
Vermeidung von Schadenersatzprozessen in der Schwangerenbetreuung
Autor:
ao. Univ.-Prof. Dr. Christoph Brezinka
Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: christoph.brezinka@i-med.ac.at
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Seit vielen Jahren gibt es bekannte Klagemuster, die den „mutwillig verhinderten Kaiserschnitt“ als zentralen Vorwurf aufführen. An einem CTG-Streifen, Tage vor der Geburt, manchmal aber auch nur Minuten davor, sei ein Muster zu erkennen, wonach man unverzüglich eine Sectio caesarea hätte indizieren müssen. Bisweilen sind diese Klagen erfolgreich, was mit daran liegt, dass die klinische CTG-Interpretation in der Facharztausbildung und -fortbildung zu wenig vorkommt. Insgesamt werden diese Klagen aber seltener und wir sehen eine Verlagerung der Klagen und Beschwerden weg vom Vorwurf der fehlerhaften Geburtshilfe. Beschwerden bei Patientenanwaltschaften und Klagen bei Gericht betreffen nun immer mehr das Nichterkennen von Problemen in der Frühschwangerschaft sowie Mängel bei der Aufklärung über die pränatale Diagnostik, über das Infektions- und Präeklampsiescreening. Auch die nicht adäquate Beachtung von Komorbiditäten, mit denen die Patientin bereits in die Schwangerschaft ging, findet sich immer häufiger in Beschwerdeschreiben und Klageschriften.
Die frühe Schwangerschaft …
… ist ein Gebiet, in dem manches schiefgehen kann:
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Eine intakte Schwangerschaft wird zu früh als Abortus „abgeschrieben“.
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Eine ektope Schwangerschaft wird nicht erkannt.
Eine Mehrlingsschwangerschaft wird nicht erkannt.
Alle drei Punkte können auch in allen Kombinationen miteinander vorkommen und zu einem Schadensereignis bei der Patientin führen. Vermeidbar sind ungünstige Verläufe (und daraus resultierende Klagen und Beschwerden) durch konsequente Beachtung von drei Punkten:
Exakte Anamnese nach dem ersten Tag der letzten Regel. Die Naegelsche Regel gibt es seit dem Jahr 1812 und auf ihr basieren alle kreisförmigen Schwangerschaftsrechenschieber, die Apps der Smartphones und die Computerprogramme der Praxisdokumentation. Egal wann in der Schwangerschaft die Patientin erstmals gesehen wird, es lohnt sich zu hinterfragen, worauf der errechnete Geburtstermin beruht. War die letzte Regel richtig in Erinnerung und wurde sie richtig in den Mutter-Kind-Pass eingetragen? Wann und wo fand der erste Ultraschall statt? Wurde irgendwann umdatiert und von wem und warum? Gab es irgendwo Lese- oder Übertragungsfehler?Es empfiehlt sich, lieber nachzufragen und nachzurechnen, bevor ein falsches Datum in allen Dokumenten „pickenbleibt“. Bei allen arbeitsrechtlichen Vergünstigungen, die eine Schwangerschaftserklärung mit sich bringt, kann es vorkommen, dass Geburtstermine vordatiert werden.1
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Der Serum-HCG-Verlauf über 48 Stunden macht eine verlässliche Aussage, gerade in der Zeit unmittelbar nach ausgebliebener Regelblutung. Ein stark ansteigender Verlauf weist auf eine intakte Schwangerschaft hin, ein abfallender Verlauf auf ein Abortgeschehen und ein nur mäßig ansteigender Verlauf auf eine ektope Schwangerschaft. Auch hierfür gibt es Apps und Programme, die innerhalb von Minuten eine Risikoeinschätzung ermöglichen.2
Nutzung des Ultraschalls, vor allem des Vaginalschalls:Größe von Fruchtsack, Messung der Scheitel-Steiß-Länge (ohne Mitnahme des Dottersacks) und Feststellung der Herzaktion sollten fotodokumentiert werden.3 Bei IVF/ICSI/Kryoschwangerschaften, bei denen der Transfertermin zweifelsfrei feststeht, sollte der errechnete Geburtstermin nicht auf Basis der Ultraschallbiometrie später umdatiert werden. ART-Embryonen wachsen genauso wie normal gezeugte!4 Bei einem Blastozystentransfer (5 Tage nach der Punktion ) sollten für die kalkulierte„letzte Regel“ nach Naegele 19 Tage vom Transferdatum subtrahiert werden. Ein Transfer am 2.September 2021 ergibt eine „letzte Regel“ am 15. August und einen errechneten Geburtstermin (EGT) am 22. Mai 2022. Bei einer vorschnellenUmdatierung kann man Pathologien übersehen, einerseits Wachstumsretardierung, andererseits aber auch Makrosomie, Letzteres vor allem bei Kryoembryonen.
Zusammenfassend lässt sich zur Vermeidung von Haftungsfeldern in der Frühschwangerschaft sagen:
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Nur eine eindeutig intrauterin gesehene Schwangerschaft als solche bestätigen.
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Die Aussagekraft von HCG ist am besten mit Serumwerten und mit einer zweiten Abnahme nach 48 Stunden.
Dem Wunsch nach medikamentösem Schwangerschaftsabbruch mit Mifegyne sollte nur bei sicher intrauterin topischer Schwangerschaft entsprochen werden.
