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Narkolepsie und andere zentrale Hypersomnolenzen
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Johannes Mathis
Universitäres Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum, Neurologische Universitätsklinik, Inselspital Bern<br> E-Mail: johannes.mathis@insel.ch<br> www.schlafmedizin.ch
30
Min. Lesezeit
01.11.2018
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<p class="article-intro">Tagesschläfrigkeit, Hypersomnie, Müdigkeit oder Erschöpfung sind häufige Symptome in der Praxis jedes Arztes. Für eine gezielte Therapie sind eine möglichst gute Differenzierung und genaue Diagnostik erforderlich. Nach dem Ausschluss internistischer und neurologischer Ursachen und dem polysomnografischen Ausschluss eines Schlafapnoe-Syndroms oder anderer Ursachen eines nicht erholsamen Schlafes bleibt schlussendlich die differenzialdiagnostisch schwierige Gruppe der zentralen Hypersomnolenzen, zu welchen nebst der Narkolepsie die idiopathische und die nichtorganische Hypersomnie gehören. Wegen der therapeutischen Konsequenzen müssen diese Ursachen so gut wie möglich unterschieden und auch vom banalen Schlafmanko und vom chronischen Erschöpfungssyndrom abgegrenzt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Neben vielen internistischen und neurologischen Ursachen von Schläfrigkeit bis Müdigkeit müssen sowohl die Ursachen eines nicht erholsamen Schlafes wie auch die Formen der zentralen Hypersomnolenzen abgeklärt werden.</li> <li>Die möglichst genaue Differenzierung der subjektiven Angaben von Schläfrigkeit, Hypersomnie bis Müdigkeit und Erschöpfbarkeit unterstützt wesentlich die gezielte Diagnostik.</li> <li>Die Abgrenzung der unterschiedlichen Ursachen innerhalb der zentralen Hypersomnolenzen hat therapeutische Konsequenzen.</li> </ul> </div> <h2>Terminologie</h2> <p>Die vom Patienten benützten Begriffe zu seinen Beschwerden wie «Tagesschläfrigkeit », «Hypersomnie», «Müdigkeit» oder «Erschöpfung» (Fatigue), werden selbst in der wissenschaftlichen Literatur uneinheitlich verwendet,<sup>1</sup> weshalb hier die Bedeutung einiger wichtiger Begriffe erklärt wird.<br /> Der englische Begriff» «hypersomnolence » wird in der ICSD(International Classification of Sleep Disorders)-3-Klassifikation<sup>2</sup> im Titel zum Kapitel «central disorders of hypersomnolence» verwendet, welches sowohl Krankheiten mit Tagesschläfrigkeit («excessive daytime sleepiness») als auch Krankheiten mit Hypersomnie im Sinne des verlängerten Schlafbedarfs pro 24 Stunden enthält.<br /> Der Begriff «Tagesschläfrigkeit» wird für den erhöhten Schlafdruck am Tag mit erhöhter Wahrscheinlichkeit des Einschlafens in passiven und eventuell sogar in aktiven Situationen verwendet. Im Gegensatz zu der Müdigkeit bessert sich die Schläfrigkeit in der Regel bei körperlichen Tätigkeiten. Eine Tagesschläfrigkeit widerspiegelt sich grundsätzlich in einem erhöhten Wert (>10/24 Punkte) im Epworth- Fragebogen<sup>3</sup> und in einer verkürzten mittleren Einschlaflatenz (<10 Minuten) im multiplen Schlaflatenztest (MSLT).<br /> Der Begriff «Hypersomnie» wird in erster Linie im Zusammenhang mit spezifischen Diagnosen wie «idiopathische» oder «nichtorganische Hypersomnie» verwendet. Auf Symptomebene sollte dieser Begriff nicht als Synonym für Tagesschläfrigkeit, sondern primär bei «verlängertem Schlafbedürfnis pro 24 Stunden» (>10 Stunden) benützt werden. Die beste Methode, um diese Beschwerde zu quantifizieren, ist die Polysomnografie (PSG) «ad libitum», bei welcher der Patient ausschlafen darf.