© Viacheslav Yakobchuk - stock.adobe.com

Viefältige Aufgaben und Möglichkeiten

Fachperson für neurophysiologische Diagnostik – Zukunftsperspektiven eines (noch) unterschätzten Berufes

Die Aufgaben der Fachperson für neurophysiologische Diagnostik (FND) haben sich in den letzten Jahren verändert. Dies geht zum einen mit den erweiterten Diagnostikmöglichkeiten und zum anderen mit dem gestiegenen Versorgungsbedarf von Menschen mit neurologisch relevanten Gesundheitsproblemen einher. Die Arbeit der FND setzt in den verschiedenen Einsatzorten jedoch unterschiedliche Kompetenzlevels voraus. Daraus erwachsen verschiedene Konsequenzen für die Ausbildung und den Praxiseinsatz von FND. Dies soll zunächst an drei Beispielen verdeutlicht werden.

Drei unterschiedliche Fachpersonen

Kathi Schweizer arbeitet als ausgebildete FND mit 8 Jahren Berufserfahrung in einem grossen Zentrumsspital. Zu ihren Aufgaben gehört es, auf Delegation selbstständig Elektroenzephalogramme (EEGs) durchzuführen, somatosensorische evozierte Potenziale (SSEPs) sowie visuell (VEPs) oder motorisch evozierte Potenziale (MEPs) abzuleiten. Ihr Einsatzort reicht dabei von der Notfallstation über die Intensivstation bis zum Neuro-Ambulatorium. Auch das Spektrum der Patient:innen ist gross und umfasst Menschen mit akutem unklarem Verwirrtheitszustand (Delir), reanimierte Patient:innen, die nicht wieder erwacht sind, bis zu Patient:innen mit Verdacht auf Multiple Sklerose oder Rückenmarkerkrankungen. Kathi Schweizer betreut auch das stationäre Langzeit-Video-EEG bei Patient:innen, die wegen unklarer Anfallsereignisse oder der Frage nach chirurgischen Therapieoptionen einer medikamentös nicht behandelbaren Epilepsie über mehrere Tage abgeklärt werden. Dazwischen übernehmen sie und ihre Teamkolleg:innen das intraoperative Monitoring (IOM) der neurochirurgischen Rückenmarks- und Gehirnoperationen, das in den modernen Operationssälen mittlerweile zum Standard gehört.

Beatrice Wernli arbeitet als Medizinische Praxisassistentin (MPA) in einer kleinen neurologischen Praxis. Dort übernimmt sie vielfältige administrative Aufgaben, z.B. die Bedienung des Telefons, die Annahme von Patient:innen, die Triage von Zuweisungen, die Führung der Agenda, die Warenwirtschaft und die Kontrolle des Rechnungswesens. Mehrmals pro Woche führt sie zusätzlich EEGs, SSEPs oder VEPs bei ambulanten Patient:innen durch, die bei den Untersuchungen motiviert mitmachen.

Stefan Romano wiederum absolviert den berufsbegleitenden FND-Lehrgang parallel zu seiner Arbeit in einer grossen schlafmedizinischen Praxis. Dort legt er das EEG zusammen mit den Atmungs-, Bewegungs- und Herz-Sensoren für die Polysomnografien bei den Patient:innen an und überwacht dies während der verschiedenen Schlaftests.

Was bedeutet das?

Alle drei Fachpersonen – Kathi Schweizer, Beatrice Wernli und Stefano Romano – sind unverzichtbare Mitarbeitende in ihren Funktionen. Allerdings unterscheiden sie sich in Bezug auf ihre stark voneinander abweichenden Schwerpunkte und die dazu nötigen Kompetenzniveaus. Im ersten Beispiel arbeitet die FND ausschliesslich neurophysiologisch und führt ein breites Spektrum an Untersuchungen, auch unter herausfordernden Bedingungen, selbstständig durch. Der Schwerpunkt der Tätigkeit im zweiten Beispiel liegt in der Praxisorganisation und -administration mit einem geringeren Anteil an einfacheren elektrophysiologischen Untersuchungen. Im letzten Fall wiederum ist die FND spezialisiert in Schlafuntersuchungen. Gemeinsam ist allen dreien, dass die Untersuchungen mit hoher fachlicher Qualität durchgeführt werden. Zum einen sind die Untersuchungen und ihre Ergebnisse mit zum Teil erheblichen Konsequenzen für die Patient:innen verbunden. Zum anderen muss das diagnostische Handeln auch juristischen Anforderungen genügen. Denn die Untersuchungen sind beispielsweise relevant für die Beurteilung der Fahreignung, der Arbeitsfähigkeit oder für die Lebensprognose der Betroffenen.

