©
Getty Images/iStockphoto
Cannabis bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
Jatros
Autor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Lili Kazemi-Shirazi
Autor:
Dr. Wolfgang Eigner
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie<br> Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: wolfgang.eigner@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
21.12.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die Cannabispflanze (Cannabis sativa, Cannabis indica) wird seit vielen Jahrtausenden als Arzneipflanze eingesetzt, wird aber heutzutage – meist aufgrund ihrer missbräuchlichen Verwendung – als Rauschmittel angesehen. Zu den Inhaltsstoffen der Cannabispflanze zählen über 60 Cannabinoide, wobei als wesentlicher Bestandteil das Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) identifiziert wurde.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Cannabis wird von vielen Patienten mit CED zur Linderung von gastrointestinalen Symptomen verwendet. Es sollte daher im Rahmen des Arzt-Patienten-Gespräches nach einem entsprechenden Konsum gefragt werden.</li> <li>Cannabinoide konnten in tierexperimentellen Studien immunmodulatorische Effekte aufweisen. Eine antiinflammatorische Wirkung bei CED konnte jedoch bis dato noch nicht nachgewiesen werden.</li> <li>Trotz des vielfältigen Wirkspektrums (Hemmung der GI-Motilität bei Diarrhö, Analgesie bei Bauchschmerzen, appetitanregende Wirkung) kann eine generelle Empfehlung zum Einsatz bei CED aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht ausgesprochen werden.</li> </ul> </div> <p>Neben der bekannten anxiolytischen, sedierenden und appetitanregenden Wirkung hat THC auch ein analgetisches, antiemetisches, antiphlogistisches und muskelrelaxierendes Wirkungsprofil. Zusätzlich zum antiemetischen und appetitsteigernden Potenzial können Cannabinoide die gastrointestinale Motilität und Sekretion beeinflussen bzw. vermindern und durch diese Effekte positiv bei Durchfallerkrankungen wirken. In tierexperimentellen Studien konnte weiters eine antiinflammatorische Wirkung u.a. durch eine Hemmung von Zytokinen und Chemokinen gezeigt werden (Abb. 1).<sup>1</sup> Phytocannabinoide (z.B. THC, Cannabidiol) und synthetische Cannabinoide können ähnlich wie körpereigene Cannabinoide (Endocannabinoide) über die GProtein- gekoppelten Cannabinoidrezeptoren (CB-1- und CB-2) wirken. CB-1-Rezeptoren finden sich an Neuronen des zentralen, peripheren und enterischen Nervensystems, CB-2-Rezeptoren vorwiegend auf Immunzellen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1704_Weblinks_jatros_infekt_1704_s28_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="818" /></p> <h2>Studiendaten zum Cannabisgebrauch</h2> <p>Symptome wie Durchfall und chronische Bauchschmerzen stellen klassische Beschwerden bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) dar. Diese Symptome führen zu einer deutlich reduzierten Lebensqualität im oft sehr jungen Patientenkollektiv. In einer großen europäischen Fragebogenstudie<sup>2</sup> zeigte sich, dass CEDPatienten sowohl während eines Krankheitsschubes als auch in Remissionsphasen über Symptome wie Bauchschmerzen, Müdigkeit und Diarrhö klagen. 28 % der befragten Patienten greifen der Studie zufolge regelmäßig zu Schmerzmitteln, weitere 40 % berichten über regelmäßige symptomassoziierte Schlafstörungen. Zur Therapie derartiger Beschwerden wurde neben konventionellen Analgetika auch der Einsatz von Cannabis bei CED in mehreren Studien untersucht. In einer kanadischen Fragebogenstudie<sup>3</sup> wurden beispielsweise 291 Patienten mit CED zum Cannabisgebrauch befragt. Die Hälfte der Befragten hatte bereits zumindest einmal Cannabis aufgrund von CED-assoziierten Symptomen verwendet. Die Wahrscheinlichkeit für Cannabisgebrauch ist der Studie zufolge bei CED-Patienten mit abdominellen Voroperationen, chronischer Analgetikaeinnahme und/oder alternativmedizinischer Behandlung erhöht. In einer prospektiven Kohortenstudie aus den USA<sup>4</sup> zum selbst initiierten Marihuanagebrauch berichteten CED-Patienten über eine Verbesserung von CED-assoziierten Beschwerden wie Bauchschmerzen, Diarrhö, Übelkeit und Appetitlosigkeit durch Cannabis.