Haarerkrankungen – Diagnosestellung, Therapie- und Patientenmanagement
Autor:
Prof. Dr. Tobias W. Fischer
Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, Kepler Universitätsklinikum, Linz
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Neben der richtigen Diagnosestellung ist bei Patienten mit Haarerkrankungen das Therapie- und Patientenmanagement von wesentlicher Bedeutung, da schnelle und direkte Therapieeffekte allenfalls bei der Prednisolon-Puls-Therapie einer stark dynamischen Alopecia areata auftreten und daher in den meisten Fällen ein gutes Langzeittherapie- und Patientenmanagement mit dem Ziel einer guten Compliance und Adhärenz notwendig ist.
Keypoints
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Das Erkennen von Haarausfallmustern und Befundmorphe ist der Schlüssel zur klinischen Diagnosestellung.
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Labordiagnostik ist v.a. bei der Alopecia diffusa notwendig, eine Kopfhautbiopsie nur bei klinisch unklaren Fällen.
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Die Therapie ist meist über Wochen und Monate, teilweise – bei den chronisch-entzündlich vernarbenden Alopezien – auch über Jahre durchzuführen.
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Für bestmögliche therapeutische Erfolge ist ein hochqualitatives Arzt-Patienten-Behandlungsbündnis mit guter langfristiger Patientencompliance und -adhärenz wichtig.
Einleitung
Haarerkrankungen umfassen verschiedene Formen von Haarausfall auf regulatorisch-entzündlicher Ebene, Kopfhauterkrankungen, die sekundär zu Haarausfall führen, oder Haarschaftanomalien. Bei Hypertrichose oder Hirsutismus tritt ein übermäßiges Haarwachstum auf. Haarverlust kann zu erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität, des Soziallebens, des Selbstempfindens, des Selbstwertgefühls führen und mit Stigmatisierungsgefühlen der betroffenen Person einhergehen.1–3
Formen von Haarausfall
Generell unterscheidet man nicht vernarbenden (reversiblen) und vernarbenden Haarausfall (irreversiblen). Zum nicht vernarbenden Haarausfall gehören die androgenetische und diffuse Alopezie sowie die Alopecia areata, während der Lichen ruber follicularis, die frontal fibrosierende Alopezie, der Lupus erythematodes capillitii und die Folliculitis decalvans zu den vernarbenden gehören.
Androgenetische Alopezie
Die androgenetische Alopezie (AGA) tritt bei etwa jedem 2. Mann im Laufe des Lebens auf, während Frauen etwa zu ca. 10–20 % betroffen sind. Pathogenetisch liegt beim Mann eine genetisch determinierte Hypersensitivität von prädisponierten Haarfollikeln in der Schläfen- und Vertexregion auf Androgene (normale Blutspiegel) vor. Beim Mann ist es vor allem die erhöhte Aktivität des Enzyms 5α-Reduktase Typ 2, welches intrafollikulär die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT) katalysiert. Im Frühstadium lichten sich die Temporalregionen („Geheimratsecken“). Später entwickeln sich eine Lichtung am Vertex und im Maximalstadium eine Glatze mit einem okzipitalen Resthaarkranz (Hamilton- und Norwood-Stadien). Diese Ausprägung findet sich bei 80–90% der Männer als „male pattern“ AGA (Abb. 1a), während bei der Frau zu 80–90% die „female pattern“-AGA auftritt (Abb. 1b). Diese manifestiert sich als diffuse Lichtung im Oberkopfbereich, welche im Verlauf zunehmen kann, ohne daß eine völlige Kahlheit resultiert (Ludwig-Stadien). Bei der Frau führt man die Pathogenese auf eine reduzierte Aktivität der Aromatase mit resultierendem relativem Androgenüberschuss zurück.4,5