Der berufsbegleitende Lehrgang zur FND wurde ab 2010 mit viel persönlichem Engagement vom Verein Neurophysiologie-Lehrgang (V-N-L) nebenamtlich aufgebaut. So hat sich insbesondere für die Weiterbildung von Fachpersonen mit dem Tätigkeitsprofil von Kathi Schweizer bewährt. Die Gesellschaften, die das Gros der schweizerischen Neurolog:innen repräsentieren und für die die FNDs mehrheitlich arbeiten – namentlich die SNG und SGKN mit jeweils gegen 1000 Mitglieder – haben grosses Interesse und Bedarf an Personen mit diesem Berufsprofil.

Zum 10-jährigen Bestehen der eidgenössischen Berufsprüfung für Fachpersonen für Neurophysiologische Diagnostik (FND) hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) 2021 eine Überarbeitung des Bildungskatalogs der FND-Weiterbildung eingefordert, welche mit vereinten Kräften in Angriff genommen und im Sommer 2023 abgeschlossen wurde. Die «Trägerschaft Berufsprüfung FND» ist das inhaltlich verantwortliche Organ, das sich aus Delegierten des Schweizerischen Fachverbands für Neurophysiologische Diagnostik (SFND), des Vereins Neurophysiologie-Lehrgang (V-N-L), der Schweizerischen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (SGKN), der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft (SNG), der Schweizerischen Gesellschaft für Neuropädiatrie (SGNP), der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie (SGSSC) zusammensetzt.

Der Lehrgang zur Eidgenössischen Berufsprüfung FND wird durch den V-N-L berufsbegleitend in 450 Lektionen innerhalb von 17 Monaten unterrichtet und kostet CHF 11090.– (für SFND-Mitglieder CHF 8450.–), die fast ausschliesslich von den Arbeitgebenden nachträglich übernommen werden. Die Kandidat:innen müssen dafür von der Arbeit freigestellt werden. Es besteht die Möglichkeit, im Nachhinein Bundesbeiträge zu beantragen, die 50 Prozent der Kosten zurückerstatten (sogenannte Subjektfinanzierung), was den Preis auf CHF 5545.– reduziert (SBFI, n.d). Diese Unterstützung ist jedoch zukünftig an die Bedingung geknüpft, dass der FND-Lehrgang in mehreren Landessprachen abgehalten wird.

Zurzeit gibt es verschiedene systeminterne, organisationelle oder konzeptionelle Schwierigkeiten, die die Weiterentwicklung des Berufes der FND behindern.

Interessen- und Profilunterschiede innerhalb der EEG-Fachkräfte:

Grössere Spitäler mit Notfallambulanz, Intensivstation, Neurochirugie oder Epilepsiespezialisierung zeigen grossen Bedarf an ausgebildeten FNDs. Dort werden sie für die Durchführung eines breiten Spektrums neurophysiologischer Diagnostik auch bei bewusstseinsgestörten, frischoperierten oder schwerkranken Patient:innen benötigt (Kathi Schweizer). Für neurologische Praxen, die vorwiegend Routinekontrollen vornehmen, ist die umfassende FND-Ausbildung hingegen eher überdimensioniert (Beatrice Wernli). Eine gezielte Grundausbildung für die Kernuntersuchungen EEG, SSEPs und VEPs unter einfacheren Bedingungen wird benötigt, aber bisher nicht strukturiert angeboten. Für die Schlafkliniken wiederum ist eine Expertise in den verschiedensten Schlafuntersuchungen notwendig (Stefan Romano), wie sie im Rahmen der Berufsprüfung vermittelt werden.

Ungünstige Marktsituation

Es gibt einen grossen Mangel an geeigneten Fachkräften der drei dargestellten Berufsprofile. Im Rahmen des vollständig nebenamtlich, durch den V-N-L geführten Lehrgangs konnten bis 2023 alle zwei Jahre nur 30 Kandidat:innen primär mit dem Profil von Kathi Schweizer oder Stefan Romano weitergebildet werden. Dies reicht jedoch bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Ab 2024 sollen jährlich immerhin 30 Kandidat:innen ausgebildet werden. Dies dürfte jedoch angesichts des steigenden Bedarfs in einem wachsenden Fachgebiet immer noch knapp ausfallen. Das IOM und die Schlafabklärungen sind ein wachsendes Feld. Personelle Engpässe führen in den Akutkliniken und Schlafpraxen zu einer Überlastung des bestehenden Personals, was die Gefahr birgt, dass diese Personen in allgemeine neurologische Praxen wechseln. Hier können die Fachpersonen jedoch ihr Wissen, das sie mit dem Lehrgang erworben haben, nur begrenzt einsetzen. Eine attraktivere Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Löhne im Spital ist notwendig, um diese Abwanderung zu verhindern. Denn im privaten ambulanten Sektor können unserer eigenen Erfahrung nach einige der FND einen vierstellig höheren Lohn verhandeln.

