
Fall einer Polypose
Autor:
MR Dr. Gerald Oppeck
Gruppenpraxis für Innere Medizin, Eggenburg
IG Endoskopie
E-Mail: office@oppeck.com
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Polyposen im Darm sind seltene, aber in Diagnostik, Therapie und Vorgehensweise herausfordernde Krankheitsbilder. Gemeinsam ist den Polyposen die erhöhte Inzidenz an kolorektalen Karzinomen.
Keypoints
-
Beim Polyposis-Syndrom müssen auch die Begleiterkrankungen einem Screeningprogramm unterzogen werden.
-
Neben der Familienanamnese werden Multigen-Panel-Tests empfohlen.
-
Die Therapie der familiären adenomatösen Polyposis coli (FAP) sollte abhängig von Alter, Polypenzahl und histologischem Befund erfolgen.
-
Bei endoskopisch nicht beherrschbarer Polypose sollte eine Kolektomie mit anschließenden jährlichen endoskopischen Kontrollen erfolgen.
-
Bei Patienten ohne Kolektomie ist eine jährliche Koloskopie indiziert.
Die diagnostische Eingrenzung von Polyposen ist wichtig, da sie in unterschiedlichen Phänotypen auftreten, wodurch sich sowohl Screening als auch Surveillance der jeweiligen Erkrankungsformen unterscheidet.
Eine Risikobewertung für Polyposis-Syndrome kann kompliziert sein, da unterschiedliche Gene mutieren und das Risiko ändern. Das hier präsentierte Fallbeispiel soll die Komplexizität dieser Erkrankung und die Schwierigkeiten in der Patientenbegleitung aufzeigen.
Fallbericht
Anamnese
Konfrontiert wurden wir in einer gastroenterologisch spezialisierten, internistischen Praxis mit einer 33-jährigen Frau, von Beruf Sachbearbeiterin, mit unauffälligem Allgemeinzustand und Ernährungszustand (165cm, 63kg), die von ihrer Nephrologin zur Koloskopie – mit der Verdachtsdiagnose Amyloidose und Gewichtsverlust infolge Diarrhö – zugewiesen wurde. Der Verdacht einer Amyloidose ergab sich durch eine Mikroproteinurie. An Beschwerden gibt die Patientin Bauchschmerzen und Gewichtsverlust an, später wurde bekannt, dass sie an Laktoseintoleranz leidet.
Bei der Anamneseerhebung wurdeneine Funduplikatio mit LINX®-Implantat 2014 sowie mehrere Darmspiegelungen, u.a. in einer spezialisierten Klinik, angegeben. In der mitgebrachten Histologie der letzten Darmspiegelung (11/2020) fand sich eine LGIEN („low grade“ intraepitheliale Neoplasie), wobei auch bei früheren Darmspiegelungen laut Patientin Polypen entfernt wurden. Grund der ersten Darmspiegelung waren häufige Polypektomien bei einem Onkel und Bruder.
Die weitere Anamnese ergab „Z.n. Partus 4/2020“ und eine geringe Proteinurie bei normaler Nierenfunktion. Die Patientin sucht eine Kinderwunschklinik auf und möchte sobald als möglich ein zweites Kind. Ausgiebig, wenn auch lückenhaft, war dann die Familienanamnese. Eltern und Großeltern sind alle verstorben, wobei es eine Häufung von Karzinomen (Magen/Darm, Pankreas, Prostata) und Lungenembolien gab.
Tab. 1: Stand November 2021: Bei 10 Koloskopien kam es zu über 90 Abtragungen, darunter über 33 Zangenabtragungen, 57 Schlingenabtragungen
Erste Darmspiegelung
Bei der ersten Koloskopie in der Praxis waren eine Rektumbiopsie zum Ausschluss einer Amyloidose sowie eine Stufenbiopsie des Kolons wegen der angegebenen Diarrhö geplant. Schon beim Intubieren und Vorschub bis ins Caecum fanden sich multiple, bis 0,5cm messende Polypen. Neben den Stufenbiopsien wurden 21 flache Schleimhautpolypen abgetragen. Das ebenfalls inspizierte terminale Ileum war unauffällig, weitere Abtragungen waren einer zweiten Spiegelung vorzubehalten. Das histologische Ergebnis war eine unauffällige Stufenbiopsie, ohne Hinweis einer Amyloidose. Von den 21 Abtragungen waren 14 tubuläre Adenome.
Bei einem Update der Anamnese wurde ein „Z.n. Anorexie 2002 mit einem Minimalgewicht von 32kg im Alter von 14“ angegeben. Von 2015 bis 2020 wurden insgesamt sieben Koloskopien durchgeführt. Weiters wurde wegen multipler Lungenembolien in der Familienanamnese eine Untersuchung im AKH Wien veranlasst, eine Gerinnungsstörung wurde nicht nachgewiesen.
Zweite Darmspiegelung
Wegen des bestehenden Kinderwunsches mit bereits akkordierten Terminen in der Kinderwunschklinik wurde zeitnahe die zweite Koloskopie zur Abtragung der restlichen Polypen vereinbart. Auffällig neben der Familienanamnese war, dass bereits bei der ersten Koloskopie ein HGIEN(„high grade“-IEN)-Adenom gefunden wurde. Eine 2020 veranlasste genetische Untersuchung ergab kein eindeutig abgrenzbares Polyposis-Syndrom, da keine Genmutation gefunden wurde.