<br /> Der Begriff «Müdigkeit» wird für das Gefühl einer ausgeprägten Energielosigkeit und fehlender Initiative verwendet, welches bei mentalen, aber auch bei körperlichen Tätigkeiten noch zunimmt. Der Epworth-Score ist normal oder leicht erhöht, die Einschlaflatenz im MSLT meistens normal (>10 Minuten), der Fatigue- Score<sup>4</sup> aber deutlich erhöht.<br /> Der Begriff «Erschöpfung» (Fatigue) beschreibt die Leistungsabnahme im Verlauf einer mentalen oder körperlichen Anstrengung, meistens gefolgt von einer stark verlängerten Erholungszeit (>1 Stunde) in Form von Ruhe, aber nicht unbedingt Schlaf.</p> <h2>Die Ursachen</h2> <p>Tagesschläfrigkeit, Hypersomnie im Sinne eines verlängerten Schlafbedürfnisses, Müdigkeit oder Erschöpfung (Fatigue) sind Symptome, welche eine möglichst gute Differenzierung und genaue Diagnostik erfordern, bevor eine gezielte Therapie möglich ist.<sup>5</sup> Neben der detaillierten Anamnese einschliesslich Längsverlauf und allfälligen Assoziationen zu somatischen oder psychiatrischen Erkrankungen und einer klinischen Untersuchung wird der Hausarzt zum Ausschluss internistischer Ursachen auch ein breites Labor abnehmen (Tab. 1).<br /> Sozial bedingte Ursachen wie z.B. absolute oder – bei Langschläfertypen – auch eine relative Schlafinsuffizienz, eine ungünstige Schlafhygiene mit variablen Bettgeh- und Aufstehzeiten und ein verschobener Schlaf-wach-Rhythmus müssen in einer Testperiode über einige Wochen mit regelmässigem und ausreichendem Schlaf geklärt werden. Eine Tagesschläfrigkeit kann sich bereits ab einer chronischen Verkürzung des Schlafes um eine Stunde pro Nacht im Vergleich zum individuellen Schlafbedarf entwickeln. Die chronische Insomnie hat oft eine Müdigkeit, aber nur selten eine Schläfrigkeit zur Folge, beim Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist beides möglich. Der verschobene Schlaf-wach-Rhythmus ist durch das gleichzeitige Auftreten einer Einschlafinsomnie und eines erschwerten Erwachens gekennzeichnet, was in den Ferien bei einem «freilaufenden» Rhythmus fehlt.<br /> In einem nächsten Schritt werden mittels PSG die häufigsten Ursachen des nicht erholsamen Schlafes wie Schlafapnoe, periodische Beinbewegungen im Schlaf («periodic leg movements in sleep», PLMS) und diverse Parasomnien inkl. epileptischer Anfälle im Schlaf abgeklärt.<sup>1</sup><br /> Wenn die sekundären Formen von Tagesschläfrigkeit ausgeschlossen wurden, bleibt eine kleine Gruppe von primären Hypersomnolenzen übrig, zu welchen nebst der Narkolepsie mit und ohne Kataplexie die idiopathische Hypersomnie (IH) und die nichtorganische Hypersomnie (NOH) gehören. Wegen der therapeutischen Konsequenzen müssen diese Ursachen unterschieden und auch vom chronischen Erschöpfungssyndrom («chronic fatigue syndrome», CFS) abgegrenzt werden, wozu oft eine interdisziplinäre Abklärung mit objektiven Messungen der beklagten Symptome erforderlich ist. Die präzise Anamnese bleibt aber zur Differenzierung dieser schwierig abgrenzbaren Erkrankungen essenziell (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1804_Weblinks_lo_neuro_1804_s7_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="1372" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1804_Weblinks_lo_neuro_1804_s8_tab2.jpg" alt="" width="2151" height="1945" /></p> <h2>Narkolepsie</h2> <p>Die Narkolepsie ist mit einer Prävalenz von 1:3000 in der Normalbevölkerung gar nicht so selten, wie oft gedacht. Man unterscheidet eine monosymptomatische Narkolepsie (Typ 2) von der polysymptomatischen Form (Typ 1), welche auch Narkolepsie-Kataplexie genannt wird.