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Mesenchymale Stammzellen bei MS: eine potenzielle Therapieoption für den progredienten Verlauf?
Jatros
Autor:
Ltd. OA Assoc. Prof. Dr. Johann Sellner
Universitätsklinik für Neurologie, Christian Doppler Klinik, Uniklinikum Salzburg<br> E-Mail: j.sellner@salk.at <br>(Korrespondenz)
30
Min. Lesezeit
09.03.2017
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<p class="article-intro">Stammzellen gelten als große Hoffnungsträger der Medizin. Mesenchymale Stammzellen (MSC) werden aktuell in Studien für die Behandlung des progredienten Verlaufs der Multiplen Sklerose vor allem aufgrund ihrer regenerativen Fähigkeiten untersucht. Die Universitätsklinik für Neurologie am Uniklinikum Salzburg ist Vorreiter auf diesem Gebiet und nimmt an einer internationalen Therapiestudie teil.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_istock-510779294_web.jpg" alt="" width="820" height="284" /></p> <p>Unter einer Stammzellentherapie werden sämtliche medizinische Therapieverfahren zusammengefasst, bei denen Stammzellen den zentralen Bestandteil der Behandlung darstellen. So kann eine Stammzellentherapie in der Übertragung von Stammzellen oder in der Verabreichung von Medikamenten bestehen, die bereits im Körper befindliche Stammzellen aktivieren. Stammzellen besitzen die Fähigkeit neue Körperzellen zu bilden und können somit zur Reparatur beitragen. Sie können sich in verschiedene Zellen differenzieren und damit zerstörte Zellen ersetzen. Weiters können Stammzellen die Produktion von Faktoren anregen, die die endogene Regeneration fördern und auch protektiv wirken. Stammzellen können letzten Endes auch Entzündungsvorgänge und Abwehrreaktionen im Gewebe regulieren, es wird auch ein Einfluss auf autoimmune Reaktionen postuliert. Eine bemerkenswerte Eigenschaft von Stammzellen ist, dass sie selbst nach Injektion in das Blutgefäßsystem ihren Weg in die geschädigten Organe finden und damit nicht direkt in den geschädigten Ort eingebracht werden müssen.</p> <h2>Mesenchymale Stammzellen (MSC)</h2> <p>In den letzten Jahren sind die sogenannten mesenchymalen Stammzellen (MSC) wegen ihrer Wirkung auf das Immunsystem ins Blickfeld der Forschung geraten. MSC sind adulte Stammzellen. Sie stellen die Stammzellen des Bindegewebes dar und können aus Knochenmark, Fettgewebe und Haut isoliert werden. Die Behandlung mit MSC hat sich in einer Reihe von vorklinischen Studien in Tiermodellen der MS als sehr wirksam gezeigt. Es wurden sowohl neuroprotektive, regenerative wie auch immunmodulierende Effekte nachgewiesen.</p> <p>Hiervon zu unterscheiden sind die hämatopoetischen Stammzellen (HPS), die schon erfolgreich in der Behandlung von Leukämie, Lymphomen und erblich bedingten Blutkrankheiten eingesetzt werden. Auch die HPS werden inzwischen als Therapieoption bei MS in klinischen Studien untersucht, meist für den hochaggressiven Verlauf. Bei den ESC (embryonale Stammzellen) und iPSC (induzierte pluripotente Stammzellen) handelt es sich um weitere Stammzellen.</p> <h2>Mesenchymale Stammzelltherapie bei Multipler Sklerose</h2> <p>Bereits vor mehr als 10 Jahren wurde diskutiert, dass der in den vorklinischen Studien dokumentierte immunmodulierende Einfluss der MSC auch für die MS, und hier bereits im Frühstadium, durch Korrektur der fehlgeleiteten Immunreaktion von Nutzen sein könnte. Ebenso wurde durch die in Tierexperimenten nachgewiesene Unterstützung der Neuroregeneration, Wiederherstellung der beschädigten Myelinschicht (Remyelinisierung) und neuroaxonale Protektion die Behandlung mit MSC als innovativer Ansatz gesehen. Im Jahr 2007 wurde in der wissenschaftlichen Literatur über erste Pilotstudien zu MSC als Therapieoption berichtet. Neben der guten Verträglichkeit der intravenösen Applikation wurde bei einzelnen Patienten auch ein Effekt auf verschiedene Parameter der Krankheitsaktivität nachgewiesen. Die erste größere Fallserie (Phase-IIa-Studie) wurde 2012 von Peter Connick und Mitarbeitern (Cambridge, Großbritannien) in der Zeitschrift Lancet Neurology veröffentlicht – sie