Die pädiatrische MS im Aufwind
Bericht:
Dr. med. Alexander Kretzschmar
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die pädiatrische MS (Paediatric-Onset MS; POMS) profitiert derzeit von den Fortschritten in der MRT-Diagnostik und der Biomarkerforschung in der MS im Erwachsenenalter (Adult-Onset MS; AOMS). Auch neue therapeutische Optionen sind in der klinischen Entwicklung. An der 9. gemeinsamen ACTRIMS-ECTRIMS-Jahrestagung in Mailandgab es ein Update zum Entwicklungsstand.
Prof. Barbara Korneck, Medizinische Universität Wien, beschäftigte sich mit Fortschritten in der POMS-Diagnostik. In der MR-Bildgebung gewinnt neben den empfohlenen Protokollen auch der Nachweis des zentralen Venenzeichens (ZVZ) sowie paramagnetischer Ringläsionen (PRL) im suszeptibilitätsgewichteten MRT als spezifisches Merkmal erhöhter Krankheitsaktivität einer POMS an Bedeutung.
In einer aktuellen Studie wurden 60 jugendliche ZVZ-positive POMS-Patient:innen (median 15,1 Jahre, EDSS 2,0) bis zu 5 Jahre nachverfolgt. Diese Kohorte zeigte nach 3 und 5 Jahren im Vergleich zu 96 ZVZ-negativen POMS-Patient:innen einen signifikant höheren EDSS (p=0,009) und eine signifikant höhere jährliche Schubrate (p=0,002). Signifikant mehr ZVZ-positive Patient:innen wurden mit krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT) behandelt als ZVZ-negative Patient:innen (p=0,0001). Trotzdem sank der EDSS in der ZVZ-negativen Kohorte, während er sich bei der ZVZ-positiven Kohorte nicht wesentlich veränderte.1
Auch bei der POMS ist man bestrebt, die Serum-Leichtkettenfilamente (NfL) fit für den Einsatz in der klinischen Praxis zu machen. Bei POMS-Patient:innen wurde gezeigt, dass die Höhe der sNfL mit der Anzahl der Läsionen im Gehirn und Rückenmark sowie der Schubrate korreliert. Zugleich arbeitet man daran, eine Referenz-Datenbank für sNfL-Normwerte auch für POMS-Patient:innen aufzubauen.2 Erste Studiendaten zeigen weiter, dass das sNfL auch ein Outcome-Prädiktor bei der pädiatrischen MOGAD (Myelin Oligodendrocyte Glycoprotein Antibody Disease) ist.3
Cave kognitive Defizite
Anders als bei der schubförmigen MS (RMS) erwachsener Patient:innen erfolgt die Akkumulation von Behinderung vor allem durch klinische Schübe mit inkompletter neurologischer Remission, weniger durch eine Progression unabhängig von der Schubaktivität (PIRA). Auffallend ist bei der POMS die hohe Schubfrequenz besonders zu Krankheitsbeginn. Problematisch ist auch die hohe Frequenz kognitiver Beeinträchtigungen, rund 30–50%. Defizite findet man besonders bei der Gedächtnisleistung, der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und der Aufmerksamkeit. Eine retrospektive Kohortenstudie ergab jetzt, dass sich frühe Defizite bei den Exekutivfunktionen im späteren Lebensalter kaum besserten.4 In einer italienischen Vergleichsstudie mit 119 Patient:innen mit POMS und 712 mit AOMS zeigte die POMS-Kohorte ein höheres Risiko für physische und kognitive Beeinträchtigungen über alle untersuchten Altersgruppen, so Korneck (Abb. 1).5 Insgesamt hat die pädiatrische MS eine schlechtere Prognose als die Erwachsenen-MS. Ein vergleichbarer Behinderungsgrad tritt im Schnitt zehn Jahre früher auf, und die Arbeitslosigkeit im Alter von 50 Jahren ist signifikant höher, bestätigte Prof. Tanuja Chitnis, Boston.
Abb. 1: Häufigkeit kognitiver Beeinträchtigungen (≥2 Domänen) bei Patient:innen mit POMS (Paediatric-Onset MS) und AOMS (Adult-Onset MS), korrigiert für Alter, Geschlecht, Krankheitsdauer und EDSS (mod. nach Ruano L et al. 2018)5
Hochwirksame DMT als Erstlinientherapie?