<sup>1, 2, 6</sup> Die Narkolepsie-Kataplexie ist eine potenziell invalidisierende Störung der «Schlaf- und Wachstruktur», charakterisiert durch die Pentade 1. Schlafattacken, 2. affektive Tonusverluste (Kataplexie), 3. hypnagoge Halluzinationen, 4. Schlaflähmungen und 5. gestörter Nachtschlaf einschliesslich belastender Träume. Die Krankheit beginnt oft in einer wichtigen Lebensperiode während der Lehre oder in der Schule im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, seltener aber auch erst viel später. Meistens tritt die Tagesschläfrigkeit zuerst auf und die Kataplexien oft im Verlauf der folgenden Monate, selten aber auch erst Jahre später. Hypnagoge Halluzinationen und/oder Schlaflähmungen werden nur von ca. 60 % der Patienten beschrieben. Der gestörte Nachtschlaf, die REM-Schlaf-Verhaltensstörung oder ein RLS bzw. PLMS sind Spätsymptome. Bei vielen Patienten wird zu Beginn der Krankheit eine deutliche Gewichtszunahme beobachtet, was auch die höhere Inzidenz (ca. 10 % ) der Schlafapnoe erklären dürfte.<br /> Die Diagnose wird grundsätzlich anhand der typischen klinischen Beschwerden und der typischen Resultate aus den Zusatzuntersuchungen wie PSG, MSLT, multiplem Wachhalte-Test (MWT) und Aktigrafie gestellt (Tab. 2). Für eine eindeutige Diagnose, v.a. für die Forschung, aber auch beim Fehlen von klassischen Kataplexien, ist ein stark reduzierter Hypokretin- Wert im Liquor ganz entscheidend. Wichtig ist die Abgrenzung der typischen Kataplexien von den sogenannten Pseudokataplexien, welche auch bei gesunden Personen auftreten und sich in der Regel als Schwäche in den Knien nach längerem herzhaftem Lachen oder in Stresssituationen äussern. Pathognomonischer für die Narkolepsie sind emotionell ausgelöste Schwächeanfälle der Kopfhaltemuskulatur, der Augenlider, des Unterkiefers oder eine Dysarthrie, und zwar in den ersten Sekunden der Emotion.<br /> Gemäss der ICSD-3-Klassifikation werden entweder der erniedrigte Hypokretin- Wert oder aber eine Einschlaflatenz <8 Minuten und ≥2 SOREM (Sleep-Onset- REM-Perioden) im MSLT gefordert, wobei 1 SOREM in der vorausgehenden PSG auch zählt.<sup>2</sup> Das positive HLA-DQB1*0602- Allel lässt sich bei der typischen Narkolepsie- Kataplexie in 98 % der Fälle nachweisen, bei der monosymptomatischen Narkolepsie in ca. 40 % im Vergleich zu einer Prävalenz von ca. 24 % in der Normalbevölkerung, was bedeutet, dass ein negativer Wert an der Diagnose etwas zweifeln lassen sollte.<br /> Als Ursache der Narkolepsie wird eine Autoimmunreaktion mit Zerstörung der Hypokretin-bildenden Zellen im lateralen Hypothalamus angenommen, welche nur bei genetisch veranlagten Personen nach bestimmten exogenen Einflüssen wie z.B. einer Streptokokken-Infektion auftritt. Eine traurige Tatsache war die erhöhte Inzidenz an Narkolepsie-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen v.a. in Skandinavien, welche im Herbst 2009 prophylaktisch gegen die H1N1-Influenza geimpft wurden.<sup>7</sup><br /> Die Behandlung hat das Ziel, die Ausübung des erlernten Berufes zu ermöglichen. Dabei werden gegen die Tagesschläfrigkeit fix geplante Schlafpausen tagsüber mit Stimulanzien wie Modafinil, Methylphenidat oder «off label» auch Pitolisant oder andere Amphetamine kombiniert.