück zum Begriff „High-Impact Leadership“. In Zeiten des Wandels gewinnen – wie bereits erwähnt – Persönlichkeiten gegenüber den Strukturen an Bedeutung. Persönlichkeiten, die beides erreichen können, z.B. einen finanziellen Benefit für den Konzern und Antworten auf sich rasch entwickelnde gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen, sind gefragt!
„High-Impact Leadership“ setzt also als erste Schritte Selbstführung voraus; dann erst erfolgt die Transferierung auf das Umfeld bzw. auf die Gesellschaft. Entscheidend ist aber, dass, wenn wir Menschen nachhaltig erreichen und „führen“ wollen, wir sie nachhaltig bewegen müssen, indem wir das Gesagte vorleben und dafür einstehen. „Menschenführung ist an die Hand nehmen, ohne festzuhalten, und loslassen, ohne fallen zu lassen.“ (Wilma Thomalla)Und dies ist gerade in Zeiten wie diesen wichtig.
Literatur:
beim Verfasser
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