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Wirkmechanismus einer neu zugelassenen MS-Therapie

<p class="article-intro">Daclizumab ist ein humanisierter immunmodulierender monoklonaler Antikörper, der an die Alpha-Untereinheit des IL-2-Rezeptors (IL-2R) bindet. Durch die Blockade der Bindung von IL-2 an den hochaffinen IL-2R auf dendritischen Zellen und T-Zellen verstärkt Daclizumab immunregulatorische Prozesse. Die Zulassungsstudie DECIDE zeigte eine reduzierte Schubrate und verringerte Anzahl neuer oder sich vergrößernder Herde im Vergleich zur Behandlung mit Interferon β-1a.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Daclizumab (Zynbryta&reg;) ist ein humanisierter monoklonaler Antik&ouml;rper, der an die Alpha- Untereinheit des hochaffinen IL-2-Rezeptors (CD25) auf dendritischen Zellen und T-Zellen bindet.</li> <li>Daclizumab wirkt immunmodulierend und f&uuml;hrt zur Hemmung von Effektor-T-Zell- Reaktionen, Reduktion regulatorischer T-Zellen, Expansion immunregulatorischer CD56bright-NK-Zellen und zur NK-Zell-vermittelten Kontrolle aktivierter T-Zellen.</li> <li>Im Vergleich zur Behandlung mit Interferon &szlig;-1a verringert Daclizumab die Anzahl der Sch&uuml;be und neuer bzw. sich vergr&ouml;&szlig;ernder Herde (DECIDE-Studie).</li> <li>Seit Juli 2016 von der EMA zur Therapie der schubf&ouml;rmigen MS bei Erwachsenen zugelassen.</li> <li>Laut KKNMS-Leitlinien sollte Daclizumab zur Behandlung von Patienten, bei denen trotz Therapie f&uuml;r moderate Verlaufsformen Sch&uuml;be auftreten, sowie Patienten mit hochaktivem Krankheitsverlauf verwendet werden.</li> </ul> </div> <p>Multiple Sklerose (MS) ist eine entz&uuml;ndliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Bei MS-Patienten f&uuml;hrt eine St&ouml;rung immunregulatorischer Netzwerke zur Aktivierung von antigenspezifischen T-Zellen. Daclizumab (Zinbryta<sup>&reg;</sup>) ist ein humanisierter monoklonaler Antik&ouml;rper, der immunregulatorische Prozesse verst&auml;rkt, indem er an die IL-2-Rezeptor-Alpha-Untereinheit (IL-2R&alpha;, CD25) des hochaffinen IL-2R auf dendritischen Zellen (Abb. 1A) und aktivierten T-Zellen (Abb. 1B) bindet.1 Die Blockade von IL-2Ra auf dendritischen Zellen inhibiert die IL-2-Cross-Pr&auml;sentation an T-Zellen (Abb. 1B). Dies f&uuml;hrt zu einer Reduktion der fr&uuml;hen T-Zell-Aktivierung (Abb. 2A).<sup>2</sup> Dar&uuml;ber hinaus wird die Bindung von IL-2 an IL-2R&alpha; auf aktivierten T-Zellen blockiert, wodurch es zu einem lokalen Anstieg von IL-2 kommt (Abb. 2B).<sup>3</sup> Dieses bindet wiederum an die IL- 2R&beta;-Untereinheit des mittelaffinen IL-2R, der verst&auml;rkt auf CD56<sup>bright</sup>-NK-Zellen exprimiert wird (Abb. 1C).<sup>3</sup> Dadurch erh&ouml;ht sich die Frequenz der regulatorischen CD56<sup>bright</sup>-NK-Zellen im peripheren Blut (Abb. 2C).<sup>4</sup> Parallel dazu verringert sich der Anteil der entz&uuml;ndungsf&ouml;rdernden LTi (&bdquo;lymphoid tissue inducer&ldquo;)-Zellen (Abb. 2C).<sup>5</sup> Daclizumab erh&ouml;ht nicht nur den Anteil, sondern verst&auml;rkt auch die regulatorische Funktion der NK-Zellen.