<br /> Kataplexien werden nicht von allen Patienten als behandlungsbedürftig eingestuft. Wenn diese aber störend in Erscheinung treten oder bei der beruflichen Tätigkeit gefährlich sein könnten, gilt Gammahydroxybutyrat (GHB) heute als Mittel erster Wahl. Dieses Medikament hat während seiner kurzen pharmakologischen Wirkung über 3–4 Stunden auch einen sehr positiven Effekt auf den oft fragmentierten Nachtschlaf, auf die unangenehmen Schlaflähmungen, Halluzinationen oder Träume und führt auch zu einer leichten Verbesserung der Tagesschläfrigkeit.<br /> Antidepressiva wie z.B. Clomipramin können als Alternative zur Unterdrückung der kataplektischen Attacken eingesetzt werden, wenn GHB nicht vertragen wird oder wenn ein antidepressiver Effekt erwünscht ist.</p> <p><strong>Idiopathische Hypersomnie (IH)</strong><br />Nach den ICSD-3-Kriterien2 wird entweder ein verlängerter Schlaf >11 Stunden pro 24-Stunden-Tag oder eine mittlere MSLT-Latenz <8 Minuten mit ≤2 SOREMs in PSG und MSLT gefordert, nebst dem Kriterium, dass keine andere Erklärung wie z.B. Medikamente oder Drogen, eine psychiatrische oder neurologische Erkrankung oder eine (relative) Schlafinsuffizienz vorliegen darf.<br /> Die früher zumindest für die «IH mit verlängerter Schlafdauer» verlangte Schlaftrunkenheit beim Aufstehen wird heute nicht mehr obligat gefordert. Immerhin gilt das «erschwerte Erwachen» mit der Notwendigkeit mehrerer Wecker als unterstützendes Element. Die Tagesschläfrigkeit zeigt sich bei der IH nicht in Form von unwiderstehlichen Schlafanfällen am Tag wie bei Narkolepsie, sondern eher durch eine chronisch vorhandene Tagesschläfrigkeit hauptsächlich in monotonen oder in passiven Situationen bereits unmittelbar nach dem Erwachen, welche kaum gelindert wird durch längeren Schlaf. Im Gegensatz zur Narkolepsie sind Power Naps am Tag praktisch nie erholsam. Körperliche Tätigkeit kann aber die Schläfrigkeit analog wie bei der Narkolepsie oder sogar besser maskieren.<br /> Typischerweise findet man in der PSG auch bei einer Ableitedauer von >10 Stunden eine sehr hohe Schlafeffizienz von >95 % und öfters auch Tiefschlaf in der zweiten Nachthälfte, was das erschwerte Erwachen erklärt. Im MSLT schlafen IHPatienten mässig rasch ein und schlafen dann relativ lange, wobei nicht selten auch Tiefschlaf erreicht wird. Im MWT oder in aktiven Reaktionszeit-Tests zeigen IH-Patienten bessere Resultate als Narkolepsie- Patienten.<br /> Der aktigrafisch gemessene Inaktivitätsindex, welcher keine Differenzierung zwischen Schlaf und ruhigem Wachliegen erlaubt, ist bei der IH meistens normal, im Gegensatz zum oft erhöhten Wert bei NOH oder CFS. Bei verlässlichen IH-Patienten ist somit die anamnestische Angabe der maximalen Schlafdauer über mehrere Nächte (Ferien) besser geeignet, um den Schlafbedarf abzuschätzen. Der Aktigrafiebefund ist aber wichtig zum Ausschluss einer (relativen) Schlafinsuffizienz, insbesondere vor der Durchführung von MSLT und/oder MWT.<br /> Der verlängerte Schlafbedarf, meist mit einer Zunahme um ≥2 Stunden im Vergleich zum Vorzustand, beginnt nicht selten schon in der Kindheit oder zumindest vor dem 40. Lebensjahr und ca. 50 % der Betroffenen geben eine positive Familienanamnese an.