behandelten 10 Patienten mit sekundär chronisch-progredienter MS und Beeinträchtigungen im visuellen System mit aus dem Knochenmark entnommenen und nach weiterem Ausbau intravenös infundierten MSC. In dieser „Proof of concept“-Studie konnte eine signifikante Verbesserung der Sehleistung, der Latenzen der visuell-evozierten Potenziale und des Durchmessers des Nervus opticus nachgewiesen werden. Eine rezente Studie (Cytotherapy 2016) von Violaine K. Harris (New York) und Kollegen berichtet über sichere intrathekale Applikation von MSC. Hierbei wurden sechs Patienten mit progredienter MS behandelt (4 SPMS, 2 PPMS) und über einen durchschnittlichen Zeitraum von 7,2 Jahren nachbeobachtet. Vier von sechs Patienten wiesen eine Verringerung der klinischen Beeinträchtigung auf, hierbei vor allem der Blasenfunktion, der Ausdauer und zum Teil auch des EDSS.</p> <h2>Die „MEsenchymal StEm Cells for Multiple Sclerosis“(MESEMS)-Studie</h2> <p>Bei der MESEMS-Studie handelt sich es um eine weltweite placebokontrollierte und randomisierte Phase-II-Studie mit Cross-over-Design nach 6 Monaten (Abb. 1). Evaluiert wird die Sicherheit der intravenösen Gabe von MSC nach 24 Wochen, ein weiterer primärer Ko-Endpunkt ist die Anzahl neuer Gadolinium (Gd) aufnehmender Läsionen. Insgesamt nehmen Zentren aus 9 Ländern (Italien, Spanien, Frankreich, Dänemark, Schweden, Iran, Großbritannien, Kanada, Österreich) an dieser akademischen Studie teil. <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_seite16.jpg" alt="" /></p> <p>Studienleiter ist Prof. Antonio Uccelli von der Universität Genua. Die Auswertung der MRT-Befunde erfolgt durch Prof. Massimo Filippi vom Institut San Raffaele in Mailand. Eine Rekrutierung ist für alle 3 klinischen Verlaufsformen möglich. Der Studieneinschluss am Uniklinikum Salzburg erfolgt vor allem für die primär und die sekundär chronisch-progrediente MS. Die Einschlusskriterien für die jeweiligen Verlaufsformen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Weitere Details können unter <a href="https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01854957" target="_blank">https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01854957</a> abgerufen werden. Die Studie läuft seit 2013, global konnten bislang 107 Patienten von den 160 geplanten eingeschlossen werden (Stand 9/2016). Das Studienzentrum in Salzburg nimmt seit Frühjahr 2016 teil. Es wurden bereits zwei Patienten mit primär chronisch-progredienter MS rekrutiert. Insgesamt ist die Behandlung von fünf Patienten bis Sommer 2017 (Rekrutierungsende) geplant. <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_seite17.jpg" alt="" /></p> <p>In Salzburg handelt es sich um ein Kooperationsprojekt unter dem Dach des Spinal Cord Injury and Tissue Regeneration Center Salzburg (SCI-TReCS). Die Koordination erfolgt durch die Arbeitsgruppe Multiple Sklerose und Autoimmune Neurologie (Leiter: Ltd. OA Assoc. Prof. Dr. Johann Sellner) von der Neurologischen Universitätsklinik (Leiter: Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, FRCP). Weitere Universitätskliniken (Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin, Neuroradiologie) und Institute der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (Molekulare Regenerative Medizin, Experimentelle und Klinische Zelltherapie) sind Teil des interdisziplinären Konsortiums und maßgeblich an der Studie beteiligt.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Die Anwendung von Stammzellen in der Therapie der MS ist mit der berechtigten Hoffnung verbunden, neue Behandlungsmöglichkeiten bei bisher unzureichend bzw. nicht heilbaren Erkrankungen zu entwickeln. Nun nimmt auch erstmals eine österreichische Klinik an einer Studie zur Stammzelltherapie bei Multipler Sklerose teil. Erst die Analyse einer größeren Patientenzahl und unterschiedlicher Krankheitsverläufe, wie sie bei der MESEMS-Studie geplant ist, kann über die Sicherheit und den Nutzen dieser innovativen, aber sehr aufwendigen Behandlungsstrategie Auskunft geben.</p></p>
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