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Salvage-Harnröhrenchirurgie beim Erwachsenen
Urologik
Autor:
OA Dr. Karl Mock
Abteilung für Urologie und Andrologie SMZ Ost, Donauspital, Wien<br> E-Mail: karl.mock@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2018
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<p class="article-intro">Rekonstruktive Eingriffe an komplexen Harnröhrenstrikturen, die ein mehrzeitiges oder multimodales Vorgehen erforderlich machen, sollten nur von erfahrenen Urologen vorgenommen werden. Die Kenntnis unterschiedlicher OP-Techniken sollte durch den Aufenthalt an Zentren mit hohen Fallzahlen und durch die Teilnahme an internationalen „Live surgery“- Kursen erworben werden. Dadurch kann dem betroffenen Patienten individuell das geeignete OP-Verfahren angeboten und die Rezidivrate auf etwa 10 % gesenkt werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Harnröhrenchirurgie hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten zu einer Subspezialität in der Urologie entwickelt. Der Einsatz der Mundschleimhaut hat die Reparaturmöglichkeiten von Harnröhrenstrikturen revolutioniert. Es bedarf eines hohen Grades an Expertise, um sich der Rekonstruktion von unterschiedlichen Harnröhrenstrikturen zu stellen. Die Rezidivfreiheit liegt dann über 90 % ohne jegliche Nachbehandlungsverfahren. Jede Lokalisation der Striktur erfordert eine andere operative Technik, ob in der Glans, im Penisschaft, im bulbären Urethralabschnitt oder im Sphinkterbereich. Auch die Ätiologie der Striktur spielt eine wesentliche Rolle im operativen Vorgehen, ob traumabedingt, Lichen sclerosus, Spongiofibrose nach multiplen endourologischen Urethrotomien und Bougierungen oder nach anderen urologischen Operationen (radikale Prostatektomien mit subvesikalen Urethravernarbungen/ Verschlüssen). Die urethrale Diagnostik besteht in einer obligat atraumatischen Urethroskopie des distalen Harnröhrenabschnittes und einem retrograden Urethrogramm im frühestens 3-monatigen Intervall nach jeglicher urethralen Manipulation/Operation/ Trauma. Manchmal ist wegen hoher Restmengen oder Harnverhaltung die passagere Anlage einer suprapubischen Katheterableitung bis zur diagnostischen Abklärung der jeweiligen Harnröhrenstriktur und bis zu deren folgender Rekonstruktion notwendig.</p> <h2>Distale Harnröhrenstrikturen (glandulopenilbulbäre Harnröhre)</h2> <p>Bei etwa einem Viertel der Patienten ist ein mehrzeitiges, rekonstruktives Verfahren notwendig. Die Etablierung einer normal kalibrierten Harnröhre ist bei diesem Patientenkollektiv nur in mehreren zeitlich abgesetzten OP-Schritten möglich. Der Versuch einer einzeitigen Rekonstruktion der Harnröhre in seiner gesamten Zirkumferenz führt hochwahrscheinlich zu einer komplexeren Striktur.<br /> Essenziell in der Harnröhrenchirurgie ist die Kenntnis der vaskulären Anatomie des äußeren Genitales und der spongiösen Harnröhre. Die Nutrition der Gewebetransplantate am Implantationsort ist das Um und Auf für eine erfolgreiche rekonstruktive Harnröhrenchirurgie. Die Bewahrung oder Schaffung eines gut vaskularisierten Bettes minimiert einen Schrumpfungsprozess der transferierten Mundschleimhautstücke.<br /> Der Salvage-Harnröhrenchirurgie kann man jenes Patientenkollektiv zuordnen, welches aufwendige, multimodale und zwei- oder mehrzeitige Rekonstruktionstechniken erfordert. Die Mehrheit dieser Patientengruppe sind Männer, die in der Kindheit eine Hypospadieoperation und frustrane Folgeeingriffe (Abb. 1a) hatten. Es ist eine Illusion, solchen Patienten noch mit weiteren Dilatationen oder Urethrotomien „helfen“ zu wollen. Die radikale Resektion aller narbigen Harnröhrenabschnitte über eine ventrale Inzision bis zur normal rosigen Harnröhre ist der erste operative Schritt. Manchmal vorliegende Haare und Steine in divertikelartigen Aussackungen werden komplett entfernt (Abb. 1b). Die Mundschleimhaut aus den Wangeninnenseiten ist für die flächige Neuanlage der Harnröhre hervorragend geeignet. Die zu erntende Fläche aus einer Wange misst zumeist 3x 4cm. Für die Generierung einer normal weiten Harnröhre ist eine Breite von etwa 3cm notwendig. Zwei Wangeninnenseiten reichen für die Anlage einer etwa 8cm langen Harnröhrenstriktur aus. Für die Rekonstruktion längerer Harnröhrenstrikturen werden Schleimhautpatchs aus der Zungenunterseite additiv eingesetzt. Ein ähnliches Vorgehen ist bei Männern angezeigt, deren Harnröhre durch sklerosierende (Lichen sclerosus) und narbigentzündliche Prozesse (Balanitis xerotica obliterans) destruiert wurde. Bei dieser Patientengruppe ist die Verwendung der Vorhaut oder Penisschafthaut kontraindiziert. Frühestens nach einem halben Jahr, bis das Transplantat zu einem weichen, samtig dünnen, breitflächigen Harnröhrenersatz eingewachsen ist (Abb. 1c), kann der kosmetische Harnröhrenverschluss mit Glans- und Meatusrekonstruktion eingeleitet werden (Abb. 1d).