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Motor-kognitives Training unter inspiratorischer Hypoxie
Autor:innen:
Prof. Dr. med. Dr. med. vet. Hannelore Ehrenreich1,2
Svea-Solveig Mennen1
Maren Franta1
Jonathan-Alexis Cortés-Silva1
Martin Hindermann1
Dr. Johannes Burtscher3
1Klinische Neurowissenschaften
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
City Campus, Göttingen
2Georg-August-Universität, Göttingen
3Institut für Sportwissenschaften, Universität Lausanne
Korrespondierende Autorin:
Prof. Dr. med. Dr. med. vet. Hannelore Ehrenreich
E-Mail: hannelore.ehrenreich@web.de
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Körperliche Aktivität und kognitive Herausforderungen sind anerkannte Methoden, um die Hirnfunktion bei Patienten und Gesunden zu verbessern. Die Mechanismen, die diesem therapeutischen Instrument zugrunde liegen, sind unklar. Möglicherweise ist endogene physiologische Hypoxie ein wichtiger Mechanismus, der die Plastizität des Hippocampus reguliert.
Keypoints
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Motor-kognitives Training unter inspiratorischer Hypoxie (12% O2) für täglich 3,5 Stunden über 3 Wochen wird sehr gut vertragen.
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Es zeigen sich erste diskrete Hinweise auf Steigerung des Wohlbefindens sowie Verbesserung von Kognition, körperlicher Fitness und Psychopathologie.
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Um klare Aussagen zum «Add-on»-Wert von Hypoxie machen zu können, ist jedoch die geplante einfach verblindete Studie nötig.
Hypoxie wird zunehmend anerkannt als wichtiger physiologischer Mediator. Ein spezifisches Transkriptionsprogramm, induziert durch einen Abfall der Sauerstoffverfügbarkeit, beispielsweise durch inspiratorische hypobare Hypoxie in grosser Höhe, erlaubt es Zellen auch im Gehirn, sich an erniedrigte Sauerstoffkonzentrationen und einen dadurch reduzierten Energiemetabolismus zu adaptieren. Dieses Transkriptionsprogramm wird teilweise kontrolliert von sogenannten Hypoxie-induzierbaren Faktoren (HIF) und den dazugehörigen Prolylhydroxylasen, welche bei Säugetieren als Sauerstofffühler wirken. Bemerkenswert ist, dass das gleiche Transkriptionsprogramm im Gehirn – ebenfalls von HIF kontrolliert – durch intensive motor-kognitive Aufgaben induziert wird, welche zu einer relativen Reduktion der Sauerstoffzufuhr im Verhältnis zum akut erhöhten Bedarf führen.
Funktionelle Hypoxie
Wir haben den Begriff «funktionelle Hypoxie» für diese zentrale, anforderungsabhängige Verminderung der Sauerstoffverfügbarkeit geprägt.1–4 Funktionelle Hypoxie erscheint kritisch wichtig für eine anhaltende Adaptation an höhere physiologische Anforderungen zu sein, indem sie ein substanzielles «brain hardware upgrade» bewirkt (z.B. mehr neue Nervenzellen und mehr Nervenzellfortsätze), welches wiederum Grundlage einer verbesserten Hirnleistung ist. Durch die Hypoxie hochreguliertes Erythropoetin (EPO) im Gehirn spielt vermutlich eine entscheidende Rolle bei diesen Prozessen, welche durch Behandlung mit rekombinantem humanem EPO (rhEPO) imitiert werden.1
HIF/Prolylhydroxylasen und ADO, ein neuer Player
Neben HIF/Prolylhydroxylasen gibt es auch andere Mediatoren des Hypoxie-induzierten Transkriptionsprogramms. Interessanterweise wurde vom Team um Sir Peter Ratcliffe, welcher 2019 zusammen mit W.G. Kaelin und G.L. Semenza den Nobelpreis für seine Arbeiten zu zellulären Reaktionen auf Hypoxie erhielt, kürzlich ein weiteres sehr interessantes Hypoxie-responsives Enzym identifiziert, nämlich eine Thiol-Oxidase, bezeichnet als Cysteamin(2-Aminoethanethiol)-Dioxygenase(ADO).5 ADO modifiziert N-Cys-Reste, um direkten, sauerstoffregulierten, proteolytischen Abbau von Signalmolekülen