
Das Mikrobiom und das metabolische Syndrom: Henne oder Ei?
Autorin:
Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner
Center for Biomarker Research in Medicine (CBmed)
Medizinische Universität Graz
E-Mail: vanessa.stadlbauer@medunigraz.at
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Untersuchungen weisen darauf hin, dass das intestinale Mikrobiom ein wichtiger Faktor bei der Entstehung und Progression des metabolischen Syndroms sein könnte. Diese mögliche Wechselwirkung wirft die Frage auf, ob das Mikrobiom als Ursache oder Folge der Stoffwechselstörungen anzusehen ist.
Keypoints
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Ernährungsbedingte Gesundheitsstörungen lassen sich mit dem Konzept der evolutionären Diskrepanz erklären.
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Das Mikrobiom unterliegt sowohl externen als auch internen Einflüssen.
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Fett- und zuckerreiche Ernährung beeinflusst die Zusammensetzung des Mikrobioms negativ, was wiederum Störungen der Darmbarriere, Entzündungsreaktionen und metabolische Störungenfördert.
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Therapeutische Ansätze zur Beeinflussung des Mikrobioms sind v.a. Diäten, Probiotika, Präbiotika und Stuhltransplantation.
Das metabolische Syndrom ist ein komplexes Krankheitsbild, das durch eine Kombination von Risikofaktoren gekennzeichnet ist, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes signifikant erhöhen. Zu den Hauptkomponenten gehören abdominale Adipositas, Hypertonie, Dyslipidämie (erhöhte Triglyzerid- und niedrige HDL-Cholesterin-Werte) sowie Insulinresistenz. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und andere internationale Fachgesellschaften schätzen, dass weltweit etwa 25% der Erwachsenen das metabolische Syndrom entwickeln. Diese Prävalenz variiert je nach Region, mit steigenden Zahlen in westlichen Ländern, wo bis zu 35% der Bevölkerung betroffen sein können.
Die zunehmende Verbreitung von Adipositas und unausgewogenen Ernährungsgewohnheiten trägt entscheidend zur steigenden Häufigkeit des metabolischen Syndroms bei, was es zu einem bedeutenden öffentlichen Gesundheitsproblem macht. Neuere Forschungen zeigen, dass das intestinale Mikrobiom eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und Progression des metabolischen Syndroms spielen könnte. Diese Wechselwirkung wirft die Frage auf, ob das Mikrobiom als Ursache oder Folge der Stoffwechselstörungen anzusehen ist. Im Folgenden wird erörtert, ob das Mikrobiom das „Henne oder Ei“-Problem des metabolischen Syndroms darstellt und wie diese Erkenntnisse therapeutisch genutzt werden können.
Das Mikrobiom und seine Rolle bei Adipositas
Adipositas ist nicht einfach nur ein Problem der Energiebilanz (mehr Kalorienaufnahme als Verbrauch). Es hat sich gezeigt, dass das intestinale Mikrobiom eine maßgebliche Bedeutung hat.
Fett und einfache Zucker beeinflussen die Zusammensetzung des menschlichen Darmmikrobioms negativ (Abb.1). Die Mikrobiomveränderungen führen zu Störungen der Darmbarriere. Dies kann zur Aufnahme bakterieller Produkte und Toxine (bakterielle Translokation) in den Blutkreislauf führen, wodurch Entzündungsreaktionen und metabolische Störungen, wie zum Beispiel eine hepatische Insulinresistenz, gefördert werden.
Das häufige Auftreten von ernährungsbedingten Gesundheitsstörungen, das wir heute sehen, lässt sich durch das Konzept der evolutionären Diskrepanz erklären. Der menschliche Körper hat sich entwickelt, um die Nahrungsmittel unserer Vorfahren zu verdauen, die manchmal knapp und im Allgemeinen fett- und zuckerarm waren. Die Evolution ist ein sehr langsamer Prozess, während sich unser „Nahrungsökosystem“ in den letzten 100 Jahren schnell verändert hat. Unser Körper hat sich nicht daran angepasst, die Arten und Mengen der uns heute zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel zu verdauen, sodass übermäßiges Essen oder der Verzehr von Lebensmitteln, die heute leicht verfügbar sind, zu Krankheiten führen kann.
Eine Studie an keimfrei aufgezogenen Mäusen zeigte, dass das Mikrobiom tatsächlich eine ursächliche Rolle bei der Entstehung von Adipositas spielen kann. Die Transplantation von Stuhl von menschlichen Zwillingspaaren, bei denen ein Zwilling adipös und einer schlank war, führten zu einer Gewichtszunahme bei den Tieren, die den Stuhl der adipösen Zwillinge erhalten hatten, während das bei den Tieren mit der Transplantation des Stuhls von schlanken Zwillingen nicht der Fall war. Diese Ergebnisse unterstreichen den kausalen Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und der Kalorienverwertung im Körper.
Veränderungen des Mikrobioms bei Adipositas
Erste Studien ab 2005 zeigten, dass die Mikrobiomzusammensetzung bei adipössen Personen signifikant anders ist als bei normalgewichtigen Menschen. Es kommt zu einer Abnahme der Diversität des Mikrobioms und vor allem zu einer Verschiebung von kommensalen (guten) Bakterien hin zu opportunistischen Pathogenen, die durch den Verlust der Kolonisationsresistenz Nischen besiedeln können. Diese Veränderungen betreffen nicht nur die Zusammensetzung des Mikrobioms, sondern auch funktionelle Aspekte – wie die Bildung von kurzkettigen Fettsäuren, den Aminosäurestoffwechsel und die Vitaminbiosynthese. Die Veränderungen im Mikrobiom können zum Beispiel in Versuchstieren zu einer vermehrten Kalorienaufnahme führen.
