Posttraumatischer Kopfschmerz nach Schädel-Hirn-Trauma
Bericht:
Mag. Christine Lindengrün
Dass nach einem Schädel-Hirn-Trauma Kopfschmerzen auftreten, wird als normales und vorübergehendes Phänomen betrachtet. Eine gezielte Behandlung setzt oft erst nach einigen Wochen ein. Das Problem wird damit jedoch deutlich unterschätzt, meint PD Dr. med.Torsten Kraya. Denn wenn der Schmerz sich einmal chronifiziert hat, ist er nur mehr schwer zu behandeln.
Keypoints
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Akute Kopfschmerzen treten nach einem SHT zu einem hohen Prozentsatz auf.
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Bei einem Drittel der Betroffenen halten sie länger als 3 Monate an.
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Der Schmerz tritt in unterschiedlichen Formen auf: migräneartig, als Spannungskopfschmerz oder als Mischform.
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Das Risiko für die Entwicklung von Kopfschmerzen ist unabhängig von der Schwere des Traumas.
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Risikofaktoren für die Chronifizierung sind: junges Alter, weibliches Geschlecht und mildes SHT sowie Kopfschmerzen, Depressionen oder Angststörungen in der Vorgeschichte.
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Zusätzliche psychische Beschwerden sind häufig.
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Viele Betroffene nehmen Schmerzmedikamente im Übergebrauch.
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Frühzeitige Intervention ist wichtig, um Chronifizierung von Schmerzen zu vermeiden.
Sekundärer Kopfschmerz war einer der Schwerpunkte der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Schmerzgesellschaft und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft im Oktober in Mannheim. Bei einer Pressekonferenz erklärte PD Dr. med. Torsten Kraya, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum St. Georg in Leipzig, wann posttraumatischer Kopfschmerz nach Schädel-Hirn-Trauma (SHT) chronisch wird und wie man dies vermeiden könnte.
Höheres Risiko nach mildem Trauma
Kopfschmerzen und Migräne sind das häufigste Symptom eines SHT. Mehr als die Hälfte der Betroffenen leidet nach dem Trauma an akuten Kopfschmerzen. Diese beginnen manchmal erst nach einigen Tagen, bei einem Drittel der Betroffenen halten sie länger als 3 Monate an, was die Definition für chronischen Kopfschmerz darstellt. Der Schmerz tritt in unterschiedlichen Formen auf: migräneartig, als Spannungskopfschmerz oder als Mischform.
«Das Risiko für die Entwicklung von Kopfschmerzen ist unabhängig von der Schwere des Traumas», sagt Kraya. «Öfter treten sie sogar nach eher leichteren Traumen auf als nach schweren. Der Grund dafür ist noch unklar.»
Risikofaktoren für die Chronifizierung von Kopfschmerzen sind: junges Alter, weibliches Geschlecht, das Vorhandensein von Kopfschmerzen oder Migräne schon vor dem Trauma sowie Depressionen und Angststörungen in der Vorgeschichte. Viele Patient*innen entwickeln im Verlauf zusätzlich Depressionen, Angst- oder Schlafstörungen und viele nehmen Schmerzmedikamente im Übergebrauch, was wiederum zu einer Verstärkung der Kopfschmerzen führen kann.
Frühzeitig intervenieren, Chronifizierung vermeiden
Der erste Schritt zur Verhinderung der Chronifizierung von Kopfschmerzen liegt für Kraya in der Erstversorgung: Niedergelassene Ärzt*innen sollten über die oben aufgelisteten Risikofaktoren informiert sein und danach trachten, beim Auftreten von Kopfschmerzen frühzeitig therapeutisch einzugreifen. Posttraumatische Schmerzen vom Migränetyp werden akut mit Triptanen behandelt, Spannungskopfschmerzen eher mit Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen. Auch die prophylaktische Behandlung orientiert sich an dem Phänotyp der Kopfschmerzen.
Neben der Wahl der Medikamente scheint jedoch auch der Zeitpunkt der Behandlung entscheidend zu sein. «Wenn der Schmerz sich erst einmal verselbstständigt hat, ist ihm nur noch schwer beizukommen», sagt Kraya. Daher gehe die Tendenz heute dahin, möglichst früh medikamentös gegenzusteuern – besonders bei Patient*innen, die Risikofaktoren für eine Chronifizierung des Schmerzes aufweisen.
Um den Übergebrauch von Schmerzmitteln zu reduzieren, sollten auch die nichtmedikamentösen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, das sind vor allem Sport und Entspannungsverfahren, wie z.B. autogenes Training. Diese könnten vielleicht auch Chronifizierung von Schmerzen verhindern, so Kraya: «Studien weisen darauf hin, dass eine moderate körperliche und geistige Aktivierung bereits binnen 24 bis 48 Stunden nach dem Unfall sinnvoll ist, auch um das Einüben von Schonverhalten und eine Chronifizierung der Schmerzen zu vermeiden.»
Personen mit einem erhöhten Chronifizierungsrisiko sollten daher idealerweise mit einem multimodalen Therapieansatz behandelt werden, der neben einer frühzeitigen Schmerztherapie auch verhaltenstherapeutische Elemente sowie unter Umständen auch eine gezielte Aktivierung durch Physiotherapie beinhaltet.
Medizinisch, physiotherapeutisch und psychologisch behandeln
«Frühzeitige Intervention ist der Schlüssel, um zu verhindern, dass Schmerzen chronisch werden», bestätigt Prof. Dr. med. Winfried Meißner, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und Leiter der Sektion Schmerztherapie am Universitätsklinikum Jena. Dabei sollte auch ein Augenmerk auf psychosoziale Belastungen, wie Stress am Arbeitsplatz oder familiäre Probleme, gelegt werden, denn an der Entstehung und Aufrechterhaltung von chronischen Schmerzen sind neben biologischen Ursachen auch psychische und soziale Komponenten beteiligt. «Die psychischen Anteile bestimmen in erheblichem Ausmass die Beeinträchtigung eines Betroffenen», sagt Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrike Kaiser, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck.
Um chronische Schmerzen zu behandeln oder ihnen vorzubeugen, sei idealerweise die Expertise von Medizinern, Psychologen und Physiotherapeuten notwendig. Alle drei Berufsgruppen sollten bei der Behandlung der Betroffenen Hand in Hand arbeiten.
Quelle:
Online-Pressekonferenz der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V, 19. Oktober 2022
Literatur:
• Ashina H et al.: Post-traumatic headache: epidemiology and pathophysiological insights. Nat Rev Neurol 2019; 15(10): 607-17 • Kamins J: Models for treating post-traumatic headache. Curr Pain Headache Rep 2021; 25(8): 52
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