Abb. 1: Androgenetische Alopezie. a) „male pattern“; b) „female pattern“
Alopecia diffusa
Die Alopecia diffusa (AD) ist ein klinischer Phänotyp mit einem diffus über das gesamte Kapillitium verteilten Haarausfall und hat verschiedene Ursachen. Pathoätiogenetisch liegen entweder eine absolute oder relative Mangelsituation am Haarfollikel, die Überpräsenz von toxischen Substanzen oder Medikamentennebenwirkungen vor. Ist der Mangel oder die Noxe stark, tritt innerhalb von wenigen Tagen bis Wochen ein Effluvium vom akuten dystrophischen Anagen- oder Frühtyp ein. Bei weniger starken (chronischen) Einflüssen ereignet sich ein verzögertes oder ein Spättyp-Effluvium innerhalb von 3–6 Monaten als Telogeneffluvium. Mögliche Ursachen für die AD sind Stoffwechselerkrankungen, Eisenmangel, Vitaminmangel, Proteinmangel, Operation/Vollnarkose, schwere systemische Entzündungen (z.B. Pneumonie, Grippe) oder auch Malignome. Eine Vielzahl von Medikamenten kann ebenfalls eine diffuse Alopezie auslösen, wie z.B. ACE-Hemmer, Betablocker, Retinoide, Thyreostatika, aber auch L-Thyroxin, Antibiotika, Analgetika und v.a. chemotherapeutische Substanzen (Interferon selten; häufiger Carboplatin [2%], Etoposid [66%], Ifosfamid [bis 80%] und Doxorubicin [knapp 100%]).4 Aktuell häuften sich auch Fälle von AD 2–3 Monate nach der im November 2020 durchlaufenen 2. Corona-Welle nach manifester Covid-19.
Abb. 2: Alopecia areata, multilokulär
Alopecia areata
Die Alopecia areata (AA) tritt oft plötzlich mit kleinen kahlen, häufig kreisrunden Stellen auf, die sich zentrifugal oder multilokulär (AA multilocularis) ausbreiten (Abb. 2). Bei der Alopecia areata subtotalis/totalis ist nahezu bzw. vollständig das gesamte Kapillitium kahl (<10% der Patienten). Ist ausschließlich der Okzipitalbereich kahl spricht man vom Ophiasis-Typ. Wenn außerhalb des Kapillitiums Augenbrauen, Wimpern, Bartbehaarung bei Männern, Achsel- und Pubesbehaarung sowie Körperbehaarung betroffen sind, spricht man von AA universalis (<2% der Patienten). Auflichtmikroskopisch sieht man „yellow dots“, Ausrufezeichenhaare und „points noirs“. Die AA hat eine Lebenszeitinzidenz von ca. 1–2%, tritt gehäuft familiär und zwischen dem 5. und 30. Lebensjahr auf. Komorbiditäten sind das atopische Ekzem (38%), Autoimmun-Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow) (30%) und die Vitiligo (5%).
Folgende 6 Faktoren sind prognoseverschlechternd:
Erstmanifestation bereits im Kindesalter, ausgedehnter Befall und lange Bestandsdauer,
Ophiasis-Typ (Nackenbereich),
Nagelbeteiligung (Tüpfel- und Sandpapiernägel),
Komorbiditäten atopische Dermatitis und Autoimmunerkrankungen,
positive Familienanamnese.
