ÖGN-Positionspapier

Versorgung neurologischer Notfälle in der zentralen Notaufnahme

<p class="article-intro">Im deutschsprachigen Raum kommen 20–30 % der Patienten wegen akuter neurologischer Symptome in zentrale Notaufnahmen der Spitäler. Am häufigsten finden sich die Leitsymptome Kopfschmerz, Lähmungen und Schwindel. Nach dem Manchester-Triage-System werden Leitsymptome und Behandlungsdringlichkeit definiert.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bis zu 30 % aller Patienten kommen wegen neurologischer Leitsymptome in die zentrale Notaufnahme (ZNA) eines Krankenhauses.</li> <li>In den meisten ZNA im deutschsprachigen Raum erfolgt die Ersteinsch&auml;tzung der Patienten symptomorientiert nach dem Manchester- Triage-System.</li> <li>Die h&auml;ufigsten neurologischen Leitsymptome sind Kopfschmerzen, motorisches Defizit und Schwindel.</li> <li>Ein Neurologe fungiert in einer ZNA f&uuml;r Patienten mit neurologischen Leitsymptomen als &bdquo;gate-keeper&ldquo; zu den fachspezifischen station&auml;ren Ressourcen eines Spitals.</li> <li>Die neurologische Patientenversorgung im Schwerpunktspital muss auf Fachniveau erfolgen, um bei neurologischen Notf&auml;llen die derzeit verf&uuml;gbaren diagnostischen und therapeutischen M&ouml;glichkeiten so einzusetzen, dass bleibende Behinderung oder Tod in ad&auml;quatem Ausma&szlig; vermieden werden.</li> </ul> </div> <p>Die Ersteinsch&auml;tzung in einer Notaufnahme kann auf diese Weise effizient auch ohne Neurologen erfolgen. Nach Festlegung von Fachzugeh&ouml;rigkeit und Behandlungsdringlichkeit muss die weitere Patientenversorgung allerdings fachspezifisch erfolgen, um eine sichere Unterscheidung von harmlosen und gef&auml;hrlichen klinischen Situationen zu erzielen. Ein Neurologe entwickelt auf Basis von klinischer Information eine topische Arbeitshypothese und gibt einen individuellen Behandlungspfad vor. Diese Vorgangsweise gew&auml;hrleistet gezielten Ressourceneinsatz und ad&auml;quates therapeutisches Handeln in zeitkritischen Situationen.<br /> F&uuml;r jede zentrale Notaufnahme ist daher die Verf&uuml;gbarkeit eines Neurologen essenziell. Viele neurologische Notf&auml;lle sind ohne schnelle fachspezifische Versorgung mit einer erh&ouml;hten Morbidit&auml;t und Mortalit&auml;t assoziiert. Jeder Patient, seine Angeh&ouml;rigen und die Solidargemeinschaft profitieren, wenn durch ad&auml;quate Patientenversorgung Behinderung und Todesf&auml;lle vermieden werden k&ouml;nnen.</p> <h2>Schlaganfall</h2> <p>Zerebrovaskul&auml;re Erkrankungen, darunter zu 85 % Hirninfarkte, z&auml;hlen zu den h&auml;ufigsten Notf&auml;llen in der Neurologie. Die Mortalit&auml;t betr&auml;gt hierzulande 10&ndash; 15 % und ist von der regional verf&uuml;gbaren Versorgungsqualit&auml;t abh&auml;ngig. Epidemiologisch geht man derzeit in &Ouml;sterreich von 24 000 Schlaganf&auml;llen pro Jahr aus, wobei eine steigende Inzidenz prognostiziert wird. Der Neurologe fungiert bereits vor Eintreffen in der Notaufnahme als &bdquo;Case Manager&ldquo; des Schlaganfallpatienten. Ihm obliegt es, die Indikation zur Wahl der passenden rekanalisierenden Akuttherapie zu stellen. Das Zeitfenster f&uuml;r das Intervall zwischen Symptom- und Behandlungsbeginn ist essenziell: 4,5 Stunden f&uuml;r die systemische Thrombolyse und 6 Stunden f&uuml;r die endovaskul&auml;re Thrombektomie. In