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REM-Schlafstörung bei Demenz und Morbus Parkinson
Jatros
Autor:
PD Dr. med. Dr. phil. Ulrich Michael Hemmeter
Chefarzt Alters- und Neuropsychiatrie<br> Psychiatrie St. Gallen Nord<br> E-Mail: ulrich.hemmeter@psgn.ch
30
Min. Lesezeit
01.11.2018
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<p class="article-intro">Morbus Parkinson und Lewy-Körper-Demenz gehören neuropathologisch zur gleichen Krankheitsentität. Sie zeichnen sich neben der Kernsymptomatik (motorische und kognitive Störungen) auch durch Schlafstörungen aus, insbesondere die REM-Schlaf- Verhaltensstörung. Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung ist damit ein Symptom beider Erkrankungen, sie kann beiden Erkrankungen aber auch als Frühsymptom vorausgehen. Daher müssen Patienten mit RBD, die (noch) keine weiteren Symptome einer Parkinsonerkrankung oder einer Lewy-Körper-Demenz aufweisen, im Hinblick auf die Entwicklung von kognitiven und motorischen Störungen gut untersucht werden, um frühzeitig eine Therapie einleiten zu können.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Idiopathischer Morbus Parkinson (IMP) und die Lewy-Körper-Demenz („Lewy body dementia“, LBD) sind neurodegenerative Erkrankungen, die mit Schlafstörungen einhergehen. Sie gehören aus neuropathologischer Sicht zu den sogenannten Alpha-Synukleinopathien. Bei diesen Erkrankungen kommt es zur intrazellulären Ablagerung von aggregiertem Alpha- Synuklein, einem normalerweise löslichen Protein in den Nervenzellen, und damit zur Ausbildung von neuronalen Einschlusskörperchen, die sich im Perikaryon der Neurone als Lewy-Körper, in den Axonen als Lewy-Neuriten manifestieren und zu definierten Funktionseinschränkungen des Gehirns führen.<sup>1, 2</sup><br /><br /> Beide Erkrankungen zeichnen sich neben einer gemeinsamen neuropathologischen Grundlage durch klinische Ähnlichkeiten wie extrapyramidal-motorische Störungen, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen, psychopathologische Symptome wie optische Halluzinationen oder auch Schlafstörungen aus.<br /><br /> Eine charakteristische Schlafstörung, die bei beiden Erkrankungen auftritt, ist die REM-Schlaf-Verhaltensstörung („REM Sleep Behavior Disorder“, RBD), sie ist damit gleichzeitig ein wichtiges Symptom bei der Differenzialdiagnose von Demenzen (Tab. 1). Die RBD kann aber auch als Frühsymptom dem Auftreten eines IMP oder einer LBD über Jahre vorausgehen. So geht das Krankheitsbild der RBD in ca. 18–63 % der Fälle in ein idiopathisches Parkinsonsyndrom (IPS) oder eine Multisystematrophie (MSA) über.<sup>3</sup> Auch die Symptome Obstipation, Hyposmie und Miktionsstörungen können beiden Erkrankungen bereits Jahre vorausgehen.<sup>4</sup></p> <p><sup><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1805_Weblinks_s25_tab1.jpg" alt="" width="922" height="1571" /></sup></p> <h2>REM-Schlaf-Verhaltensstörung – RBD</h2> <p>Die RBD, die zu den sogenannten Parasomnien zählt, kann somit als Symptom eines IMP oder einer LBD gesehen werden, sie kann symptomatisch auch bei weiteren Hirnschädigungen jeglicher Art (Ischämien, Tumoren, MS), durch entzündliche Prozesse oder auch unter der Gabe bestimmter Medikamente (u.a. Antidepressiva) auftreten. Sie ist aber auch als isoliertes Krankheitsbild im Sinne einer idiopathischen RBD (iRBD) beschrieben (in Oertel et al. 2014)<sup>4</sup>.