<sup>4, 6, 7</sup> Neben regulatorischen T-Zellen sind NK-Zellen in der Lage, antigenaktivierte T-Zellen zu erkennen und zu lysieren.<sup>7</sup> Die T-Zell- Kontrolle ist in der MS gest&ouml;rt,<sup>7</sup> wodurch es zur Anreicherung autoreaktiver T-Zellen im Blut kommt. Daclizumab stellt dieses Gleichgewicht wieder her, indem es einerseits die regulatorische Funktion der NK-Zellen verst&auml;rkt und andererseits die Sensibilit&auml;t der T-Zellen f&uuml;r die NK-Zellvermittelte Kontrolle erh&ouml;ht (Abb. 2D).<sup>4, 7</sup><br /> Diese Prozesse kompensieren vermutlich die von Daclizumab induzierte Reduktion regulatorischer T-Zellen vom CD25<sup>+</sup>FoxP3<sup>+</sup>-Ph&auml;notyp.<sup>1</sup> Die Effekte von Daclizumab auf die Frequenz der regulatorischen CD56<sup>bright</sup>-NK-Zellen und CD25<sup>+</sup>FoxP3<sup>+</sup>-T-Zellen sind reversibel.<sup>8</sup> Zirka vier Wochen nach Absetzen der Therapie werden die Ausgangwerte wieder erreicht.<sup>8</sup></p> <h2>Ergebnisse der Zulassungsstudien SELECT und DECIDE</h2> <p>Seit Juli 2016 ist Daclizumab, auf Basis der Zulassungsstudien SELECT (NCT00390332) und DECIDE (NCT01054401) (Tab. 1), zur Therapie der schubf&ouml;rmigen Multiplen Sklerose bei Erwachsenen zugelassen. Dieses Daclizumab, das vorher auch als Daclizumab High Yield Process (HYP) bezeichnet wurde, weist gegen&uuml;ber der fr&uuml;heren Form des Pr&auml;parats (Zenapax<sup>&reg;</sup>) ein ver&auml;ndertes Glykolysierungsprofil auf, wodurch die antik&ouml;rperabh&auml;ngige zellul&auml;re Zytotoxizit&auml;t reduziert wird. Diese ver&auml;nderte Form von Daclizumab wurde erstmalig in der doppelblinden randomisierten Phase-IIb-Studie SELECT getestet (Tab. 1).<sup>9</sup> 621 Patienten mit aktiver schubf&ouml;rmiger Multipler Sklerose wurden in diese Studie eingeschlossen. Sie erhielten f&uuml;r ein Jahr einmal pro Monat subkutan (s.c.) 150mg Daclizumab HYP, 300mg Daclizumab HYP oder Placebo. Die Behandlung mit Daclizumab f&uuml;hrte zu einer relativen Reduktion der j&auml;hrlichen Schubrate von 54 % im 150mg-Arm vs. Placebo und von 50 % im 300mg-Arm vs. Placebo. Der Anteil neuer bzw. vergr&ouml;&szlig;erter kontrastmittelaufnehmender L&auml;sionen nahm um 70 % im 150mg-Arm bzw. 79 % im 300mg- Arm ab. Im Vergleich zu Placebo kam es bei der Therapie mit Daclizumab au&szlig;erdem zu einer signifikanten Reduktion der Behinderungsprogression. An der doppelblinden randomisierten DECIDE-Studie (Tab. 1) nahmen in 28 L&auml;ndern 1.841 Patienten mit schubf&ouml;rmiger Multipler Sklerose teil.<sup>10</sup> Sie erhielten entweder monatlich s.c. 150mg Daclizumab oder w&ouml;chentlich intramuskul&auml;r (i.m.) 30&mu;g Interferon &beta;-1a. Die Studie dauerte 144 Wochen. Der prim&auml;re Endpunkt war die j&auml;hrliche Schubrate. Sie war bei Patienten, die mit Daclizumab behandelt worden waren, gegen&uuml;ber denen, die Interferon &beta;-1a erhalten hatten, signifikant reduziert (relative Reduktion um 45 % ). Dar&uuml;ber hinaus zeigten Patienten, die mit Daclizumab behandelt wurden, eine signifikant geringere Krankheitsaktivit&auml;t. Der Anteil neuer bzw. vergr&ouml;&szlig;erter kontrastmittelaufnehmender L&auml;sionen war bei ihnen um 54 % reduziert. Hinsichtlich des sekund&auml;ren Endpunktes, einer mindestens drei Monate anhaltenden Verschlechterung des Behinderungsgrads, zeigte Daclizumab gegen&uuml;ber Interferon &beta;-1a einen leichten, aber nicht signifikanten Vorteil.