der pr&auml;klinischen Versorgung sind Fr&uuml;herkennung und Durchf&uuml;hrung eines &bdquo;stroke aviso&ldquo; durch die Rettungsleitstelle an den diensthabenden Neurologen der Stroke Unit die entscheidenden Faktoren. So wird sichergestellt, dass bei Eintreffen des Patienten an der Notaufnahme sofort die &bdquo;Diagnosestra&szlig;e&ldquo; (Neurologe vor Ort, Labor, Transport und sofortige Bildgebung) zur Verf&uuml;gung steht. F&uuml;r das Langzeitoutcome ist der schnellstm&ouml;gliche Therapiebeginn wesentlich. Schlaganf&auml;lle werden h&auml;ufiger als Myokardinfarkte fehldiagnostiziert. Gerade akute Gef&auml;&szlig;verschl&uuml;sse in der vertebrobasil&auml;ren Zirkulation werden von den g&auml;ngigen Triagetests (z.B. FAST &ndash; &bdquo;face &ndash; arm &ndash; speech &ndash; time&ldquo;) nicht erfasst.</p> <h2>Spontane Subarachnoidalblutung</h2> <p>Eine spontane Subarachnoidalblutung (SAB) aus einem Aneurysma der Hirnbasisgef&auml;&szlig;e ist immer lebensbedrohlich. Das Behandlungsergebnis nach einer SAB h&auml;ngt direkt mit ad&auml;quater Prim&auml;rversorgung, rascher Diagnosestellung und qualifizierter medizinischer Versorgung in einem Zentrum zusammen. Intensiv&uuml;berwachung und zeitgerechte Ausschaltung des Aneurysmas (endovaskul&auml;r oder operativ) sind zwingend, um Morbidit&auml;t und Mortalit&auml;t zu senken. Als Leitsymptom gilt ein akuter vernichtender Kopfschmerz (&bdquo;wie noch nie&ldquo;), gefolgt von Meningismus und Vigilanzminderung. Der sichere Ausschluss einer SAB erfordert neben der klinischen Untersuchung eine umfassende Zusatzdiagnostik (CCT, CTA, Liquorpunktion).</p> <h2>Meningitis</h2> <p>Die bakterielle Meningitis ist weiterhin eine schwerwiegende Erkrankung mit einer Mortalit&auml;t von 15&ndash;20 % . Auch hier korreliert das &bdquo;Zeitfenster&ldquo; von Symptombeginn bis zum Beginn der empirischen i.v. Antibiose mit der Mortalit&auml;t. Trotz typischer Symptome (Kopfschmerzen, Meningismus) wird diese Erkrankung immer wieder &uuml;bersehen und kann zu Todesf&auml;llen f&uuml;hren (z.B. Meningokokken-Sepsis). Das Erregerspektrum h&auml;ngt vom Alter und Immunstatus des Patienten ab.</p> <h2>Enzephalitis</h2> <p>Die Diagnosestellung von Enzephalitiden kann schwierig sein und erfordert umfassende Fachkenntnis sowie apparative Zusatzdiagnostik (Liquordiagnostik, MRT, EEG). Enzephalitische Leitsymptome sind Wesens&auml;nderung, epileptische Anf&auml;lle und mnestische St&ouml;rungen. Bei der Herpes-simplex-virus-Enzephalitis ist die sofortige Gabe einer ad&auml;quat dosierten antiviralen Therapie entscheidend. Auch ungew&ouml;hnliche Erreger viraler Meningoenzephalitiden werden in westlichen L&auml;ndern zunehmend h&auml;ufiger gefunden (z.B. West-Nil-Virus, Toskana-Virus). Differenzialdiagnostisch wichtiger werden auch Autoimmun-Enzephalitiden (z.B. Anti-NMDA-Rezeptor Ak-Enzephalitis), die wahrscheinlich f&uuml;r ca. 10&ndash;20 % der bislang ungekl&auml;rten Meningoenzephalitiden verantwortlich sind.</p> <h2>Polyradikulitis</h2> <p>Das Guillain-Barr&eacute;-Syndrom ist mit einer Inzidenz von ca. 1&ndash;4/100 000 Einwohner zwar selten, aber der h&auml;ufigste Grund f&uuml;r akute schlaffe Paresen. Ein neurologischer Notfall liegt bei rascher Progression, respiratorischer Insuffizienz oder autonomer Dysfunktion vor. Ungef&auml;hr ein Viertel aller Patienten mit GBS ben&ouml;tigt im Krankheitsverlauf intensivmedizinische Ma&szlig;nahmen, dennoch versterben von diesen bis zu 20 % . Rechtzeitige Diagnose und Immuntherapie (IVIG oder PLEX) beeinflussen das Outcome nachweislich.