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Neuer Test zur Unterscheidung von Morbus Parkinson und Multisystematrophie
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23.04.2020
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<p class="article-intro">Gerade im Anfangsstadium ist es nicht einfach, eine Parkinsonkrankheit von einer Multisystematrophie zu unterscheiden. Forscher aus Texas haben nun einen Test entwickelt, der auf dem Nachweis von Alpha-Synuclein im Liquor basiert. Bewährt sich der Test in weiteren Studien, könnte man damit den Patienten frühzeitig die richtige Behandlung empfehlen und Nebenwirkungen vermeiden.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Diagnose scheint auf den ersten Blick klar: Die Hände des Patienten zittern, der Mann schlurft und er geht unsicher – das sieht nach einem Morbus Parkinson aus. Doch es könnte auch eine Multisystematrophie sein, eines der atypischen Parkinsonsyndrome. Gerade im Frühstadium ist es schwierig, die beiden Krankheiten zu unterscheiden. Jetzt haben Forscher aus Texas einen Liquor-Test entwickelt, mit dem das einfacher möglich sein soll. Ihre Ergebnisse haben sie gerade in «Nature» veröffentlicht<sup>1</sup> – eine Auszeichnung für jeden Forscher. «Bewährt sich der Test auch in weiteren Studien, ist er eine grossartige Hilfe», sagt Prof. Robert Perneczky, Leiter des Alzheimer-Therapieund Forschungszentrums an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. «Denn so könnten wir unseren Patienten die passendere Therapie empfehlen.»<br /> Der Test basiert auf dem Nachweis von Alpha-Synuclein im Liquor. Das Protein findet sich bei jedem gesunden Menschen in den Nervenzellen im Hirn. Es hilft vermutlich, Botenstoffe freizusetzen, mit denen Informationen übertragen werden. Bei manchen Menschen verklumpt das Protein, lagert sich in den Zellen ab und verursacht sogenannte Synucleopathien. Hierzu gehören neben der Parkinsonkrankheit die Multisystematrophie und die Lewy-Körperchen-Demenz. Die Alpha-Synuclein-Aggregate finden sich bei Parkinson und Lewy-Körperchen-Demenz typischerweise in Neuronen, bei der Multisystematrophie vor allem in den Oligodendrozyten. Die Symptome hängen davon ab, wo sich das Alpha-Synuclein ablagert. Die Parkinsonkrankheit und die Multisystematrophie äussern sich vor allem mit klassischen Parkinsonzeichen: Rigor, Tremor, Akinese. Patienten mit Multisystematrophie leiden zudem zusätzlich noch unter vegetativen Symptomen, insbesondere Harninkontinenz, erektiler Dysfunktion oder orthostatischer Hypotension. «Im Frühstadium zeigen die meisten Patienten aber die typischen Parkinsonbeschwerden», sagt Prof. Perneczky. «Es ist sehr frustrierend, wenn man das nicht unterscheiden kann.» Eine Lewy-Körperchen-Demenz lasse sich dagegen leichter diagnostizieren, weil die Symptome meist sehr typisch seien, sagt der Psychiater. Die Hirnleistung der Betroffenen lässt nach, die Patienten werden unaufmerksam und wirken abwesend. Die Symptome sind im Tagesverlauf mal besser, mal schlimmer. Das Gedächtnis ist im Gegensatz zu Alzheimer oft noch länger erhalten. Manche Lewy-Patienten haben zusätzlich visuelle Halluzinationen, einige auch parkinsontypische Beschwerden.</p> <h2>Verklumpte Proteine im Hirn</h2> <p>Das Alpha-Synuclein verklumpt bei den Synucleopathien, weil es falsch gefaltet wird. Das passiert entweder, weil es angeboren ist, oder spontan. Schon Jahre oder Jahrzehnte vor Beginn der Symptome fängt dieses falsche Falten an. So hat es Sinn, das Protein nachzuweisen, um die Krankheit frühzeitig zu diagnostizieren und korrekt behandeln zu können. Die Wissenschafter aus Texas haben nun herausgefunden, dass das Alpha-Synuclein jeweils auf unterschiedliche Weise gefaltet wird, was mit ihrem Test sichtbar gemacht wird. Das prüften sie im Liquor von 225 Patienten: 94 hatten Parkinson, 75 eine Multisystematrophie und 56 litten unter anderer Hirnkrankheiten, sie dienten als Vergleichsgruppe. Der Test konnte mit einer Wahrscheinlichkeit von 95,4 Prozent einen Patienten mit Parkinson beziehungsweise mit Multisystematrophie korrekt identifizieren – das ist für medizinische Tests ein sehr gutes Ergebnis.<br /> Die Forscher nutzten im Test eine spezielle Technik, «protein misfolding cyclic amplification» (PMCA) genannt. Damit war es ihnen möglich, kleinste Mengen von Alpha-Synuclein-Aggregaten zu vervielfältigen und so leichter nachzuweisen. Sichtbar gemacht wurde das Alpha-Synuclein mithilfe eines fluoreszierenden Farbstoffs. Proben der Parkinsonpatienten zeigten ein stärker fluoreszierendes Muster als diejenigen der Patienten mit Multisystematrophie – so war die Unterscheidung möglich. «Die PMCA-Technik wurde ursprünglich für den Nachweis von Prion-Protein entwickelt und erwies sich als nützlich zur Diagnostik von BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit», sagt Prof. Perneczky. «Allerdings ist sie noch nicht Standard zum Nachweis von Proteinen wie Alpha-Synuclein. Die Ergebnisse müssen daher unbedingt repliziert werden.»