<br /> Die Therapie der Tagesschläfrigkeit ist bei der IH analog wie bei der Narkolepsie, wobei es wegen der Kostenübernahme der Stimulanzien oft nötig ist, die Krankenkassen davon zu überzeugen, diese potenziell invalidisierende Krankheit als seltene Subgruppe der narkoleptischen Erkrankungen zu akzeptieren.<br /> Eine sehr seltene Form der Hypersomnie, welche in Abständen von Wochen bis Monaten über einige Wochen oder Monate auftritt und mit psychiatrischen Auffälligkeiten und manchmal auch mit Hyperphagie und Hypersexualität einhergeht, wird als Kleine-Levin-Syndrom bezeichnet.<sup>1</sup></p> <p><strong>Nichtorganische Hypersomnie (NOH)</strong><br /> Die NOH wird von anderen Hypersomnolenz- Syndromen durch eine zumindest zeitweise vorhandene Assoziation der Tagesschläfrigkeit bzw. des verlängerten Schlafbedarfs mit einer psychiatrischen Erkrankung abgegrenzt.<sup>2, 8</sup> Objektive Befunde aus PSG, MSLT oder Aktigrafie werden nicht verlangt. Immerhin wird eine verlängerte Zeit im Bett bei fragmentiertem Schlaf oder eine verlängerte Einschlaflatenz und erniedrigte Schlafeffizienz als charakteristisch angesehen. In unserer eigenen Erfahrung kann die Einschlaflatenz in PSG und MSLT aber auch leicht verkürzt sein. Relativ typisch ist ein im Vergleich zum MSLT disproportional abnormer MWT-Befund, wo auch ein aktiver Augenschluss auffällt. Diese Befunde lassen erkennen, dass es sich bei der NOH um eine Kombination zwischen Tagesschläfrigkeit, Tagesmüdigkeit und gestörtem Nachtschlaf handelt, wobei die Tagesschläfrigkeit aber im Vordergrund steht, ganz im Gegensatz zu der grösseren Gruppe mit affektiven Störungen, welche an einer Insomnie mit Tagesmüdigkeit leidet. Es gilt speziell zu beachten, dass bei der Behandlung einer Depression die Müdigkeit oder auch die Tagesschläfrigkeit als therapieresistentes Symptom im Sinne einer NOH sehr lange persistieren kann, was auch als teilremittierte Depression bezeichnet wird.<br /> Bei der Therapie der NOH stehen neben der spezifischen Behandlung der psychiatrischen Erkrankung antriebssteigernde Antidepressiva wie z.B. Buproprion oder Venlafaxin im Vordergrund. Nicht so selten muss aber auch die sogenannte «Augmentierung » (Kombination mit Stimulanzien wie Methylphenidat oder Modasomil) eingesetzt werden.</p> <p><strong>Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS)</strong><br />Patienten mit einem CFS beklagen primär eine ausgeprägte mentale, aber vor allem auch körperliche Erschöpfbarkeit.<sup>9</sup> Die Müdigkeit nimmt hier unter körperlicher Tätigkeit zu und typischerweise benötigen diese Patienten Stunden oder gar Tage, um sich davon zu erholen. Dazu benötigen sie Ruhe, aber nicht unbedingt Schlaf. Der Nachtschlaf wird aber trotzdem oft als unerholsam empfunden. In der PSG findet man entweder einen normalen bis leicht fragmentierten Schlaf, assoziiert mit einer Fehlwahrnehmung («misperception ») eines schlechten Schlafes oder sogar eine Ein- und Durchschlafinsomnie. Im MSLT findet sich eine normale oder verlängerte Einschlaflatenz. Die Einschlaflatenz im MWT fällt vergleichsweise kurz aus, oft nur geringfügig länger als die MSLT-Latenz. Typisch ist ein hoher Inaktivitätsindex (>40 % ) in der Aktigrafie, welcher aber nicht Schlaf, sondern ruhiges Liegen darstellt.