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Psychotherapie für Menschen mit Psychosen

Das «Feeling Safe»-Programm und eine neue postgraduale Fortbildungsmöglichkeit in der Schweiz

Evidenzbasierte Psychotherapie für Menschen mit Psychosen ist sehr wirksam. Sie gilt heute wie auch die Pharmakotherapie als zentraler Bestandteil einer modernen, Recovery-orientierten Versorgung und sollte Betroffenen in jeder Phase eines Behandlungsprozesses angeboten werden. Oft ist sie jedoch für Betroffene nicht zugänglich. Spezialisierte Fort- und Weiterbildungsangebote für Fachpersonen können dem entgegenwirken.

Keypoints

  • Evidenzbasierte Psychotherapie für Menschen mit Psychosen ist sehr wirksam.

  • Trotzdem erhalten viele Menschen mit Psychosen keinen Zugang zur Psychotherapie.

  • Spezialisierte Fortbildungsangebote bieten eine Chance, diese Lücke zu verkleinern.

  • Die Fortbildung «Psychotherapie bei Psychosen» ist ein neuer Studiengang in der Schweiz, in dem Fachpersonen eine entsprechende Qualifizierung erwerben bzw. vertiefen können.

Aktuelle Behandlungsrichtlinien beschreiben, dass evidenzbasierte Psychotherapie eine sehr wirksame Behandlung für Menschen mit Psychosen ist und ihnen in allen Phasen eines Behandlungsprozesses angeboten werden sollte.1,2 Während ursprünglich in der Psychosenpsychotherapie die Reduktion von Positivsymptomen und des damit verbundenen Leidensdrucks im Vordergrund standen, liegt der Fokus heute darauf, Menschen mit Psychosen darin zu unterstützen, die für sie wichtigen Behandlungs- und Lebensziele zu erreichen. Die Therapie soll Menschen helfen, ihr Leben wieder nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten und denjenigen Aktivitäten nachzugehen, die ihnen wichtig sind. Psychotherapeutische Interventionen sollten dabei innerhalb einer differenzierten Behandlungsplanung stets in Übereinstimmung mit den Überzeugungen der Betroffenen formuliert und beispielsweise Wahn nur bei einer geprüften und vorliegenden Indikation hinterfragt werden (z.B. wenn Wahn den individuellen Zielen der betroffenen Person im Weg steht).3

Evidenzbasierte Psychosenpsychotherapie wird in Forschung und Praxis durch international anerkannte Arbeitsgruppen weiterentwickelt, wie beispielsweise in Deutschland durch die auf kognitive Verhaltenstherapie bei Psychosen (KVTp) und das metakognitive Training (MKT) spezialisierten Gruppen von Prof. Dr. Tania Lincoln und Prof. Dr. Steffen Moritz. Auch aus der Schweiz kommen Behandlungsprogramme, die eine grosse Relevanz für die psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit Psychosen aufweisen – siehe das Integrierte Psychologische Therapieprogramm (IPT).4 Ein zunehmend wichtiger Aspekt in der Weiterentwicklung psychotherapeutischer Angebote ist die enge Zusammenarbeit mit Expert:innen aus Erfahrung (Peers, EX-IN). Ihre Erfahrungen und ihr Wissen führen zu einer erhöhten Zentrierung der Interventionen auf die Bedürfnisse der Betroffenen.5 Wie wissenschaftliche Studien und klinische Erfahrungen zeigen, werden evidenzbasierte Psychotherapieangebote von Menschen mit Psychosen in der Regel gut angenommen und als hilfreich empfunden.6 Betroffene können auch fast immer ihnen wichtige und behandelbare Ziele für eine Psychotherapie nennen, an denen sich eine psychotherapeutische Behandlungsplanung ausrichten lässt.7

Das «Feeling Safe»-Programm

Eine neue wegweisende syndromspezifische Entwicklung ist das Programm «Feeling Safe» , das kürzlich von einer Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Daniel Freeman an der Universität Oxford vorgelegt wurde.8 Es zielt darauf, Menschen mit Verfolgungswahn dabei zu unterstützen, sich wieder sicher genug zu fühlen, um ein aktives, ihren eigenen Werten entsprechendes Leben zu gestalten. In der Therapie werden die Betroffenen daher unterstützt, selbst aktiv neue Erfahrungen und Überzeugungen aufzubauen, die mit In-Sicherheit-zu-Sein assoziiert werden. Das Therapieprogramm adressiert gleichzeitig zentrale aufrechterhaltende Mechanismen von Psychosen, für die sich Menschen mit Psychosen in der Regel eine Behandlung wünschen: Dazu gehören eine Verbesserung des Schlafs, die Steigerung des Selbstwertgefühls, die Wiederaufnahme subjektiv bedeutsamer Alltagsaktivitäten sowie die Reduktion von Grübeln und Sorgen über potenzielle Gefahren.

Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit aversivem Stimmenhören: Betroffene erarbeiten sich hierbei das Selbstvertrauen, sich selbst etwas mehr zu glauben als den Stimmen, um so den Einfluss negativer Stimmen reduzieren zu können.

Gegenwarts- und Zukunftsorientierung

Ein besonderes Merkmal des Programms «Feeling Safe» ist seine Gegenwarts- und Zukunftsorientierung. Es verzichtet auf die Verwendung diagnostischer Bezeichnungen wie Schizophrenie oder Psychose und fokussiert stattdessen auf die oben beschriebenen aufrechterhaltenden Mechanismen. Das Programm ist modulbasiert und besteht aus Manualen, die in Zusammenarbeit von Patient:innen mit ihren Therapeut:innen bearbeitet werden. Diese praxisorientierten Materialien erhöhen die Lernbarkeit des Verfahrens für Behandelnde und ermöglichen den Patient:innen, alle erarbeiteten Inhalte unmittelbar zur Verfügung zu haben. Die Arbeitsgruppe hat ausserdem die Wirksamkeit jeder psychotherapeutischen Intervention des Programms umfassend untersucht und sehr gut belegt.8,9

Herausforderungen in der psychotherapeutischen Versorgung

Trotz der Wirksamkeit evidenzbasierter Psychotherapieverfahren und des häufig hohen Leidensdrucks vieler Menschen mit Psychosen und ihrer Angehörigen bleibt der Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten stark eingeschränkt. So stossen viele Menschen mit Psychosen auch in der Schweiz insbesondere im ambulanten Setting auf erhebliche Zugangshürden oder erhalten keinen Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten – selbst wenn sie ausdrücklich eine solche Behandlung wünschen.10–12 Obwohl ein ausgewiesener Bedarf besteht und Menschen mit Psychosen zu einer besonders vulnerablen Personengruppe gehören, werden sie in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung häufig benachteiligt und im Vergleich gegenüber anderen Patient:innengruppen zurückgestellt.13 Bei der Psychotherapie für Menschen mit Psychosen besteht entsprechend kein Evidenz-, sondern ein Implementierungsproblem.12 Die Diskrepanz zwischen Bedarf und tatsächlicher Versorgung bei einer besonders vulnerablen Personengruppe stellt eine Ungerechtigkeit und Versorgungslücke dar, die aus unterschiedlichen Perspektiven des Gesundheitssystems nicht hinnehmbar ist und eine gesundheitspolitische Herausforderung abbildet.12,13

Ein Mittel, um dieser Versorgungslücke zu begegnen kann die Erhöhung und Anpassung des Therapieangebots sein. Spezialisierte Weiterbildungsangebote können dabei helfen, dass mehr Behandelnde entsprechende Therapieverfahren für Menschen mit Psychosen anbieten.Diese Weiterbildungsangebote können einzelne Workshops umfassen, die im Rahmen der psychotherapeutischen Grundausbildung angeboten werden und in eine evidenzbasierte Psychosenpsychotherapie einführen.

Interessierte Fachpersonen können darüber hinaus an spezialisierten Fort- und Weiterbildungen teilnehmen, die von verschiedenen Institutionen, Kliniken und privaten Organisationen sowohl in der Schweiz als auch international angeboten werden. Als umfassendste Qualifizierungsmöglichkeit gelten postgraduale Studiengänge, die eine strukturierte, inhaltlich aufeinander abgestimmte Abfolge von Workshops, Supervisionen und weiteren didaktischen Formaten beinhalten und auf eine umfassende und an Leitlinien ausgerichtete Spezialisierung im Bereich Psychotherapie bei Psychosen zielen. In Deutschland wird beispielsweise ein entsprechendes Curriculum «Kognitive Verhaltenstherapie bei Psychosen» unter der Leitung von Dr. Klaus Hesse und Prof. Dr. Stefan Klingberg gemeinsam mit dem Dachverband deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie (DDPP) angeboten.13

