
Sexuell übertragbare Infektionen bei Kindern und Jugendlichen
Autor:
OA Ass.Prof. Dr. Mario Sarcletti
Leitender Oberarzt HIV/AIDS-Bereich
Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: mario.sarcletti@i-med.ac.at
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Seit 2019 berichten die World Health Organization (WHO) und die Centersfor Disease Control and Prevention (CDC; USA) regelmäßig über einen dramatischen Anstieg der sexuell übertragbaren Infektionen („sexually transmitted infections“; STI) und davon, dass Jugendliche besonders gefährdet sind.
Keypoints
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STI bei Kindern treten entweder durch eine vertikale Transmission vor oder während der Geburt oder durch Übertragung aufgrund sexualisierter Gewalt auf.
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Korrekte Schwangeren-Untersuchungen und gegebenenfalls Behandlung der Schwangeren sind die beste Prophylaxe der neonatalen STI.
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Jugendliche infizieren sich während der eigenen sexuellen Aktivität oder als Opfer sexualisierter Gewalt.
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Die STI bei Jugendlichen verlaufen wie bei Erwachsenen. Trotz verschiedener Erreger sind die akuten Symptome überschaubar.
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Untersuchungen zeigen, dass viele Jugendliche nicht ausreichend über STI und Prävention aufgeklärt sind, weshalb Wissensvermittlung eine wichtige Rolle spielt.
Besonders besorgniserregend ist der Anstieg der Zahlen von kongenitaler Syphilis in den USA (2022: fast 3800 gemeldete Fälle). In Europa sind die Fallzahlen der kongenitalen Syphilis relativ stabil auf sehr niedrigem Niveau (2022: 71 gemeldete Fälle). Durch effektives Schwangeren-Monitoring und Behandlung von dabei entdeckten Infektionen der werdenden Mütter werden Übertragungen von STI auf das Kind vermieden (beste Prophylaxe).
Daten und Meldepflicht
Während die allgemeinen Infektionszahlen von Syphilis, Gonorrhö und Chlamydien auch in der europäischen Bevölkerung steigen, sind die genauen Zahlen für Kinder und Jugendliche unklar und hängen sehr stark von der Meldepflicht und Erfassung in den einzelnen Ländern ab. Allerdings gibt es auch aus Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern Warnungen und alarmierende Hinweise auf eine Abnahme der Bereitschaft von Jugendlichen, Kondome zu verwenden, und ein damit verbundenes zunehmendes Risiko für STI bei Jugendlichen.
In Österreich gilt nur eine eingeschränkte Meldepflicht für einzelne STI, d.h., es muss nur gemeldet werden, falls eine betroffene Person sich der Behandlung entzieht und/oder eine wissentliche Weitergabe der Infektion zu vermuten ist. Daher existieren in den europäischen Analysen des ECDC (European Centre of Disease Prevention and Control) keine Daten für Österreich.
Übertragung
Tab. 1: Behandlung von jugendlichen und erwachsenen Opfern sexualisierter Gewalt (modifiziert nach STI Treatment Guidelines 2021)
Kinder sind von STI entweder durch eine vertikale Transmission vor oder meist während der Geburt (HIV, Chlamydien, Gonokokken, Syphilis, HPV, HSV, HBV …) oder durch Übertragung bei sexualisierter Gewalt betroffen. Jugendliche infizieren sich schließlich während der eigenen sexuellen Aktivität oder auch als Opfer sexualisierter Gewalt (Tab.1).