<br /> Prinzipiell können an jeder Stelle der distalen Harnröhre mehrzeitige Rekonstruktionen für komplett zerstörte, vernarbte, auch fehlende Harnröhrenabschnitte, z.B. nach Abszedierungen, durchgeführt werden. Seltene Beispiele sind Urethrazerstörungen nach Staubsauger- und Schussverletzungen, Pfählungen, nach Explanation von Harnröhrenstents. Mehrzeitigkeit ist auch bei nicht geglückten Urethraanastomosierungen bei Penisfrakturen und iatrogenen fistulierenden Prozessen nach IPP-Operationen und Prinz-Albert-Piercings angezeigt. Grundgesetz in der rekonstruktiven Harnröhrenchirurgie ist, dass der erste operative Schritt erst nach Abheilung aller Traumatisierungs- und Entzündungsprozesse stattfinden sollte. Dazu zählen auch blutige Endoskopier- und Kathetersetzversuche.<br /> Im umfassenden Aufklärungsgespräch wird bei Männern mit einer langstreckigen Harnröhrenstriktur (Panstriktur) die Anlage einer Perineotomie als mögliche Option mitdiskutiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1802_Weblinks_urologik_1802_s35_abb1a-d.jpg" alt="" width="1417" height="1645" /></p> <h2>Anastomosen/Harnröhren – Fibrosen nach radikaler Prostatektomie</h2> <p>Die Striktur der vesikourethralen Anastomose ist Folge der radikalen Prostatektomie mit einer Häufigkeit von etwa 5–8 % . Risikofaktor dürfte eine Anastomosendehiszenz mit postoperativer Hämaturie sein. Begünstigend ist eine adjuvante Bestrahlung. Fast immer haben diese Patienten schon mehrmalig endoskopisch dilatative Verfahren zum Erstvorstellungstermin am rekonstruktiven Zentrum hinter sich. Es werden anfangs zumeist Sachse- oder Laser-Urethrotomien, dann transurethrale Narbenresektionen, Inzisionen bis zu chronischen Bougierungen durchgeführt. Für Letztere wird der Patient manchmal angeleitet, diese selbst durchzuführen. Die Rezidivhäufigkeit liegt bei etwa 20–40 % (Abb. 2a). Viele Patienten sind durch die endoskopischen Operationen inkontinent geworden. Es liegen dann zwei zu rekonstruierende Pathologien vor: Resektion des subvesikalen Narbenblocks mit offen-chirurgischer Anastomosenrekonstruktion, welche die Restkontinenz in eine komplette Belastungsinkontinenz verwandelt, und die Implantation eines artifiziellen Sphinkters im Intervall (mindestens 6 Monate). Die Offenheitsrate der perinealen Reanastomosierung liegt bei etwa 90 % (Abb. 2b). Ein zu beachtender Faktor ist die Länge der subvesikalen Striktur. Wie bei Harnröhrenabrissen ist es manchmal notwendig, die Cura der Schwellkörper zu separieren, gegebenenfalls eine Pubektomie durchzuführen, um die gesunde, narbenfreie, bulbäre Harnröhre mit dem Blasenhals zu anastomosieren. Dieses multimodale, zweizeitige Vorgehen ist in Expertenhänden einer suprapubischen Harnableitung (Mitrofanoff, Ileumconduit oder Dauerableitung mittels suprapubischen Katheters) vorzuziehen, welche bei Unmöglichkeit oder Versagen der subvesikalen Rekonstruktion noch immer als mögliche Option angeboten werden kann.<br /> Die externe Radiatio des ehemaligen Prostatasitzes bei PSA-Rezidiv kompliziert die rekonstruktiven Möglichkeiten: Bei einer Handvoll von Patienten mit mehreren zentimeterlangen, narbenblockartigen, fadenförmigen, subvesikalen Strikturen ist es im Donauspital mit einer dorsalen und ventralen Mundschleimhautimplantation gelungen, eine rezidivfreie Offenheit der operierten Anastomosenregion zu erlangen. Es erfordert große chirurgische Geschicklichkeit, die Schleimhautpatchs im tiefen, schachtartigen, perinealen Zugang bis zum Blasenhals zu positionieren und zu fixieren. Diese Patienten profitierten nach Implantation eines Sphinkters von einem nahezu normalen Miktionsverhalten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1802_Weblinks_urologik_1802_s36_abb2a+b.jpg" alt="" width="1417" height="744" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Es ist unglaublich, wie lange Patienten mit ihrem bemitleidenswerten Miktionsverhalten dahinvegetieren, wie lange es dauert, bis sie an einem Zentrum mit entsprechender Expertise vorgestellt werden. Die Patienten haben oft chronische Harnwegsinfekte mit hochresistenten Keimen, dilatierte oder muskelhypertrophe Blasenkonfigurationen mit Trabekulierungen und multiplen Blasendivertikeln und beträchtliche Restharnmengen. Es ist oft erstaunlich, welche hochwertigen funktionell- und plastisch-rekonstruktiven Ergebnisse den langjährigen, leidvollen Strikturkarrieren einzelner Patienten gegenüberstehen.</p> </div></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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