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Active Surveillance bei Prostatakarzinom: Strategie, Kriterien & Perspektiven

Active Surveillance (AS) hat sich als sichere Behandlungsoption für Patienten mit lokal begrenztem Low-Risk-Prostatakarzinom etabliert. Langzeitstudien bestätigen, dass bei sorgfältiger Patientenselektion und engmaschiger Überwachung eine Übertherapie verhindert werden kann, ohne das onkologische Outcome zu gefährden. Aktuelle Leitlinien empfehlen daher eine AS nicht nur bei Low-Risk-Patienten, sondern auch bei ausgewählten Intermediate-Risk-Patienten.

Keypoints

  • AS überwacht den Krankheitsverlauf engmaschig, ohne den optimalen Zeitpunkt einer eventuell notwendigen kurativen Therapie zu verpassen.

  • AS erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Patienten und Urolog:innen sowie eine hohe Compliance des Betroffenen.

  • Etwa die Hälfte der Patienten unter AS benötigt innerhalb von 10 Jahren eine aktive Therapie.

  • AS kann für Patienten herausfordernd und psychisch belastend sein.

  • Eine sorgfältige Patientenselektion und eine Betreuung in einem vertrauensvollen Behandlungsverhältnis sind wichtig.

Obwohl das Prostatakarzinom zu den weltweit am häufigsten auftretenden Tumorentitäten beim Mann zählt, ist die Zahl jener, die am Prostatakarzinom versterben, bei Weitem geringer als die Zahl der Diagnosen. Neben der Verbesserung der Früherkennung hat die Einführung des Tests des prostataspezifischen Antigens (PSA-Test) zu einer deutlich erhöhten Detektionsrate an klinisch nicht signifikanten Tumoren geführt. Gerade für diese Art von Karzinomen mit einem geringen Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung und für Metastasierung steht die AS (aktive Überwachung) neben der aktiven Therapie als Option zur Verfügung. Diese Behandlungsstrategie zielt darauf ab, bei Patienten mit Prostatakarzinom zunächst auf eine definitive Therapie zu verzichten und stattdessen den Krankheitsverlauf engmaschig zu überwachen. Das Hauptziel ist, eine Übertherapie zu vermeiden, ohne dabei den optimalen Zeitpunkt für eine kurative Therapie zu verpassen, falls diese notwendig wird.

Was sagen die Leitlinien?

Die AS hat sich in der Urologie neben der radikalen Prostatektomie und der Bestrahlung als sichere Behandlungsoption für Patienten mit Low-Risk-Prostatakarzinom etabliert. Die aktuelle S3-Leitlinie Prostatakarzinom in der 7. Fassung sowie die Leitlinien der European Association of Urology (EAU) aus dem Jahr 2024 empfehlen klar eine AS für geeignete Patienten.1,2 Beide Leitlinien empfehlen AS explizit für Patienten mit lokal begrenztem Low-Risk-Prostatakarzinom mit einer Lebenserwartung von über 10 Jahren, einem PSA-Wert ≤10ng/ml und einem Tumorstadium ≤T2a (Tab. 1).

Tab. 1: Vergleich der Einschlusskriterien für AS zwischen der deutschen S3-Leitlinie 7.0 und den EAU-Guidelines 2024 (modifiziert nach Grimm M-O et al. 2024 und Cornford P et al. 2024)1,2

Eine wichtige Erweiterung der Empfehlung ist es, AS auch für ausgewählte Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom der Internationalen-Gesellschaft-für-urologische-Pathologie(ISUP)-Gruppe2 und günstigem Risikoprofil in Betracht zu ziehen. Diese Gruppe ist in der S3-Leitlinie konkret durch einen geringen Anteil an Gleason-Score 4 (<10%) und das Fehlen kribriformer oder intraduktaler histologischer Differenzierungen definiert.

Wie wird AS durchgeführt?

