<p class="article-intro">In der Initialtherapie von Patienten mit Morbus Parkinson werden meist drei Medikamentenklassen eingesetzt: Levodopa, Dopaminagonisten und MAO-B-Hemmer. Eine große Studie hat nun untersucht, von welcher Ersttherapie die Patienten langfristig am meisten profitieren.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <ul> <li>Die Studie ging der Frage nach, von welcher Initialtherapie Patienten mit M. Parkinson aus subjektiver Sicht profitieren.</li> <li>1.620 Patienten wurden randomisiert einer der drei Substanzklassen L-Dopa, Dopaminagonisten oder MAOB-Hemmer zugeteilt.</li> <li>Es zeigte sich ein sehr kleiner, aber andauernder Nutzen für L-Dopa hinsichtlich der von den Patienten selbst beurteilten Mobilität.</li> <li>Patienten der L-Dopa-Gruppe hatten mehr Dyskinesien, aber nicht mehr motorische Fluktuationen als Patienten, die initial mit L-Dopa-einsparenden Medikamenten behandelt worden waren.</li> <li>Es gab keinerlei Hinweise auf kumulative Nebenwirkungen von L-Dopa oder Einbußen des Benefits der L-Dopa-Therapie.</li> <li>Die Initialtherapie mit MAO-B-Hemmern erwies sich als mindestens ebenso wirksam wie die Behandlung mit Dopaminagonisten.</li> <li>Das britische National Institute for Health and Care (NICE) wird die vorliegenden Studienergebnisse in seinem nächsten Update der Guidelines berücksichtigen.</li> </ul> </ul> <p>Hintergrund der Studie, die an 89 Zentren in Großbritannien und an je einem Zentrum in Russland und Tschechien durchgeführte wurde, ist das verbreitete Vorgehen, vor allem bei jüngeren Patienten als Ersttherapie Levodopa(L-Dopa)-sparende Medikamente (Dopaminagonisten, MAO-B-Hemmer) einzusetzen, um das Eintreten von motorischen Komplikationen hinauszuzögern. Allerdings treten nicht- motorische Nebenwirkungen, die für Patienten mitunter sehr unangenehm sind und die Betreuung erschweren, unter Dopaminagonisten (DA) häufiger auf als unter L-Dopa. In Bezug auf MAO-B-Hemmer (MAOBI) spielen auch Sicherheitsaspekte eine Rolle.<br /> So wurde in einer Studie mit Selegilin eine höhere Mortalität beschrieben als für die L-Dopa-Monotherapie – ein Ergebnis, das in anderen Studien nicht bestätigt wurde. Eine Expertenrunde, die PD Med Collaborative Group, ging nun der Frage nach, welche Initialtherapie aus Sicht der Patienten von Vorteil sein könnte.</p> <h2>Pragmatischer Ansatz</h2> <p>Um möglichst viele Patienten in die Studie einschließen und Erkenntnisse darüber gewinnen zu können, wie die Medikation die Motorik und die Lebensqualität der Patienten beeinflusst, wählten die Studienautoren einen pragmatischen Zugang. Sie starteten eine offene, randomisierte Studie mit wenigen Ausschlusskriterien und einer einfachen Studienmedikation. Die Patienten wurden im Verhältnis 1:1:1 randomisiert einer der drei Wirkstoffklassen L-Dopa, Dopaminagonisten oder MAO-B-Hemmer zugeteilt.<br /> Welches Präparat im Einzelfall zum Einsatz kam, war dem behandelnden Arzt überlassen. Rekrutiert werden konnten alle Patienten, die noch unbehandelt waren oder eine kurze Vorbehandlung (<6 Monate) hinter sich hatten. Ausschlussgründe war das Vorliegen einer Demenz bzw. das Unvermögen, die Fragebögen auszufüllen. Zwischen November 2000 und Dezember 2009 wurden insgesamt 1.620 Patienten randomisiert (Levodopa: n=528; Dopaminagonisten: n=632; MAO-B-Hemmer: n=460). Sowohl den Patienten als auch den Prüfärzten war die Behandlungszuordnung bekannt.</p> <h2>Primäre und sekundäre Endpunkte</h2> <p>Als primärer Endpunkt wurde die Veränderung des vom Patienten selbst beurteilten funktionellen Status auf der Subskala Mobilität eines 39 Items umfassenden krankheitsspezifischen Fragebogens (Parkinson’s Disease Questionnaire, PDQ-39) gewählt. Mit dem PDQ-39 werden die Auswirkungen der Parkinsonkrankheit auf die Lebensqualität und Veränderungen erfasst, die vom Patienten als wichtig eingestuft werden, von klinischen Rating-Skalen jedoch nicht erkannt werden. Die Analyse erfolgte nach dem Intention-to-treat-Prinzip. Die Ergebnisse in Bezug auf den zweiten primären Endpunkt („quality-adjusted life years“) und die entsprechende Cost-Utility-Analyse werden separat publiziert.