zu erreichen. Die Tatsache, dass ADO direkt auf die Proteinstabilität von Signalmolekülen einwirkt, legt nahe, dass dadurch eine viel raschere Hypoxieantwort erreicht wird als durch HIF/Prolylhydroxylasen. ADO reguliert beispielsweise RGS4- und RGS5(«regulators of G protein signaling»)-N-Degron-Substrate, moduliert G-Protein-gekoppelte Kalziumsignale und Mitogen-aktivierte Protein-Kinase (MAPK). RGS4 und RGS5 sind andererseits auch durch HIF induzierbare Transkripte. Daraus lässt sich schliessen, dass beide Systeme, ADO und HIF, in der Hypoxiereaktion eng und zeitlich versetzt zusammenwirken. ADO kommt im Körper zwar ubiquitär vor, wird jedoch wohl am stärksten im Gehirn exprimiert.6 Zu ADO und Hypoxie gibt es bislang nur wenige Veröffentlichungen. Insbesondere gibt es noch keine Studien, welche die Konsequenzen eines Fehlens von ADO (ADO-Knockout-Mäuse) auf basales und komplexes Verhalten sowie kognitive Leistung untersucht haben. Dieses Wissen ist jedoch zum Verständnis der verschiedenen Elemente der Hypoxieantwort und später für deren therapeutische Einsatzmöglichkeiten essenziell und von höchster Relevanz für die Translation zum Menschen. Daher versuchen wir, in Kooperation mit Sir Peter Ratcliffe, diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Derzeit findet bei uns eine Hypoxiestudie mit gesunden Probanden und neuropsychiatrischen Patienten (siehe unten und Review: Burtscher et al. 2022)7 statt, in deren Rahmen auch ADO-Expression in Blutzellen untersucht werden wird. Rückschlüsse auf Hirnfunktionen sind in dieser Studie lediglich durch neuropsychologische Testungen und Leistungsmessungen zu ziehen, während bei ADO-Knockout-Mäusen auch die Gehirne histologisch und biochemisch untersucht werden können. Da ADO G-Protein-gekoppelte Rezeptoren/Pathways moduliert, gehen wir davon aus, dass ADO-Knockout-Mäuse Störungen von Neurotransmitterfunktionen unter Hypoxie und/oder Normoxie aufweisen, die sich wiederum bei der geplanten Charakterisierung der Tiere durch abnormes Verhalten im Vergleich zu den Wildtyp-Geschwistern zeigen sollten. Daraus dürften sich erste Schlussfolgerungen zur physiologischen Rolle von ADO unter Normoxie/Hypoxie ziehen lassen.
Klinische Pilotstudie zur Exploration von Verträglichkeit und Effizienz eines definierten Hypoxie-Trainings
Mit der momentan laufenden klinischen Pilotstudie zur Exploration von Verträglichkeit und möglichen Effekten eines definierten Hypoxie-Trainings bei gesunden Probanden und ersten Patienten bezüglich kognitiver Leistung und körperlicher Fitness (Akronym im bewilligten Ethikantrag: HYPOX-ADULT; Antragsnummer 36/3/23) erarbeiten wir eine Basis für die Ausnutzung moderater normobarer inspiratorischer plus funktioneller Hypoxie für die Behandlung von Menschen mit neuropsy- chiatrischen Erkrankungen.8 Das Pilotprojekt startete im Juni 2023. In diesem Artikel stellen wir vorläufige Resultate der Studie vor, die eine potenziell verbesserte Leistung durch motor-kognitives Training unter inspiratorischer Hypoxie untersucht.
Unsere Hypothese ist, dass täglich dreieinhalbstündiges motor-kognitives Training über drei Wochen bei moderater, normobarer Hypoxie zu einer anhaltenden Verbesserung der kognitiven Leistung und der körperlichen Fitness führt. Als einen entscheidenden Mediator dieser Verbesserung sehen wir das durch Hypoxie regulierte EPO-System im Gehirn. Das Hypoxie-Training beginnt jeweils bei 16% Sauerstoff («Landung auf der Zugspitze»); danach erfolgt ein Absenken innerhalb von ca. 60 Minuten auf 12% Sauerstoff (etwa entsprechend dem «Mont-Blanc-Plateau») – im Gegensatz zu Normoxie (21% Sauerstoff). Unsere Hypoxiekammer und deren Ausstattung für kognitives wie motorisches Training sind in Abbildung 1 dargestellt.
