
Betroffene effektiv behandeln und in hausärztliche Betreuung entlassen
Bericht:
Ines Schulze-Hanke
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Bei bestimmten Patientinnen und Patienten mit Gicht ist eine rheumatologisch-fachärztliche Betreuung sinnvoll. Eine im August 2024 veröffentlichte S3-Leitlinie zur Gicht macht deutlich, welche Ziele rheumatologische Praxen verfolgen und welche Komorbiditäten sie behandeln sollten.1 Darüber hinaus weist die Leitlinie wichtige Kontraindikationen aus.
Die Rheumatologie sei in Fällen gefragt, in denen die Diagnose Gicht unsicher oder eine Allopurinol-Therapie nicht zufriedenstellend sei oder komplizierende Komorbiditäten bestünden, erklärte die Leitlinienkoordinatorin PD Dr. Anne-Kathrin Tausche, Dresden, bei einer wissenschaftlichen Session anlässlich des DGRh 2024. Auch schwere Erkrankungen mit Tophi und Gelenkdestruktionen und solche mit zeitlich verändertem Erkrankungsverlauf oder fehlender Selbstlimitierung sollten rheumatologisch abgeklärt werden. Eine unklare Diagnose liege beispielsweise vor, wenn nichttypische Gichtmanifestationen oder Mono- oder Oligoarthritis in atypischer Lokalisation, zum Beispiel am Fingergelenk, auftreten. Dann sei entsprechend der Leitlinie eine weiterführende Diagnostik erforderlich.
Zur weiterführenden Diagnostik sehe die Leitlinie eine Gelenkpunktion mit Polarisationsmikroskopie oder eine sonografische Untersuchung vor, die helfe, das Gelenk zu begutachten. In der Praxis steht Tausches Erfahrung nach die Sonografie an erster Stelle. Hier sei auf das Doppelkonturzeichen zu achten und es lasse sich feststellen, wo sich Gelenkflüssigkeit befindet und wo für eine mikroskopische Beurteilung punktiert werden kann. Gegebenenfalls sei auch die Dual-Energy-Computertomografie (DECT) eine Option. Hierfür gebe es eine gute Datenlage. Allerdings stelle die DECT die Kristalle in flüssigen Ergüssen, also bei entzündlicher Arthritis, erst dar, wenn bereits Tophi vorlägen. Dann seien sie meist bereits auch klinisch zu diagnostizieren. Als wesentliche Differenzialdiagnosen, die auch koinzident auftreten könnten, nannte Tausche die Kalziumpyrophosphat-Arthropathie (CPPD), Arthrosen und Psoriasisarthritis sowie seltener die Spondyloarthritis (SpA). Auch wenn eine Gicht bestehe und zusätzlich eine Gelenkinfektion auftrete, seien Rheumatologin oder Rheumatologe gefragt. Bei Verdacht auf einen Keim im Gelenk solle punktiert werden.
Schwierige Therapie
Als weitere Indikation für eine fachärztlich-rheumatologische Behandlung führte Tausche therapeutische Schwierigkeiten an. So litten je nach Populationen 3% bis 10% der Behandelten an einer Allopurinol-Unverträglichkeit, asiatische Populationen seien beispielsweise häufiger betroffen. Trete etwa ein fixes Arzneimittelexanthem auf, dann seien andere Optionen gefragt.
Zudem gebe es Fälle, in denen eine Gichtanfall-Therapie zum Beispiel mit Colchicin nicht vertragen wird oder nicht wirkt und auch NSAR unzureichend sind. Funktioniere all dies nicht, könne die Rheumatologin oder der Rheumatologe leitliniengemäß eine Biologika-Therapie einleiten, gegebenenfalls bei den schweren Verläufen auch eine IL-1-Blockade. Eine unzureichende Harnsäuresenkung beeinträchtige in der Regel das klinische Ansprechen. In einem solchen Fall könnten in der rheumatologischen Praxis Adhärenz und Resorption geprüft werden sowie potenzielle weitere Ursachen, wie etwa das Vorliegen eines Tumors.
Am Beispiel eines 48-jährigen Patienten mit schweren rezidivierenden Gichtanfällen, Tophi, Gelenkdestruktion und funktionellen Defiziten schilderte Tausche ihr Vorgehen und den Einfluss eines Tumors. Da bei dem Patienten eine unzureichende Harnsäuresenkung bei eingeschränkter Harnsäure-Clearance bestanden habe, sei mit Febuxostat plus Benzbromaron auf den Zielwert therapiert worden. Unter dieser Therapie seien die Anfälle zurückgegangen und Tophi abgeschmolzen. Trotz guter hausärztlicher Weiterbehandlung habe der Patient nach einem Jahr Anfallsfreiheit erneut zum Teil ausgeprägte Gichtanfälle entwickelt und zudem eine tastbare Ptosis. Da man in der Coronazeit häufiger dort Tophi gefunden habe, wo die Masken drückten, habe man eine CT durchgeführt und tatsächlich an der Nasenspitze einen Tophus gefunden, der klinisch nicht aufgefallen war. Außerdem habe der Patient jedoch einen großen Tumor im Bereich der rechten Orbita gehabt, der – neben der Gicht mit schlechter Harnsäureausscheidung – zur Bildung sekundärer Tophi und zum erneuten Harnsäureanstieg geführt habe.
