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Schlafstörungen bei Älteren

Nachts aktiv, tagsüber müde

<p class="article-intro">Ältere Menschen leiden häufiger als jüngere unter Schlafstörungen. Vor der Therapie muss man abklären, ob es sich wirklich um «echte» Schlafstörungen handelt. Wir haben Experten gefragt, warum es im Alter zu einer veränderten Schlafarchitektur kommt, warum diese besonders bei Menschen mit Demenz so ausgeprägt sein kann und wie man die Schlafprobleme am besten behandelt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das Geschlurfe nervt. Die alte Dame in der Wohnung &uuml;ber einem findet wieder mal keine Ruhe. Hin und her geht es, in die K&uuml;che, ins Bad, die Sp&uuml;lung l&auml;uft, dann f&auml;llt ihr ein Buch herunter &ndash; an Schlaf kann man selbst auch kaum noch denken. Pr&auml;senile Bettflucht, so sagt man oft, weil &auml;ltere Menschen offenbar weniger Schlaf brauchen. &laquo;Mit zunehmendem Alter nimmt das Schlafbed&uuml;rfnis tats&auml;chlich ab, aber nicht so dramatisch, wie der Begriff Bettflucht suggeriert&raquo;, sagt jedoch Prof. Dr. med. Christian Baumann, Leitender Arzt und Abteilungsleiter des Schlaflabors in der Klinik f&uuml;r Neurologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich. &laquo;Eine Schlafdauer von sieben Stunden ist mit sechzig bis siebzig Jahren durchaus normal.&raquo; Die individuelle Schlafdauer sei nicht nur im jungen Alter von Mensch zu Mensch unterschiedlich, sondern auch im Alter, best&auml;tigt PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Hemmeter, Leiter des Fachbereichs Geronto&shy;psychiatrie an den Kantonalen Psychiatrischen Diensten in St. Gallen, Sektor Nord. Manche &auml;ltere Menschen k&auml;men mit f&uuml;nf Stunden Schlaf aus, andere brauchten acht oder gar neun. &laquo;Aber etwas am Begriff Bettflucht stimmt schon&raquo;, sagt Baumann, &laquo;&Auml;ltere leiden h&auml;ufiger als J&uuml;ngere unter Schlafst&ouml;rungen.&raquo; 57 % der &Auml;lteren, so zeigte die US-amerikanische EPESE-Studie, haben mindestens eine chronische Schlafst&ouml;rung.<sup>1</sup> Die Gr&uuml;nde sind vielf&auml;ltig: &Auml;ltere leiden h&auml;ufiger unter chronischen Schmerzen, die sie nicht einschlafen oder nachts aufwachen lassen, zum Beispiel wegen diabetischer Neuropathie, Tumoren oder chronischen Arthritiden.<sup>2&ndash;4</sup> Auch diverse internistische Krankheiten k&ouml;nnen bei &auml;lteren Menschen h&auml;ufiger zu Schlafst&ouml;rungen f&uuml;hren, wie chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen, Schlafapnoe-Syndrom, Asthma, Angina pectoris oder Herzinsuffizienz. &laquo;Hinzu kommt die Polymedikation &auml;lterer Menschen, die oftmals mit Schlafst&ouml;rungen einhergeht&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Robert Perneczky, Leiter der Sektion Gerontopsychiatrie und des Alzheimer-Ged&auml;chtniszentrums an der Ludwig-Maximilians-Universit&auml;t M&uuml;nchen. Viele neurologische und psychiatrische Krankheiten des &auml;lteren Menschen k&ouml;nnen auch den Schlaf st&ouml;ren, etwa Parkinson, Depressionen, Demenz oder Zust&auml;nde nach einem Schlaganfall.</p> <h2>K&uuml;rzerer REM-Schlaf</h2> <p>Bevor man aber die Diagnose Schlafst&ouml;rung stellt, muss man abkl&auml;ren, ob der Betroffene wirklich eine Schlafst&ouml;rung hat. &laquo;H&auml;ufig haben &auml;ltere Menschen das Gef&uuml;hl, sie w&uuml;rden zu wenig oder nicht so gut schlafen&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Peter Young, Direktor der Klinik f&uuml;r Schlafmedizin und Neuromuskul&auml;re Erkrankungen an der Universit&auml;t M&uuml;nster. &laquo;Zu einem gewissen Masse ist das aber normal, denn die Schlafarchitektur ver&auml;ndert sich mit dem Alter.