</p> <h2>«One polymorph – one disease»</h2> <p>Im begleitenden Editorial<sup>2</sup> zu der neuen Studie aus Texas vergleichen Dr. med. Juan Atilio Gerez und Prof. Roland Riek von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich die Aggregate des Alpha-Synucleins mit einer Schneeflocke: Diese beginnt als winziger Kristall, und während sie herabschwebt, lagern sich immer weitere Wassermoleküle an. So ist es auch bei den Alpha-Synuclein-Aggregaten. Die Alpha-Synuclein-«Schneeflocken» bestehen sowohl bei Parkinson als auch bei Multisystematrophie aus Wassermolekülen, aber die Schneeflocken sehen dreidimensional jeweils anders aus. «Nicht nur, dass das Alpha-Synuclein falsch gefaltet ist, spielt eine Rolle, sondern auch, wie es gefaltet ist», sagt Perneczky. «Die unterschiedlichen Falschfaltungen führen offenbar zu den verschiedenen Krankheiten – das offenbart uns ganz neue Möglichkeiten für die Therapie.» PMCA, so hat die Studie gezeigt, könnte tatsächlich als diagnostischer Test verwendet werden, um Krankheiten zu unterscheiden, in die Alpha-Synuclein involviert ist. Die Proben in der Studie stammen allerdings von Patienten, die die Diagnose ihrer Krankheit schon erhalten haben. Bisher ist noch unklar, ob der Test auch dazu dienen könnte, Parkinson oder eine Multisystematrophie in einem früheren Stadium zu entdecken. Abgesehen davon könnte es zu falschen Ergebnissen bei Parkinsonpatienten kommen. Denn L-Dopa beeinflusste in vitro die Aggregation von Alpha-Synuclein.<br /> Perneczky findet die neue Studie auch deshalb interessant, weil sie ein weiterer Beleg sei für die Hypothese «one polymorph – one disease»: Unterschiedliche strukturelle Formen desselben aggregierten Proteins können verschiedene Pathologien und Symptome verursachen. «Diese Erkenntnisse ermöglichen uns ganz neue Optionen für die Therapie», sagt Perneczky. «Möglicherweise könnte man irgendwann einmal Medikamente entwickeln, die ganz gezielt das Falschfalten verhindern.»</p> <h2>Nebenwirkungen vermeiden</h2> <p>Unklar ist, warum die Alpha-Synucleine unterschiedliche Strukturen annehmen. In-vitro-Versuche haben gezeigt, dass dies an Umgebungseinflüssen liegen könnte. So entstanden unterschiedliche Alpha-Synuclein-Isoformen abhängig davon, ob das Protein in einer phosphathaltigen oder einer phosphatfreien Pufferlösung gehalten wurde. In vivo ist Alpha-Synuclein vermutlich auch unterschiedlichen Umgebungen ausgesetzt. Die Neurone, die bei Parkinson auf der einen Seite und bei der Multisystematrophie auf der anderen Seite degenerieren, gehören zu verschiedenen Zelllinien und haben unterschiedliche intra- und extrazelluläre Milieus. Das Alpha-Synuclein kann zudem zwischen Intra- und Extrazellulärraum hin- und herwandern und wird so sowohl einem intra- als auch einem extrazellulären Milieu ausgesetzt.<br /> Er sei als Wissenschafter nicht nur fasziniert von den molekularbiologischen Grundlagen, sagt Robert Perneczky, sondern als Arzt auch von einem potenziellen Nutzen für die Patienten. «Bewährt sich der Test in weiteren Studien, könnten wir die Behandlung besser anpassen und dem Patienten unnötige Therapien ersparen.» Einem Parkinsonpatienten empfiehlt er oft L-Dopa. Damit bessern sich die Symptome häufig. Doch wenn der Patient eine Multisystematrophie hat, wirkt L-Dopa nur in jedem dritten Fall. «Mit dem neuen Test könnten wir sicherer sein, dass der Patient eine Multisystematrophie hat, und ihm das L-Dopa ersparen.» Denn L-Dopa verursacht bekannterweise beachtliche Nebenwirkungen: Übelkeit und Appetitlosigkeit sind für die Patienten meist nur lästig, schlimmer sind Dyskinesien, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen. Ein Patient mit Multisystematrophie profitiert dagegen von Medikamenten gegen die autonome Dysregulation: etwa Mittel gegen niedrigen Blutdruck und Harninkontinenz oder Sildenafil gegen die Erektionsstörungen. Wann es den Test geben wird, ist noch unklar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Neuro_2002_Weblinks_lo_neuro_2002_s10_infobox_witte.jpg" alt="" width="550" height="458" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Neuro_2002_Weblinks_lo_neuro_2002_s11_tab1_witte.jpg" alt="" width="550" height="1119" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Levin J et al.: Deutsches Ärzteblatt 2016; 5: 61-9
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Shahnawaz M et al.: Nature 2020; 578: 273-7 <strong>2</strong> Gerez JA, Riek R.: Nature 2020; 578: 223-4</p>
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