Kontroverse: Schrittmacher im Gastrointestinaltrakt
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Matthias Paireder,FISS
Univ.-Prof. Dr. Sebastian F. Schoppmann,FACS
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Die Elektrostimulation besitzt das Potenzial, verschiedene Systeme (neuronal, endokrin und immunologisch) im Gastrointestinaltrakt zu beeinflussen. Die in den vergangenen Jahrzehnten signifikant weiterentwickelte Technologie konnte schließlich in einigen Bereichen des Verdauungstraktes erfolgreich in der Klinik eingesetzt werden.
Keypoints
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Die Elektrostimulation im GI-Trakt kann Motilität und hormonelle sowie neuronale Signalwege beeinflussen.
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Schrittmacher im GI-Trakt können zur Behandlung der gastroösophagealen Refluxerkrankung, Gastroparese oder Stuhlinkontinenz eingesetzt werden.
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Trotz zahlreicher möglicher Anwendungen im GI-Trakt stehen noch wenige marktreife Produkte zur Verfügung.
Vor allem bei Motilitätsstörungen (Gastroparese), bei metabolischen (Adipositas) und immunologischen Störungen (entzündliche Darmerkrankung) kann die Elektrostimulation (ES) Anwendung finden.1–3 Die Elektrotherapie konnte unter anderem auch dadurch Aufmerksamkeit erlangen, dass sie durch die Stimulation vorhandener Nervenbahnen teilweise eine Pharmakotherapie ersetzen kann. Dieser Effekt wird in der Kardiologie oder auch Neurologie im Bereich der Herzschrittmacher und der tiefen Hirnstimulation seit Langem erfolgreich eingesetzt.
Die Schrittmacher im Gastrointestinal- (GI)-Trakt sind allerdings nicht unumstritten, da es immer wieder Indikationen gab, in der sich die ES nicht durchsetzen konnte oder oftmals nur wenig Evidenz für die breite klinische Anwendung vorlag. In dieser Übersicht soll der Stellenwert der ES exemplarisch an drei Beispielen des GI-Trakts dargestellt werden.
Abb. 1: Sondenplatzierung nach Hiatoplastik bei LES-Stimulation
Stimulation des unteren Speiseröhrensphinkters
Die ES des „lower esophageal sphincter“ (LES) zur Refluxtherapie wurde bereits 1968 experimentell am Hundemodell untersucht.4 Es konnte gezeigt werden, dass durch ES eine signifikante Drucksteigerung im LES erzielt werden kann. Diese Erkenntnisse wurden für die Entwicklung des EndoStim®-Generators zur Behandlung der gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD) verwendet. Konzeptionell geht es darum, die Muskulatur durch ES regelmäßig zu stimulieren (z.B. 16 Stimulationen für 20 Minuten pro Tag), um dadurch den LES-Druck zu steigern und damit die Säureexposition in der Speiseröhre zu reduzieren.5 Dafür werden zwei Stimulationsdrähte an der Vorderseite des intraabdominellen Ösophagus platziert und mit einem Pulsgenerator, der im linken Mittelbauch subkutan implantiert wird, verbunden. Diese Technik kann auch mit einer Hiatoplastik bei vorliegender Hiatushernie kombiniert werden. Der Vorteil dieser Behandlung besteht darin, dass die Anatomie des gastroösophagealen Übergangs größtenteils erhalten bleibt (Abb.1). Rodriguez et al. konnten bei 24 Patienten erfolgreich darstellen, dass durch die LES-Stimulation sowohl die Säureexposition als auch die Lebensqualität signifikant verbessert werden konnte.6 Diese vielversprechenden Ergebnisse konnten auch im 3-Jahres-Follow-up nachgewiesen werden.7 Durch den Erhalt der Anatomie könnten vor allem Patienten mit schweren Beweglichkeitsstörungen der Speiseröhre – „ineffective esophageal motility (IEM)“ – von dieser Technik profitieren.
In einer prospektiven Serie wurde dies bei 17 Patienten untersucht. Es kam bei keinem der Patienten zu postoperativen funktionellen Nebenwirkungen wie Dysphagie, „bloating“ oder Magenentleerungsstörungen. Die Lebensqualität (GERD-HRQL) konnte in dieser Serie zwar signifikant gesteigert werden, allerdings konnte der Effekt in der objektiven pH-Metrie nicht bestätigt werden.8 Einer der Vorteile der Schrittmachertherapie ist, dass die Stimulationseinstellungen (Dauer, Zyklen, Stromstärke) individuell adaptiert werden können und so die Beschwerden auch gezielt therapiert werden. Allerdings besteht, wie bei jeder elektrotechnischen Therapie, der Nachteil, dass es auch zu technischen Defekten des Stimulators oder der Stimulationsdrähte kommen kann. Dadurch waren immer wieder Explantationen und Umwandlungen in alternative Behandlungsmethoden notwendig. Derzeit ist der Stimulator nicht erhältlich, da ein Zulassungsverfahren in den USA (FDA-Trial) in der Rekrutierungsphase nach einer Zwischenanalyse abgebrochen wurde und der Hersteller das Produkt vom Markt genommen hat.