<br /><br /> Die RBD ist durch eine fehlende Hemmung des physiologisch verminderten Muskeltonus im REM-Schlaf und eine damit einhergehende erhöhte Muskelaktivität charakterisiert. Als Folge treten motorische Bewegungen während des REMSchlafs auf. Dadurch kommt es u.a. zum Ausagieren von Trauminhalten bis zu fremd- oder selbstschädigendem Verhalten. <sup>5, 6</sup> Beim Wecken berichten die Patienten häufig über Trauminhalte, die mit den beobachteten Bewegungen übereinstimmen.<sup>4</sup><br /> Ursache der fehlenden Hemmung ist als Hauptläsionsort der pontine Coeruleus- Subcoeruleus-Komplex, indem durch die Läsion der inhibitorische Input auf die Muskelaktivität wegfällt.<sup>7</sup> Zusätzliche Schlafprobleme treten bei RBD lediglich im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf auf und sind durch eine signifikant verminderte Gesamtschlafzeit charakterisiert. Sowohl die NREM-Stadien als auch der REM-Schlaf scheinen nicht wesentlich verändert zu sein. Darüber hinaus treten kognitive Defizite v.a. auf der Ebene des deklarativen Gedächtnisses und der Visuokonstruktion, aber auch in Teilbereichen der exekutiven Funktionen auf.<sup>8, 9</sup><br /><br /> Bisher ist jedoch nicht geklärt, welche Patienten mit RBD eine der o.g. Krankheiten entwickeln und wie diese Patienten sich von denen mit einer idiopathischen RBD unterscheiden lassen. Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen, dass sich RBD-Patienten, die im weiteren Krankheitsverlauf eine Alpha-Synuklein-bedingte Erkrankung entwickeln, im Vergleich zu iRBD-Patienten in einigen Symptomen signifikant unterscheiden. So geht eine RBD bei Patienten, die eine Beeinträchtigung im Farbensehen haben, signifikant häufiger in eine Alpha-Synukleinopathie über und geht – wie das Symptom der Hyposmie – der Entwicklung einer Alpha-Synukleinopathie um ca. 5 Jahre voraus.<sup>10, 11</sup><br /><br /> Da die RBD wie oben beschrieben in einen IMP und eine LBD übergehen kann, sollten die betroffenen Patienten immer gut in Hinblick auf die Entwicklung motorischer wie auch kognitiver Störungen untersucht werden.</p> <h2>Schlafstörungen bei Lewy-Körper-Demenz</h2> <p>Patienten mit Lewy-Körper-Demenz weisen neben dem Auftreten einer RBD weitere Veränderungen des Schlafs auf. Die Schlafeffizienz ist vermindert, der Wachanteil nach Schlafbeginn ist erhöht mit vermehrten Arousal- Reaktionen, zudem kommt es mit zunehmendem Alter zu einer Reduktion des REM-Schlafs und einer Verlangsamung der Frequenzen im REM-Schlaf.<sup>12</sup> Die Verlangsamung der REM-Schlaf-Frequenz bei RBD-Patienten ist mit dem Auftreten von kognitiver Verschlechterung verbunden.<sup>13</sup> Zudem muss bei diesen Patienten auch auf das Vorliegen weiterer primärer Schlafstörungen wie schlafbezogener Atemstörungen und Restless Legs oder auch periodischer Beinbewegungen während des Schlafs („periodic limb movement during sleep“, PLMS) geachtet werden.<sup>4</sup></p> <h2>Schlafstörungen bei Morbus Parkinson</h2> <p>Neben dem möglichen Vorliegen einer RBD hängen die bei Patienten mit IMP auftretenden Schlafstörungen sowohl von der Dauer als auch der Ausprägung und Progredienz der Krankheit ab.<sup>4</sup> Dabei tritt neben einer Reduktion der Schlafeffizienz bzw. der Gesamtschlafzeit auch eine Störung der Schlafarchitektur auf.<sup>14–16</sup> Auf kognitiver Ebene entwickeln IMP-Patienten regelmäßig Defizite in Teilen der exekutiven Funktionen, des Arbeitsgedächtnisses wie auch des deklarativen Gedächtnisses. Bei bis zu 50 % der Patienten entwickelt sich im Verlauf der Erkrankung eine Demenz.