Regionale Unterschiede in der Aus- und Weiterbildung

In der Romandie und in Grenzregionen arbeiten viele ausländische Fachkräfte (die Ausbildung in Frankreich, Italien, Portugal und Deutschland ist hochwertig), insbesondere in der Romandie, aber auch viele angelernte Fachkräfte ohne formale Ausbildung. Die Anerkennung ausländischer Ausbildungen und eine bessere Gehaltssituation sind hier zentrale Anliegen. Der Dachverband SFND ist in der Romandie kaum bekannt, und die angebotenen Weiterbildungen werden nicht ausreichend besucht («Röstigraben-Effekt»). Der jährliche Vereinsbeitrag von CHF150.–wird als zu hoch empfunden. Der komplett übersetzte und organisierte FND-Lehrgang konnte aufgrund fehlender Anmeldungen im letzten Moment nicht durchgeführt werden. Das fehlende Interesse am FND-Lehrgang in der Romandie gefährdet gleichzeitig die finanzielle Unterstützung durch die Bundesbeiträge (www.meldeliste.ch), da aufgrund der Forderung des SFBI diese 50-Prozent-Unterstützung an die Durchführung des FND-Lehrgangs in mindestens zwei Landessprachen gebunden ist (Deutsch und Französisch).

Mögliche Lösungen für die Weiterbildung

Die SGKN und SNG unterstützen eine starke FND-Weiterbildung, um die Qualität der auch juristisch relevanten neurophysiologischen Untersuchungen zu gewährleisten, hängen doch wie zuvor dargelegt medizinische Entscheidungen wie Aufhebung der Fahreignung, Therapierückzug nach Reanimation oder Arbeitsunfähigkeit von ihren Befunden ab. Eine mögliche Lösung sehen die beiden Gesellschaften in einer modularen, zweistufigen Weiterbildungsstruktur, die eine Basisdiagnostik-Weiterbildung für Praxisassistent:innen und eine darauf aufbauende Weiterbildung für komplexere Aufgaben im Spital oder in der Schlafmedizin umfasst.

Dieser mehrstufige Aufbau der Weiterbildung würde allen Beteiligten gerecht:
  • Absolvent:innen der ersten Stufe könnten mit vertretbarem Aufwand qualitativ hochwertige Untersuchungen innerhalb des Tätigkeitsprofils von Beatrice Wernli durchführen und bei Interesse darauf aufbauend die vollständige FND-Weiterbildung absolvieren.

  • Absolvent:innen der zweiten Stufe für das Tätigkeitsprofil von Kathi Schweizer und Stefano Romano profitieren direkt von der vollständigen Ausbildung, da dadurch die Komplexität ihrer Aufgaben besser widergespiegelt und aufgewertet werden; dies könnte mit besseren Gehaltsaussichten einhergehen.

  • Praxen würden von spezifisch ausgebildeten Mitarbeitenden profitieren, die neben ihrer organisatorischen Arbeit relevante Untersuchungen mit auch juristischer Bedeutung fachlich korrekt durchführen können.

  • Spitäler und Schlaflabore könnten ihren Personalbedarf an FNDs besser decken und hätten mit der Basis-Weiterbildung einen neuen Weg der Rekrutierung für potenzielle FNDs, der bisher vor allem zulasten der ebenfalls knappen hauseigenen Pflegefachpersonen geht.

Eine organisatorische Unterstützung der FND-Weiterbildung durch bestehende grosse Bildungseinrichtungen für Gesundheitsberufe ist ebenfalls wünschenswert (entsprechendes Interesse wurde bereits signalisiert), wobei dort durch die interprofessionelle Vernetzung mit anderen Lehrgängen ebenfalls eine verbesserte Visibilität des Berufsbildes der FND entstehen würde. Die Entlastung würde dann wiederum den heutigen Lehrpersonen des FND-Lehrganges zugutekommen, die ihre Fachkompetenz vermehrt in die Lehre beider Stufen einbringen könnten, ohne sich gleichzeitig um die Organisation und Vermarktung des Lehrgangs kümmern zu müssen. Das ist unserer Meinung nach die Zukunft, die es zu schaffen und gestalten gilt, um dem aktuell bestehenden Fachkräftemangel zu begegnen.

Danksagung und Autorenhinweise

Wir danken Frau Prof. Dr. Elke Steudter, Zürich, und Frau Beatrice Wessner, Präsidium des Schweizerischen Fachverbands für Neurophysiologische Diagnostik (SFND), ganz herzlich für fruchtbare Diskussionen und engagierte Durchsicht des Manuskripts.

Markus Gschwind – im Namen des Vorstandes der Schweizerischen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (SGKN) und als Delegierter der Trägerschaft Berufsprüfung FND.

Silke Biethahn – im Namen des Vorstands der Schweizerischen Gesellschaft für Neurologie (SNG) und als Delegierte der Trägerschaft Berufsprüfung FND.

SBFI (2021). Fachfrau für neurophysiologische Diagnostik mit eidgenössischem Fachausweis, Fachmann für neurophysiologische Diagnostik mit eidgenössischem Fachausweis. https://www.becc.admin.ch/becc/public/bvz/beruf/show/33551 (5.7.2024) SBFI (n.d.). Bundesbeiträge für Kurse, die auf eidgenössische Prüfungen vorbereiten https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/bwb/hbb/bundesbeitraege.html (5.7.24)

Back to top