
Psychedelika in der Psychiatrie
Autor:
PD Dr. med. Rainer Krähenmann, MHBA
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Erwachsenenpsychiatrie
Psychiatrische Dienste Thurgau (PDT)
Münsterlingen
E-Mail: rainer.kraehenmann@stgag.ch
Stellen Sie sich vor, Ihr Gehirn ist wie eine verschlungene Landkarte, auf der die immer gleichen Wege gefahren werden. Diese Strassen sind Ihre Denkmuster, Gefühle und Erinnerungen. Psychedelika, auch «Seelenöffner» genannt, könnten wie ein temporärer Bauplan wirken, der neue Verbindungen schafft und alte Barrieren durchlässiger macht. Doch wie funktioniert das genau, und warum interessiert sich die moderne Psychiatrie so sehr für diese Substanzen?
Keypoints
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Psychedelika wie Psilocybin, LSD und MDMA zeigen vielversprechende Ergebnisse in der Behandlung von therapieresistenten psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen und PTBS, mit hohen Remissions- und Response-Raten.
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Die Therapie erfordert ein sorgfältiges Vorgehen mit Fokus auf „Set und Setting“, wobei die Vorbereitung, Begleitung und Nachbesprechung durch geschultes Fachpersonal entscheidend sind.
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Trotz des Potenzials sind weitere Langzeitstudien notwendig, um die Sicherheit, Effizienz und regulatorischen Standards dieser innovativen Therapieform weiter zu festigen.
Eine Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft
Psychedelika wie LSD und Psilocybin, bekannt aus halluzinogenen Pilzen, wurden schon in den 1950er-Jahren als vielversprechende therapeutische Mittel eingesetzt. Doch ein globales Verbot durch die WHO 1971 stoppte diesen Forschungszweig abrupt. Seit 2014 vergibt das Schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG) Einzelbewilligungen für die medizinische Nutzung von Psychedelika – ein Zeichen dafür, dass sich die Haltung gegenüber diesen Substanzen wieder ändert. Allein in den letzten drei Jahren hat sich die Anzahl dieser Bewilligungen verdreifacht.1
Wie wirken Psychedelika?
Man könnte sagen, Psychedelika «resetten» unser Gehirn. Normalerweise funktioniert unser Denken vergleichbar wie ein Autopilot, der uns auf eingefahrenen Wegen steuert. Psychedelika deaktivieren diesen Autopiloten – das sogenannte Default Mode Network (DMN) – und erlauben, neue Wege zu erkunden. Dies ist eine der Erklärungen, warum Psychedelika in klinischen Studien oft mit raschen und anhaltenden Verbesserungen der Symptome einhergehen.
In einer Studie der Universität Zürich2 zeigte Psilocybin bei schweren Depressionen eine signifikante Symptomreduktion: Nach einer einzigen moderaten Dosis (0,215mg/kg Körpergewicht) erfüllten bis zu 54% der Patienten die Remissionskriterien. Dieser Effekt hielt auch nach zwei Wochen noch an.
Das therapeutische Potenzial
Die beeindruckendsten Ergebnisse gibt es bisher bei folgenden Indikationen:
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Therapieresistente Depressionen: Studien zeigen, dass Psilocybin depressive Symptome innerhalb von 24 Stunden lindern kann. Eine randomisierte klinische Studie (RCT) mit 79 Patienten ergab eine Response-Rate von 37% bei einer 25-mg-Dosis Psilocybin, verglichen mit nur 19% in der Kontrollgruppe.3
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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): MDMA, bekannt als «Ecstasy», zeigte in einer Phase-III-Studie eine Remissions-Rate von 46% der Patienten.4
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Angst und Depression bei Krebspatienten: In Studien konnten Psilocybin und LSD existenzielle Ängste und Depressionen bei terminal erkrankten Menschen langfristig lindern.5
«Set und Setting»
Die Wirkung von Psychedelika hängt stark von Vorbereitung und Umgebung ab. Experten sprechen von «Set und Setting». «Set» beschreibt den mentalen Zustand der Person, während «Setting» die Umgebung ist. Eine sichere, ruhige Umgebung mit geschultem Personal ist entscheidend, damit die Erfahrung heilend wirkt und keine negativen Erlebnisse zurückbleiben. In der Schweiz hat die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) hierzu klare Rahmenbedingungen formuliert ( www.psychiatrie.ch/sgpp/fachleute-und-kommissionen/behandlungsempfehlungen ). Vor einer Substanzgabe wird eine umfassende Diagnostik und Risiko-Nutzen-Abwägung durchgeführt. Die Psychedelika-Therapie besteht aus 3 Modulen: Vorbereitung, Substanzsitzung und Nachbesprechung.6
Herausforderungen und Grenzen
Trotz ihrer vielversprechenden Wirkung sind Psychedelika kein Wundermittel. Ihre Anwendung erfordert eine intensive Betreuung durch Fachpersonen. Die Substanzsitzungen finden in speziell ausgestatteten Räumen statt, in denen Patienten mehrere Stunden begleitet werden. Dies macht die Therapie personal- und zeitintensiv. Ausserdem sind weitere Studien nötig, um die Langzeiteffekte zu verstehen. Viele bisherige Studien haben methodische Einschränkungen, wie kleine Stichprobengrössen oder mangelnde Verblindung.
Literatur:
1 Aicher HD et al.: Psychedelika-assistierte Psychotherapie. Die Psychotherapie 2024; 69: 98-106 2 von Rotz R et al.: Single-dose psilocybin-assisted therapy in major depressive disorder: a placebo-controlled, double-blind, randomised clinical trial. EClinicalMedicine 2023; 56: 101809 3 Goodwin GM et al.: Single-dose psilocybin for a treatment-resistant episode of major depression. N Engl J Med 2022; 387(18): 1637-48 4 Mitchell JM et al.: MDMA-assisted therapy for moderate to severe PTSD: a randomized, placebo-controlled phase 3 trial. Nat Med 2023; 29(10): 2473-80 5 Holze F et al.: LSD-assisted therapy in patients with anxiety: open-label prospective 12-month follow-up. Br J Psychiatry 2024; 225(3): 362-70 6 Krähenmann R et al.: Schweizer Behandlungsempfehlungen zur Psychedelikatherapie. SÄZ 2024; (45-46): 11-14
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