Lässt ein Angiopoietin-like-3-Abkömmling neuen Knorpel wachsen?
Bericht:
Dr. med. Felicitas Witte
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Das Protein LNA043 scheint einen günstigen Einfluss auf Chondrogenese und Knorpelmatrixsynthese auszuüben. In einer Phase-I-Studie wurden Anzeichen für die Regeneration von hyalinem Knorpel gefunden.
Zurzeit gibt es noch kein krankheitsmodifizierendes Medikament gegen Arthrose, sondern lediglich symptomatische Behandlungen und als Ultima Ratio den Gelenkersatz. Arthrose ist gekennzeichnet durch den fortschreitenden Verlust von Gelenkknorpel, was durch enzymatischen Abbau der Knorpelmatrix auf der einen und durch mangelhafte Matrixformation auf der anderen Seite bedingt ist. Es kommt zu diversen biochemischen und biomechanischen Schäden. Die schadhaften Stellen versucht der Körper mit einem Faserknorpel zu ersetzen, der aber schlechte mechanische Eigenschaften hat und die Entwicklung einer Arthrose eher vorantreibt, ohne dass hyaliner Knorpel entsteht.
Eine internationale Forschergruppe unter Federführung von Dr. rer. nat. Michaela Kneissel von den Novartis Institutes for BioMedical Research in Basel hat versucht, ein krankheitsmodifizierendes Medikament zu finden, das den hyalinen Knorpel von Arthrosepatienten regenerieren soll. Die Gruppe hat ein prochondrogenes Protein identifiziert und dessen Effekt auf Chondrozyten untersucht. Die Ergebnisse wurden in «Nature Medicine» veröffentlicht.1
Kein Mangel an Stammzellen
Mesenchymale Stammzellen können sich in verschiedene Zelllinien differenzieren, unter anderem in Chondrozyten. Sie wurden sowohl in gesundem Knorpel nachgewiesen als auch in Arthrose-Knorpel, Synovia und Synovialflüssigkeit. Dies lässt vermuten, dass es weniger an einem Mangel an Stammzellen liegt, dass sich der Gelenkknorpel bei Arthrose nicht richtig regeneriert, als womöglich vielmehr an einer gestörten Aktivität der synovialen Stammzellen oder einer ungünstigen Gewebeumgebung. Die Forschenden suchten nun nach Proteinen, die die Stammzellen dazu bringen können, sich zu Chondrozyten zu differenzieren. Das gelang ihnen mit einer speziellen Technik («image-based high-throughput screen»).
«Das waren Experimente im Kleinstformat», kommentiert PD Dr. rer. nat. Solvig Diederichs, Leiterin der Forschungsgruppe für experimentelle Orthopädie im Universitätsklinikum Heidelberg. «Mesenchymale Stammzellen wurden mit je einem von 6300 Proteinen behandelt. Mittels automatisierter Mikroskopie wurde analysiert, ob durch die Behandlung die ersten Schritte der Chondrogenese induziert werden, also eine Kondensation zu einem Knötchen und eine Ablagerung von Kollagenen.»
Unter den 6300 gescreenten Kandidaten identifizierte das Forschungsteam das Protein Angiopoietin-like 3 (ANGPTL3). Dessen chondrogene Eigenschaft wurde auf seinem C-terminalen Ende lokalisiert. Aus ANGPTL3 stellten die Forscher das Protein LNA043 her. Dieses hat keine proangiogenen Eigenschaften, die sich ungünstig auf die Arthrose auswirken.
Hinweise auf Förderung der Chondrogenese
Die Forscher testeten LNA043 in vitro, in einem Tiermodell mit Ratten, in einem Grosstiermodell mit Schweinen und in einem Pilotversuch am Menschen. Im «Nature»-Artikel werden die Ex-vivo- und die Tiermodelle ausführlich beschrieben.1 Vereinfacht zusammengefasst lässt sich sagen, dass LNA043 einen dosisabhängigen Anstieg von Lubricin bewirkte, welches der Lubrifikation und dem Erhalt der Gleitfähigkeit der Gelenkflächen und der Homöostase der Synovia dient. Abgesehen davon stieg die Sekretion des Dickkopf-related Proteins 1 (DKK1) an, das die Chondrogenese fördert.
Im klinischen Versuchsteil wurde LNA043 im Rahmen einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Phase-I-Studie getestet. 28 Patienten mit Kniearthrose erhielten einmalig intraartikulär LNA043 oder Placebo entweder 2 Stunden, 7 Tage oder 21 Tage vor einem geplanten totalen Kniegelenkersatz.
