Kommentar von Prof. Dr. med. Tobias Derfuss

<p class="article-intro">Bei der Behandlung der Multiplen Sklerose gab es in den letzten Jahren deutliche Fortschritte. Besonders für die schubförmige Verlaufsform konnten viele neue und sehr effektive Therapien etabliert werden. Im letzten Jahr konnte auch die erste Therapie für die primär progrediente MS zugelassen werden. Diese Therapien eröffnen Patienten und behandelnden Neurologen neue Möglichkeiten, die entzündliche Komponente der Erkrankung langfristig zu kontrollieren. Erste Analysen aus Patientenregistern zeigen bereits, dass diese Kontrolle der entzündlichen Aktivität mit einer reduzierten Behinderungsprogression und einem verminderten Übergang in die sekundär progrediente Verlaufsform einhergeht.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Mit diesen neuen Therapien kam es aber auch zu neuen und teilweise schweren Nebenwirkungen, die den Einsatz der Medikamente teilweise einschr&auml;nken. Ein aktuelles Beispiel daf&uuml;r ist der monoklonale Antik&ouml;rper Daclizumab (Zinbryta<sup>&reg;</sup>), der aufgrund autoimmuner Nebenwirkungen im Bereich der Haut, der Leber, des Darms und des Gehirns vom Markt genommen wurde. Es ist deshalb essenziell, bei der Wahl einer Therapie eine sorgf&auml;ltige Nutzen-Risiko-Analyse f&uuml;r den individuellen Patienten durchzuf&uuml;hren und einem klar definierten Risk-Management- Plan zu folgen, der den verschiedenen Therapien angepasst ist. Neben diesen medizinischen Faktoren sind aufgrund der hohen Kosten der MS-Therapien aber auch gesundheits&ouml;konomische Aspekte zu beachten. Der europ&auml;ische Raum ist sehr heterogen hinsichtlich der verschiedenen Gesundheitssysteme in den unterschiedlichen L&auml;ndern. Auch wenn es mit der EMA und der Swissmedic in Europa nur zwei gibt, ist die Umsetzung der Medikamentenzulassung in den einzelnen L&auml;ndern sehr unterschiedlich. Haupts&auml;chlich getrieben durch &ouml;konomische Aspekte haben Patienten in vielen europ&auml;ischen L&auml;ndern nicht den Zugang zu MS-Medikamenten, wie er in den Zulassungsrichtlinien festgelegt wurde. Nationale Gesundheitsbeh&ouml;rden haben zus&auml;tzliche H&uuml;rden sowohl f&uuml;r den Beginn als auch f&uuml;r die Fortsetzung von Therapien festgelegt, die weder evidenzbasiert sind noch allgemeiner medizinischer Praxis entsprechen. <br />Bisher fehlte eine gemeinsame europ&auml;ische Richtlinie f&uuml;r den Einsatz von MSTherapien, die nationalen Patientenvereinigungen und Neurologenverb&auml;nden die Basis f&uuml;r eine Argumentation mit den Gesundheitsbeh&ouml;rden liefert. Die beiden europ&auml;ischen Vereinigungen ECTRIMS und EAN haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, eine solche allgemein g&uuml;ltige und evidenzbasierte Richtlinie zu erstellen. ECTRIMS (European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis) ist eine europ&auml;ische Vereinigung, die den weltweit gr&ouml;ssten wissenschaftlichen Kongress zur MS veranstaltet, daneben aber auch Weiterbildungen f&uuml;r Neurologen und Forscher auf dem Gebiet der MS organisiert und Stipendien f&uuml;r Neurologen und Forscher vergibt. Die EAN (European Academy of Neurology) ist die europ&auml;ische Vereinigung von Neurologen, die alle Spezialdisziplinen der Neurologie vertritt. Ein Panel von 27 europ&auml;ischen Experten, die gemeinsam von ECTRIMS und EAN ausgew&auml;hlt wurden, und auch Vertreter der MS International Federation (MSIF) und der europ&auml;ischen Patientenvereinigung European Multiple Sclerosis Platform (EMSP) kamen im Rahmen des ECTRIMS-Kongresses zusammen, um diese Richtlinie zu erstellen. <br />Eine umfangreiche Literaturrecherche hat, basierend auf dem GRADE-System, die verschiedenen Empfehlungen der Richtlinie anhand ihrer wissenschaftlichen Evidenz gewichtet. Basierend auf 10 praxisrelevanten Fragen wurden 20 Empfehlungen mit unterschiedlichen Graden an Evidenz abgegeben. Die Fragen behandeln die Themenkomplexe fr&uuml;her Beginn der Behandlung im Stadium des klinisch isolierten Syndroms, Behandlung von Patienten mit schubf&ouml;rmiger und progredienter MS, Therapiestrategien bei inad&auml;quatem Therapieansprechen sowie Therapieumstellungen und Therapievorschl&auml;ge f&uuml;r besondere Situationen wie z.B. Schwangerschaft. Auch wenn nicht f&uuml;r alle Empfehlungen &ndash; aufgrund fehlender Studien &ndash; ein hoher Evidenzgrad erreicht wurde, spiegelt die Richtlinie doch aufgrund des Konsensus von vielen europ&auml;ischen MS-Zentren den aktuellen Therapiestandard wider, der Grundlage der MSBehandlung in allen europ&auml;ischen L&auml;ndern sein sollte. <br />Mit dieser Richtlinie ist die Hoffnung verbunden, dass Neurologen MS-Patienten eine optimale Therapie anbieten, die an die individuellen Patientencharakteristika angepasst ist und in Abh&auml;ngigkeit von m&ouml;glichen Nebenwirkungen und vom Therapieansprechen konsequent optimiert wird. Daf&uuml;r ist es notwendig, dass Patienten sowohl klinisch als auch mit MRI und Blutuntersuchungen ad&auml;quat monitoriert werden. Zudem sollte diese Therapierichtlinie dabei helfen, Patienten in allen Regionen Europas den Zugang zu den zugelassenen Therapien zu erleichtern. Nur dadurch kann gew&auml;hrleistet werden, dass Patienten von dem medizinischen Fortschritt auf dem Gebiet der MS auch wirklich profitieren.</p> <p>Lesen sie auch: <a href="1000000215">Umfangreiche Richtlinie f&uuml;r MS-Therapie ver&ouml;ffentlicht</a></p></p>
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