&raquo; &Auml;ltere brauchen l&auml;nger, um einzuschlafen, schlafen etwas k&uuml;rzer und werden &ouml;fter nachts wach. Die Tiefschlafphasen und der REM-Schlaf sind k&uuml;rzer und die Non-REM-Phasen l&auml;nger. &Auml;ltere w&uuml;rden zudem oft fr&uuml;her zu Bett gehen als in j&uuml;ngerem Lebensalter, erz&auml;hlt Hemmeter, und w&uuml;rden dann dementsprechend fr&uuml;h aufwachen. &laquo;Ist jemand fr&uuml;her um 23 Uhr ins Bett gegangen, war er um 6 Uhr ausgeschlafen. Geht er jetzt schon um 21 Uhr schlafen, wacht er um 3 Uhr auf &ndash; das reicht ihm an Schlaf. Diese Menschen ben&ouml;tigen keine Einschlafmittel, sondern brauchen nur ihre Schlaf-wach-Zeiten umzustellen.&raquo;</p> <h2>Die Nacht zum Tage machen</h2> <p>Ein besonderes Problem ist die ver&auml;nderte Schlafarchitektur bei Menschen mit Demenz: Bei ihnen kann sich der Schlaf-wach-Rhythmus komplett umkehren. &laquo;Sie sind nachts total aktiv, laufen herum oder r&auml;umen im Zimmer herum&raquo;, erz&auml;hlt Hemmeter. &laquo;Und am Tag sind sie m&uuml;de, ziehen sich zur&uuml;ck und schlafen.&raquo; Das liege unter anderem daran, dass durch die Demenz auch Nervenzellen im Nucleus suprachiasmaticus zugrunde gehen, dem Bereich, der f&uuml;r die innere Uhr zust&auml;ndig ist. Typisch f&uuml;r die Demenzpatienten sei auch das &laquo;Sundowning&raquo;, erz&auml;hlt Perneczky. &laquo;Die Betroffenen werden vor allem gegen Abend unruhig und verhaltensauff&auml;llig.&raquo; Sie wandern nachts im Haus umher, was mit einem h&ouml;heren Risiko f&uuml;r St&uuml;rze verbunden ist, und st&ouml;ren den Schlaf der Angeh&ouml;rigen. Hinzu kommt, dass manche Menschen mit Demenz das Ausmass ihrer Schlafst&ouml;rung bagatellisieren. &laquo;Sie erinnern sich nicht, dass sie schlecht schlafen oder nachts unruhig und agitiert sind&raquo;, sagt Hemmeter. &laquo;Das kann Angeh&ouml;rige und Betreuer sehr belasten und bis zum Burnout gehen. Sie brauchen daher ebenfalls Unterst&uuml;tzung und Coaching.&raquo;</p> <p>Der Leidensdruck sei f&uuml;r viele Menschen mit Schlafst&ouml;rungen gross, vor allem auch weil sich einige Kollegen damit nicht richtig auskennen, sagt Young. &laquo;Es ist wichtig, sorgf&auml;ltig nach der Ursache zu suchen. Wir k&ouml;nnen zwar die Schlafst&ouml;rung nicht &lsaquo;wegmachen&rsaquo;, aber in den meisten F&auml;llen die Situation f&uuml;r den Betroffenen enorm verbessern.&raquo; 20 % der &auml;lteren Erwachsenen nahmen gem&auml;ss einer Umfrage der National Sleep Foundation in den USA<sup>5</sup> zumindest einige Tage in der Woche Schlafmittel, 11 % der Medikamente waren verschreibungspflichtig. 6 % der Befragten konsumierten Alkohol als Einschlafhilfe. &laquo;Bevor man Medikamente verschreibt, muss man die Ursache suchen und zu behandeln versuchen, etwa die richtigen Medikamente gegen eine Depression oder gegen das Restless-Legs-Syndrom&raquo;, sagt Young. &laquo;Und vor allem den Betroffenen &uuml;ber das physiologische Schlafverhalten im Alter aufkl&auml;ren und schlafhygienische Massnahmen erkl&auml;ren&raquo; (Tab. 1). Man sollte dem Betroffenen vorschlagen, den Tag-Nacht-Rhythmus gut zu strukturieren: Dreimal am Tag, am besten zur gleichen Zeit, essen, sich morgens und am Nachmittag k&ouml;rperlich bewegen, tags&uuml;ber mental stimulieren, etwa mit Gesellschaftsspielen, abends nicht zu fr&uuml;h ins Bett gehen und gegebenenfalls eine Lichttherapie am Abend ansetzen, um den Tag zu verl&auml;ngern.