<br /><br /> Der Anteil unerw&uuml;nschter Nebenwirkungen war mit 15 % unter Daclizumab h&ouml;her als unter Interferon &beta;-1a (10 % ). Bei 65 % der Nebenwirkungen handelte es sich um Infektionen von leichtem bis mittlerem Schweregrad, und in 4 % der F&auml;lle kam es zu schweren Infektionen durch Harnwegsinfekte, Pneumonie, Appendizitis, Zellulitis und Virusinfektionen. Bei 37 % der mit Daclizumab behandelten Patienten traten Hautreaktionen (Exantheme und Ekzeme) auf, die bei 3&ndash;5 % der behandelten Patienten zum Therapieabbruch f&uuml;hrten. Bei 6 % der Patienten kam es unter der Daclizumab-Therapie zu einem erh&ouml;hten Anstieg der Leberwerte im Vergleich zu Interferon &beta;-1a (3 % erh&ouml;hte Leberenzyme). Aus diesem Grund m&uuml;ssen die Leberwerte GOT, GPT, GGT und Bilirubin vor Therapiebeginn, w&auml;hrend des gesamten Behandlungszeitraums und bis vier Monate danach in monatlichen Intervallen bestimmt werden.</p> <h2>Therapieempfehlung gem&auml;&szlig; dem Kompetenznetz Multiple Sklerose</h2> <p>Auf Basis der Ergebnisse der beiden Zulassungsstudien empfiehlt das Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS, http://www.kompetenznetz-multiplesklerose. de/) die Gabe von Daclizumab bei (1) vorbehandelten Patienten mit schubf&ouml;rmiger Multipler Sklerose, wenn sie mindestens zwei Sch&uuml;be in den vergangenen zwei Jahren unter einer mindestens sechsmonatigen Therapie mit einem Therapeutikum f&uuml;r milde/moderate Verlaufsformen hatten und MS-typische MRT-Ver&auml;nderungen vorliegen. Einer der Sch&uuml;be muss innerhalb des letzten Jahres erfolgt sein. Dar&uuml;ber hinaus k&ouml;nnen (2) Patienten mit einer prim&auml;r besonders aktiven MS mit Daclizumab behandelt werden, wenn sie w&auml;hrend einer kurzen Krankheitsdauer eine sehr hohe Schubfrequenz aufweisen oder mindestens zwei Sch&uuml;be innerhalb des vergangenen Jahres erlitten haben und zus&auml;tzlich MRT-Aktivit&auml;t (Gd-Aufnahme oder Zunahme der T2-L&auml;sionslast im Vergleich zu einem fr&uuml;heren MRT) aufweisen.<br /><br /> Kontraindikationen f&uuml;r Daclizumab sind Hypersensibilit&auml;t gegen&uuml;ber dem Wirkstoff oder sonstigen Bestandteilen des Arzneimittels, vorbestehende schwere Leberfunktionserkrankungen inklusive Autoimmunhepatitis, erh&ouml;hte GOT- oder GPT-Werte &uuml;ber dem Zweifachen des ULN, aktive schwerwiegende Infektionen, aktive Tuberkulose und chronische Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B und C. Bei Patienten mit vorbestehender leichter oder mittelschwerer Leberfunktionsst&ouml;rung, Hauterkrankungen oder aktuellen depressiven Erkrankungen und chronisch- entz&uuml;ndlichen Darmerkrankungen sollte Daclizumab nur mit besonderer Vorsicht angewandt werden. W&auml;hrend der Schwangerschaft und Stillzeit sollte Daclizumab nur in Ausnahmef&auml;llen eingesetzt werden. Daclizumab wird in einer Dosierung von 150mg s.c. mit einer Fertigspritze verabreicht.