Tab. 1: Klinische Studien über Elektrostimulation im GI-Trakt (modifiziert nach Ramadi KB et al. 2020)19
Magenschrittmacher
Die Stimulation des Magens kann zur Behandlung der Gastroparese, einer Beweglichkeitsstörung des Magens, eingesetzt werden. Die Symptome sind unspezifisch und überschneiden sich oft mit anderen funktionellen Krankheitsbildern des GI-Traktes. Die Gastroparese wird oftmals als Ausschlussdiagnose gestellt, wobei sich die Magenszintigrafie als gute Objektivierungsmethode bewährt hat.9 Hauptursache ist die idiopathische Gastroparese, gefolgt von der diabetischen Gastroparese und der postoperativen (iatrogenen) Gastroparese. Pharmakologisch stehen derzeit zur Behandlung der Gastroparese lediglich Medikamente im Off-Label-Gebrauch zur Verfügung (Metoclopramid, Domperidon, Erythromycin, Antidpressiva etc.). Abgesehen von nichtreversiblen chirurgischen (Pyloroplastik, „gastric bypass“) und endoskopischen (Pylorusdilatation, G-POEM, Botox) Verfahren steht auch die Magenstimulation mittels des Enterra®-Stimulatorszur Verfügung.10 Die Magenstimulation funktioniert ähnlich der LES-Stimulation. Es werden zwei Elektroden an der Magenvorderwand etwa 10cm oral des Pylorus im Bereich der großen Kurvatur implantiert. Die „Long-pulse“-Stimulation (>100ms Pulsbreite) induziert Muskelkontraktion der glatten Muskulatur und kann (im Tiermodell) auch beschädigte interstitielle Cajal-Zellen reparieren.11
In einem multizentrischen prospektiven Gastroparese-Register konnte eine signifikante Symptomreduktion durch die ES gezeigt werden. Allerdings blieb nach einem „Propensity Score Matching“ nur noch die Verbesserung der Übelkeit signifikant.12
In einer randomisierten, doppelblind kontrollierten Studie wurden 218 Patienten mittels Enterra®-Stimulator behandelt. Bei den Studienteilnehmern (Diabetiker und Nichtdiabetiker) wurde nach erfolgter Implantation der Stimulator randomisiert, verblindet aktiviert bzw. nicht aktiviert („sham-stimulation“). In dieser Serie konnte die Rate an Erbrechen in der Interventionsgruppe signifikant reduziert werden. Allerdings konnte auch in dieser Studie keine verbesserte Magenentleerung mittels objektiver Darstellung erreicht werden.13 Die Behandlung der Gastroparese mittels ES bleibt für eine ausgewählte Patientengruppe eine Option, vor allem wenn die Beschwerden stark sind und rezidivierendes Erbrechen im Vordergrund steht.
Sakrale Nervenstimulation
Im Gegensatz zur LES oder gastralen Stimulation zählt die sakrale Nervenstimulation (SNS) zur Neuromodulation. Die SNS wird von der European Society of Coloproctology als Zweitlinientherapie (chirurgische Intervention) nach erfolgloser konservativer Therapie mit Verhaltensadaption, diätologischen Maßnahmen und Absorptionsmittel empfohlen.14
Die Elektroden werden in Bauchlage unter Durchleuchtungskontrolle im Bereich der sakralen Foramina S3 eingebracht.15 Das Kabel wird subkutan tunneliert und dann mit dem Stimulator verbunden und im Weichteilbereich der lateralen Beckenschaufel implantiert.16 Der genaue Wirkmechanismus ist auch bei der SNS nicht vollständig geklärt. Vermutlich verstärkt die Stimulation afferente nervale Signale aus dem Bereich des Analkanals.
Die SNS zur Behandlung der Stuhlinkontinenz erzielt zufriedenstellende Ergebnisse. In einer Langzeitanalyse, in der nur Patienten mit einer Nachsorgezeit von mindestens fünf Jahren eingeschlossen wurden, kam es bei 85% zu einem dauerhaften Behandlungserfolg. Es konnten signifikante Verbesserungen bei der Inkontinenzrate, dem Cleveland-Incontinence-Score und im St.-Mark’s-Score gezeigt werden.17
In einer prospektiven multizentrischen französischen Anwendungsstudie wurden 178 Patienten mit dem InterStim™-System behandelt. Es wurde in einem Nachsorgezeitraum von 9 bis 15 Monaten eine Erfolgsrate von 83%erzielt. Auch hier konnte der Behandlungserfolg mittels Lebensqualitätsanalysen und Inkontinenzscores signifikant nachgewiesen werden.18
Die SNS stellt also eine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeit zur Therapie der Stuhlinkontinenz dar. Der implantierbare Pulse-Generator ist in der neuen Generation auch mittlerweile miniaturisiert und kann mit einem Gurt transkutan aufgeladen werden.