Der Verlauf und die Dynamik der AA sind unterschiedlich und nicht sicher beeinflussbar. Eine Spontanremission tritt bei circa einem Drittel der Patienten nach 6 Monaten und bei 50–80% nach 12 Monaten ein.4,5
Lichen ruber follicularis (LRF)
Der Lichen ruber des behaarten Kopfes (syn. Lichen planopilaris) manifestiert sich in fleckartigen entzündlichen Alopezieherden mit perifollikulären Erythemen und Hyperkeratosen, welche bei Progress zur Vernarbung führen (Abb. 3). Häufig finden sich im Randbereich einzeln stehende Haarfollikel („lonely hairs“). Histologisch sieht man ein bandförmiges lympho-histiozytäres Infiltrat entlang der Basalmembranzone. In der direkten Immunfluoreszenz können sich „cytoid bodies“ finden.4–6
Abb. 3: Lichen ruber fullicularis
Frontal fibrosierende Alopezie (Kossard)
Das Zurückweichen der frontalen oder frontotemporalen Haarlinie bei postmenopausalen Frauen einhergehend mit perifollikulären Erythemen und Hyperkeratosen ist als postmenopausale frontal fibrosierende Alopezie (PFFA) von Kossard 1994 erstmals beschrieben worden (Abb.4). Tatsächlich sind 97% der Betroffenen Frauen und 84% davon postmenopausal, aber es sind auch Männer und prämenopausale Frauen betroffen,7 daher spricht man heute allgemein von der frontal fibrosierenden Alopezie (FFA).7 Die FFA ist eine Spielart des Lichen ruber follicularis, da die Histologie das gleiche Entzündungsmuster zeigt. Auch hier finden sich bei bis zu 50% der Patienten einzeln stehende „Vorpostenhaare“ („lonely hairs“). Die Augenbrauen können im Sinne von Ulerythema ophryogenes partiell oder total bei 80% der Fälle gelichtet sein, die Wimpern in 14%. Relativ häufige Begleitsymptome sind Pruritus (35%) oder Trichodynie (20%).4-7
Lupus erythematodes capillitii
Der Lupus erythematodes capillitii ist am Kapillitium lokalisiert und klinisch und histologisch identisch mit dem chronischen diskoiden Lupus erythematodes (CDLE) des Integuments. Unregelmäßig verteilt, jedoch häufig am Oberkopf/Vertex, finden sich fleckartige entzündlich-erythematöse, teils livide Plaques mit randständiger Schuppung, die zentral eine glatt-glänzende porzellanartige Atrophie entwickeln. An vernarbenden Follikelostien oder noch verbleibenden Haarfollikeln finden sich lokalisierte perifollikuläre Hyperkeratosen, die sich kegelartig aushebeln lassen („Tapeziernagelphänomen“). Histologisch bestehen eine vakuolige Degeneration der basalen Epidermis und ein meist scharf begrenztes fleckförmiges lympho-histiozytäres, in das tiefere Korium absteigendes, perivaskulär und -follikulär orientiertes Infiltrat. Die direkte Immunfluoreszenz zeigt granuläre Ablagerungen von IgG und C3 in der dermo-epidermalen Junktionszone. Diagnostisch finden sich nur bei 20% der Patienten antinukleäre Antikörper.4–6
Abb. 4: Frontale fibrosierende Alopezie
Folliculitis decalvans
Die Folliculitis decalvans ist eine neutrophilenreiche, granulozytär-einschmelzende Entzündung der Haarfollikel, die unbehandelt zu Vernarbung führt. Klinisch zeigen sich in unregelmäßiger Verteilung, häufig aber am Oberkopf follikuläre Pusteln (quasi pathognomonisch), die bis zu Eiterseen konfluieren können, seröse Krusten und perifollikuläre Erytheme sowie Büschelhaare (Abb. 5). Die entzündeten Stellen können jucken und sehr schmerzen. Die Pathogenese ist eine atypische Abwehrreaktion gegen Staphylococcus aureus, der sich regelmäßig aus den Pusteln nachweisen lässt. Die Immunfluoreszenz ist negativ.4–6
Diagnosestellung