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Daclizumab geh&ouml;rt zur Wirkstoffgruppe der monoklonalen Antik&ouml;rper. Es ist gegen die Alpha-Untereinheit des hochaffinen IL-2-Rezeptors auf dendritischen Zellen und T-Zellen gerichtet und wirkt immunmodulierend. Seit Juli 2016 ist Daclizumab zur Behandlung der schubf&ouml;rmigen Multiplen Sklerose bei Erwachsenen von der EMA zugelassen. Es wird monatlich in einer Dosierung von 150mg subkutan mit einer Fertigspritze verabreicht. Laut Empfehlungen des KKNMS sollten MS-Patienten nur dann mit Daclizumab behandelt werden, wenn trotz eines Therapeutikums f&uuml;r milde/moderate Verlaufsformen Sch&uuml;be auftreten oder wenn sie von Beginn an unter einem hochaktiven Krankheitsverlauf leiden. Dar&uuml;ber hinaus sollten Leberwerte regelm&auml;&szlig;ig kontrolliert werden, da im Rahmen der Behandlung mit Daclizumab Leberwertver&auml;nderungen auftreten k&ouml;nnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s20_tab1_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="2338" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s20_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="909" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Wiendl H, Gross CC: Modulation of IL-2Ralpha with daclizumab for treatment of multiple sclerosis. Nat Rev Neurol 2013; 9: 394-404 <strong>2</strong> Wuest SC et al: A role for interleukin-2 trans-presentation in dendritic cell-mediated T cell activation in humans, as revealed by daclizumab therapy. Nat Med 2011; 17: 604-9 <strong>3</strong> Martin JF et al: An IL-2 paradox: blocking CD25 on T cells induces IL-2-driven activation of CD56(bright) NK cells. J Immunol 2010; 185: 1311-20 <strong>4</strong> Bielekova B et al: Regulatory CD56(bright) natural killer cells mediate immunomodulatory effects of IL-2Ralpha-targeted therapy (daclizumab) in multiple sclerosis. Proc Natl Acad Sci U S A 2006; 103: 5941-6 <strong>5</strong> Perry JS et al: Inhibition of LTi cell development by CD25 blockade is associated with decreased intrathecal inflammation in multiple sclerosis. Sci Transl Med 2012; 4: 145ra106 <strong>6</strong> Jiang W et al: Unexpected role for granzyme K in CD56bright NK cellmediated immunoregulation of multiple sclerosis. J Immunol 2011; 187: 781-90 <strong>7</strong> Gross CC et al: Impaired NK-mediated regulation of T-cell activity in multiple sclerosis is reconstituted by IL-2 receptor modulation. Proc Natl Acad Sci U S A 2016; 113: E2973-82 <strong>8</strong> Giovannoni G et al: Daclizumab high-yield process in relapsing-remitting multiple sclerosis (SELECTION): a multicentre, randomised, double- blind extension trial. Lancet Neurol 2014; 13: 472-81 <strong>9</strong> Gold R et al: Daclizumab high-yield process in relapsingremitting multiple sclerosis (SELECT): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2013; 381: 2167-75 <strong>10</strong> Kappos L et al: Daclizumab HYP versus interferon beta-1a in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2015; 373: 1418-28</p> </div> </p>
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