Syphilis
Bei einer kongenitalen Syphilis (Lues connata) sind ca. 50–70% der Kinder bei Geburt klinisch noch unauffällig. Ohne Behandlung entwickelt sich in den ersten Lebensmonaten ein Frühstadium (Lues connata praecox) und nach dem 2. Lebensjahr ein Spätstadium (Lues connata tarda). Die Lues connata praecox ist durch folgende Symptome charakterisiert:
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Rhinitis (Coryza syphilitica, Sekret: Spirochäten-reich) bei bis zu 40% der Infizierten, Beginn in den ersten 2 Wochen
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Hauterscheinungen: erythematöse, makulopapulöse, vesikulöse Effloreszenzen meist palmar, plantar (Pemphigus syphiliticus), Gesicht und Gesäß, bei 50% der Fälle, Beginn in den ersten 8 Wochen
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Abdomen: Hepatosplenomegalie, bei 20–50% der Fälle, Beginn in den ersten 8 Wochen
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Lymphadenopathie: bei bis zu 5% der Fälle
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Neurosyphilis: bei 50% der Fälle; Beginn: Geburt oder später
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Knochen: Osteo-/Perichondritis, Pseu-doparalyse/-paresen, Frakturen (cave: Fehldiagnose „Misshandlung“), Des-truktion mediale metaphysäre Tibia (Wimberger-Zeichen); bei 60–80% symptomatischer, bei 20% sonst asymptomatischer Kinder
Bei der Lues connata tarda kommen folgende Symptome vor:
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Hutchinson-Trias: interstitielle Keratitis im Alter von 4–20 Jahren; Tonnenzähne (betrifft bleibende Zähne); Innenohrschwerhörigkeit (N. vestibulocochlearis) ab 10 Jahren
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Weitere Symptome (früh oder spät auftretend) sind maulbeerförmige Molaren, Veränderungen an Gaumen und Stirn, Sattelnase, Kniegelenkserguss, Säbelscheidentibia, Verdickung Schlüsselbein medial u.a.
Die Therapie der Lues connata erfolgt mit Penicillin G intravenös (Penicillin G kristalloide Lösung i.v.: 100000 bis 200000 I.E./kg KG Tagesdosis, über 10–14 Tage (d), in 2–4 Einzeldosen (auch bei ZNS-Beteiligung); ab 1. Lebenswoche: 2x 50000 I.E./kg/d i.v., ab 2. Lebenswoche: 3x50000 I.E./kg/d i.v., ab 5. Lebenswoche: 4x50000 I.E./kg/d i.v.). Bei rechtzeitiger Diagnose der kongenitalen Syphilis und korrekter Therapie werden die frühen Symptome abheilen und Spätfolgen verhindert.
Chlamydien
Im Falle einer kongenitalen Chlamydien-Infektion während des Geburtsvorgangs kann es neben einer Konjunktivitis auch zu einer Pneumonie und Otitis media kommen: Die Konjunktivitis tritt mit einem Risiko von 20–50% meist am 5.–14. Lebenstag, zunächst einseitig, nach 2–7 Tagen beidseitig mukopurulent auf (begleitendes Lidödem). Bei rechtzeitiger adäquater Therapie heilt sie gänzlich ab.
Bei 5–30% kommt es zu einer Chlamydien-Pneumonie, die in der 4.–12. Lebenswoche auftritt, wobei ca. 50% der betroffenen Neugeborenen zuvor eine Konjunktivitis durchmachten. Die Pneumonie ist meist afebril, Rasselgeräusche sind möglich, auch stakkatoförmiger Husten kann auftreten. Radiologisch liegen bilaterale, interstitielle Infiltrate, Emphysem und selten Atelektasen vor. Begleitend zur Pneumonie erkranken ca. 50% der Kinder an einer Otitis media.
Die Diagnose der kongenitalen Chlamydien-Infektion erfolgt im konjunktivalen, nasopharyngealen Abstrich und ist im Trachealaspirat mittels NAAT („nucleic acid amplification test“; Nukleinsäure-Amplifikations-Test) nachweisbar. Zellkulturen sind aufwendig, wenig sensitiv und die Probengewinnung schmerzhaft, die Serologie ist nicht zielführend.
Die Therapie der kongenitalen Chlamydien-Infektion besteht aus Erythromycin (Erythromycin-Ethylsuccinat 40–50mg/kg oral/d oder Erythromycin-Estolat 30–40mg/kg oral/d) für 14 Tage; eine Alternative stellt Azithromycin 10mg/kg KG oral/d einmalig oder täglich für 3 Tage dar.