Eine detaillierte Anamnese mit exaktem Herausarbeiten des Beginns, der Anfangs- und Verlaufsdynamik des Haarausfalls sowie Ansprechen auf möglicherweise bereits durchgeführte Therapien und deren Dauer, Frequenz und Dosierung ist Kernstück einer guten klinischen Diagnostik und gleichzeitig wesentliches Element des empathischen Erfassens der bisherigen Leidensgeschichte. Die Frage nach Juckreiz, Brennen und Schmerzen der Kopfhaut und deren Intensität auf einer numerischen Analogskala von 0–10 gehört dazu. Von wesentlicher Bedeutung ist die Zeitdynamik v.a. zur Diagnosestellung einer symptomatischen diffusen Alopezie bei Assoziation mit kausalen Ereignissen. Die genaue klinische Untersuchung des Kapillitiums mit „Kartierung“ aller Kopfareale unter Durchführung des Pull-Tests (Zupftest) wird ergänzt durch die Auflichtmikroskopie (Abb. 6). Die Erkennung des klinischen Musters der Haarausfallverteilung und der Befundmorphe an der Kopfhaut ist wesentlich für die Diagnosestellung. Eine Kopfhautbiopsie ist bei typischer Klinik verzichtbar, sollte aber bei unklaren Fällen durchgeführt werden, und zwar als ausreichend große Spindelbiopsie (circa 1,5x0,5cm). Bei der Alopecia androgenetica und diffusa steht zur Bestimmung der Haardichte (Haaranzahl n/cm2) und des Anagen-Telogen- und Vellus-Terminalhaaranteils als Ausgangsbefund und im therapeutischen Verlauf der TrichoScan als objektive Messmethode zur Verfügung.8 Labordiagnostik ist notwendig bei V.a. Alopecia diffusa und beinhaltet Differenzialblutbild, Eisen, Ferritin, fT3, fT4, TSH, ANA, Prolaktin, Vitamin D3 und Vitamin B12. Bei kreisrundem Haarausfall kann ein Lues-Suchtest ergänzt und die Komorbidität Autoimmunthyreoiditis mit Anti-TPO-, Anti-Thyreoglobulin-Antikörper und TRAK erfasst werden.4
Abb. 5: Folliculitis decalvans. a) Übersichtsbild; b) Detailansicht
Therapiemanagement
Therapie der Alopecia androgenetica
Für die AGA des Mannes gibt es zwei zugelassene Therapien: systemisches Finasterid (1 Tbl. à 1mg tgl.) und topisches Minoxidil 2x tgl. als 5%-Lösung oder Schaum. Die Ansprechrate liegt bei beiden Therapien bei 80–90%. Für die Frau steht ebenfalls topisches Minoxidil, allerdings als 2%-Lösung 2x tgl. oder 5%-Schaum 1x tgl. zur Verfügung. Die Ansprechrate liegt ebenfalls bei 80–90% und stellt damit die Erstlinientherapie der AGA dar.4 Um einen Therapieerfolg zu erzielen, ist es wichtig, den Patienten/die Patientin im Erstgespräch von der Wirkung der Therapie zu überzeugen, um eine Compliance und Adhärenz zur Therapie über mindestens 3–6 Monate zu erzielen. Bei Ansprechen kann der Patient oder die Patientin für die Fortführung bis 12 Monate gewonnen werden. Erst dann kann der Maximaleffekt erreicht werden. Bei Fortführung über 5 Jahre bleibt die Haarzahl auf einem hohen Plateau.9 Für die Therapie mit topischem Melatonin oder Caffein gibt es ebenfalls Evidenz, jedoch mit geringeren belegten Fallzahlen bzw. geringerer Wirksamkeit.10–12
Therapie der Alopecia areata
Die Therapie der Alopecia areata erfolgt stadiengerecht. Das Abwarten einer möglichen Spontanremission ist unter Absprache mit dem Patienten eine mögliche Option, da diese bei etwa einem Drittel der Patienten nach 6 Monaten und bei ca. 50–80% nach 12 Monaten auftritt. Bei einzelnen kleinen, noch nicht sichtbaren Herden ist eine topische Therapie mit Klasse-III/IV-Steroiden 2x tgl. für 4–8 oder bis maximal 12 Wochen Mittel der Wahl.4 Bei mehr als 20% kahler Fläche und drohender Sichtbarkeit der kahlen Stellen mit starker Dynamik (Pull-Test deutlich positiv) ist die orale Mittel/Hochdosis-Prednisolon-Pulstherapie Mittel der Wahl. Initialdosis ist 50 mg, welche dann über 4 Wochen auf 10 mg reduziert wird. Bei Ansprechen und guter Verträglichkeit wird dann für 2 Wochen auf 20 mg reeskaliert und nach weiteren 2Wochen mit 10 mg tgl. beendet. Nach 4 Wochen tritt das Wiederwachstum bei 60% der Patienten ein, nach 8 Wochen bei 