Normen der Schwangerenbetreuung
In Österreich gib es, im Gegensatz zu Deutschland, keine Mutterschaftsrichtlinien, die wie in unserem Nachbarland Gesetzeskraft haben. Der Mutter-Kind-Pass (MKP) gibt das Minimalprogramm der Versorgung in Österreich vor. In Praxen und Spitalsambulanzen gibt es zahlreiche Zusatzleistungen außerhalb des MKP, einerseits im Rahmen des regulären Kassenvertrages, andererseits durch Zuzahlungen der Schwangeren selbst. Die Pränataldiagnostik in Österreich existiert in einer diffusen Halbwelt zwischen den drei UltraSchällen im MKP, den „Selber-dazuzahl-Schällen“ in fachärztlichen Ordinationen,der Selbstzahler-Nackentransparenz(NT)-Messung mit Biochemie und/oder nichtinvasivem Pränataltest (NIPT) sowie dem Organscreening in speziellen Ordinationen und Spitälern. Bis heute ungeklärt ist der rechtliche Stellenwert des „Briefes der Sozialversicherungen“, in dem diese kostenlose NT-Ultraschalluntersuchungen in öffentlichen Spitälern für ihre Versicherten über 35 Jahre forderten.5
Nicht einmal ein Viertel der Schwangeren in Österreich nimmt das in Ländern wie Deutschland, Dänemark und Großbritannien für alle Schwangeren zur Verfügung stehende Screening auf Fehlbildungen in der Schwangerschaft wahr, da bei uns dafür gezahlt werden muss. Kommt es zur Geburt eines Kindes mit Defiziten, so wird nie das Gesundheitssystem beschuldigt, das versäumt hat, für ein adäquates Screeningprogramm für alle Schwangeren zu sorgen. Beschuldigt wird der Arzt, der die Patientin in der Frühschwangerschaft gesehen hat. Der Vorwurflautet: „Wenn man mich richtig aufgeklärt hätte, dann hätte ich die Untersuchungen – NIPT, NT, PlGF („placental growth factor“) – natürlich gezahlt.“ Retrospektiv wird die Schwangerschaftsvorsorge zu einer Abfolge von Untersuchungen der Qualitätskontrolle, bei der kein Kind mit einer Fehlbildung „durchrutschen“ darf. Dabei geht es nicht nur um das Down-Syndrom, auch das Infektionsscreening in der Schwangerschaft ist durch den MKP vorgegeben. Dies läuft im Stillen nebenbei mit, es eignet sich weniger für große Debatten als die Pränataldiagnostik. Es gibt aber auch schon Klagen wegen nicht erfolgten B-Streptokokken-Screenings. Haftungsprobleme bei Infektionen intrauterin oder sub partu haben ihre Ursache meist in der Praxis- bzw. Ambulanzorganisation: Die Proben müssen fristgerecht eingeschickt werden, der Ablauf der Befundübermittlung zur Schwangeren (mit den entsprechenden Konsequenzen) muss auch am 14.August und am 23.Dezember funktionieren. Hierbei darf man sich nicht auf den Postweg verlassen, die Schwangere muss für solche Befundmitteilungen auf dem Handy erreichbar sein.
Schwangere nach bariatrischer Chirurgie
Grundsätzlich gilt es, die Vorgeschichte der Schwangeren ernst zu nehmen! Dazu zählen auch nichtgynäkologische Operationen, Erkrankungen und Dauermedikationen. Jedes Jahr werden mehr Frauen nach bariatrischer (metabolischer) Chirurgie schwanger und bringen ein bisher unbekanntes Muster an Symptomen und Problemen in Ordinationen und Gebärabteilungen. Schwangere nach derartigen Operationen, z.B. einem Roux-en-Y-Magenbypass, die starke Schmerzen im Bauch und Rücken haben, welche nicht mit Wehen erklärt werden können, müssen durch Chirurgen und Radiologen abgeklärt werden. Gerade weil Vertreter der Nachbardisziplinen ab dem Moment, in dem eine Patientin schwanger ist, ein ausgeprägtes Gefühl der Unzuständigkeit befällt, muss man in solchen Fällen aktiv darauf drängen, dass eine Petersensche oder andere interne Hernie abgeklärt werden.6
Tipps zur Vermeidung von Schadenersatzprozessen
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Gute Medizin auf aktuellem Standard machen.
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Klare Pfade (SOP) für alle Phasen der Schwangerschaft: Was tun, wenn eine Schwangere mit einer bestimmten Befundkombination kommt, wie werden die Information und die weitere Betreuung sichergestellt?
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Dokumentation und Kommunikation: mit Labors, mit den Schwangeren, mit der geplanten Gebärabteilung. Kaum etwas wiegt bei Gericht schwerer als auffällige Befunde, die zwar schon vorlagen, die aber niemand gelesen und auf die niemand reagiert hat.
Die Inhalte dieses Artikels waren Thema bei der virtuellen Herbsttagung der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) im September 2020.
Literatur:
1 Brezinka C: Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Frühschwangerschaft in Österreich: Kündigungsschutz, Fristen für Abbruch, vorzeitiger Mutterschutz. Speculum 2016; 34: 7-11 2 NIHR CLAHRC: Early Pregnancy PUL Model M6. London. www.earlypregnancycare.co.uk , 2019 3 Brezinka C: Die Gestationsalterbestimmung mit Ultraschall. J Gyn Endokrinol 2019; 29: 99-102 4 Eindhoven SC et al.: The influence of IVF/ICSI treatment on human embryonic growth trajectories. Hum Reprod 2014; 29: 2628-36 5 Brezinka C: Bezahlt wird nicht - aber Anweisungen werden erteilt. Die existenzielle Ambivalenz des österreichischen Gesundheitswesens beim Ultraschallscreening in der Schwangerschaft. Speculum 2010; 28: 8-9 6 Vannevel V et al.: Internal herniation in pregnancy after gastric bypass: a systematic review. Obstet Gynecol 2016; 127: 1013-20
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