Basics der Schwindeldiagnostik
Autorin:
Dr. Katharina Meng
Fachärztin für Hals-, Nasen- & Ohrenheilkunde mit Spezialgebiet für neurootologische Schwindelerkrankungen, Wien
E-Mail: termine@hno-meng.at
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Dem Leitsymptom Schwindel können viele verschiedene Ursachen zugrunde liegen – eine strukturierte Anamnese und spezielle klinische Untersuchungsmethoden sind deshalb wegweisend und führen in der Regel zur korrekten Diagnose und damit auch zur richtigen Therapieoption.
Keypoints
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Die Anamnese ist bei der Schwindeluntersuchung entscheidend – hierbei hat v.a. die Dauer der Beschwerden einen hohen Stellenwert.
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Ein guter Untersuchungsalgorithmus trägt zur Diagnosefindung bei.
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Jedenfalls sollten Augenbewegungen mittels Frenzelbrille kontrolliert werden undes sollte eine otologische, grob neurologische und interne Untersuchungerfolgen.
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Zur vestibulären Überprüfung dienen die HINTS („head impulse, nystagmus, test of skew“) sowie Lagerungsmanöver.
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Goldstandard zur Überprüfung des VOR und somit der Funktion des Gleichgewichtsorgans ist heute der vKIT.
Schwindel ist, neben Kopfschmerzen, einer der häufigsten Gründe für einen Besuch in einer Ordination oder Spitalsambulanz. Die Patient*innen beschreiben ihre Wahrnehmung allerdings individuell stark unterschiedlich als Unsicherheit beim Gehen, Drehsensation, Schwanken oder auch als Ohnmachtsgefühl. Es verbessert die Prognose des Krankheitsverlaufes deutlich, wenn das Krankheitsbild früh erkannt und therapiert wird. Allgemeinmediziner*innen und HNO-Ärzt*innen sind meist erste Ansprechpartner*innen bei Schwindelerkrankungen, ein diagnostischer Algorithmus sowie das Verständnis der Physiologie sind dabei von großer Bedeutung.
Die Anamnese
Circa 30–40% aller Schwindelursachen sind auf Störungen des Gleichgewichtsorgans zurückzuführen. Der Rest entfällt auf neurologische, orthopädische, internistische, aber häufig auch auf psychosomatische Probleme.1
Das Wichtigste bei der Schwindeldiagnostik ist–unabhängig vom Alter der Patienten– die Anamnese. Bei Kindern kann das im Speziellen nochmals herausfordernder sein, da man teilweise von der Fremdanamnese der Eltern abhängig ist und sich die Beschreibungen der Probleme deutlich von denen der Erwachsenen unterscheiden. Kinder formulieren dabei weniger konkret. Das Beschwerdebild kann bei ähnlichen Krankheiten oft anders ausfallen.Bekannt ist, dassSchwindelpatient*innen, die schon länger an ihrem Problem leiden, oftmals gerne weit in ihren Schilderungenausholen. Nicht immer bringt das die Untersucher*innen zum Ziel, weswegen es sinnvoll ist, zu Beginn wenige, aber konkrete Fragen zu klären:
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Wie fühlt sich der Schwindel an?
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(Seit) Wann tritt er auf?
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Wodurch wird er ausgelöst?
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Welche Begleitsymptome gibt es?
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Wie lange dauert der Schwindel?
Somit können Sie die Qualität des Schwindels (drehend, schwankend, benommen, dauerhaft, anfallsartig) und dessen Begleitsymptome (Tinnitus, Hörstörung, Kopfschmerz, usw.) bereits zuordnen. Einen besonderen Stellenwert in der Anamnese hatdabei die Dauer. Durch den zeitlichen Aspekt kann sich bereits eine grobe Einteilung der Pathologie ergeben. Während beispielsweisebeim Lagerungsschwindel die Symptome nurkurz anhalten, kann ein Gleichgewichtsausfall mehrere Wochen oder ein sogenannter funktioneller, nicht organischer Schwindel oft dauerhaft bestehen. Bei Letzterem gibt es häufig spezielle Triggerfaktoren wie z.B.Stress.Bei Bewegung oder Sport wird diese Form allerdings oft sogar besser.
Falls mehrere Attacken mit schwindelfreiem Intervall angegeben werden, ist es hilfreich, sich auf eine einzelne in der Beschreibung zu konzentrieren, am besten die allererste oder die zuletzt aufgetretene.