<br /> Bisher konnte die Wissenschaft keine organische Erklärung für dieses Krankheitsbild finden, obschon verschiedentlich über immunologische, postinfektiöse oder hormonelle Auffälligkeiten spekuliert wurde. Die Patienten selbst beharren mit besonders auffälliger Hartnäckigkeit auf einer organischen Ursache und weisen jegliche psychische Ursache weit von sich. Eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit mit häufigem Abliegen tagsüber mit entsprechender körperlicher Dekonditionierung und Verschlechterung des Nachtschlafes wurde als Rip-van-Winkle-Phänomen beschrieben.<sup>1</sup><br /> Unabhängig davon, ob die diagnostischen Kriterien des CFS vollständig oder nur teilweise erfüllt sind, gilt die Verhaltenstherapie mit langsam aufbauendem körperlichem Training als die am ehesten Erfolg versprechende Behandlung.</p> <h2>Beurteilung der Fahreignung</h2> <p>Nach der gezielten Diagnostik und Therapie sollte bei jedem Patienten mit Tagesschläfrigkeit auch die Fahreignung explizit beurteilt, mit dem Patienten besprochen und in den Patientenakten vermerkt werden.<sup>10</sup> Bei privaten Fahrzeuglenkern, welche noch nie einen Sekundenschlaf- Unfall verursacht haben, genügt in der Regel die Instruktion, dass bei Schläfrigkeit auf das Lenken von Motorfahrzeugen verzichtet werden muss. Auf die einzigen wirksamen Gegenmassnahmen (Anhalten für einen Kaffee und anschliessenden Power Nap) und auf die Konsequenzen eines Sekundenschlaf-Unfalls (Ausweisentzug, Busse und Versicherungsregress) soll ebenfalls hingewiesen werden. Bei Berufschauffeuren oder bei Lenkern, welche bereits einen Sekundenschlaf-Unfall verursacht haben, wird eine Zuweisung in ein Schlaf-wach-Zentrum zur Abklärung der Ursache und zur Quantifizierung der Tagesschläfrigkeit im MWT unter optimaler Therapie empfohlen.<sup>11</sup></p> <p><br /><em>Erstpublikation in «Praxis» 2018; 107(21).</em><br /> <em>Mit freundlicher Genehmigung durch den Hogrefe Verlag</em></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Mathis J, Hatzinger M: Praktische Diagnostik bei Müdigkeit/ Schläfrigkeit. Schweiz Arch Neurol Psychiatr 2011; 162: 300-9 <strong>2</strong> International Classification of Sleep Disorders (ICSD). 3. Aufl., American Academy of Sleep Medicine, 2014 <strong>3</strong> Bloch KE et al.: German version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration 1999; 66(5): 440-7 <strong>4</strong> Krupp LB et al.: The fatigue severity scale. Application to patients with multiple sclerosis and systemic lupus erythematosus. Arch Neurol 1989; 46: 1121-3 <strong>5</strong> Stadje R et al.: The differential diagnois of tiredness: a systematic review. BMC Family Practice 2016; 17: 1-11 <strong>6</strong> www.narcolepsy.ch <strong>7</strong> Mathis J, Strozzi S: Narkolepsie, eine Folge der H1N1-Grippeimpfung? Schweiz Med Forum 2012; 12: 8-10 <strong>8</strong> Kaplan KA, Harvey AG: Hypersomnia across mood disorders: a review and synthesis. Sleep Med Rev 2009; 13: 275-85 <strong>9</strong> Reeves WC et al.: Identification of ambiguities in the 1994 chronic fatigue syndrome research case definition and recommendations for resolution. Bio Med Central 2011; 1-19 <strong>10</strong> Mathis J, Seeger R, Ewert U: Excessive daytime sleepiness, crashes and driving capability. Schweiz Arch Neurol Psychiatr 2003; 154: 329-38 <strong>11</strong> Mathis J et al.: Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit: Empfehlungen für Ärzte und akkreditierte Zentren für Schlafmedizin. Swiss Med Forum 2017; 17: 442-447 und www.swiss-sleep.ch/driving</p>
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