83% (keine Nebenwirkungen bei 60% der Patienten).4 Ziel sind ein Durchbrechen der entzündlichen Reaktion am Haarfollikel und eine Induktion des Wiederwachstums. Ist dies erfolglos und besteht weiterhin ein alopezisches Areal von >30%, stellt die topische Immuntherapie mit Diphenylcyclopropenon (DCP) die Therapie mit bester Evidenz dar (Evidenz-Level II). Das Ansprechen liegt je nach Bestehensdauer und gelichtetem Areal zwischen 30 und 80%.4,5 Ziel ist die Auslösung eines allergischen Ekzems, welches mit Erythem und Pruritus bis 2–3/10VAS einhergeht. Hat sich das Ekzem reproduzierbar eingestellt, wird bis zu 6 Monate behandelt – in Absprache mit dem Patienten auch bis zu 9 Monate. Die topische Reiztherapie mit Dithranol kann bei limitierten Formen, die wenig Dynamik zeigen, angewandt werden. Das Ansprechen liegt bei 18–25%. Die JAK-Inhibitoren stellen im Off-label-Use eine neue Therapieoption dar.5
Therapie der Alopecia diffusa
Die kausale Therapie bei diffuser Alopezie besteht aus der Erkennung und Elimination der auslösenden Noxe/systemischen Erkrankung, des Medikamentes bzw. des verursachenden Mangelzustandes. Die Aufklärung über die Reversibilität ist Hauptelement des therapeutischen Gesprächs. Unterstützend und zur Stimulation eines früheren Wiederwachstums kann Minoxidil eingesetzt werden.4
Abb. 6: Auflichtmikroskopie im Zuge einer genauen klinischen Untersuchung des Kapillitiums
Therapie des Lichen ruber follicularis, der frontal fibrosierenden Alopezie und des Lupus erythematodes capillitii
Für alle drei Erkrankungen gelten im Initialstadium topische Klasse-IV-Steroide 2x tgl. für 4–8 oder bis maximal 12 Wochen als indiziert. Bei starker Dynamik ist auch eine Prednisolon-Pulstherapie mit Initialdosis 50mg wie bei der AA aufgeführt anzuwenden. Ziel ist ein Sistieren der Entzündung und des Fortschreitens der Vernarbung.4,5 Wenn kein Sistieren erzielt werden kann, ist Hydroxychloroquin 2x tgl. 200mg für 3–6 Monate Mittel der 1.Wahl (Ansprechen 40–76%), bei Stabilität reduzierte Erhaltungsdosis. Augenarzt- und Laborkontrollen sind zu beachten. Alternativ wird auch Dapson mit initial 100 mg/Tag eingesetzt oder im Fall von LRF und FFA Methotrexat 10–15mg/Woche oder Mycophenolatmofetil.13
Therapie der Folliculitis decalvans
Auch bei der Folliculitis decalvans sollten zu Beginn bei leichten und mittelschweren Fällen topische Klasse IV Steroide 2x tgl. für 4–8 oder bis maximal 12 Wochen zum Einsatz kommen, auch in Ergänzung mit einem topischen Antibiotikum (Fusidin-Säure). Zur Reduktion der Staphylococcus-areus-Besiedelung wird als Basismaßnahme Octenidin-Waschlösung 1xtgl. bis 2–3x/Woche eingesetzt. Aufgrund der jedoch häufig stärkeren Entzündung mit Brennen/Schmerzen ist bei dieser vernarbenden Alopezie schon früher eine systemische Therapie indiziert: orales Doxycyclin 100mg 2 x tgl. oder alternativ Azithromycin 500mg 3 x/Woche für 2–4 Wochen. Auch eine kurzfristige Prednisolon-Pulstherapie kann bei starker Entzündung und flächiger Ausbreitung parallel eingesetzt werden. Kommt es zu einem Sistieren der Entzündung, geht der Patient in die Beobachtungsphase von 2–3 Monaten mit Kontrolltermin. Bei Rezidiv mit längerer Latenz kann die Antibiotikatherapie 1– bis 2-mal wiederholt werden. Bei raschen Rezidiven bzw. Therapieresistenz ist dann die Kombination von Clindamycin 2 x 300mg und Rifampicin 2 x 300mg für 10 Wochen das Mittel der Wahl, mit Remissionszeiten von bis zu 7 Monaten.14 Nach wiederkehrenden Rezidiven oder bei chronisch persistierenden Verläufen führt der Einsatz von Hydroxychloroquin 200mg 2x tgl. auch bei dieser Erkrankung zu guten klinischen Verläufen. Auch hier ist die Alternative Dapson 100mg 1x tgl.