In der Phase-I-Studie ging es zunächst um die Sicherheit. «Die Wirksamkeit wird ja in so einer Studienphase streng genommen nicht abgefragt», sagt Diederichs. «Aber hier konnten die Autoren zusätzlich die Wirksamkeit erheben, weil das Gewebe in den nachfolgenden Gelenkersatzoperationen entfernt und damit für Analysen zugänglich wurde.»
Der Erfolg der Therapie wurde mithilfe des Transkriptoms erfasst, also mit den Veränderungen in den Mengen jeder einzelnen RNA, die für die entsprechenden Proteine kodiert. Eine Injektion von LNA043 induzierte die Expression von zwei bestimmten Komponenten hyaliner Knorpelmatrix. «Diese sind jedoch für die Knorpelbildung gar nicht so relevant», meint Diederichs.
In vitro wurden proinflammatorische Mediatoren unterdrückt, die das Fortschreiten einer Arthrose fördern, etwa Interleukin-6. Die Therapie war sicher und die Patienten vertrugen sie gut. 14 von 21 Patienten in der LNA043-Gruppe berichteten über Nebenwirkungen, aber ebenso 5 von 7 Placebopatienten. Die unerwünschten Ereignisse waren vor allem auf den Kniegelenkersatz zurückzuführen, etwa Lungenembolie, tiefe Venenthrombose oder Dehydratation. Ein Patient berichtete über trockenen Mund und einen metallischen Geschmack. Die Nebenwirkung wurde als mild eingestuft und es wurde vermutet, dass dies auf die Arznei zurückzuführen sei. Eine Antikörperbildung gegen LNA043 wurde nicht beobachtet. Laboruntersuchungen, Vitalzeichen und der Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score gaben keinen Hinweis auf Sicherheitsprobleme.
LNA043 übt zumindest einen Teil seiner Effekte über Bindung an den Integrin-α5β1-Rezeptor auf mesenchymalen Stammzellen und Chondrozyten aus, so vermuten die Autoren. Dies könnte die Aktivität von Genen reduzieren, die in das Voranschreiten einer Arthrose involviert sind. Jetzt wird LNA043 in einer Phase-IIb-Studie weiter untersucht (NCT04864392).
Literatur:
1 Gerwin N et al.: Angiopoietin-like 3-derivative LNA043 for cartilage regeneration in osteoarthritis: a randomized phase 1 trial. Nature Medicine 2022; 28: 2633-45
Kommentar
Ich finde die Ergebnisse sehr interessant, würde sie aber nicht als Durchbruch bezeichnen. Sie sind ein kleiner Baustein, um unser Verständnis über die Entstehung und mögliche Behandlungsmöglichkeiten bei Arthrose zu erweitern. Möglicherweise führen diese Ansätze in Zukunft irgendwann zu neuen Therapien. Am spannendsten finde ich, dass es den Autoren gelungen ist, mit LNA043 einen potenziellen Kandidaten zu finden, der sich möglicherweise positiv auf die Chondrogenese auswirkt. Vom Vorläuferprotein ANGPTL3 war bisher nicht bekannt, dass es chondrogene Eigenschaften hat. Auch dass es den Forschern gelungen ist, die proangiogenetischen Eigenschaften von ANGPTL3 «auszuschalten», hat mich als Kliniker beeindruckt – so, als würde man Nebenwirkungen eines Medikamentes einfach «abschalten». Die Autoren haben mit LNA043 die Chondrogenese in vitro induziert, und es hat offenbar auch beim Menschen einen gewissen Effekt gehabt. Unklar bleibt, ob wir damitwirklich einer Spur zum Arthrosetherapeutikum der Zukunft folgen. Wir wissen bislang nicht, was für eine Qualität der neue Knorpel hat. Es bringt ja nichts, wenn der Patient wieder Knorpelzellen im Knie hat, diese aber nicht belastbar sind. Nur weil RNA von Proteinen entstanden ist, die chondrogen wirken, heisst das noch lange nicht, dass dann belastbarer Knorpel entstanden ist. Ob dieser Ansatz wirklich ein Einsatzgebiet für die Arthrose wird oder nur für traumatisch bedingte Knorpeldefekte oder ob diese Forschungsrichtung ganz wieder verlassen wird, lässt sich deshalb aktuell noch nicht sagen. Es ist nun der naheliegendste Ansatz, die neuen Substanzen mit modernen orthopädischen Operationsverfahren zu kombinieren, etwa mit der Knorpelzelltransplantation, die wir routinemässig an der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg durchführen. Dadurch könnte man in Zukunft die noch immer sehr hohe Anzahl an Implantationen von künstlichen Kniegelenken verringern. Knorpelschäden über ein Medikament, beispielsweise eine Tablette, zu therapieren wird sicherlich noch viele Jahrzehnte intensiver Forschung in Anspruch nehmen.
Prof. Dr. med. Tobias Renkawitz
Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Heidelberg
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