HIV-Diagnostik: Die Unterstützung vonseiten der Dermatologie ist gefragt!
Unser Gesprächspartner:
Dr. David Chromy
Universitätsklinik für Dermatologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: david.chromy@meduniwien.ac.at
Das Interview führte:
Birgit Leichsenring
Etwa 40% der HIV-Erstdiagnosen in Österreich werden zu einem Zeitpunkt gestellt, zu welchem das Immunsystem der Patient:innen bereits stark beeinträchtigt ist.1 Solche späten Diagnosen gehen mit signifikant schlechterer Prognose einher. Zusätzlich sind untherapierte Infektionen ein entscheidender Treiber der HIV-Epidemie.2 Denn Menschen mit HIV unter erfolgreicher HIV-Therapie können die Infektion erwiesenermaßen nicht übertragen.
Zur Reduktion der späten HIV-Diagnosen in Österreich können Kolleg:innen aller Fachgruppen einen entscheidenden Beitrag leisten, indem HIV-Tests häufiger angesprochen, angeboten bzw. durchgeführt werden. Eine klare Orientierung, wann dies empfohlen ist, bieten sogenannte Leitsymptome und Indikatorerkrankungen.3
Dr. David Chromy, Dermatologe und Vorstandsmitglied der Österreichischen AIDS Gesellschaft, zeigt die potenzielle Rolle der Dermatolog:innen auf.
Dr. Chromy, können Sie einen Einblick geben, welche Konditionen zu den Indikatorerkrankungen zählen?
D. Chromy: Zunächst haben wir die Aids-definierenden Erkrankungen, die auf eine schwere Immundefizienz zurückgehen. Sie haben die frühen Jahre der HIV-Epidemie geprägt und sind daher auch den allermeisten Nicht-HIV-Behandler:innen bekannt.
Typische Beispiele wären die Pneumocystis-Pneumonie, Candida-Ösophagitis, zerebrale Toxoplasmose oder der Morbus Kaposi.
Allerdings ist die Liste lang, und sie fortwährend griffbereit zu haben, stellt zugegebenermaßen keine umsetzbare Möglichkeit dar. Stattdessen sollte man sich bei Personen, die sich beispielsweise mit einer CMV-Retinitis oder einer atypischen Mykobakteriose präsentieren, die Frage stellen, warum es überhaupt zu dieser Krankheitsmanifestation gekommen sein kann. Dann ist man im differenzialdiagnostischen Spektrum der Immundefizienzen angelangt und der HIV-Test rutscht ganz von allein auf die To-do-Liste.
Diffiziler wird es hingegen bei Erkrankungen, die weniger spezifisch für das eingeschränkte Immunsystem sind. Zum Beispiel bei einer Thrombozytopenie, Nachtschweiß, chronischer Diarrhö, ungewolltem Gewichtsverlust, aber auch bei malignen Erkrankungen wie Zervix- und Analkarzinom oder Non-Hodgkin-Lymphomen. Daher sollte bei der Aufarbeitung schwerer chronischer Erkrankungen der Ausschluss einer HIV-Infektion mitbedacht werden.
Welche Themen sind dezidiert in der Dermatologie angesiedelt?
D. Chromy: Hier haben wir einerseits die Geschlechtserkrankungen. Sei es nun eine Gonorrhö, eine Syphilis oder ein florider Rasen an Kondylomen – ein HIV-Test sollte hier jedenfalls durchgeführt werden. Dann kommen wir wieder zu Erkrankungen, die assoziiert sind mit einer Immundefizienz, also einem Herpes zoster (insbesondere bei jungen Personen), ausgedehnten kutanen Pilzinfektionen oder dem bereits erwähnten M. Kaposi. Jedoch kann auch eine Psoriasis oder eine seborrhoische Dermatitis als Folge einer unbehandelten HIV-Infektion auftreten.
Daher würde ich bei schweren oder therapierefraktären Dermatosen zumindest einmalig einen HIV-Test empfehlen.
In welchen Situationen außer densoeben angesprochenen empfehlen Sie als Dermatologe und ÖAG-Experte einen HIV-Test anzubieten?
D. Chromy: Auch die Anamnese kann nahelegen, einen HIV-Test durchzuführen. In Mitteleuropa wäre dies beispielsweise bei ungeschütztem Sex zwischen Männern oder wenn in der Vergangenheit eine Geschlechtskrankheit diagnostiziert wurde, jedoch noch nie ein HIV-Test erfolgt ist.
Und selbstverständlich auf Wunsch: Nicht immer wollen Patient:innen die Gründe offenlegen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie keine Gründe haben. Wer nach einem HIV-Test fragt, sollte ohne Erklärungsbedarf uns Ärzt:innen gegenüber auch einen bekommen.
Literatur:
1 Zangerle R et al.: 45. Report Austrian HIV Cohort Study; https://www.aidsgesellschaft.at/publikationen/ahivcos/ (letzter Zugriff am 15. März 2024) 2 Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion, 2020. https://www.aidsgesellschaft.at/wp-content/uploads/2021/09/Leitlinien-zur-antiretroviralen-Therapie-der-HIV-1-Infektion_Stand-2020.pdf (letzter Zugriff am 15. März 2024) 3 Österreichische AIDS Gesellschaft: Indikatorerkrankungen und Leitsymptome. https://www.aidsgesellschaft.at/ueber-hiv/hiv-infektion (letzter Zugriff am 15. März 2024)
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