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Das „Double-Crush-Syndrom“ – Realität oder Geschichte?

<p class="article-intro">Das „Double-Crush-Syndrom“ (DCS) geht von der Annahme aus, dass eine zusätzliche Schädigung eines Nervs eine ungünstigere Konstellation bei Nervenkompressionssyndromen darstellt. DCS wurden sowohl an der oberen als auch an der unteren Extremität beschrieben. Außerdem wird überlegt, ob generalisierte Neuropathien die Ausbildung und den Grad von Kompressionssyndromen zusätzlich negativ beeinflussen können.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Mononeuropathien und ihre H&auml;ufigkeit</h2> <p>Mononeuropathien stellen wichtige Krankheitsbilder in der Neurologie dar. Hinsichtlich der H&auml;ufigkeit liegen unterschiedliche Angaben vor.<sup>1</sup> Das Karpaltunnelsyndrom (CTS) wird in der Literatur am h&auml;ufigsten beschrieben. Klinische Symptome bestehen aus motorischen und sensiblen St&ouml;rungen, aber auch Ungeschicklichkeit und Schmerzen k&ouml;nnen auftreten. Patienten mit Mononeuropathien suchen h&auml;ufig Fach&auml;rzte f&uuml;r Neurologie, Handchirurgie, Orthop&auml;die, physikalische Medizin oder auch plastische Chirurgie zur weiteren Diagnosestellung und Therapie auf.</p> <h2>Das Double-Crush-Syndrom (DCS)</h2> <p>Obwohl das DCS immer wieder im klinischen Kontext erw&auml;hnt wird, finden sich in wenigen EMG-Lehrb&uuml;chern ausf&uuml;hrliche Darstellungen. Diese Zusammenfassung soll auf einige Aspekte des DCS aufmerksam machen.</p> <h2>Geschichte</h2> <p>1973 wurde von Upton et al eine Arbeit mit dem Titel &bdquo;The double crush in nerve entrapment syndromes&ldquo; publiziert.<sup>2</sup> Diese Arbeit postulierte, dass an den oberen Extremit&auml;ten h&auml;ufig neben einem distalen Nervenkompressionssyndrom auch zus&auml;tzlich eine proximale L&auml;sion, h&auml;ufig im Sinn einer zervikalen Radikulopathie, einer Plexusl&auml;sion oder eines &bdquo;Thoracic outlet&ldquo;-Syndroms (TOS) vorlag. Diese sogenannte &bdquo;doppelte L&auml;sion&ldquo; (&bdquo;double crush&ldquo;) f&uuml;hrt insgesamt zu einer Verschlechterung des Nervenkompressionssyndroms. Dieses Konzept des DCS wurde im Laufe der Zeit mehrfach untersucht und unterschiedlich beurteilt.<sup>3&ndash;4</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1703_Weblinks_14.jpg" alt="" width="1417" height="996" /></p> <h2>Das DCS</h2> <p>Upton und McComas untersuchten 220 Patienten mit Kompressionsneuropathien der oberen Extremit&auml;t (vorwiegend CTS).<sup>2</sup> Bei genauer Anamnese und den damals zur Verf&uuml;gung stehenden Zusatzbefunden wurde bei einem Gro&szlig;teil der Patienten auch eine proximale L&auml;sion (meist eine zervikale Radikulopathie) vermutet.<br />Eine genaue Analyse der Sch&auml;digung (vergleichbar mit den heutigen bildgebenden Techniken) konnte damals nicht gemacht werden. Die Annahme der Sch&auml;digung der proximalen Nervenabschnitte beruhte auf konventionellen radiologischen Befunden (HWS-R&ouml;ntgen), einer positiven Anamnese von Nackenbeschwerden und vorausgegangenen Verletzungen der Halswirbels&auml;ule als Hinweis auf eine proximale Sch&auml;digung. Neben L&auml;sionen der Nervenwurzeln wurden auch der Plexus brachialis oder ein TOS als Ursache vermutet. Bei der Untersuchung wurde der Verteilungstyp der Sensibilit&auml;tsst&ouml;rungen (Dermatom vs. Einzelnerv) ber&uuml;cksichtigt. In elektrophysiologischen Untersuchungen fanden sich im EMG zus&auml;tzliche Hinweise auf Ver&auml;nderungen in proximaler und radikul&auml;rer Verteilung.