</p> <h2>Myasthenia gravis</h2> <p>Die Myasthenia gravis ist eine seltene, aber gut behandelbare Autoimmun-Erkrankung der motorischen Endplatte mit &auml;hnlicher Inzidenz wie das Guillain-Barr&eacute;- Syndrom. Eine myasthene Krise kann durch Infektionen, Medikationsfehler oder unzureichende Immunsuppression ausgel&ouml;st werden. Die Mortalit&auml;t ist ohne intensivmedizinische Therapie hoch, betr&auml;gt aber auch bei optimaler intensivmedizinischer Betreuung bis zu 5 % .</p> <h2>Notf&auml;lle bei Bewegungsst&ouml;rungen</h2> <p><strong>Akute Dystonie</strong><br /> Eine akute dystone Reaktion nach Gabe von Neuroleptika oder Metoclopramid ist meist nicht lebensbedrohlich. Innerhalb der ersten f&uuml;nf Behandlungstage k&ouml;nnen pl&ouml;tzlich okulogyre Krisen, Schlundkr&auml;mpfe, zervikale Dystonie bis hin zum Opisthotonus auftreten. Die i.v. Gabe eines Anticholinergikums (z.B. Akineton&reg;) f&uuml;hrt zu einer raschen Remission.<br /><br /> <strong>Akinetische Krise bei Parkinson-Erkrankung</strong><br /> Bei der akinetischen Krise findet sich eine generalisierte Akinese mit Dysphagie, Harnverhalt, Fieber und auch Dyspnoe. Ursachen sind neben Medikationsfehlern auch gastrointestinale Resorptionsst&ouml;rungen, Neuroleptikagabe, Infekte, Dehydrierung, Traumen und Operationen. Hier sind die Fr&uuml;herkennung, Zufuhr dopaminerger Therapeutika (i.v., transkutan, per Sonde) und medizinische Allgemeinma&szlig;nahmen f&uuml;r das &Uuml;berleben entscheidend.</p> <h2>Epileptischer Anfall und Status epilepticus</h2> <p>Epileptische Anf&auml;lle z&auml;hlen zu h&auml;ufigen Gr&uuml;nden f&uuml;r Rettungszufahrten in zentrale Notaufnahmen. Bei einem epileptischen Anfall handelt es sich um eine passagere Dysfunktion des Gehirns aufgrund von abnormen Entladungen des Kortex, die Ph&auml;nomenologie variiert erheblich. Die Anfallsdauer betr&auml;gt meist nicht l&auml;nger als 2 Minuten. Man unterscheidet generalisierte und fokale Anf&auml;lle. Wenn mindestens ein epileptischer Anfall aufgetreten ist und Befunde vorliegen, die auf eine Rezidivneigung hinweisen, dann ist die Diagnose einer Epilepsie gerechtfertigt. Im Setting der Notaufnahme treten epileptische Anf&auml;lle in drei typischen Situationen auf:<br /><br /> <strong>A) Verdacht auf ersten epileptischen Anfall</strong><br /> Durch detaillierte Anamnese und Au&szlig;enanamnese gilt es Hinweise zu finden, ob es sich tats&auml;chlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat (DD: psychogener Anfall, konvulsive oder nicht konvulsive Synkope, REM-Schlaf-Verhaltensst&ouml;rung). Besteht der Verdacht auf einen epileptischen Anfall, ist neben der klinisch- neurologischen Untersuchung und Labordiagnostik die Bildgebung des Gehirns notwendig (mindestens Nativ-CCT, besser cMRT nach Epilepsie-Protokoll). In der Regel ist hier eine station&auml;re Aufnahme zur profunden Abkl&auml;rung notwendig.<br /><br /> <strong>B) Neuerlicher Anfall bei bereits vordiagnostizierter Epilepsie</strong><br /> Bei diesen Patienten ist eine akute Bildgebung normalerweise nicht notwendig. Man pr&uuml;ft Compliance und Anfallsausl&ouml;ser (Alkoholkonsum, Schlafentzug, Infekt). In den meisten F&auml;llen ist eine ambulante Betreuung der Patienten m&ouml;glich.