Primär erfordert die Durchführung einer sinnvollen AS eine enge Zusammenarbeit zwischen Patienten und Urolog:innen sowie eine hohe Compliance des Patienten. Das typische Überwachungsprotokoll umfasst regelmäßige PSA-Bestimmungen, digitale rektale Untersuchungen (DRU), wiederholte Untersuchungen mittels multiparametrischer Magnetresonanztomografie (mpMRT) und je nach Verlauf Rebiopsien (Tab. 2).

Tab. 2: Vergleich der Überwachungsstrategien für AS zwischen der deutschen S3-Leitlinie 7.0 und den EAU-Guidelines 2024 (modifiziert nach Grimm M-O et al. 2024 und Cornford P et al. 2024)1,2

Besonders hervorzuheben ist, dass die Rolle der mpMRT beim Monitoring in der neuen S3-Leitlinie aufgewertet wurde, mit der Empfehlung, sie häufiger und als vorrangige Methode zur Entscheidungsfindung bezüglich Rebiopsien einzusetzen. In beiden Leitlinien wird neben den objektiven Kriterien die Wichtigkeit einer individualisierten Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung des Patientenwunsches, der Komorbiditäten und des allgemeinen Gesundheitszustands betont.

Wann sollte der Wechsel von AS zur aktiven Therapie erfolgen?

Die S3-Leitlinie empfiehlt, bei signifikantem PSA-Anstieg (PSA-Verdopplungszeit <3 Jahren) zunächst eine mpMRT und eine Rebiopsie durchzuführen. Im Falle eines Upgradings zu ISUP 2 mit ungünstigem Risikoprofil, ISUP ≥3 oder bei lokal fortgeschrittenem Tumor (≥cT3 und/oder cN+) wird empfohlen, die aktive Überwachung abzubrechen und eine aktive Therapie einzuleiten.

Evidenzlage

Die Evidenzlage zur Sicherheit und Effektivität der AS wird durch mehrere große Studien gestützt. Von besonderem Interesse sind die 2023 veröffentlichten 15-Jahres-Ergebnisse der ProtecT-Studie (n=1643). In dieser wurden AS, radikale Prostatektomie und Bestrahlung prospektiv randomisiert miteinander verglichen, wobei alle Therapieansätze ein ähnlich hohes krebsspezifisches Überleben erzielen konnten.3

Ebenso bemerkenswert sind die Ergebnisse der 2008 initiierten PASS-Studie, die 2155 Männer mit Low-Risk-Prostatakarzinom unter AS über einen mittleren Zeitraum von ca. 7 Jahren untersuchte. Die Langzeitergebnisse zeigten, dass 51% der Patienten nach 10 Jahren ohne definitive Behandlung blieben, mit einer geschätzten Metastasenrate von 1,4% und einer prostatakrebsspezifischen Mortalität von 0,1%.4,5

Herausforderungen & Perspektiven

AS bietet mehrere potenzielle Vorteile: Neben der Vermeidung von Übertherapie und damit verbundenen Nebenwirkungen trägt sie zur Erhaltung der Lebensqualität bei und erweist sich zusätzlich als kosteneffektiv in finanziell belasteten Gesundheitssystemen. Allerdings kann diese Strategie auch eine Herausforderung und psychische Belastung für Patienten darstellen. Das Wissen von einem unbehandelten Tumor, die Notwendigkeit regelmäßiger, teils invasiver Untersuchungen sowie das Risiko, den optimalen Zeitpunkt für eine kurative Therapie zu verpassen, erfordern daher eine sorgfältige Patientenselektion und engmaschige Betreuung in einem vertrauensvollen Behandlungsverhältnis. Weiters ist es wichtig, gut drüber aufzuklären, dass etwa die Hälfte der Patienten unter AS innerhalb von 10 Jahren eine aktive Therapie benötigen wird.

Ein spannendes Forschungsfeld ist die Optimierung der Patientenselektion und des Monitorings unter laufender AS durch die Entwicklung präziserer Biomarker und genetischer Tests. Minimalinvasive Tests, wie Prolaris®, ExoDx®, Progensa®, SelectMDX®, zeigen vielversprechende Ergebnisse.6 Insbesondere nichtinvasive Liquid Biopsies aus standardmäßig abgenommenem Mittelstrahlharn, ohne vorherige DRU, stellen einen interessanten Ansatz für Früherkennung und Monitoring dar. Durch diese neuartigen Verfahren könnten Komplikationen durch Stanzbiopsien vermieden und weitere Ressourcen geschont werden. Allerdings werden aktuell noch weitere Studien benötigt, bevor solche Marker in der klinischen Routinepraxis eingesetzt werden können.