Gonorrhö
Die durch Gonokokken verursachte neonatale Konjunktivitis (Blennorrhoea gonorrhoica neonatorum) entsteht auch durch die kindliche Infektion beim Durchtritt durch den Geburtskanal. Sie stellt einen ophthalmologischen Notfall dar, da unbehandelt die Gefahr der Erblindung besteht. Auch sie ist rasch mittels NAAT diagnostizierbar und bei rechtzeitiger Diagnose wie die vorher genannten STI gut behandelbar. Die früher übliche Credé-Prophylaxe wird wegen zu hoher lokaler Toxizität der Silbernitrat-Lösung nicht mehr verwendet und mancherorts durch Erythromycin- oder Tetracyclin-Augentropfen ersetzt.
Die Behandlung der neonatalen Gonokokken-Infektion besteht aus Ceftriaxon parenteral (je nach Gewicht 50–125mg/kg KG einmalig intravenös oder intramuskulär) oder als Alternative aus Cefotaxim (je nach Alter 50–100 mg/kg KG/d einmalig, 2–3 Tage i.v.), zusätzlich antibakterielle Augentropfen (Erythromycin, Tetracyclin, Povidon-Jod).
HPV
Eine perinatale Infektion durch HPV (humanes Papillomavirus) kann in seltenen Fällen zu einer schwer behandelbaren und teilweise lebensbedrohlichen, rezidivierenden Larynxpapillomatose führen (HPV-Typen 6, 11, sehr selten 16, 18). Bei der aggressiven Verlaufsform ist Luftnot/Erstickungsgefahr möglich, der Verlauf ist meist chronisch-rezidivierend, die Therapie besteht aus chirurgischer Abtragung (teilweise mehrmals erforderlich), Impfung und evtl. Bevacizumab (Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor; VEGF).
HIV
Eine vertikale HIV-Infektion von der HIV-infizierten Mutter auf das Neugeborene kann durch die adäquate Therapie der Mutter in der Schwangerschaft und damit Suppression ihrer HIV-Viruslast verhindert werden. Korrekt durchgeführte Schwan-geren-Untersuchungen (Mutter-Kind-Pass) und gegebenenfalls korrekte Behandlung der Schwangeren sind die beste Prophylaxe der neonatalen STI.
Übertragung durch sexuelle Gewalt
Die kindlichen Infektionen mit Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, Trichomonaden und HIV ohne Hinweis auf neonatale Infektion stellen einen Beweis für sexualisierte Gewalt dar, während Condylomata acuminata insbesondere bei Kleinkindern <5 Jahren hauptsächlich anders übertragen werden. Falls es Hinweise für sexuelle Übergriffe an Kindern gibt, sollten immer eine interdisziplinäre Besprechung und Evaluation gemeinsam mit erfahrenen Kinderärzt:innen und Kinderpsycholog:in-nen erfolgen.
Symptomatik und mögliche Erreger
Die STI bei Jugendlichen verlaufen klinisch analog den STI bei Erwachsenen. Trotz verschiedener Erreger sind die klinischen Symptome der akuten STI überschaubar: vaginaler Ausfluss bei Mädchen/Frau, Urethritis beim Jungen/Mann, genitale Ulzera, Proktitis und Entzündung des kleinen Beckens der Frau. Je nach Symptomatik können die Erreger meist schon eingegrenzt werden.
Bei vaginalem Ausfluss der Frau kommt entweder eine Vaginitis oder eine Zervizitis als Ort einer infektiösen Ursache infrage. Die Vaginitis entsteht meist durch eine bakterielle Vaginose (ca. 40–50%), eine vulvovaginale Candidiasis (ca. 20–25%) oder Trichomoniasis (ca. 15%). Eine Zervizitis kann durch Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, Herpes genitalis oder Anaerobier ausgelöst werden.
Die Urethritis beim Mann wird je nach sexueller Aktivität meist durch Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae oder seltener andere Erreger ausgelöst (Mycoplasma genitalium, Trichomonas vaginalis, Ureaplasma urealyticum, Anaerobier, Candida, Adeno- oder Enteroviren, HSV …).