<br /><br /> <strong>C) Status epilepticus (SE)</strong><br /> Im klinischen Alltag hat sich eine operationale Definition bew&auml;hrt, wonach jeder epileptischer Anfall nach 5 Minuten Dauer als SE gewertet wird. Kommt es zwischen zwei (oder mehreren) Anf&auml;llen nicht zur Wiedererlangung des vorbestehenden neurologischen Befundes, ist ebenfalls von einem SE auszugehen. Prinzipiell kann jegliche Form fokaler und generalisierter Anf&auml;lle auch als SE auftreten. Ein SE kann die Erstmanifestation einer Epilepsie darstellen (ca. 15 % der Epilepsiepatienten haben zumindest einmal im Leben einen SE) bzw. im Rahmen einer akuten ZNS-Erkrankung auftreten. Die Mortalit&auml;t wird auf 20 % gesch&auml;tzt. In der Regel ist beim SE eine intensivmedizinische &Uuml;berwachung angezeigt, die medikament&ouml;se Therapie erfolgt nach einem erprobten Stufenschema.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Neurologische Notf&auml;lle sind relevante Ereignisse in zentralen Notaufnahmen, sie m&uuml;ssen auf fachspezifischer Ebene versorgt werden. Ein Neurologe in der Notaufnahme gew&auml;hrleistet die Patientensicherheit und kann Behinderungen und Todesf&auml;lle reduzieren. In zeitkritischen F&auml;llen wie etwa der Schlaganfall-Akutversorgung darf der m&ouml;gliche Behandlungserfolg nicht durch mangelhaft organisierte Schnittstellen gef&auml;hrdet werden.<br /><br /> Die &Ouml;GN betont nochmals die Stellungnahme der DGN zur Versorgung von neurologischen Patienten in der Notaufnahme aus dem Jahr 2009. Diese besagt, dass der Behandlungserfolg zahlreicher neurologischer Krankheiten davon abh&auml;ngt, ob die richtige Diagnose fr&uuml;hzeitig gestellt und schnell eine ursachengerechte Behandlung eingeleitet wird. Daraus ergibt sich, dass die prim&auml;re Versorgung dieser Patienten auf neurologischem Fachniveau erfolgen muss. Notaufnahmen sollten so organisiert werden, dass die fachliche Verantwortung bei den Einzeldisziplinen bleibt, bei Zentralisierung der Organisationsverantwortlichkeit f&uuml;r die Einheit.<br /><br /> Bei den Planungen f&uuml;r Notaufnahmen in &ouml;sterreichischen Krankenanstalten m&uuml;ssen diese fachspezifischen Notwendigkeiten zwingend ber&uuml;cksichtigt werden; n&auml;mlich eine Liste der neurologischen Leitsymptome nach MTS, die Beiziehung eines Neurologen und die Gew&auml;hrleistung einer raschen intrahospitalen fachspezifischen Diagnostik und Therapie. Auch die geplante Etablierung von allgemeinmedizinischen Prim&auml;rversorgern in unmittelbarer N&auml;he des Krankenhauses muss in diese &Uuml;berlegungen einbezogen werden, um kein Hindernis f&uuml;r die Fr&uuml;herkennung von neurologischen Notf&auml;llen darzustellen. In diesem Zusammenhang ist das Fehlen einer obligatorischen neurologischen Ausbildung im aktuell g&uuml;ltigen Curriculum Allgemeinmedizin besonders nachteilig. Im Curriculum der neurologischen Facharztausbildung werden die zuk&uuml;nftigen Neurologen mit den Modulen &bdquo;Notfalls- und Intensivneurologie&ldquo; und &bdquo;vertieftes Schlaganfall-Management&ldquo; sehr gut auf die Anforderungen in der Notfallversorgung vorbereitet.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
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