Abb. 1: Hypoxiekammer A Sicht mit Blick auf die Untersucher-/Beobachterarbeitsplätze ausserhalb der Kammer. Man beachte das Beobachtungsfenster, das allzeit einen Blick in die gesamte Kammer erlaubt (1,25 m2). B Panorama-Aufnahme der Kammer mit Geräten zum motor-kognitiven Training: Ergometer, Laufband mit grossem Videomonitor (Kino-App) zur Unterhaltung (beides HPCosmos Medizingeräte®) sowie drei Kognitionstrainingsplätzen (Happyneuron®) C Darstellung der Sicht vom Beobachterarbeitsplatz aus durch das Fenster in die Kammer D Maschinenraum im Keller; die Maschinen werden regelmässig durch Hersteller Hoehenbalance® und TÜV gewartet
Parallel zu unserer Studie läuft bei unseren Kooperationspartnern in Dänemark, Prof. Kamilla Miskowiak und ihrem Team, ein sehr ähnliches Projekt mit gesunden Probanden und Patienten mit Depression oder bipolarer Störung, sodass künftig eine Auswertung auch über zwei Zentren erfolgen kann.8
Bisher wurden insgesamt 13 Personen in unsere Studie eingeschlossen,12 Männer und eine Frau, Alter 26,2 ±5,7 Jahre, darunter 3 Patienten mit bekannter Depression. Zwei Männer brachen die Studie hypoxieunabhängig vorzeitig ab (grippaler Infekt; persönliche Gründe; also 2 Dropouts). Abbildung 2 zeigt von 10 Teilnehmern mit vollständigem Datensatz, beispielhaft für die Versuchstage 1, 4, und 20, den mittleren Verlauf der Sauerstoffsättigung mit Konfidenzintervall über die Zeit in der Kammer (wichtig: Tag 1 noch ohne körperliche Aktivität). Beim Vergleich der Kurven von Tag 4 versus Tag 20 wird an der gestrichelten schwarzen Hilfslinie (75% Sättigung) deutlich, dass unter motor-kognitivem Training eine sichtbare Adaptation an die Hypoxie erfolgt ist (Vergleich der 3 Zeitintervalle, definiert in Abbildung 2: p<0,04; p=0,06; p=0,002).
Abb. 2: Sauerstoffsättigung beispielhaft an Versuchstagen 1, 4 und 20; Verlauf der Sauerstoffsättigung (hier erhoben in 1-Minuten-Intervallen) über N=10 Probanden gemittelt (dunkelgrüne Kurve) und mit Darstellung des Konfidenzintervalls (hellgrüner Schatten um die Kurve). Die schwarze gestrichelte Hilfslinie verläuft bei 75% Sättigung. Der rote Pfeil zeigt den Beginn der standardisierten Toilettenpause an, wenn die Teilnehmer die Kammer für wenige Minuten verlassen. Präsentiert wird der ganze Zeitraum von 8:55–12:35 Uhr, also die Zeit in der Kammer mit je 5 Minuten vor dem Betreten und nach dem Verlassen. Die folgenden 3 Zeitintervalle an den Tagen 4 versus 20 werden verglichen: 9:00–10:00 Uhr (Kammereintritt bei 16% bis Erreichen von 12% O2); 10:00–11:00 Uhr (unter 12% bis zur Toilettenpause); 11:30–12:30 Uhr (30 Minuten nach Toilettenpause bis Verlassen der Kammer). Siehe p-Werte im Text
Ziel der laufenden Projektphase ist es, Verträglichkeit und Hinweise auf mögliche Effizienz durch Einschluss von 20 gesunden Probanden und ersten Patienten mit Depression, Autismus oder Schizophrenie zu überprüfen. Auf diese Phase wird dann in einigen Monaten die erste einfach verblindete Phase mit Einschluss von je 20 Probanden/Patienten für Hypoxie-Training versus Normoxie-Training folgen. Neben der Kontrolle der Verträglichkeit sind in beiden Phasen kognitive Leistung und körperliche Fitness vor versus nach den drei Wochen Hypoxie-/Normoxie-Training die wichtigsten explorativen Endpunkte sowie bei Patienten der Grad der allgemeinen und spezifischen Psychopathologie. Darüber hinaus werden über ein ausgedehntes professionelles Online-Monitoring (Datico Sport & Health GmbH, Burghausen, Deutschland) während der drei Trainingswochen kontinuierlich körperliche und kognitive Leistungsdaten, Trainingsintensität sowie verschiedene Vitalparameter erhoben, welche letztlich weitreichende strukturierte Analysen erlauben werden.
