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Herausforderungen und Lösungsansätze

Barrierefreie Kommunikation in der Geburtshilfe

Die Kommunikation zwischen Fachpersonen und Patient:innen ist ein zentraler Aspekt der medizinischen Versorgung. In der Geburtshilfe spielt sie eine besonders wichtige Rolle, da nicht nur medizinische Informationen vermittelt werden, sondern auch emotionale und soziale Faktoren einfliessen. Eine effektive Kommunikation kann die Beziehung zwischen Fachpersonen und schwangeren Patientinnen stärken, Vertrauen schaffen und die Grundlage für fundierte Entscheidungen legen. Doch gerade bei Personen mit Migrationshintergrund, die die Sprache des Versorgungslandes nicht beherrschen, stösst die geburtshilfliche Versorgung oft an ihre Grenzen.

Allophone Migrantinnen – Frauen, die eine andere Erstsprache als die Landessprache sprechen – stehen häufig vor erheblichen sprachlichen und kulturellen Hürden, die ihre Versorgung erschweren können.1 Studien zeigen, dass Sprachbarrieren nicht nur Missverständnisse in der Kommunikation hervorrufen, sondern auch zu einer ungleichen Behandlung führen können.1,2 Die Betroffenen nehmen präventive Angebote seltener wahr, verstehen medizinische Empfehlungen öfters nicht vollständig und fühlen sich in den Entscheidungen über ihre Versorgung weniger eingebunden.1,2 Dies hat nicht nur Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Schwangeren, sondern auch auf die gesundheitlichen Ergebnisse für Mutter und Kind.3

Aufseiten der Fachpersonen ist die Kommunikation mit Patientinnen, die die Landessprache nicht beherrschen, ebenfalls eine Herausforderung. Geburtshelfer:innen müssen häufig Wege finden, komplexe medizinische Sachverhalte mit einfacheren Worten oder Gesten zu erklären. Gleichzeitig müssen sie die Bedürfnisse der Schwangeren erkennen, die unter Umständen von den Erwartungen und Normen der einheimischen Bevölkerung abweichen können.

Professionelle Dolmetschende können hierbei eine wichtige Rolle spielen, indem sie nicht nur die sprachliche Barriere überwinden, sondern auch kulturelle Hintergründe vermitteln. Doch der Einsatz von Dolmetschenden ist in vielen Einrichtungen nicht flächendeckend etabliert. Gerade im ambulanten Setting fehlt es an strukturellen Ressourcen oder unter Umständen an einem klaren Verständnis darüber, wie Dolmetschende am besten in das Versorgungsteam integriert werden können.1

Ein zentraler Ansatzpunkt, um die Versorgung von allophonen Schwangeren zu verbessern, liegt in der interkulturellen Sensibilisierung der Fachpersonen. Schulungen, die auf kulturelle Besonderheiten eingehen und praktische Techniken zur Überwindung von Sprachbarrieren vermitteln, könnten einen entscheidenden Beitrag leisten. Gleichzeitig müssen Strukturen geschaffen werden, die den Zugang zu professionellen Dolmetscherdiensten erleichtern. Digitale Lösungen wie Übersetzungs-Apps könnten ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, insbesondere in Notfallsituationen oder bei seltenen Sprachen, die durch Dolmetschende vor Ort nicht abgedeckt werden können. Sie stellen jedoch keinen vollwertigen Ersatz für professionelle Dolmetschende dar, da diese nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle Nuancen vermitteln und eine direkte, empathische Kommunikation ermöglichen können.

Projekt BRIDGE

Die Bedeutung dieser Themen wird beispielweise durch das Projekt BRIDGE deutlich, das an der Berner Fachhochschule in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und dem Swiss Tropical and Public Health Institute durchgeführt wurde.1 Ziel des Projekts war es, die Herausforderungen der geburtshilflichen Versorgung von allophonen Migrantinnen zu analysieren und Lösungsansätze zu entwickeln.

Eine zentrale Erkenntnis des Projekts ist, dass die Lebensrealität der Patientinnen und die Perspektiven der Fachpersonen häufig stark voneinander abweichen. Während Migrantinnen Schwierigkeiten haben, sich in einem hochdifferenzierten Gesundheitssystem zu orientieren, fehlt es den Fachpersonen oft an einem tiefen Verständnis für die Lebensumstände und Bedürfnisse ihrer Patientinnen. Dies zeigt sich insbesondere in der Beziehung zwischen Patientinnen und Fachpersonen, die häufig durch Missverständnisse oder asymmetrische Entscheidungsprozesse geprägt ist. Betroffene Patientinnen hatten das Gefühl, dass Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen wurden, während Fachpersonen oft den Eindruck hatten, nicht ausreichend verstanden zu werden.1

Die Ergebnisse des Projekts unterstreichen zudem die Bedeutung individueller und flexibler Gesundheitsangebote, die besser auf die Bedürfnisse der Patientinnen zugeschnitten sind. Hierbei stossen viele Gesundheitseinrichtungen jedoch an ihre Grenzen, sei es durch begrenzte Ressourcen oder durch starre organisatorische Strukturen.