Natürlich sollte eine genaue Medikamentenanamnese erfragt werden, aber auch Begleiterkrankungen, wie Diabetes oder Herzrhythmusstörungen. Anamnestisch typisch hierfür wäre das Schwarzwerden vorAugen. Es ist kein Hinweis auf eine vestibuläre Funktionsstörung.Weitere internistische Kontrollen, wie zum Beispiel ein 24-Stunden-EKG, können daher erforderlich sein.
Die Untersuchung
Bei der klinischen Untersuchung ist es günstig, einen Duktus zu wählen, der schnell und einfach im allgemeinen Setting durchzuführen ist und jedenfalls Folgendes beinhaltet:
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Die Untersuchung der Augen mittels Frenzelbrille, um einen Nystagmus festzustellen: Kopfschütteln kann einen nicht in Ruhe erkennbaren Nystagmus sichtbar machen (Provokationsnystagmus).
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Die otologische Abklärung zum Ausschluss von Entzündungen oder anderen otogenen Ursachen von Schwindel (Cholesteatom, Mittelohrveränderungen, Otosklerose usw.): Bei der vestibulären Kontrolle sollten jedenfalls Lagerungsmanöver, aber auch der Kopfimpulstest (KIT) durchgeführt werden.
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Ein grober neurologischer Status (Romberg-Test, Unterberger-Tretversuch, Finger-Nase-Versuch, Kraftgrade): Er gibt Hinweise auf zentrale Störungen bzw. Kleinhirnprobleme. Ein interner Check-up schließt Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Diabetes, Elektrolytentgleisungenetc. aus.
Kopfimpulstest
Abb. 1: Pathologischer Kopfimpulstest nach links: Bei Kopfdrehung nach links können die Augen das ursprüngliche Ziel nicht weiter fixieren. Es kommt zur Korrektursakkade.
Der mittlerweile wichtigste klinische Testzur Überprüfung der vestibulären Funktion ist der Kopfimpulstest (KIT). Genauer erklärt untersucht man damit den sogenannten vestibulookulären Reflex (VOR). Dieser Reflex ermöglicht es uns, Dinge mit den Augen zu fixieren, obwohl wir uns bewegen. Die Augenmuskeln können dabei die Kopfbewegungen mit gleicher Geschwindigkeit ausgleichen.2
Mit dem Test kann eine zuverlässige Aussage darüber getroffen werden, ob es ein peripheres vestibuläres Defizit gibt. Dabei wird der Kopf des Patienten in beide Hände genommen. Die Patientenaugen fixieren einen Punkt, zum Beispiel die Nasenspitze des Untersuchers.Es folgt eine kurze, ruckartige Drehung mit niedriger Amplitude nach rechts oder links. Können die Augen den Punkt trotz Drehung weiterhin halten, funktionierent der VOR und somit auch die Drehsensoren im Gleichgewichtsorgan. Gehen die Augen bei Drehung mit dem Kopf quasi mit, so kommt es zu einer sog. Catch-up- oder Rückstellsakkade– ein pathologischer Befund, der für eine Beeinträchtigung des Gleichgewichtsorgans spricht (Abb.1).
Periphere oder zentrale Problematik?
In Zusammenschau mit der Nystagmuskontrolle und der Überprüfung der sogenannten „Augenverrollung“ durch den Cover-Test (Augen abwechselnd zuhalten, um zu sehen, ob es eine Bewegung der Augen in der vertikalen Ebene gibt), kann eine Unterscheidung zwischen peripherer und zentraler Problematik in über 90% getroffen werden. Dieses klinische Untersuchungsverfahren nennt sich HINTS („head impulse, nystagmus, test of skew“) und spielt bei akuten Schwindelproblemen eine entscheidende Rolle, um zum Beispiel eine Differenzierung zwischen Insultgeschehen und Neuritis vestibularis zu ermöglichen.3
Ist ein gerichteter Nystagmus zu erkennen und der Kopfimpulstest positiv (pathologischer Befund), ist die Wahrscheinlichkeit einer Neuritis vestibularis (Gleichgewichtsausfall) groß. Ist der Nystagmus richtungswechselnd (Blickrichtungsnystagmus) und der Kopfimpulstest negativ (normaler Befund), ist eine neurologische/zentrale Schwindelursache wahrscheinlicher.
Hörtest
Typischerweise findet sich bei der Neuritiskeine Hörstörung – sie spricht also nicht immer zwangsläufig für eine peripher-vestibuläre Ursache. Selten können auch zentrale Störungen diese verursachen. Gibt der Patient audiologische Symptome an, sollte eine Hörtestkontrolle jedenfalls durchgeführt werden. Bei der Trias Schwindel, Hörstörung und Tinnitus muss an einen Morbus Menière gedacht werden. Aber auch andere otogene Schwindelursachen haben spezielle Audiogramme, wie z.B. die Otosklerose mit ihrer typischen Carhart-Senke.