Aus rheumatologischer Sicht gilt: Treat to Target
Das Treat-to-Target-Prinzip sei diskutiert und letztlich für die Leitlinie beschlossen worden. Den Harnsäure-Zielwert von <360µmol/l könnten sich Patientinnen und Patienten gut über die Zahl der Tage im Jahr merken. Sie sollten an wenigstens 6 Tagen von 7 Tagen den verordneten Harnsäuresenker nehmen, denn aufgrund der physikochemischen Löslichkeit der Serumharnsäure führten niedrige Serumharnsäurewerte dazu, dass sich die in Tophi gespeicherte Harnsäure wieder löst und aus den Geweben abfließt. Jeder Gichtanfall sei ein Zeichen für abgelagerte Mikrokristalle. Der Abbau der Tophi brauche Zeit: Erst nach rund 2 Jahren komme es zu einer Reduktion von Gichtanfällen und Tophi.
Gichtpatientinnen und -patienten in der rheumatologischen Praxis litten in der Regel an komplizierenden Komorbiditäten, führte Tausche aus. Dazu gehörten mittel- bis hochgradige Nierenfunktionseinschränkungen, koronare Herzerkrankungen, koronare Ereignisse mit Herzinsuffizienz als Folge oder Diabetes. Zur Blutdrucksenkung würden bei diesen Betroffenen oft Diuretika eingesetzt. Diese Medikamente verschlechterten jedoch alle die Harnsäureexkretion und ließen die Serumharnsäure ansteigen – mit Implikationen für die Gicht. Bei Diabetes könnten die Folgen aufgrund einer Polyneuropathie klinisch stumm bleiben. Hier könne man jetzt gegebenenfalls einen SGLT2-Inhibitor geben, wenngleich die Datenlage für die Gicht bisher noch keine gute Evidenz liefere und die Leitlinie deshalb nur ein konsensbasiertes Statement enthält.
Entsprechend der Literatur- und Evidenzrecherche, die das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) für die Leitlinie vorgenommen hat, dürften bei Gicht bestimmte Diuretika gar nicht gegeben werden, erklärte Tausche. Kontraindikationen bestünden für Torasemid, Xipamid und Hydrochlorothiazid (HTC) als Monopräparat. Tatsächlich finde man diese Wirkstoffe jedoch häufig in den Medikationsplänen von Gichtpatientinnen und -patienten. Ersetzen ließen sie sich durch Furosemid, Piretanid, Indapamid, Chlortalidon oder HTC-Kombinationspräparate. Sie selbst prüfe regelmäßig metabolische Parameter und Komorbiditäten, denn diese könnten Betroffene „tatsächlich früher ins Grab oder in die Invalidität“ bringen, erklärte Tausche. Auch bei schlanken Menschen ohne übermäßigen Alkoholkonsum könne eine Hyperlipoproteinämie (HLP) bestehen, die gegebenenfalls mit Atorvastatin und Losartan behandelt werden könne. Dies sei ebenfalls in der Leitlinie hinterlegt.
Man müsse sich bewusst machen, dass die Prävalenz der Gicht höher ist als beispielsweise die der rheumatoiden Arthritis (RA) und dass darüber hinaus einige kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Gicht deutlich häufiger aufträten als bei RA. Zwar unterschieden sich die beiden Erkrankungen pathophysiologisch, doch letztlich seien die Treiber für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko sehr ähnlich und es überschnitten sich Mechanismen, die zur systemischen Entzündung führten.2
Angesichts der Prävalenz der Gicht sei es nicht zufriedenstellend, dass in der Leitlinie viele Fragen noch nicht evidenzbasiert beantwortet werden konnten, so Tausche. Gerade aus dem hausärztlichen Versorgungssetting fehlten Daten. Weitere interdisziplinäre Forschung sei dringend notwendig, um zu klären, ob sich die Patientenkollektive im hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich tatsächlich unterscheiden und, falls dies der Fall sein sollte, welche Unterschiede konkret bestehen.
Eine deutlich klarere Datenlage sei auch notwendig, um entscheiden zu können, ob eine Symptomkontrolle oder das Treat-to-Target-Prinzip mit einem Harnsäure-Zielwert von <360µmol/l (6mg/dl) zu favorisieren ist, um Gichtanfälle und Tophi nach 6, 12 und 24 Monaten günstig zu beeinflussen. Hierzu sei eine langfristige Beobachtung notwendig, da die Zahl der Gichtanfälle unter einer Therapie zunächst anstieg. Außerdem bestehe noch Forschungsbedarf hinsichtlich unerwünschter Wirkungen, der Number Needed to Treat sowie der Number Needed to Harm.
Quelle:
„Gicht aus rheumatologischer Sicht“, Vortrag von PD Dr. Anne-Kathrin Tausche, Dresden, im Rahmen der Session „Kristallarthritiden – von der Pathogenese zur optimalen individuellen Therapie” anlässlich des Deutschen Rheumatologie-Kongresses am 19. September 2024 in Düsseldorf
Literatur:
1 Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e.V. (DGRh): S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Gicht. AWMF-Registernummer 060-005; verfügbar unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/060-005 (zuletzt aufgerufen am 14.3.2025) 2 Hansildaar R et al.: Cardiovascular risk in inflammatory arthritis: rheumatoid arthritis and gout. Lancet Rheumatol 2021; 3(1): e58-70
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