Patientenmanagement
Aufgrund des hohen Patientenleidensdruckes sieht sich der konsultierte Arzt häufig hohen Erwartungen vonseiten der Patientinnen und Patienten gegenüber. Neben der Kenntnis der wesentlichen Formen von Haarerkrankungen und wie man sie diagnostiziert und therapiert, sind daher eine empathische Patientenbetreuung und das Langzeitmanagement der betroffenen Patientinnen und Patienten von wesentlicher Bedeutung. Den Patienten ernst zu nehmen, ihn genau zu befragen und zu untersuchen ist dafür ein wichtiges Prinzip; den Patienten für die Therapie, die nicht sofort zum Erfolg und zur ehemals üppigen Frisur führt, zu gewinnen ein zweites. Den Patienten zur konsequenten und regelmäßigen Durchführung der Therapie zu motivieren ist das dritte Prinzip und den Patienten an die Therapie zu binden das vierte. Auch wenn bei der AD der Haarausfall häufig stark und für den Patienten schockierend ist, stellt die in vielen Fällen gegebene volle Reversibilität innerhalb von 3–6 Monaten für die betroffenen Patienten eine positive Tatsache dar, die man in der Patientenführung unbedingt klar herausstellen sollte. Die Therapie der AA erstreckt sich von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Die Therapie der AGA erfolgt über mehrere Jahre, und bei den vernarbenden Alopezien muss die Therapie häufig über Monate, teilweise auch über Jahre wie bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen fortgeführt werden. Insgesamt ist bei Alopezien die Patientenklientel durchaus schwierig und ärztlich anspruchsvoll. Die Etablierung eines hochqualitativen Arzt-Patienten-Behandlungsbündnisses ist daher eine conditio sine qua non, mit der sich über eine gute langfristige Compliance und Adhärenz des Patienten die bestmöglichen Therapieerfolge erzielen lassen.
Literatur:
1 Fischer TW et al.: Hairdex - ein Instrument zur Untersuchung der krankheitsbezogenen Lebensqualität bei Patienten mit Haarerkrankungen. Hautarzt 2001; 52: 219-27
2 Schmidt S et al.: Strategies of coping and quality of life in women with alopecia. Br J Dermatol 2001; 144: 1038-43
3 Schielein MC et al.: Stigmatisierung durch Haarausfall – eine systematische Literaturübersicht. J Dtsch Dermatol Ges 2020; 18: 1357-69
4 Fischer TW: Alopezien – diagnostisches und therapeutisches Management. Akt Dermatol 2008; 34: 209-25
5 Wolff H et al.: Diagnostik und Therapie von Haar- und Kopfhauterkrankungen. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 377-86
6 Fischer TW: Vernarbende Alopezien (Alopecia cicatricia). Spectrum Dermatologie 2014; 1: 19-22
7 Valesky EM et al.: Frontal fibrosing alopecia - review of recent case reports and case series in PubMed. J Dtsch Dermatol Ges 2018; 16: 992-9
8 Hoffmann R: TrichoScan: combining epiluminescence microscopy with digital image analysis for the measurement of hair growth in vivo. Eur J Dermatol 2001; 11: 362-8
9 Olsen EA et al.: Five-year follow-up of men with androgenetic alopecia treated with topical minoxidil. J Am Acad Dermatol 1990; 22: 643-6
10 Fischer TW et al.: Melatonin increases anagen hair rate in women with androgenetic or diffuse alopecia. Br J Dermatol 2004; 150: 341-345
11 Fischer TW et al.: Topical melatonin for treatment of androgenetic alopecia. Int J Trichology 2012; 4: 236-45
12 Dhurat R et al.: An open-label randomized multicenter study assessing the noninferiority of a caffeine-based topical liquid 0.2% versus minoxidil 5% solution in male androgenetic alopecia. Skin Pharmacol Physiol 2017; 30: 298-305
13 Errichetti E et al.: Therapeutic management of classic lichen planopilaris: a systematic review. Clin Cosmet Investig Dermatol 2018; 11: 91-102
14 Vañó-Galván S et al.: Folliculitis decalvans: a multicentre review of 82 patients. J Eur Acad Dermatol Venereol 2015; 29: 1750-7
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