<br />Zahlreiche vergleichende Untersuchungen wurden &uuml;ber viele Jahre von verschiedenen Autoren mit unterschiedlichen Ergebnissen durchgef&uuml;hrt. Diese Untersuchungen betrafen an den oberen Extremit&auml;ten &uuml;berwiegend den Nervus medianus, gefolgt von den weniger h&auml;ufig untersuchten N. ulnaris und N. radialis. Auch kombinierte L&auml;sionen des N. medianus und ulnaris am Handgelenk wurden beschrieben. Als Argumente f&uuml;r die Hypothese der Bef&uuml;rworter des DCS wird auch die nach proximal ausstrahlende &bdquo;Brachialgia nocturna&ldquo; angef&uuml;hrt sowie der Umstand, dass manchmal die NLG auch in den proximalen Abschnitten der Nerven verlangsamt sind, und auch der Umstand, dass manchmal nach OP eines CTS keine Besserung eintritt.<br />Das Konzept des DCS geht aber &uuml;ber die oberen Extremit&auml;ten hinaus und wurde auch bei einzelnen Rumpfnerven, wie beispielsweise dem N. suprascapularis<sup>5</sup>, als auch an den unteren Extremit&auml;ten (Lendenwirbels&auml;ule) besonders im Zusammenhang mit den h&auml;ufigen lumbalen Wirbels&auml;ulenver&auml;nderungen beschrieben<sup>6</sup> und auch durch MRT-Untersuchungen unterst&uuml;tzt.<sup>7</sup> Zus&auml;tzlich zu diesen &Uuml;berlegungen wurde schlie&szlig;lich auch der Begriff des &bdquo;reversed&ldquo; DCS gepr&auml;gt, der ausdr&uuml;cken soll, dass eine distale Nervenl&auml;sion auch die Entstehung einer proximalen L&auml;sion beg&uuml;nstigen kann.<sup>8</sup></p> <h2>Mehrere L&auml;sionen in einem Nerv</h2> <p>Periphere Nerven k&ouml;nnen neben der typischen Kompression an mehreren Stellen gesch&auml;digt sein. Als Beispiele wurden Doppelkompressionssyndrome beim N. radialis, N. ulnaris und N. medianus genannt. Besonders zu erw&auml;hnen ist eine Arbeit &uuml;ber das gleichzeitige Vorliegen des Pronator-teres-Syndroms und CTS.<sup>9</sup> Auch bei Shunt-Interventionen im Rahmen von Dialysen wurde das DCS beschrieben.<sup>10</sup><br />Zahlreiche Beschreibungen liegen bei Nerventumoren vor, welche periphere Nerven an mehreren Stellen komprimierten<sup>11</sup> und damit dem Konzept des &bdquo;double crush&ldquo; (also der &bdquo;doppelten L&auml;sion&ldquo;) im engeren Sinn gen&uuml;gen. Zu einer m&ouml;glichen gleichzeitigen Sch&auml;digung oder Verst&auml;rkung eines Kompressionssyndroms bei seltenen Perineuromen<sup>12</sup> konnte die Literatursuche keine Ergebnisse erbringen.</p> <h2>Generalisierte Neuropathien und ihr Einfluss auf Kompressionsneuropathien</h2> <p>In einer rezenten Arbeit von Cohen et al<sup>13</sup> wurde besonderes Augenmerk auf Kompressionssyndrome bei Polyneuropathien (PNP) gelegt. Bei der diabetischen und ur&auml;mischen Neuropathie kommt es vermehrt zu Kompressionssyndromen, insbesondere mit Auftreten von Kompressionsneuropathien wie dem CTS.<sup>14</sup> Dieses vermehrte Auftreten von Engpasssyndromen wurde auch bei genetisch verursachten Neuropathien, wie Morbus Fabry und der famili&auml;ren Amyloidose, beschrieben.<br />Besonders zu erw&auml;hnen ist die Abgrenzung fokaler Kompressionssyndrome bei heredit&auml;ren Neuropathien vom Typ Charcot-Marie-Tooth (CMT). Bei diesen k&ouml;nnen elektrophysiologisch fokale Ver&auml;nderungen oft nicht von den ausgepr&auml;gten Ver&auml;nderungen der bestehenden PNP abgegrenzt werden. Inwieweit bei entz&uuml;ndlich bedingten multifokal motorischen Neuropathien oder bei heredit&auml;ren PNP mit Druckparesen vermehrt Engpasssyndrome vorliegen, ist nicht bekannt. Es sind auch zahlreiche andere seltene Ursachen von Neuropathien, u.a. die Vaskulitiden, zu ber&uuml;cksichtigen, die zun&auml;chst als Mononeuropathie in Erscheinung treten k&ouml;nnen.<sup>15</sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>&Uuml;berlegungen zum DCS haben sich als fester Bestandteil bei der Beurteilung von Kompressionssyndromen etabliert, wobei seit der Originalbeschreibung von Upton zahlreiche widerspr&uuml;chliche Untersuchungsergebnisse vorliegen.