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Klassische sexuell übertragbare Krankheiten
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Jürg Schneider
Chefarzt Frauenklinik<br> GZO Spital Wetzikon<br> E-Mail: juerg.schneider@gzo.ch
30
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30.11.2017
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<p class="article-intro">Der Begriff «sexually transmitted diseases» (STD) bezieht sich im engeren Sinn auf die sechs klassischen Krankheiten Chlamydieninfektion, Gonorrhö, Lues, Lymphogranuloma venerum, Ulcus molle und das Granuloma inguinale. Diese Infektionskrankheiten sollte jeder Facharzt kennen, obwohl deren Bedeutung im europäischen Praxisalltag bis auf die Chlamydieninfektion, die Gonorrhö und die Lues eher untergeordneter Natur ist.</p>
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<p class="article-content"><p>Für die Gesundheit weltweit sind diese Erkrankungen nach wie vor von grosser Bedeutung, nicht wenige Menschen leben ohne Zugang zu Medizin und Medikamenten. Der vorliegende Artikel ist diesen Erkrankungen gewidmet. Die wichtigsten Aspekte werden zusammengefasst, um dazu beizutragen, dass diese Krankheiten in einer Zeit des Reisens nicht in Vergessenheit geraten und Diagnosen früh gestellt werden können.<br /> Geschlechtskrankheiten im weiteren Sinn sind im Alltag viel häufiger. Das sind der vaginale Soor, die bakterielle Vaginose, HPV-Infekte, Herpes genitalis, Trichomonaden sowie Molluscum contagiosum und vielleicht noch die Scabies. Dazu kommen weitere bakterielle Infekte, z.B. mit Strepto- oder Staphylokokken. Eine weitere Gruppe von Wichtigkeit stellen Infekte durch HIV, Hepatitis B und C dar, die auch genital übertragen werden können. Diese Infekte werden im vorliegenden Artikel nicht besprochen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Gyn_1703_Weblinks_s25_abb1.jpg" alt="" width="1455" height="945" /></p> <h2>Chlamydien</h2> <p>Zwischen 3 und 10 % der sexuell aktiven Bevölkerung kommen in ihrem Leben durch Geschlechtsverkehr (GV) mit Chlamydien in Kontakt. Etwa 70 % sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. 2014 wurden in der Schweiz knapp 10 000 Neuerkrankungen registriert, Tendenz steigend. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Die Chlamydien sind obligat intrazelluläre, gramnegative Bakterien vom Serotyp D–L. Die Hälfte der Erkrankungen verläuft asymptomatisch. Asymptomatisch heisst nicht, dass es nicht zu bleibenden Schäden kommen kann. Es sind aber auch hochakute Verläufe mit akutem Abdomen bis hin zum septischtoxischen Schock bekannt. CRP und Klinik korrelieren schlecht mit dem Ausmass der Infektion. Nicht selten persistiert eine Besiedelung oder Infektion mit Chlamydien über Monate bis Jahre im Bereich der Zervix, bis die Erreger plötzlich während oder nach einer Mens hochsteigen. An eine Infektion zu denken, ist bei den Chlamydien besonders wichtig. Die mukopurulente Zervizitis, Kontaktblutungen und Metrorrhagien sind Hinweise auf eine latente oder asymptomatische Infektion. Spätfolgen sind Sterilität, Adhäsionen und chronische Unterbauchschmerzen. Bei der Laparoskopie sieht man nicht selten perihepatische Verwachsungen («violin strings») als Folge einer Perihepatitis. In der Schwangerschaft können Chlamydien