Die Ergebnisse von BRIDGE machen deutlich, dass eine barrierefreie Kommunikation in der Geburtshilfe nur durch einen ganzheitlichen Ansatz erreicht werden kann, der alle beteiligten Akteure einbezieht. Dazu gehört nicht nur die interkulturelle Sensibilisierung der Fachpersonen, sondern auch die Professionalisierung und stärkere Einbindung von Dolmetschenden sowie die Entwicklung neuer digitaler Tools als zusätzliche Hilfsmittel.

Ein vielversprechender Ansatz liegt in der stärkeren Integration der Perspektiven von Betroffenen selbst in den Entwicklungsprozess von Versorgungsmodellen. Ihre Erfahrungen und Bedürfnisse sollten als Grundlage für die Gestaltung von Programmen und Angeboten dienen, die tatsächlich barrierefrei sind. Nur so kann eine Versorgung gewährleistet werden, die sowohl die medizinischen als auch die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Patientinnen berücksichtigt.

Fazit

Zusammenfassend bedarf es, um die sprachliche Barriere in der geburtshilflichen Versorgung zu überwinden, wie oben bereits erwähnt, einer Kombination aus strukturellen, technologischen und personellen Massnahmen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist die flächendeckende Implementierung von Dolmetscherdiensten, die sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich zeitnah verfügbar sind. Dies erfordert eine klare Regelung zur Finanzierung, etwa durch die Übernahme der Dolmetscherkosten im ambulanten Sektor durch Krankenkassen oder öffentliche Institutionen, um Ungleichheiten im Zugang zur Versorgung zu verringern. Ergänzend könnten digitale Übersetzungstools als kurzfristige Unterstützung dienen, allerdings nur als Ergänzung und nicht als Ersatz für qualifizierte Dolmetschende. Parallel dazu ist die Schulung des medizinischen Personals in interkultureller Kommunikation essenziell, um die Qualität der Interaktionen zu verbessern. Auch die Bereitstellung von mehrsprachigen Informationsmaterialien zu zentralen Themen der Schwangerschaft und Geburt könnte dazu beitragen, die Schwangeren besser zu informieren und ihre Partizipation in der Entscheidungsfindung zu fördern.

Ein zentraler Schritt zu einer gerechteren Gesundheitsversorgung ist nicht zuletzt der Ausbau multilingualer Forschungsinfrastrukturen, -methoden und -teams, um Diversität und Chancengleichheit stärker in den Fokus zu rücken. Nur 3% der auf ClinicalTrials.gov registrierten Studien erwähnen Übersetzungen, die verwendet wurden, um Patient:innen, die nicht die Landessprache sprechen, in Studien einzuschliessen. Dabei sind die Perspektiven dieser Personen essenziell, um spezifische Bedürfnisse zu erkennen und die Versorgung für alle zu optimieren.4

Barrierefreie Kommunikation ist nicht nur ein Schlüssel zur Verbesserung der medizinischen Ergebnisse, sondern auch ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung gegenüber den Patientinnen. Eine inklusive und kultursensitive Geburtshilfe ist daher nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern auch ein wesentlicher Baustein für eine hochwertige medizinische Versorgung in einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft.

1 Ikhilor P et al.: Barrierefreie Kommunikation in der geburtshilflichen Versorgung allophoner Migrantinnen. BRIDGE: Projektbericht. Berner Fachhochschule 2017; verfügbar unter https://tinyurl.com/r7pwrdxp (zuletzt aufgerufen am 22.1.2025) 2 Eslier M et al.: Association between language barrier and inadequate prenatal care utilization among migrant women in the PreCARE prospective cohort study. Eur J Public Health 2023; 33(3): 403-10 3 van den Akker T, van Roosmalen J: Maternal mortality and severe morbidity in a migration perspective. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2016; 32: 26-38 4 Muthukumar AV et al.: Evaluating the frequency of English language requirements in clinical trial eligibility criteria: A systematic analysis using ClinicalTrials.gov. PLoS Med 2021; 18(9): e1003758

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