<br />Ein peripherer Nerv kann selten an zwei oder mehreren Stellen betroffen sein, was insbesondere beim CTS und dem gleichzeitigen Pronator-teres-Syndrom beschrieben wurde. Damit ist aber auch gesagt, dass ein nachgewiesenes Engpasssyndrom eine zus&auml;tzliche weitere Nervenl&auml;sion nicht ausschlie&szlig;t.<br />Generalisierte Neuropathien k&ouml;nnen einen Einfluss auf Kompressionsneuropathien haben. Damit wird angenommen, dass es bei Ver&auml;nderungen im Sinne generalisierter Neuropathien, insbesondere beim Diabetes mellitus, zu einem h&ouml;heren Risiko f&uuml;r Kompressionssyndrome kommen kann. Auch manche besondere Formen von heredit&auml;ren Neuropathien scheinen vermehrt mit Engpasssyndromen assoziiert zu sein, welche elektrophysiologisch aufgrund der generalisierten Ver&auml;nderungen oft schwer abgrenzbar sind.<br />Allerdings zeigen Untersuchungen und Analysen der H&auml;ufigkeit von DCS starke Schwankungen. Die Frage, ob beim Vorliegen eines CTS oder eines Sulcus-n.-ulnaris-Syndroms eine ausgedehnte Untersuchung der Wirbels&auml;ule, der Nervenwurzel, des Plexus brachialis und des gesamten Nervenverlaufes (beispielsweise mit Ultraschall) gemacht werden soll, l&auml;sst sich gegenw&auml;rtig wahrscheinlich mit Nein beantworten.<br />Dieser Vortrag wurde bei der Fr&uuml;hjahrs&shy;klausurtagung der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r Handchirurgie, 3.&ndash;4. M&auml;rz 2017, Bad Radkersburg, gehalten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Latinovic R et al: Incidence of common compressive neuropathies in primary care. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006; 77(2): 263-5 <strong>2</strong> Upton AR and McComas AJ: The double crush in nerve entrapment syndromes. Lancet 1973; 2(7825): 359-362 <strong>3</strong> Osterman AL: The double crush syndrome. Orthop Clin North Am 1988; 19(1): 147-55 <strong>4 </strong>Wilbourn AJ: Double-crush syndrome: a critical analysis. Neurology 1997; 49(1): 21e29 <strong>5</strong> Skedros JG et al: Florid suprascapular neuropathy after primary rotator cuff repair attributed to suprascapular notch constriction in the setting of double crush syndrome. J Brachial Plex Peripher Nerve Inj 2015; 10(1): e66-e73 <strong>6</strong> Golovchinsky V: Double-crush syndrome. Springer Science+Business Media: LLC, 2000 <strong>7</strong> Kanamoto HY et al: The diagnosis of double-crush lesion in the L5 lumbar nerve using diffusion tensor imaging. Spine J 2016; 16(3): 315-21 <strong>8</strong> Lundborg G und Dahhlin LB: The reversed double crush lesion. ASSH Correspondence Newsletter 9, 1986 <strong>9</strong> Hsiao CW et al: Concurrent carpal tunnel syndrome and pronator syndrome: a retrospective study of 21 cases. Orthop Traumatol Surg Res 2017: 103(1): 101-3 <strong>10</strong> Zamora JL et al: Double entrapment of the median nerve in association with PTFE hemodialysis loop grafts. South Med J 1986; 79(5): 638-40 <strong>11</strong> Leclere FM et al: Double crush syndrome of the median nerve revealing a primary non-Hodgkin&rsquo;s lymphoma of the flexor digitorum superficialis muscle. Chir Main 2015; 34(5): 256-9 <strong>12</strong> Mitsumoto H und Goren WA: Perineuroma as the cause of localized hypertrophic neuropathy. Muscle Nerve 1980; 3: 403-12 <strong>13</strong> Cohen BH et al: Multifocal neuropathy: expanding the scope of double crush syndrome. J Hand Surg Am 2016; 41(12): 1171-5 <strong>14</strong> Rota E und Morelli N: Entrapment neuropathies in diabetes mellitus. World J Diabetes 2016; 7(17): 342-53 <strong>15</strong> Callaghan BC et al: The importance of rare subtypes in diagnosis and treatment of peripheral neuropathy: A Review. JAMA Neurol 2015; 72(12): 1510-8</p> </div> </p>
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