Ausblick
Neben den beschriebenen „Schrittmachern“ im GI-Trakt werden zahlreiche Therapieansätze verfolgt, in denen die Verwendung von sogenannten „Electroceuticals“ entwickelt wird (Tab.1).
Es werden Erfolge (oftmals erst im Tiermodell) berichtet, wo Dünndarmstimulation zur Adipositasbehandlung (GLP-1 und Glukosetoleranz-Optimierung) eingesetzt wurde, Kolonstimulation zur Verbesserung der Kolontransitzeit erfolgreich war oder andere funktionelle Darmerkrankungen mittels Stimulation der neuroendokrinen Zellsysteme behandelt wurden.19 Es wird die Nervus-vagus-Stimulation zur Behandlung von Erkrankungen der GI-Motilität (bis hin zur Achalasietherapie) und zur Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen diskutiert.19, 20
Derzeit gibt es aber noch wenige breit in der Klinik anwendbare Produkte, die teilweise – auch aufgrund des ungünstigen Kostenprofils – nur gezielt zum Einsatz kommen. Wichtig ist in jedem Fall eine ausführliche Patientenberatung, in der die Thematik der Behandlung mit implantierbaren aktiven technischen Geräten und mögliche negative Folgen, wie beispielsweise eingeschränkte MRT-Tauglichkeit oder mögliches Therapieversagen, diskutiert werden.
Literatur:
1 Bharucha AE et al.: Relationship between glycemic control and gastric emptying in poorly controlled type 2 diabetes. Clin Gastroenterol Hepatol 2015; 13(3): 466-76 e1 2 Fassov J et al.: Three-year follow-up of sacral nerve stimulation for patients with diarrhoea-predominant and mixed irritable bowel syndrome. Colorectal Dis 2017; 19(2): 188-93 3 Yan Y et al.: Chronic gastric electrical stimulation leads to weight loss via modulating multiple tissue neuropeptide Y, orexin, alpha-melanocyte-stimulating hormone and oxytocin in obese rats. Scand J Gastroenterol 2016; 51(2): 157-67 4 Ellis F et al.: The prevention of experimentally induced reflux by electrical stimulation of the distal esophagus. Am J Surg 1968; 115(4): 482-7 5 Paireder Met al.: Electrical stimulation therapy of the lower esophageal sphincter in GERD patients—a prospective single-center study. European Surgery 2020; 53(2021): 29-34 6 Rodriguez L et al.: Electrical stimulation therapy of the lower esophageal sphincter is successful in treating GERD: final results of open-label prospective trial. Surg Endosc 2013; 27(4): 1083-92 7 Rodriguez L et al.: Electrical stimulation therapy of the lower esophageal sphincter is successful in treating GERD: long-term 3-year results. Surg Endosc 2016; 30(7): 2666-72 8 Paireder M et al.: Effect of electrical stimulation therapy of the lower esophageal sphincter in GERD patients with ineffective esophageal motility. Surg Endosc 2021; 35(11): 6101-7 9 Grover M et al: Gastroparesis: a turning point in understanding and treatment. Gut 2019; 68(12): 2238-50 10 Camilleri M et al.: American College of G. Clinical guideline: management of gastroparesis. Am J Gastroenterol 2013; 108(1): 18-37; quiz 8 11 Chen Y et al.: Long-pulse gastric electrical stimulation repairs interstitial cells of cajal and smooth muscle cells in the gastric antrum of diabetic rats. Gastroenterol Res Pract 2018; 2018: 6309157 12 Abell TL et al.: Effectiveness of gastric electrical stimulation in gastroparesis: Results from a large prospectively collected database of national gastroparesis registries. Neurogastroenterol Motil 2019; 31(12): e13714 13 Ducrotte P et al.: Gastric electrical stimulation reduces refractory vomiting in a randomized crossover trial. Gastroenterology 2020; 158(3): 506-14 e2 14 Assmann SL et al.: Guideline for the diagnosis and treatment of Faecal Incontinence-A UEG/ESCP/ESNM/ESPCG collaboration. United European Gastroenterol J 2022; 10(3): 251-86 15 Dawoud C et al.: Comparison of surgical techniques for optimal lead placement in sacral neuromodulation: a cadaver study. Tech Coloproctol 2022 16 Muller C et al.: Standardized fluoroscopy-guided implantation technique enables optimalelectrode placement in sacral neuromodulation: a cadaver study. Tech Coloproctol 2021; 25(2): 215-21 17 Altomare DF et al.: Long-term outcomes of sacral nerve stimulation for faecal incontinence. Br J Surg 2015; 102(4): 407-15 18 Meurette G et al.: Sacral neuromodulation with the InterStim system for faecal incontinence: results from a prospective French multicentre observational study. Colorectal Dis 2021; 23(6): 1463-73 19 Ramadi KB et al.: Electroceuticals in the gastrointestinal tract. Trends Pharmacol Sci 2020; 41(12): 960-76 20 Payne SC et al.: Anti-inflammatory effects of abdominal vagus nerve stimulation on experimental intestinal inflammation. Front Neurosci 2019; 13: 418
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