<sup>17–19</sup><br /><br /> Schlafstörungen gehören zu den häufigsten nicht motorischen Symptomen beim IMP, nahezu jeder Patient mit IMP leidet im Verlauf der Erkrankung darunter. Am häufigsten sind Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen, nächtliche Akinese und REM-Schlaf-Verhaltensstörung („REM sleep behaviour disorder“, RBD) mit nächtlichen Vokalisationen und komplexen Bewegungen. Diese Schlafstörungen nehmen mit Progression der Krankheit zu, ebenso die Tagesschläfrigkeit.<sup>4</sup> Schwere Schlafunterbrechungen sind besonders häufig bei älteren Patienten mit On-off-Phänomen oder Halluzinationen. Plötzliches Einschlafen während des Tages tritt etwa 7-mal häufiger bei Parkinsonpatienten als bei gesunden Älteren auf, abhängig von der Dauer der Erkrankung und in Zusammenhang mit der Gabe von L-Dopa.<sup>20</sup></p> <h2>Therapie der idiopathischen RBD sowie der RBD bei IMP und LBD</h2> <p>Erstes Ziel bei der Behandlung der RBD muss die Sicherheit des Betroffenen und des Bettnachbarn wegen der erhöhten Verletzungsgefahr beim Ausagieren der Träume sein. Die Schlafumgebung sollte so eingerichtet sein, dass ein maximaler Schutz für den Betroffenen besteht.<sup>4</sup> In einem nächsten Schritt sollte die Medikation im Hinblick auf mögliche auslösende oder verstärkende Effekte auf eine RBD überprüft und ggf. eine Umstellung der Medikation vorgenommen werden.<br /><br /> Die Behandlung der IMP- und LBDassoziierten RBD und der iRBD unterscheiden sich prinzipiell nicht.<sup>4</sup> Pharmakologisch stehen für die Behandlung der RBD hauptsächlich Clonazepam und Melatonin zur Verfügung,<sup>21, 22</sup> wobei die Evidenzlage für beide Substanzen gering ist. Durch Clonazepam wird die phasische REM-Schlaf- Aktivität reduziert, eine Wirkung auf die tonische REM-Aktivität liegt nicht vor (Einnahme 30min vor dem Zubettgehen, Dosierung 0,25 bis 2mg). Eine Alternative ist Melatonin in einer Dosierung von 3–12mg ca. 2 Stunden vor dem Zubettgehen. Weitere Medikamente, die beschrieben wurden, sind Rivastigmin, Imipramin, Gabapentin, Carbamazepin, Clonidin, Clozapin, Quetiapin, Pramipexol.<sup>4</sup> Es kann auch ein Behandlungsversuch mit REMSchlaf unterdrückenden Antidepressiva (v.a. SSRI, SNRI) vorgenommen werden.<br /><br /> Unter der ursächlichen Behandlung mit Dopamin-agonistischen Substanzen bei IMP oder Cholinesterasehemmern bei LBD kann es – durch die dadurch induzierte Zunahme des REM-Schlafs – auch zu einer Verschlechterung der RBD kommen, wenngleich für Donepezil auch ein positiver Effekt beschrieben ist.<sup>23</sup> Daher ist beim Einsatz von Cholinesterasehemmern und dopaminergen Substanzen auf eine mögliche Entwicklung oder Intensivierung einer RBD zu achten und ggf. die Medikation anzupassen.<br /><br /> In jedem Fall sollten bei beiden Erkrankungen eine möglichst optimale Einstellung und Behandlung der Grunderkrankung vorgenommen werden. Es soll aber auch die Auswirkung der Medikation auf den Schlaf insgesamt und insbesondere auf eine potenziell vorliegende REM-Schlaf-Verhaltensstörung evaluiert werden.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Braak H et al.: Staging of brain pathology related to sporadic Parkinson’s disease. Neurobiol Aging 2003; 24: 197-210 <strong>2</strong> Stefanis L: a-Synuclein in Parkinson’s Disease. Cold Spring Harb Perspect Med 2012; 2; doi: 10.1101/cshperspect.a009399 <strong>3</strong> Iranzo A et al.: Characteristics of idiopathic REM sleep behavior disorder and that associated with MSA and PD. Neurology 2005; 65(2): 247-52<strong> 4</strong> Oertel WH et al.: REM sleep behavior disorder as a prodromal stage of a-synucleinopathies: symptoms, epidemiology, pathophysiology, diagnosis and therapy. Nervenarzt 2014; 85(1): 19-25 <strong>5</strong> Boeve BF et al.: Synucleinopathy pathology and REM sleep behavior disorder plus dementia or parkinsonism. Neurology 2003; 61(1): 40-5 <strong>6</strong> Boeve BF: REM sleep behavior disorder: Updated review of the core features, the REM sleep behavior disorder- neurodegenerative disease association, evolving concepts, controversies, and future directions. Ann N Y Acad Sci 2010; 1184: 15-54 <strong>7</strong> Boeve BF et al.: Pathophysiology of REM sleep behaviour disorder and relevance to neurodegenerative disease. Brain 2007; 130: 2770-88 <strong>8</strong> Massicotte-Marquez J et al.: Executive dysfunction and memory impairment in idiopathic REM sleep behavior disorder. Neurology 2008; 70(15): 1250-7 <strong>9</strong> Terzaghi M et al.: Cognitive performance in REM sleep behaviour disorder: a possible early marker of neurodegenerative disease? Sleep Med 2008; 9(4): 343-51 <strong>10</strong> Postuma RB et al.: Olfaction and color vision identify impending neurodegeneration in rapid eye movement sleep behavior disorder. Ann Neurol 2011; 69(5): 811-8 <strong>11</strong> Stiasny-Kolster K et al.: Combination of ‚idiopathic‘ REM sleep behaviour disorder and olfactory dysfunction as possible indicator for alpha-synucleinopathy demonstrated by dopamine transporter FP-CIT-SPECT. Brain 2005; 128: 126- 37 <strong>12</strong> Pao WC et al.: Polysomnographic findings in dementia with Lewy bodies. Neurologist 2013; 19(1): 1-6 <strong>13</strong> Sasai T et al.: Idiopathic rapid eye movement sleep behavior disorder, electroencephalographic findings related with mild cognitive impairment in idiopathic rapid eye movement sleep behavior disorder. Sleep 2013; 36(12): 1893-9 <strong>14</strong> De Cock VC et al.: Sleep disturbances in patients with parkinsonism. Nat Clin Pract Neurol 2008; 4(5): 254-66<strong> 15</strong> Wetter TC et al.: Sleep and periodic leg movement patterns in drug-free patients with Parkinson’s disease and multiple system atrophy. Sleep 2000; 23(3): 361-7 <strong>16</strong> Placidi F et al.: Sleep-wake cycle and effects of cabergoline monotherapy in de novo Parkinson’s disease patients. An ambulatory polysomnographic study. J Neurol 2008; 255(7): 1032-7 <strong>17</strong> Aarsland D et al.: Neuropsychiatric symptoms in Parkinson’s disease. Mov Disord 2009; 24(15): 2175-86 <strong>18</strong> Foltynie T et al.: The cognitive ability of an incident cohort of Parkinson’s patients in the UK. The CamPaIGN study. Brain 2004; 127(3): 550-60 <strong>19</strong> Balas M et al.: Cognition in multiple system atrophy: neuropsychological profile and interaction with mood. J Neural Transm 2010; 117(3): 369-75 <strong>20</strong> Iranzo A, Aparicio J: A lesson from anatomy: focal brain lesions causing REM sleep behaviour disorder. Sleep Med 2009; 10: 9-12 <strong>21</strong> Schenck CH, Mahowald MW: Long-term, nightly benzodiazepine treatment of injurious parasomnias and other disorders of disrupted nocturnal sleep in 170 adults. Am J Med 1996; 100: 333-7 <strong>22</strong> Kunz D, Mahlberg R: A two-part, double- blind, placebo-controlled trial of exogenous melatonin in REM sleep behaviour disorder. J Sleep Res 2010; 19: 591-6 <strong>23</strong> Ringman JM, Simmons JH: Treatment of REM sleep behavior disorder with donepezil: a report of three cases. Neurology 2000; 55: 870-1 <strong>24</strong> Mayer G et al.: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen, Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Somnologie, Schlafforschung und Schlafmedizin (Suppl 1) 2009; 13: 4-160</p>
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