eine Frühgeburt auslösen. Die Diagnose wird mittels Vaginalabstrich und Polymerase- Kettenreaktion (PCR) oder durch Untersuchung der ersten Urinportion gestellt. Unkomplizierte Infekte werden meist mit einer Einmaldosis von 1g Azithromycin behandelt. Längere Therapien führen mit Doxycyclin 2x 100mg oder mit Erythromycin 3x 500mg jeweils über 7 Tage zum Ziel. Wichtig sind Kontrollabstriche nach frühestens 6 Wochen sowie eine Partnerbehandlung mit den gleichen Medikamenten. Kondome sind ein guter, aber nicht vollständiger Schutz.</p> <h2>Gonorrhö (GO)</h2> <p>Die gramnegativen Diplokokken Neisseria gonorrhoeae werden ebenfalls obligat durch GV/Schleimhautkontakt übertragen und verursachen in der Schweiz ca. 1500 Neuerkrankungen mit steigender Tendenz. Das Erkrankungsalter liegt in 70 % der Fälle bei 20–40 Jahren und damit etwas höher als bei den Chlamydien. Nach einem GV mit einem Infizierten erkranken Frauen viel häufiger (60–90 % ) als Männer (20–50 % ). Die registrierten Erkrankungen betreffen in einem Drittel homosexuelle Männer (MSM). Die Inkubationszeit ist mit 3–8 Tagen sehr kurz. Nach unspezifischer Urethritis, Dysurie und Fluor kommt es in 1–3 % der Fälle zu disseminierten Symptomen wie Arthritis, Dermatitis und möglicher Sepsis, auch Hirnhaut, Herz und Knochen können betroffen sein. Männer zeigen meist einen starken putriden Ausfluss, im französischen Volksmund mit «pisse blanc» bezeichnet. Analinfekte bleiben vor allem bei Frauen (bis 90 % ) asymptomatisch, können aber auch zu Proktitis, schmerzhaftem Stuhlgang und analem Ausfluss führen. Zu analen Infekten kommt es durch Analverkehr oder durch vaginal infizierten Ausfluss. Auch die Pharyngitis verläuft bis auf Ulzera häufig asymptomatisch. Sie ist Folge von Oralverkehr.<br /> Bei unkomplizierter GO mit adäquater Behandlung bleiben keine Spätschäden. Ohne Behandlung kommt es zu Prostatitis oder Epididymitis mit möglichen Sterilitätsfolgen. Bei Frauen sind Infekte der Bartholinidrüse häufig sowie Zervizitis, Endomyometritis und Adnexitis. Frauen können dadurch ebenfalls eine Sterilität erleiden.<br /> Die Diagnose wird mit Abstrichen (PCR oder Bakteriologie) aus Urin, Zervix, Vagina, Urethra, Anus oder Pharynx gestellt. Bei Verdacht auf GO sollten Proben von mehreren Stellen genommen werden. Bei positivem Resultat müssen auch andere STD gesucht werden (in 30 % positiv), insbesondere Chlamydien sowie Lues und HIV. Bei zunehmender Antibiotikaresistenz sollten unbedingt Kulturen und Antibiogramme angelegt werden. Die früheren Standardmedikamente wie Penicilline, Ciprofloxacin und Cefixim sind heute meist unwirksam. Die aktuelle Empfehlung des Bundesamtes BAG ist eine i.m. Einmaldosis von Ceftriaxon 500mg sowie gleichzeitig 1g Azithromycin. Auch hier sind Kontrollabstriche (bereits 1 Woche nach Therapie) und die Partnerbehandlung wichtig. Alle Sexualpartner der letzten 60 Tage sollten mit Abstrichen kontrolliert und noch vor Erhalt der Resultate bereits behandelt werden. Kondome schützen wie gegen Chlamydien gut, aber nicht vollständig.