Angesichts der hohen initialen Krankheitsaktivität der POMS ist eine rasche Therapie obligat. Bislang sind für POMS-Patient:innen nur moderat wirksame krankheitsmodifizierende Therapien (MET) zugelassen. Inzwischen werden auch mehrere hochwirksame DMT (HET) in Phase-III-Studien in dieser Indikation untersucht. Dr. med. Nail Benallegue, Angers, stellte die Ergebnisse einer retrospektiven landesweiten französischen Beobachtungsstudie mit 530 POMS-Patient:innen vor. 422 wurden mit MET behandelt, 108 mit HET. Die HET-Kohorte hatte nach 2 Jahren ein um 54% niedrigeres Rückfallrisiko gegenüber der MET-Kohorte (adjustierte HR: 0,46; p<0,001). Auch die Krankheitsaktivität im MRT war unter HET nach 5 Jahren Follow-up signifikant niedriger (adjustierte OR: 0,34; p=0,001). In der MET-Kohorte war das Abbruchrisiko nach 2 Jahren um fast das 6-Fache höher als in der HET-Kohorte (HR: 5,97; 95% Konfidenzintervall [KI]: 2,92–12,20).6
Ebenfalls in Mailand vorgestellt wurde eine Analyse von 5499 Patient:innen aus dem MSBase- und dem italienischen MS-Register. Primärer Endpunkt war die Zeit der Behinderungsprogression bis zu verschiedenen EDSS-Behinderungsgraden von «vernachlässigbar» (EDSS 0–1,5) zu «minimal» (EDSS 2,0–2,5), «moderat» (EDSS 2,0–2,5) bis zu «deutlich» eingeschränkter Mobilität (EDSS ≥4,0) sowie der Transition in eine SPMS. In einem Markov-Modell wurde als Vergleich die natürliche MS-Progression modelliert, berichtete Dr. Sifat Sharmin, Melbourne. Die HET-Gruppe verzeichnete im Vergleich zur MET-Gruppe für jeden Anstieg der Behinderungsprogression um eine oder mehrere EDSS-Stufen ein niedrigeres tatsächliches Progressionsrisiko, als das Markov-Modell errechnete. Die Wirksamkeit der HET-Therapie war am grössten bei Patient:innen mit dem niedrigsten Baseline-EDSS (0–1,5). In dieser Kohorte konnte im späteren Therapieverlauf sogar ein leichter Rückgang der Behinderung erzielt werden. Sharmin sieht diese Daten als Beleg für den Einsatz von HET als initiale Therapie auch bei der POMS.7
Quelle:
Scientific Session 15: Paediatric MS – updates on diagnosis, prognosis and treatment, 9. ACTRIMS-ECTRIMS-Jahrestagung vom 10. bis 13. Oktober 2023 in Mailand
Literatur:
1 Menascu S et al.: Evaluating clinical correlation between disease progression and central vein sign in pediatric onset multiple sclerosis - an international study. ECTRIMS-ACTRIMS 2023; Poster P1076 2 Abdelhak A et al.: Serum neurofilament light chain reference database for individual application in paediatric care: a retrospective modelling and validation study. Lancet Neurol 2023; 22: 826-33 3 Levine J et al.: Serum neurofilament light chain as a clinical predictor of outcome in paediatric MOGAD. ECTRIMS-ACTRIMS 2023; Poster P1406 4 Hemingway C et al.: Cognitive impairment over time in paediatric onset multiple sclerosis. ECTRIMS-ACTRIMS 2023; Poster P1709 5 Ruano L et al.: Patients with paediatric-onset multiple sclerosis are at higher risk of cognitive impairment in adulthood: an Italian collaborative study. Mult Scler 2018; 24(9): 1234-42 6 Benallegue N et al.: Highly effective therapies as first-line treatments for pediatric onset multiple sclerosis in a French nationwide cohort. ECTRIMS-ACTRIMS 2023; Scientific Session 15; Abstract O0141 7 Sharmin S et al.: Effect of high-efficacy therapy on the course of disability in paediatric-onset multiple sclerosis. 9. ECTRIMS-ACTRIMS 2023; Scientific Session 15; Abstract O140
Das könnte Sie auch interessieren:
Diabetesmedikament könnte Parkinsonerkrankung bremsen
Ein Wirkstoff zur Diabetesbehandlung könnte möglicherweise auch bei Parkinson helfen – so das Ergebnis einer im April 2024 im New England Journal of Medicine veröffentlichten klinischen ...
Bringt die Genforschung den Durchbruch für die Parkinsontherapie?
Die Parkinsonkrankheit ist eine komplexe Erkrankung mit einer Vielfalt an Symptomen und Verläufen und kann dievielfältige Ursachen haben. Seit etwa 25 Jahren ist bekannt, dass auch ...
Die fünf wichtigsten Forschungsergebnisse
Die Multiple-Sklerose-Forschung ist heute so aktiv wie nie zuvor. Die fünf vielleicht wichtigsten Neuigkeiten hat Univ.-Prof. Dr. Sven Meuth, Leiter der Klinik für Neurologie am ...