Bei genitalen Ulzera muss man an Syphilis I (Ulcus durum), Herpes simplex, Chlamydia trachomatis Serotypen L1–L3 (Lymphogranuloma venereum), akute HIV-Infektion, Mpox oder andere Ursachen (pyogene Infektionen, Trauma, Mb. Behçet, Tumor, Arzneimittelreaktion …) denken. Das Ulcus molle (Chancroid; Erreger: Haemophilus ducreyi) oder Ulzera beim Granuloma inguinale (Donovanosis; Erreger: Klebsiella granulomatis) sind in Europa Raritäten, kommen aber in tropischen und subtropischen Ländern (Afrika, Südostasien, Lateinamerika) häufig vor.
Sexuell übertragbare Erreger der infektiösen Proktitis sind hauptsächlich Treponema pallidum, Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis L1–L3, Herpes simplex, Shigellen, Amöben und evtl. Cytomegalievirus.
STI-Screening und -Prophylaxe
Tab. 3: Diagnostik sexuell übertragbarer Infektionen (modifiziert nach STI Treatment Guidelines 2021)
Viele STI verlaufen jedoch symptomarm oder asymptomatisch, wodurch die Diagnose erschwert wird und weitere Verbreitung und Komplikationen begünstigt werden. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer ärztlichen Wachsamkeit und eines STI-Screenings (Tab. 2). Die meisten sexuell übertragbaren Infektionen sind leicht diagnostizierbar und gut behandelbar (Tab. 3, 4). Allerdings besteht nach Infektion meist keine Immunität, und Reinfektionen sind auch nach kurzer Zeit möglich und häufig. Auch aus diesem Grund sind neben der Diagnose und Therapie bei den Betroffenen auch eine Therapie und Untersuchung aller Sexualpartner:innen besonders wichtig. Dabei sollten im Falle einer Syphilis alle Sexualpartner:innen der letzten 3 Monate und im Falle einer Chlamydien- oder Gonokokken-Infektion alle Sexualpartne-r:innen der letzten 2 Monate behandelt und untersucht werden. Gegen einige STI gibt es Impfungen (HBV, HAV, HPV) und gegen die meisten eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP, Doxycyclin-PEP, Partnertherapie).
Tab. 4: STI-Therapie von Jugendlichen und Erwachsenen (modifiziert nach STI Treatment Guidelines 2021)
Viele Untersuchungen konnten zeigen, dass Jugendliche, abgesehen von der HIV-Infektion, nicht ausreichend über STI und deren Prävention aufgeklärt sind. Ausreichende Aufklärung kann aber das Verhalten hinsichtlich Prävention auch längerfristig günstig beeinflussen. Ärzt:innen spielen daher neben Eltern und Erzieher:innen auch in der STI-Aufklärung und Wissensvermittlung eine wichtige Rolle.
Literatur:
● CDC: STI Treatment Guidelines 2021. https://www.cdc.gov/std/treatment-guidelines/default.htm ; zuletzt aufgerufen am 9.12.2024 ● Deutsche STI-Gesellschaft: Leitfaden STI-Therapie, -Diagnostik und -Prävention, 2023/2024. https://www.dstig.de/DSTIG-Leitfaden_Auflage_04_2023-2024.pdf ; zuletzt aufgerufen am 9.12.2024 ● Stafford IA et al.: Syphilis Complicating Pregnancy and Congenital Syphilis Congenital Syphilis. N Engl J Med 2024;390:242-53 ● Manasseh GSL et al.: Approach to conjunctivitis in newborns Neonatale conjunctivitis. BMJ 2022; 376:e068023 ● Di Spirito F et al.: Oral human papillomavirus benign lesions and HPV-related cancer in healthy children. Cancers 2023; 15(4): 1096 ● Adama JA et al.: Interpretation of medical findings in suspected child sexual abuse: an update for 2018. J Pediatr Adolesc Gynecol 2018; 31(3): 225-231
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