Einflussfaktoren auf das Mikrobiom
Das Mikrobiom unterliegt sowohl externen als auch internen Einflüssen. Die Ernährung spielt dabei die größte Rolle. Bereits nach 48 bis 72 Stunden einer drastischen Ernährungsumstellung lassen sich signifikante Veränderungen im Mikrobiom nachweisen. Hochverarbeitete Nahrungsmittel, die reich an Zucker und Fett und arm an Ballaststoffen sind, verändern das Mikrobiom erheblich und erhöhen auch aus noch nicht ganz geklärten Mechanismen die Kalorienaufnahme. Diese Ernährungsgewohnheiten tragen zur Entwicklung des metabolischen Syndroms bei. Weitere Einflussfaktoren sind Alter, der Lebensort und Medikamente. Auch Geburtsmodus und frühkindliche Ernährung beeinflussen die Mikrobiomzusammensetzung (Abb.2). Ebenso wirken sich genetische und immunologische Faktoren auf das Mikrobiom aus. Ein Beispiel dafür sind MyD88-defiziente Mäuse, die im Alter zu Adipositas neigen. Diese genetische Veränderung beeinflusst das Immunsystem, welches die Mikrobiomzusammensetzung verändert und zu einer erhöhten Fettaufnahme führt.
Abb. 2: Faktoren, die die Zusammensetzung und Funktion der Darmmikrobiota beeinflussen (modifiziert nach Feng W et al.: Theranostics 2020; 10(24): 11278-301)
Therapeutische Ansätze:das Mikrobiom als Ziel
Da das Darmmikrobiom im Zentrum der Hypothese um die Wechselwirkung zwischen Adipositas, Entzündung und metabolischem Syndrom steht, sind Strategien zur Beeinflussung der Darmflora von großem Interesse. In zahlreichen Tierversuchen wurde bestätigt, dass Antibiotika, Probiotika und Präbiotika in der Lage sind, das Wachstum und die Bindung bzw. Invasion pathogener Keime zu verhindern, die pathologisch erhöhte Darmpermeabilität zu verringern und die Zytokinantwort zu modulieren. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Antibiotika, Präbiotika und Probiotika in der Lage sind, in Adipositasmodellen die Steatose der Leber und den Glukosestoffwechsel zu verbessern.
Diät
Studien zeigen, dass Gewichtsverlust durch Diäten eine Verbesserung der Dysbiose herbeiführt und die metabolischen Folgen von Adipositas mildert. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, langfristige Effekte zu erzielen, da sich der Körper häufig an die reduzierte Kalorienaufnahme anpasst. Intervallfasten zeigte in Modellen positive Stoffwechseleffekte – wie zum Beispiel eine Vermehrung des braunen Fettgewebes.
Stuhltransplantation
Eine niederländische Studie zeigte, dass die Transplantation eines allogenen Mikrobioms von einem schlanken Spender bei adipösen Patienten zu einer Verbesserung der Insulinresistenz führen kann. Diese Methode bleibt jedoch logistisch schwierig umzusetzen, da es schwer ist, ausreichend Spender mit geeigneten Mikrobiomprofilen zu finden. Eine vielversprechende Möglichkeit zeigte eine Studie aus Israel, bei der eine Transplantation von Eigenstuhl von dem Zeitpunkt während einer Diät, als das Gewicht am niedrigsten war, den Gewichtsanstieg nach einer Diät verringerte und die Insulinresistenz verbesserte.
Prä- und Probiotika
Die Verwendung von Probiotika zur Unterstützung der Behandlung des metabolischen Syndroms ist aufgrund des guten Sicherheitsprofils ein vielversprechender Ansatz. Metaanalysen zeigen Effekte auf Parameter wie Taillenumfang, Gewicht und Body-Mass-Index (BMI), aber auch auf den Fett- und Zuckerstoffwechsel. Insbesondere in Kombination mit anderen Substanzen könnten Probiotika einen Stellenwert haben, um zum Beispiel die Effektivität von medikamentösen Therapien zu steigern, sodass die Dosis verringert werden kann und eventuell gastrointestinale Nebenwirkungen gelindert werden.
Fazit
Das Mikrobiom spielt sowohl als Ursache als auch als Konsequenz eine Rolle beim metabolischen Syndrom und bei Adipositas – es ist also sowohl Henne als auch Ei. Externe Faktoren schädigen das Mikrobiom und führen zu einer erhöhten Permeabilität, zu Entzündungen und metabolischen Störungen. Gleichzeitig verändern metabolische Erkrankungen und deren medikamentöse Behandlungen das Mikrobiom. Aufgrund des nachgewiesenen kausalen Zusammenhangs sollte das Mikrobiom in zukünftige therapeutische Ansätzen einbezogen werden, um Langzeiteffekte von Therapien zu verbessern und Nebenwirkungen medikamentöser Therapien zu mildern.
Literatur:
bei der Verfasserin
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