</p> <h2>Syphilis (Lues, harter Schanker, «Französische Krankheit»)</h2> <p>Syphilis ist der Name eines Schafhirten, der 1530 in einem Gedicht des Arztes Fracastoro erwähnt wird und der wegen Gotteslästerung mit einer neuen Krankheit bestraft wurde. «Lues» ist lateinisch und bedeutet Unheil oder Seuche. Im Gegensatz zu Chlamydien und GO weist die Lues einige heimtückische Eigenheiten auf. Die Inkubationszeit ist mit 3 Monaten lang, die Primärsymptome sind schmerzlos. Das Primärstadium ist auf 6–20 Wochen beschränkt und heilt ohne Therapie vollständig ab. Das kommt allen Anstrengungen entgegen, etwas zu verdrängen, das nicht sein darf. Acht bis neun Wochen später tritt die Krankheit ins Sekundärstadium nach erfolgter hämatogener Disseminierung und zeigt sich grippeähnlich unspezifisch mit Fieber, Kopfschmerzen und einer meist ausgeprägten Panlymphadenopathie. Diese unspezifischen Symptome können wiederum fehlgedeutet werden. Nach 10 Wochen tritt dann ein zunächst leichtes Exanthem auf, das sich rasch verschlimmert. Papeln, Pusteln ergeben mit opportunistischen Infekten wie Condylomata lata ein kompliziertes Bild. Die Exantheme präsentieren sich nicht selten derart vielfältig, dass die Dermatologen die Lues als «grande imitatrice» der meisten Hauterkrankungen bezeichnen. Etwas seltener sind auch Schleimhäute befallen. Haarausfall kann zur Alopecia areolaris führen. Auch das Sekundärstadium heilt ohne Behandlung spontan ab, bricht aber in unregelmässigen Abständen wieder aus. Speziell ist, dass die Hauterscheinungen kaum Symptome verursachen, so sind Jucken und Brennen sehr selten. Bei gesunden, abwehrstarken Menschen kann die Syphilis in diesem Stadium zum Stillstand kommen. Die Betroffenen bleiben aber ansteckend, wobei diese Gefahr mit der Zeit der Symptomfreiheit abnimmt.<br /> Das Tertiärstadium beginnt 3–5 Jahre nach der ersten Ansteckung und ist gekennzeichnet durch eine Dissemination der Spirochäten im gesamten Körper. Es kommt zur Mitbeteiligung der inneren Organe: kardiovaskuläre Syphilis, Aortitis, Gummen in Gefässen, allen Organen, der Haut, Knochen und Muskeln. Die Krankheit beginnt, den Betroffenen zu entstellen. Im vierten Stadium greift die Lues auf das ZNS über. Etwa 40 % der unbehandelten Fälle entwickeln eine Neurolues: Tabes dorsalis, Paralysen bis hin zur Paraplegie sind die Folgen.<br /> Schwangere, die mit Spirochäten infiziert sind, können den Erreger auf ihr Kind übertragen. Es kann in 70 % der Fälle zu Aborten oder zu IUFT kommen. Die erkrankten Neugeborenen tragen die Stigmata der Lues connata: Die Hutchinson- Trias zeigt sich in einer Keratitis parenchymatosa, einer Innenohrschwerhörigkeit und tonnenförmigen Schneidezähnen, zusätzlich weisen diese Kinder häufig eine Sattelnase auf.<br /> Die Diagnose stützt sich auf eine genaue Anamnese, die auch das Milieu des Patienten berücksichtigen sollte. Direkt lassen sich die Erreger in der Dunkelfeld-Mikroskopie erkennen oder nach Sekretanalyse mit Silberfärbung. Auch der Immunfluoreszenztest vermag Spirochäten direkt nachzuweisen. Bei sehr langer Anamnese, negativen Tests und neurologischen Symptomen sollte eine Liquorpunktion zur Diagnostik durchgeführt werden. Heute wird auch der PCR-Test verwendet. Ein serologisch unspezifischer Suchtest ist der Treponema- pallidum-Hämagglutinations-Assay (TPHA), welcher bereits 4–6 Wochen nach der Infektion positiv sein kann. Der Fluoreszenz- Treponema-Antikörper-Absorptionstest (FTA-ABS-Test) wird zur Bestätigung eines positiven TPHA eingesetzt. Der Venereal Disease Research Laboratory