Abbildung 3 veranschaulicht die sehr gute Verträglichkeit und gibt erste diskrete Hinweise auf eine mögliche Effizienz des Hypoxie-Trainings. Zusätzlich zu diesen ausgewählten Parametern ergaben sich beim Vergleich vor (100%) und nach 3 Wochen Hypoxie-Training bereits Anzeichen für eine Verbesserung der körperlichen Fitness (Mittelwert der prozentualen Änderung vom individuellen Ausgangswert), nämlich für TTE («time to exhaustion», p=0,004) und VO2max ([ml/min] = 300+12 *Watt, p=0,02).9 Wie in der Literatur beschrieben,10 finden wir auch erste Anhaltspunkte für eine Absenkung des systolischen wie des diastolischen Blutdrucks, insbesondere bei vorbestehender Hypertonie. Betont werden muss, dass es sich bei den hier präsentierten Daten zwar um vielversprechende, jedoch nur sehr vorläufige Ergebnisse mit einer kleinen Zahl an Teilnehmern handelt. Ausserdem wird es erst nach Abschluss der verblindeten Phase möglich sein, abzuschätzen, welchen Beitrag neben dem Training die Hypoxie leistet.
Abb. 3: Verträglichkeit und Hinweise auf Effizienz des Hypoxie-Trainings. A Allgemeines Wohlbefinden auf einer Skala von 0–10. Die Abbildung zeigt N=11 Teilnehmer (cave: teilweise überlappende Kreise). Die Verbesserung vom ersten Tag vor dem Betreten bis zum letzten Tag nach dem Verlassen der Kammer erreicht Borderline-Signifikanz (p=0,054). B Symptome (MPIEM Hypoxia Score) auf einer Skala von 0–3. Präsentiert sind als individuelle Mittelwerte von N=11 Probanden die Scores aller Tage 1–21 unmittelbar vor Kammereintritt minus unmittelbar nach Kammeraustritt. Man beachte die gering ausgeprägte Symptomatik. C Mögliche Wirksamkeit bei Kognition: Verbaler Lern- & Merkfähigkeitstest (VLMT). Die Abbildung zeigt N=11 Teilnehmer (cave: teilweise überlappende Kreise). Die tendenzielle Verbesserung im VLMT (von der Voruntersuchung vor Beginn der Trainingswochen bis zur Nachuntersuchung danach) verfehlt bislang knapp die Signifikanz (p=0,18). D Verbesserung der Beck-Depressions-Inventar(BDI)-Werte. Die Abbildung zeigt die BDI-Werte von bislang N=3 depressiven Patienten von der Voruntersuchung vor Beginn der Trainingswochen bis zur Nachuntersuchung. Der individuelle Ausgangswert ist zur besseren Vergleichbarkeit wieder auf 100% gesetzt
Literatur:
1 Ehrenreich H et al.: Mol Psychiatry 2022; 27(5): 2372-9 2 Butt UJ et al.: Mol Psychiatry 2021; 26(6): 1790-807 3 Butt UJ et al.: Int J Mol Sci 2021; 22(6): 3164 4 Wakhloo D et al.: Nat Commun 2020; 11(1): 1313 5 Masson N et al.: Science 2019; 365(6448): 65-9 6 Dominy JE Jr et al.: J Biol Chem 2007; 282(35): 25189-98 7 Burtscher J et al.: Neurosci Biobehav Rev 2022; 138: 104718 8 Ehrenreich H et al.: Neuroprotection 2023; 1(1): 9-19 9 Rost R, Hollmann W: Belastungsuntersuchungen in der Praxis. Thieme 1982; ISBN: 3136269012 10 Panza GS et al.: Am J Respir Crit Care Med 2022; 205(8): 949-58
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