Darüber hinaus sollen innovative bildgebende Verfahren wie die Prostataspezifisches-Membranantigen-Positronenemissionstomografie/Computertomografie (PSMA-PET/CT) und der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) zur Unterstützung der Entscheidungsfindung eine präzisere Therapiesteuerung ermöglichen. Die PSMA-PET/CT hat sich als äußerst sensitives Verfahren zur Detektion von Metastasen sowohl im Primärstaging als auch bei Rezidiven erwiesen, mit deutlich höheren Detektionsraten als konventionelle Bildgebungsmethoden.7 Der Einsatz von KI-gestützten Systemen wird die klinische Entscheidungsfindung in Zukunft vermutlich fächerübergreifend maßgeblich beeinflussen. Algorithmen zielen darauf ab, große Daten- und Bildmengen zu analysieren, um Krankheiten früher zu erkennen und personalisierte Behandlungsempfehlungen zu geben. Fragen rund um Regulierung, Ethik und Datenschutz gilt es hierbei jedoch noch zu klären.

Quo vadis?

AS hat sich als valide und sichere Behandlungsoption für Patienten mit Low-Risk-Prostatakarzinom längst etabliert. Die aktuelle S3-Leitlinie und die EAU-Guidelines unterstreichen die Bedeutung der AS als Alternative zur radikalen Prostatektomie und Bestrahlung. Die Erweiterung der Empfehlungen auf bestimmte Patienten mit ISUP-2-Tumoren sowie die größere Rolle der mpMRT zeigen die Weiterentwicklung des bewährten Konzepts. AS ermöglicht die Vermeidung von Übertherapie ohne Kompromisse beim onkologischen Outcome. Die vorliegenden Langzeitdaten bestätigen die Sicherheit dieser Therapiestrategie bei entsprechender Durchführung. Eine sorgfältige Patientenselektion und engmaschige Überwachung sind entscheidend für den Behandlungserfolg, wobei rund die Hälfte der Patienten innerhalb von 10 Jahren eine definitive Therapie benötigt. Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Biomarkern und bildgebenden Verfahren eröffnet uns dabei Perspektiven für eine noch präzisere, personalisierte Therapie unserer Prostatakarzinompatienten. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich diese Entwicklungen in Zukunft auf die Behandlung des Prostatakarzinoms auswirken werden.

1 Grimm M-O et al.: S3-Leitlinie Prostatakarzinom. https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Prostatatkarzinom/Version_7/LL_Prostatakarzinom_Langversion_7.0.pdf?t ; zuletzt aufgerufen am 21.12.2024 2 Cornford P et al.: EAU-EANM-ESTRO-ESUR-ISUP-SIOG Guidelines on prostate cancer-2024 update. Part I: screening, diagnosis, and local treatment with curative intent. Eur Urol 2024; 86(2): 148-63 3 Hamdy FC et al.: Fifteen-year outcomes after monitoring, surgery, or radiotherapy for prostate cancer. N Engl J Med 2023; 388(17): 1547-58 4 Newcomb LF et al.: Canary Prostate Active Surveillance Study: design of a multi-institutional active surveillance cohort and biorepository. Urology 2010; 75(2): 407-13 5 Newcomb LF et al.: Long-term outcomes in patients using protocol-directed active surveillance for prostate cancer. JAMA 2024; 331(24): 2084-93 6 Sequeira JP et al.: Biomarkers for pre-treatment risk stratification of prostate cancer patients: a systematic review. Cancers 2024; 16(7): 1363 7 Koehler D et al.: PSMA hybrid imaging in prostate cancer - current applications and perspectives. RoFo 2023; 195(11): 1001-8

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