<br /> In einer anderen kanadischen Fragebogenstudie<sup>5</sup> hingegen konnten Hinweise auf mögliche negative Effekte von Cannabiskonsum bei CED gefunden werden. Ein aktiver Cannabiskonsum bei M. Crohn war beispielsweise mit einem erhöhten Risiko für einen operativen Eingriff assoziiert, vergleichbar mit dem Risiko bei aktivem Nikotinkonsum. Eine mögliche Erklärung könnte hier ein Maskieren der Beschwerden bei weiterhin entzündlichen Prozessen im Darm mit konsekutiver Entwicklung von Komplikationen sein, welche in weiterer Folge eine operative Sanierung notwendig macht. Als weitere mögliche Ursache wurde ein profibrotischer Effekt von Cannabis diskutiert, welcher bei Morbus Crohn die Bildung von fibrotischen Stenosen begünstigen könnte.<br /> In zwei prospektiven israelischen Studien mit jeweils kleiner Patientenzahl<sup>6, 7</sup> wurde der therapeutische Effekt von inhalativem Cannabis bei CED-Patienten untersucht, wobei eine Besserung der Lebensqualität, eine Reduktion der Erkrankungsaktivität (in klinischen Scores) und Gewichtszunahme gefunden wurden.<br /> Aufgrund der genannten potenziell immunmodulierenden Wirkung wurde unlängst der Einsatz von Cannabidiol in einer kleinen randomisierten, placebokontrollierten Studie<sup>8</sup> untersucht. Es zeigte sich, dass es trotz guten Sicherheitsprofils unter sublingualer Cannabidiolgabe keinen Unterschied in der Wirksamkeit verglichen mit einem Placebo gibt.</p> <h2>Situation in Österreich</h2> <p>In Österreich unterliegt Cannabis den Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes – der Erwerb wie der Besitz auch von geringen Mengen sind prinzipiell strafbar. Drei synthetisch hergestellte Cannabinoide sind derzeit in Österreich zugelassen: Dronabinol<sup>®</sup> (z.B. für chronische Schmerzen), Canemes<sup>®</sup> (bei Chemotherapie-induzierter Nausea und Emesis) und Sativex<sup>®</sup> (bei therapierefraktären Spasmen bei Multipler Sklerose).<br /> Grundsätzlich sollten Cannabinoidpräparate einschleichend bis zum Erreichen einer individuellen Wirkdosis titriert werden. Dadurch kann das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Tachykardie, Hypotension und psychotischen Reaktionen signifikant verringert werden. Obwohl viele CED-Patienten zur Symptomlinderung auf Cannabis zurückgreifen, gibt es bis dato keine klinischen Studien, die anhand von endoskopischen oder Biomarker-Outcomeparametern eine Wirkung untersucht bzw. bestätigt haben. Fragen nach der optimalen Art der Einnahme (inhalativ, oral) und Substanz (Δ9-THC-Monotherapie oder in Kombination mit Cannabidiol) sowie Dosis und Häufigkeit der Einnahme können mit dem aktuellen Wissenstand nicht ausreichend beantwortet werden. Daher gibt es bis zum positiven Abschluss entsprechender Studien keine Empfehlung zum Einsatz von Cannabinoiden bei Patienten mit CED. Ratsam ist es dennoch, Patienten im Rahmen des Anamnesegespräches nach einem entsprechenden Substanzgebrauch zu fragen und gegebenenfalls über mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen aufzuklären.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ahmed W, Katz S: Gastroenterology and Hepatology 2016; 12(11): 668-9 <strong>2</strong> Lönnfors S et al.: J Crohns Colitis. 2014; 8(10): 1281-6. doi: 10.1016/j.crohns.2014.03.005 <strong>3</strong> Lal S et al.: Eur J Gastroenterol Hepatol 2011 Oct;23(10): 891-6. doi: 10.1097/MEG.0b013e328349bb4c <strong>4</strong> Ravikoff Allegretti J et al.: Inflamm Bowel Dis 2013; 19(13): 2809-14. doi: 10.1097/01.MIB.0000435851.94391.37 <strong>5</strong> Storr et al.: IBD 2014; 20(3):472-80. doi: 10.1097/01.MIB.0000440982. 79036.d6 <strong>6</strong> Lahat A et al.: Digestion 2012; 85(1): 1-8. doi: 10.1159/000332079 <strong>7</strong> Naftali T et al.: Clin Gastroenterol Hepatol 2013 Oct; 11(10): 1276-1280.e1. doi: 10.1016/j.cgh. 2013.04.034 <strong>8</strong> Naftali T et al.: Dig Dis Sci 2017; 62(6): 1615-20. doi: 10.1007/s10620-017-4540-z</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Einige Highlights der UEG Week 2024
Vom 12. bis 15. Oktober fand der größte Kongress der europäischen Gastroenterologen in Österreich statt. Mehr als 11100 Teilnehmer aus über 120 Ländern fanden sich im Messe Wien ...
Welche Substanzen könnten sich als Gamechanger erweisen?
Ein spannender Vortrag zum Thema „New drugs on the horizon“ fand am letzten Tag der UEG (United European Gastroenterology)Week in Wien statt. Darin wurden der Stellenwert der bislang ...
Target-Mikrobiome in der Behandlung gastrointestinaler Erkrankungen
Das Mikrobiom kann durch unterschiedliche Parameter wie Ernährung, Antibiotika und Krankheiten beeinflusst werden. Veränderungen der Zusammensetzung sind mit zahlreichen ...