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«Als Ärzt:innen müssen wir uns um die Umwelt kümmern»

Die Fachärztin für Chirurgie und Grüne Luzerner Kantonsrätin Sabine Heselhaus erklärt, was Ärzt:innen gegen die Klimakrise machen können und wieso sie nebenberuflich in der Politik arbeitet.

Welche Themen beschäftigen Sie sowohl als Ärztin als auch als Politikerin derzeit besonders?
Ganz weit vorne sind hier der Fachkräftemangel und die Explosion der Kosten im Gesundheitswesen. Uns fehlt es derzeit an der Basis, das ganze System wankt und wenn wir nichts tun, dann werden wir in den Spitälern und den Pflegeheimen bald triagieren müssen, weil einfach nicht genug Personal vorhanden ist. Das darf in einem Land wie der Schweiz, mit einem qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem nicht passieren. Was mich aber eigentlich noch mehr beunruhigt, ist die Klimakrise und ihre direkten und indirekten Folgen auf unsere Gesundheit. Auf der einen Seite haben wir die Gefahren durch Unwetter, Überschwemmungen und Hitze. Auf der anderen Seite gibt es durch die steigenden durchschnittlichen Temperaturen auch einen Anstieg bei neuen Infektionskrankheiten. Das Problem ist, dass das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltschäden auf unsere Gesundheit und unsere Grundbedürfnisse wie reine Luft, sauberes Wasser, gesunde Böden und Biodiversität fehlt – gesamtgesellschaftlich, aber auch in der Ärzt:innenschaft. Ich kämpfe seit Jahren für dieses Thema und bin ehrlich gesagt geschockt, wie wenig das teilweise ernst genommen wird.

Warum kommt die Dringlichkeit des Themas in der Ärzt:innenschaft nicht an?
Im Gesundheitssystem gibt es fixe Vorstellungen, da steht die Therapie und nicht die Gesundheitsvorsorge und Prävention im Vordergrund. Man spricht ja von einer Gesundheitsindustrie so wie man von einer Landwirtschaftsindustrie spricht. Hier neue Themen reinzubringen und etwas zu ändern, stösst oft auf Widerstand. Ich unterrichte Planetary Health an der Luzerner Universität und merke, es gibt sogar unter den jungen Mediziner:innen ein Unverständnis für die Thematik. Viele fragen sich, warum sie etwas über die Umwelt lernen müssen, wenn sie doch Ärzt:innen werden wollen. Unter praktizierenden und älteren Ärzt:innen ist dieser Widerstand leider noch viel ausgeprägter.

Woran liegt das?
Das liegt daran, dass die meisten in einer Komfortzone leben, nicht direkt von den Katastrophen betroffen sind oder nicht offensichtlich genug. Meiner Meinung nach ist es aber so wichtig, die Zusammenhänge zu lernen und zu verstehen. Umwelt und Klima spielen in jedes Thema mit rein, das kann man nicht aussen vor lassen. Als Ärzt:in habe ich einen Eid geschworen, Ethik spielt dabei eine wichtige Rolle und es geht nun mal um die Gesundheit der Menschen. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass sich mein Berufsstand auch um eine intakte Umwelt kümmern muss.

Was können Ärzt:innen konkret machen, um Umweltschutz zu betreiben und Patient:innen Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu vermitteln?
Ein Thema, wo man sofort ansetzen kann und für das ich mich schon lange einsetze, ist Ernährung. Über die Ernährung kann viel für die körperliche, psychische und planetare Gesundheit getan werden. Unsere Wohlstandsdiät ist für rund ein Drittel der Treibhausgase und Umwelteinträge verantwortlich und gleichzeitig für viele chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Adipositas, aber auch Herz-Kreislauf-Probleme, Krebserkrankungen und so weiter. Wir könnten viel gewinnen, wenn wir uns an der Planetary Health Diet orientieren und auf eine mehr pflanzenbasierte Ernährung setzen würden. Und damit meine ich nicht vegan und nicht einmal vegetarisch, sondern einfach eine vollwertige Nahrung: vermehrt Gemüse und Obst, genügend essenzielle und sekundäre Pflanzenstoffe, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente aufnehmen und gleichzeitig mehr regional und saisonal essen. Dabei ist nichts verboten, diese Angst vor einer «Ökodiktatur» ist ein Marketinggag. Es darf zwischendurch einmal eine Bratwurst oder ein Fondue sein. Aber alles in Massen und dann richtig geniessen und sich bewusstwerden, woher kommt die Milch, wie viele Kälber braucht es dafür, wie viel Wasser und Land wird für die Rinderzucht benötigt etc.

Inwiefern setzen Sie sich in Ihrer Rolle als Politikerin für diese Themen ein?
Ich glaube, dass man heutzutage nicht mehr unpolitisch sein kann. Man muss nicht parteipolitisch sein, aber wir haben eine Verantwortung, vor allem als Ärzt:innen. Als Luzerner Kantonsrätin setze ich mich dafür ein, Umwelt- und Klimaschutzstandards zu etablieren und im Gesundheitssystem die interprofessionelle Zusammenarbeit zu verbessern und so Ressourcen zu sparen. Nach Zürich, Bern und Basel haben wir seit diesem Jahr auch in Luzern ein «Ernährungsforum Stadt-Land». Das ist eine Plattform für Konsument:innen, Landwirt:innen, Produzent:innen, Gastronom:innen etc., um sich auszutauschen und neue Wege für ein nachhaltiges Ernährungssystem zu gestalten. Wie kann mehr Regionales und Saisonales angeboten und konsumiert werden, wie können Verpackungsmaterialien reduziert werden und so weiter. Man muss die Menschen ermutigen, mitzumachen. Auch in der Medizin sollte mehr auf Patient:innen-Empowerment gesetzt werden. Das sind alles wichtige Rädchen, die zur Prävention beitragen und helfen, wieder von einem Kranken- zu einem Gesundheitssystem zu kommen. (Das Interview führte Katrin Grabner.)

© Sara Furrer


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