Neue postgraduale Fortbildungsmöglichkeit in der Schweiz

Die Fortbildung «Psychotherapie bei Psychosen» ist ein neuer einjähriger Studiengang in der Schweiz, der eine umfassende postgraduale Qualifizierung in der Diagnostik und psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit Psychosen anbietet. Die Fortbildung wurde von den Autoren des vorliegenden Textes Julian Möller und Christian Huber co-initiiert und verbindet führende klinische und wissenschaftliche Expertise in einem interdisziplinären Kooperationsprojekt (Tab. 1). Absolvent:innen erwerben ein spezialisiertes Kompetenzprofil mit dem Schwerpunkt kognitive Verhaltenstherapie bei Psychosen (KVTp). Begleitet von Expert:innen lernen sie, eine qualitativ hochwertige Therapie durchzuführen, die sich an den individuellen Zielen der Betroffenen ausrichtet. Die Vermittlung von praxisrelevantem und störungsspezifischem Fachwissen in verschiedenen Spezialbereichen ermöglicht den Absolvent:innen, sichere Entscheidungen innerhalb einer evidenzbasierten Behandlungsplanung zu treffen und komplexe psychotherapeutische Interventionen gezielt und effektiv anzuwenden. Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten ist es, mit den Absolvent:innen des Studienganges die psychotherapeutische Versorgung für Menschen mit Psychosen in der Schweiz zu verbessern. Die Fortbildung soll Absolvent:innen nicht nur bei der optimalen Qualifizierung unterstützen, sondern sie auch fördern, sich für eine State-of-the-Art-Versorgung für Menschen mit Psychosen in der Schweiz zu engagieren und diese mitzugestalten.

Tab. 1: Überblick über die Schweizer Fortbildung «Psychotherapie bei Psychosen»

Fazit

Wir schliessen uns Prof. Dr. Dorothea von Haebler und Prof. Dr. Thomas Bock an und werben für eine Qualifikationsoffensive in der Psychosenpsychotherapie:13 Spezialisierte Weiterbildungsangebote in der Grundausbildung, in Form von unabhängigen Workshops oder als postgraduale Studiengänge, und eine Unterstützung der potenziellen Teilnahme interessierter Kolleg:innen durch ihre Arbeits- und Weiterbildungsstätten können dazu beitragen, das Angebot von evidenzbasierter Psychotherapie für Menschen mit Psychosen zu erhöhen und so die Versorgungslücke zu reduzieren.

1 Psychosis and schizophrenia in adults: prevention and management. NICE 2014; 2 DGPPN – Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie Psychosomatik und Nervenheilkunde. S3-Leitlinie Schizophrenie. Kurzfassung. 2019. Version 1.0, DOI: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.html 3 Johns L et al.: Cognitive behavioural therapies for psychosis. A clinical introduction to psychosis. 2020; 343-77 4 Roder V et al.: Integrated psychological therapy (IPT) for schizophrenia: is it effective? Schizophr Bull 2006; 32(1): 81-93 5 Utschakowski J et al.: Experten aus Erfahrung: Peerarbeit in der Psychiatrie. 2015: Psychiatrie Verlag, Imprint BALANCE buch+ medien verlag 6 Haddock G et al.: An investigation of the implementation of NICE-recommended CBT interventions for people with schizophrenia. J Ment Health 2014; 23(4): 162-5 7 Freeman D et al.: Treatable clinical intervention targets for patients with schizophrenia. Schizophr Res 2019; 211: 44-50 8 Freeman D et al.: Comparison of a theoretically driven cognitive therapy (the Feeling Safe Programme) with befriending for the treatment of persistent persecutory delusions: a parallel, single-blind, randomised controlled trial. Lancet Psychiatry 2021; 8(8): 696-707 9 Freeman D: Persecutory delusions: a cognitive perspective on understanding and treatment. Lancet Psychiatry 2016; 3(7): 685-92 10 Jaffe ME et al.: Just not enough: utilization of outpatient psychotherapy provided by clinical psychologists for patients With psychosis and bipolar disorder in Switzerland. Health Serv Insights 2024; 17: 11786329241229950 11 Jaffe ME et al.: Exploring correlates of high psychiatric inpatient utilization in Switzerland: a descriptive and machine learning analysis. BMC Psychiatry 2024; 24(1): 942 12 Bechdolf A, Klingberg S: Psychotherapie bei schizophrenen Störungen: kein Evidenz-, sondern ein Implementierungsproblem. Psychiatr Prax 2014; 41(1): 8-10 13 von Haebler D, Bock T: Der berufsbegleitende Master Interdisziplinäre Psychosentherapie. Psychiatr Prax 2024; 51(04): 221-3 14 Postgraduale Studiengänge Psychotherapie (PSP) Basel, Fortbildung Psychotherapie bei Psychosen, 2025, https://psp-basel.ch/studiengaenge/postgraduale-fortbildung-psychotherapie-bei-psychosen/

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