Test (VDRL) wird zur Verlaufskontrolle unter der Therapie, die meist mit Penicillinen erfolgt, eingesetzt. Bei Penicillin-Allergie werden Tetrazykline, Makrolidantibiotika oder Cephalosporine benötigt. Vor allem in den früheren Stadien einer Syphilis mit vielen Erregern kann es zur Herxheimer-Reaktion kommen: Das Zerfallen von Treponemen führt zum Anstieg von Toxinen, die Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen sowie hypotone Krisen auslösen können. Der Therapieerfolg muss über viele Monate immer wieder kontrolliert werden. Kondome schützen, schliessen eine Ansteckung aber nicht aus. Weltweit schätzt man jährlich 12 Millionen Neuerkrankungen.</p> <h2>Lymphogranuloma venereum</h2> <p>Die Serotypen L1–L3 der Chlamydien sind für das Lymphogranuloma verantwortlich. Hauptvorkommen ist in Afrika, in Europa ist die Erkrankung sehr selten. Ähnlich der Lues bilden sich genital, rektal oder oral schmerzlose Geschwüre, die nach 14 Tagen abheilen. Im zweiten Schub kommt es nach 2–4 Wochen zu schmerzhaften, regionären Lymphknotenschwellungen am Hals und inguinal. Unbehandelt entwickeln sich über die Jahre hin Lymphstörungen mit grotesken Ödemen. Die Allgemeinsymptome ähneln einer Grippe. Die Therapie ist relativ einfach mit Doxycyclin 2x 100mg über 3 Wochen oder mit einer einmaligen Dosis Azithromycin 1,5g per os. In der Schwangerschaft hilft auch Erythrocin 2g täglich für eine Woche.</p> <h2>Ulcus molle (weicher Schanker)</h2> <p>Im Gegensatz zur Lues und dem Lymphogranuloma ist die Infektion mit dem Haemophilus ducreyi sehr schmerzhaft. Nebst den Ulzera im Genitalbereich kommt es zur Bubo, der schmerzhaften Lymphopathie. Die Inkubationszeit beträgt nur wenige Tage und beschränkt sich auch unbehandelt auf die Genitalregion und die zugehörigen Lymphknoten. Oft fistelt die Infektion in die Haut. Auch ohne Therapie heilt die Erkrankung meist spontan aus. Obwohl sie strikt durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, ist sie nicht in allen Ländern meldepflichtig. In Europa ist die Erkrankung sehr selten, sie kommt am häufigsten in Südostasien und Lateinamerika bei sozioökonomisch benachteiligten Menschen vor. Eine Einzeldosis von 500mg Ceftriaxon i.m. ist die einzige Therapie.</p> <h2>Granuloma inguinale Donovan (Donovanosis)</h2> <p>Diese in Entwicklungsländern endemische Krankheit wird durch Klebsiella granulomatis verursacht. Nach wenigen Tagen bis maximal 6 Wochen Inkubationszeit kommt es zu schmerzlosen Ulzera im Genitalbereich. Eine Differenzialdiagnose zur Syphilis kann schwierig sein. Im Gegensatz zur Syphilis haben die kraterähnlichen Ulzera typisch aufgeworfene Ränder und die regionären Lymphknoten sind nicht geschwollen. Unbehandelt wachsen die Ulzera destruierend.<br /> Neben der Anamnese, Klinik (Ulkusform) und nach Ausschluss einer Syphilis führt die mikroskopische Gewebeuntersuchung mittels Wright-Giemsa-Färbung zur sicheren Diagnose. Die Behandlung mit Cotrimoxazol, Tetrazyklinen oder Makrolidantibiotika ist unkompliziert, es kann aber nach 1–2 Jahren ohne Neuansteckung zu Rückfällen kommen. Alle Sexualpartner einer infizierten Person der letzten 6 Wochen sollten ebenfalls untersucht und behandelt werden.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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