</p> <p>&nbsp;<img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Neuro_1702_Weblinks_s15.jpg" alt="" width="1418" height="784" /></p> <h2>Schlafmittel: niedrig dosiert, maximal 4 Wochen</h2> <p>Klassische Schlafmittel wie Benzodiazepine oder Benzodiazepinanaloga sind nur f&uuml;r einen kurzzeitigen Einsatz indiziert, also maximal vier Wochen. &laquo;Sie wirken zwar gut, haben aber ein hohes Abh&auml;ngigkeitspotential und die Wirkung l&auml;sst wegen des Gew&ouml;hnungseffektes rasch nach&raquo;, erkl&auml;rt Hemmeter. Ist eine l&auml;ngerfristige medikament&ouml;se Therapie notwendig, k&ouml;nnen schlafanstossende Antidepressiva und Antipsychotika eingesetzt werden. &laquo;Man muss aber immer Nutzen und Risiko abw&auml;gen.&raquo; So k&ouml;nne es sich zum Beispiel bei manchen Demenzpatienten durchaus lohnen, Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen, wenn sie dadurch besser schlafen und noch zu Hause betreut werden k&ouml;nnen. Trimipramin, Amitriptylin und Doxepin verursachen typischerweise starke anticholinerge Nebenwirkungen, w&auml;hrend Trazodon und Mirtazapin weniger anticholinerg wirken. Letztere unterdr&uuml;cken den REM-Schlaf im Gegensatz zu Amitriptylin und Doxepin kaum oder gar nicht, sodass man ein physiologisches Schlaf-EEG-Muster mit der nat&uuml;rlichen Abfolge von Non-REM/REM-Phasen erreichen kann. Gute klinische Erfahrungen werden auch mit atypischen Neuroleptika mit hypnotischer Wirkung wie Risperdal, Olanzapin oder Quetiapin gemacht, doch auch hier kann es zu therapielimitierenden Nebenwirkungen kommen. Manche Patienten profitieren von Melatonin-agonistisch wirksamen Substanzen wie Agomelatin und retardiertem Melatonin, wobei es hierzu noch nicht so viele Daten gibt. Bei Schlafst&ouml;rungen und Schmerzen k&ouml;nnen Antikonvulsiva wie Pregabalin oder Gabapentin helfen. &laquo;F&uuml;r alle Mittel gilt: Man sollte sie m&ouml;glichst niedrig dosieren und nur so lange wie n&ouml;tig geben&raquo;, r&auml;t Pernecky, &laquo;das heisst, man muss regelm&auml;ssig pr&uuml;fen, ob sie noch indiziert sind.&raquo; Bei leichteren Schlafst&ouml;rungen k&ouml;nnen pflanzliche Pr&auml;parate eingesetzt werden, obwohl es hierzu nur wenige evidenzbasierte Daten gibt. Am besten untersucht sind Melisse, Hopfen, Passionsblume und Baldrian. &laquo;Lehnt ein Patient klassische Medikamente ab oder vertr&auml;gt sie nicht, kann man das durchaus versuchen&raquo;, so Hemmeter. &laquo;Man muss aber wissen, dass der hypnotische Effekt geringer ist.&raquo; Auch bei &auml;lteren Menschen k&ouml;nnten Schlafst&ouml;rungen ganz gut behandelt werden, sagt der Psychiater. &laquo;Man braucht aber Geduld und muss sich mehr Zeit nehmen als bei J&uuml;ngeren.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>1 Foley DJ et al: Sleep 1995; 18: 425-32 2 O&rsquo;Donnell JF: Clin Cornerstone 2004; 6(Suppl 1D): S6-14 3 Stiefel F, Stagno D: CNS Drugs 2004; 18(5): 285-96 4 Theobald DE: Clin Cornerstone 2004; 6(Suppl 1D): S15-21 5 National Sleep Foundation. 2003 Sleep in America Poll. March 10, 2003 download unter: https://sleepfoundation.org/sleep-polls-data/sleep-in-america-poll/2003-sleep-and-aging. Letzter Aufruf 24.2.2017 6 S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafst&ouml;rungen der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): Somnologie 2009; 13: 4-160</p> </div> </p>
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