<br /> Sekundäre Endpunkte waren weitere Subskalen von PDQ-39, der PDQ-39-Gesamtscore, die Therapiepersistenz, die Kognition („mini-mental state examination“, MMSE), der Zeitpunkt des Eintretens von Demenz, Dyskinesien und motorischen Fluktuationen, die Aufnahme in ein Krankenhaus oder in eine Pflegeinstitution und nicht zuletzt die Mortalität.<br /> Die mediane Beobachtungszeit betrug drei Jahre. 75 % der Patienten konnten über sieben Jahre nachbeobachtet werden. Eine noch längere Beobachtungsdauer betraf nur einzelne Patienten. Die Fragebogen wurden vor Randomisierung, nach 6 und 12 Monaten und dann jährlich erhoben. Die MMSE wurde zur Baseline und nach fünf Jahren durchgeführt.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Nach einer Nachbeobachtung von sieben Jahren waren die PDQ-39-Mobilitätsscores bei den zu L-Dopa randomisierten Teilnehmern durchschnittlich um 1,8 Punkte (95 % CI: 0,5–3,0; p=0,005) besser als bei den mit einer L-Dopa-einsparenden Therapie behandelten Patienten, ohne dass der Nutzen während der Beobachtung zugenommen oder nachgelassen hatte (Abb. 1). Bei den Teilnehmern, die mit MAO-B-Hemmern behandelt wurden, waren die PDQ-39-Mobilitätsscores um 1,4 Punkte (95 % CI: 0,0–2,9; p=0,05) besser als bei den Patienten der Gruppe unter Dopaminagonisten.<br /> Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der L-Dopa-Behandlung und der L-Dopa-einsparenden Therapie in Bezug auf die Demenzrate (HR: 0,81; 95 % CI: 0,61–1,08; p=0,14), die Häufigkeit einer Aufnahme in eine Einrichtung (HR: 0,86; 95 % CI: 0,63–1,18; p=0,4) oder die Sterberate (HR: 0,85; 95 % CI: 0,69–1,06; p=0,17).<br /> Bezüglich Dyskinesien schnitten die Dopamin-einsparenden Therapiearme besser ab (HR: 1,52; 95 % CI: 1,16–2,00; p=0,0039), bezüglich motorischer Fluktuationen aber bestand kein Unterschied gegenüber L-Dopa (HR: 1,1; 95 % CI: 0,9–1,37; p=0,3). Unter den beiden L-Dopa-einsparenden Therapien waren die Dyskinesieraten gleich (HR: 0,85; 95 % CI: 0,6–1,22; p=0,4), motorische Fluktuationen aber waren in der DA-Gruppe häufiger als in der MAOBI-Gruppe (HR: 1,32; 95 % CI: 1,01–1,72; p=0,04). Der MMSE-Abfall nach fünf Jahren war unter DA größer als unter MOABI (2,4 vs. 1,3 Punkte, p=0,04), aber das Auftreten von Demenzen war nicht signifikant unterschiedlich (HR: 1,1; 95 % CI: 0,77–1,59; p=0,6). Auch bezüglich Institutionalisierung (HR: 1,8; 95 % CI: 0,70–1,64; p=0,7) oder Tod (HR: 0,96; 95 % CI: 0,73–1,26; p=0,8) bestand kein Unterschied.<br /> Sehr wohl Unterschiede gab es bezüglich der Therapiepersistenz (Abb. 2). Insgesamt 179 der 632 mit DA behandelten Patienten (28 % ) und 104 der 460 mit MAOBI behandelten Patienten (23 % ) brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig ab. In der L-Dopa-Gruppe waren es nur 11 Patienten (2 % ), (p<0,0001). Die häufigsten Nebenwirkungen waren psychische Effekte, Schlafstörungen und gastrointestinale Probleme, zumeist milder Ausprägung. Schwere Nebenwirkungen waren bei nur 16 Patienten zu beobachten; sie betrafen 9 Patienten der DA-Gruppe, 4 Patienten der MAOBI-Gruppe und 3 der L-Dopa-Gruppe.<br /> Bei 35 von 362 Patienten der DA-Gruppe (6 % ) und 78 von 460 Patienten der MAOBI-Gruppe (17 % ) wurde die Behandlung aufgrund mangelnder Wirksamkeit abgebrochen, im Vergleich zu 5 (1 % ) von 528 in der L-Dopa-Gruppe (p<0,0001).<br /> Nach Abbruch einer DA-Therapie wurde in 78 % zu L-Dopa und in 5 % zu MAOBI gewechselt. Nach Abbruch einer MAOBI-Therapie kam in 48 % L-Dopa und in 41 % ein DA zum Einsatz. Nach Therapieabbruch von L-Dopa wurde in 39 % auf einen DA umgestellt.