Zur Eingrenzung und Vorsorge eines potenziellen Polyposis-Syndroms wurden weitere Untersuchungen wie eine Gastroskopie, Untersuchung des Dünndarms mittels MR-Enteroklysma und Kapselendoskopie sowie Sonografie und MRT von Pankreas, Schilddrüsendiagnostik, dermatologische und augenfachärztliche Kontrollen veranlasst.
Bei der zweiten Koloskopie in der Praxis im Mai 2021 wurden 31 Polypen abgetragen, darunter befanden sich in der histologischen Auswertung 7 Hyperplasien und 24 tubuläre Adenome. Die Gastroskopie war unauffällig, ebenso die Laborbefunde und die übrigen veranlassten Untersuchungen. Vereinbart wurde mit der Patientin danach eine Koloskopiekontrolle in einem halben Jahr, sofern die Konzeption noch nicht erfolgt ist, andernfalls post partum. Die dritte Koloskopie bei uns – die zehnte Koloskopie bisher – erfolgte dann im November 2021. Es wurden weitere fünf tubuläre Adenome abgetragen.
Status quo nach zehn Koloskopien
Der Stand im November 2021 (siehe Tab. 1): Bei zehn Koloskopien kam es zu mehr als 90 Abtragungen, darunter über 33 Zangenabtragungen, 57 Schlingenabtragungen. Histologisch fanden sich ein HGIEN, 67 tubuläre Adenome und 22 Hyperplasien. Alle Adenome waren makroskopisch unter 5mm im Durchmesser. In der Nachbesprechung wurde nun mit der Patientin vereinbart, eine Kontrollkoloskopie zur Observanz innerhalb eines Jahres durchzuführen.
Epikrise Mai 2022: Die Patientin ist jetzt 34 Jahre alt und in der 22. Schwangerschaftswoche. In seitenlangen „WhatsApp“-Nachrichten schildert sie ihre Ängste und hinterfragt, wie zur Bestätigung, ob die eher banal geschilderten Beschwerden ohnehin nicht besorgniserregend sind. Für die ärztliche Begleitung ergibt sich das Dilemma zwischen Beruhigung und Gefahr der Verharmlosung. Die Patientenführung ist jedoch entscheidend für die weiteren rationalen Empfehlungen.
Bei Polypose und Z.n. HGIEN besteht wegen fehlenden Mutationsnachweises ein genetisch derzeit nicht eingrenzbar erhöhtes Risiko für ein kolorektales Karzinom. Betrachtet man die in der Tabelle 2 angeführten genetisch determinierten Erkrankungen mit erhöhtem Risiko für ein kolorektales Karzinom, so ist die Komplexizität der jeweiligen Syndrome in Hinblick auf deren Inzidenz und Morbidität und Mortalität der oft sehr unterschiedlichen Begleiterkrankungen zu beachten, was auch für die Betreuung der Patienten und ein individuell abgestimmtes Screeningprogramm zu beachten ist.
In unserem konkreten Fall besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine attenuierte familiäre adenomatöse Polypose (FAP). Ein genetischer Nachweis ergibt sich hier in nur etwa 30%. Die Begleiterkrankungen sind nicht so klar abgegrenzt wie bei der FAP, dürften aber in abgeschwächter Form und zeitlich verzögert auftreten und der der familiären adenomatösen Polypose gleichen.
Screening
Für die weitere ärztliche Betreuung müssen wir jene, die Patientin selbst betreffenden Konsequenzen und jene ihrer Kinder unterscheiden. Für die Patientin stellt sich die Frage des Screeningprogramms: welche Untersuchungen, wann und wie oft? Für die Kinder stellt sich die Frage: Ab wann beginnt das Screeningprogramm?
Die attenuierte familiäre adenomatöse Polyposis coli sollte (nach den S2-Leitlinien 2019) in Abhängigkeit von Alter, Polypenzahl und histologischem Befund therapiert werden. Bei endoskopisch nicht beherrschbarer Polypose (Zahl, Morphologie) ist eine Kolektomie indiziert, danach sollten endoskopische Kontrollen 1x/Jahr folgen. Zu beachten ist, dass es nach Kolektomie zu einer deutlichen Zunahme von Desmoiden kommt. Patienten, die nicht kolektomiert sind, sollten zeitlebens jedes Jahr koloskopiert werden.
Risikopersonen aus Familien mit attenuierter FAP sollten im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung im Alter von 15 Jahren erstmals koloskopiert werden, bei Fehlen von Polypen jährlich ab dem 20. Lebensjahr. Gastroskopien mit Screening nach dysplastischen Polypen im Magen und Duodenum sind ab dem 20. bis 25. Lebensjahr indiziert, Schilddrüsensonografien ab dem 18. Lebensjahr alle zwei bis fünf Jahre.
Literatur:
beim Verfasser
Das könnte Sie auch interessieren:
Klinik, Diagnostik und konservative Therapieoptionen der Gastroparese
Die Magenentleerungsstörung bringt zahlreiche diagnostische und therapeutische Herausforderungen mit sich. Nach gesicherter Diagnose sollte ein individualisiertes multimodales ...
Interdisziplinäres Management bei Divertikulitis
Bei der Behandlung der Divertikulitis ist eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gastroenterologen und Chirurgen unerlässlich. Eine enge Kooperation ermöglicht eine ...
Schwere Pankreatitis – intensivmedizinische Therapiekonzepte
Die schwere akute Pankreatitis geht mit einer hohen Mortalität einher. Da häufig Organversagen und lokale Komplikationen mit ihr assoziiert sind, ist die intensivmedizinische Behandlung ...