<br /> Gemäß dem Studiendesign waren unter vorgegebenen Bedingungen auch Therapieerweiterungen möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten nach zwei Jahren für eine adäquate Symptomkontrolle ein zusätzliches Medikament brauchten, betrug 64 % in der MAOBI-Gruppe, 40 % in der DA-Gruppe und 20 % in der L-Dopa-Gruppe (p<0,0001). Von 333 Patienten der DA-Gruppe wurde bei 311 (93 % ) L-Dopa dazugegeben, 12 (4 % ) bekamen zusätzlich einen MAOBI und 10 (3 % ) erhielten zusätzlich einen COMT-Hemmer. Von den 287 Patienten der MAOBI-Gruppe bekamen nach zwei Jahren 67 % zusätzlich L-Dopa, 32 % einen DA und 1 % einen COMT-Hemmer. Von den 203 Patienten, bei denen L-Dopa allein nicht für eine dauerhafte effektive Symptomkontrolle ausreichte, erhielten 51 % zusätzlich einen DA, 16 % einen MOABI und 33 % einen COMT-Hemmer.<br /> Die L-Dopa-Exposition in den beiden L-Dopa-einsparenden Therapiearmen stieg mit zunehmender Beobachtungsdauer, war jedoch in den beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Die Levodopa-Äquivalenzdosis (LED) nach 7 Jahren betrug 636mg/d in der L-Dopa-Gruppe, 696mg/d in der MAOBI-Gruppe und 768mg/d in der DA-Gruppe (Abb. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Neuro_1501_Weblinks_Seite10_1.jpg" alt="" width="662" height="412" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Neuro_1501_Weblinks_Seite10_2.jpg" alt="" width="661" height="472" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Neuro_1501_Weblinks_Seite10_3.jpg" alt="" width="663" height="469" /></p> <h2>Diskussion und Fazit</h2> <p>Im Vergleich mit der L-Dopa-einsparenden Ersttherapie mit Dopaminago­nisten oder MAO-B-Hemmern zeigte sich für die Initialtherapie mit L-Dopa hinsichtlich der von den Patienten selbst beurteilten Mobilität ein sehr kleiner, aber andauernder Nutzen. Trotz der besseren Scores für Mobilität und Lebensqualität in d er L-Dopa-Gruppe wurde der als klinisch relevant definierte Unterschied („minimum clinically important difference“) nicht erreicht. <br />Von Interesse sei laut Einschätzung der Autoren die Beobachtung, dass es während der gesamten Studiendauer von sieben Jahren keinerlei Hinweise auf kumulative Nebenwirkungen der L-Dopa-Therapie oder Einbußen des Benefits der L-Dopa-Therapie gab.<br /> Die Initialtherapie mit MAO-B-Hemmern war mindestens ebenso wirksam wie die Behandlung mit Dopaminagonisten. Deswegen und auch im Hinblick auf motorische Komplikationen gibt es laut Aussage der Studienautoren keinen Grund, in der frühen Krankheitsphase DA gegenüber MAOBI zu bevorzugen. Auch die gängige Praxis, bei jüngeren Patienten mit einem DA oder MAOBI zu starten, um L-Dopa-Langzeitkomplikationen zu vermeiden, wird anhand der vorliegenden Ergebnisse nicht bestärkt. In den Altersgruppen über bzw. unter 70 wichen die Ergebnisse nicht vom Gesamtergebnis ab, sodass die Studie altersbezogene Therapieempfehlungen nicht unterstützt.</p> <p>Die Ergebnisse der Studie sind aufgrund des pragmatischen Designs sehr gut in die Praxis übertragbar. Dem britischen National Institute for Health and Care (NICE) war die Studie immerhin so wichtig, dass es die Ergebnisse abwarten wollte, bevor ein Update der Guidelines in Angriff genommen werden sollte. Wie diese und andere internationale und nationale Guidelines für die Therapie des M. Parkinson im Frühstadium aussehen werden, bleibt künftig abzuwarten.</p> </div></p>
<p class="article-quelle">Quelle:
PD MED Collaborative Group: Long-term effectiveness of dopamine agonists and monoamine oxidase B inhibitors compared with levodopa as initial treatment for Parkinson’s disease (PD MED): a large, open-label, pragmatic randomised trial. Lancet 2014; 384: 1196-205
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