Lagerung
Abb. 2: Das Dix-Hallpike-Manöver zum Ausschluss eines benignen Lagerungsschwindels: Zunächst wird der Kopf im Sitzen um 45° zur betroffenen Seite gedreht, danach im Liegen rekliniert. Der Test ist positiv, wenn dabei Schwindel und Nystagmus auftreten.
Eine weitere wesentliche Untersuchung ist die Lagerung. Diese dient vor allem zum Ausschluss eines gutartigen Lagerungsschwindels (BPLS; „benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel“). Dafür wird häufig das Dix-Hallpike-Manöver durchgeführt.4Der Patient sitzt dabei auf einer Liege, der Kopf wird um 45° zu einer Seite gedreht und man lagert den Patienten in die entgegengesetzte Richtung.
Gleiches erfolgt für die andere Seite. Falls positiv, zeigt sich ein rotatorischer Upbeat-Nystagmus zum betroffenen Ohr. Dieser sistiert typischerweise nach 20–60 Sekunden (Abb. 2).
Abgrenzung orthopädischer und psychogener Ursachen
Zervikale Schmerzen bei der Untersuchung oder bewegungsabhängiger Schwankschwindel können auf eine orthopädische Ursache hinweisen. Oftmals wird dabei auch Schwindel beim Lagern angegeben, allerdings im Gegensatz zum BPLS nicht beim Hinlegen, sondern eher beim Aufsetzen.
Bei nichtkonklusiven oder widersprüchlichen Angaben und Untersuchungsergebnissen ist auch an eine PPPD („persistent postural perceptual dizziness“), eine psychogene Form der Schwindelsymptomatik, zu denken.5 Bei dieser sind die klinischen, apparativen sowie bildgebenden Untersuchungen meist ohne Befund, während der Leidensdruck des Patienten als sehr stark und die Beschwerden als dauerhaft angegeben werden.
Bildgebung
Bei chronischen Schwindelbeschwerden, attackenhaftem Schwindel sowie bei auffälligen Untersuchungsergebnissen ist eine MRT des Gehirns zum Ausschluss neurologischer Erkrankungen, gegebenenfalls auch eine CT des Felsenbeins (bei Verdacht auf otogene oder traumatische Ursache) indiziert.
Die apparative Diagnostik
Wir haben heute sehr viele verschiedene Möglichkeiten der apparativen Diagnostik.Dadurchist es nicht immer leicht, die richtige Bildgebung zur richtigen Zeit durchzuführen. Weiters ist es eineFrage der Verfügbarkeit, da manche Untersuchungen nur in Spezialzentren gemacht werden können.
Durchgesetzt im klinischen Alltag hat sich der vKIT (Videokopfimpulstest), welcher die Kalorik als Goldstandard heute abgelöst hat (Abb. 3). Dabei wird, analog zum Bedside-KIT, der VOR des Patienten getestet und die Augenbewegungen werden analysiert. Somit können auch versteckte Sakkaden entdeckt werden (Abb. 4).
Abb. 3: Der Videokopfimpulstest: Anders als beim Bedside-Kopfimpulstest steht der Untersuchende hinter dem Patienten. Geschwindigkeiten der Augen- und Kopfbewegungen werden in Relation zueinander bildlich dargestellt.
Abb. 4: Pathologischer Videokopfimpulstest (vKIT) links bei Neuritis vestibularis links: Deutlich sichtbar sind die Korrektursakkaden (roter Pfeil).
Durch dievestibulär evozierten myogenen Potenziale(VEMP) kann die Funktion der Makulaorgane(Utrikulus und Sakkulus), welche die lineare Beschleunigung messen, getestet werden. Diese stimuliert man durch kurze Klickgeräusche.Es folgt eine Muskelantwort, die zum Beispiel über dem M. sternocleidomastoideus mit Elektroden abgeleitet werden kann. Diese Untersuchung wird als Ergänzung zur Routinediagnostik durchgeführt.6
Fazit
Schwindel als Symptom ist aufgrund der unterschiedlichen Ursachen eine Herausforderung für Ärzteder verschiedensten Disziplinen. Nicht selten führen langwierige Untersuchungen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Eine effiziente Anamnese und eine gezielte Untersuchungsmethodik können die Diagnosefindung deutlich beschleunigen und das Outcome verbessern.
Literatur:
1 Hain TC: Epidemiology of dizziness. https://dizziness-and-balance.com/disorders/dizzy_epi.html ; zuletzt aufgerufen am 30.5.2022 2 Hopf HC, Kömpf D: Erkrankungen der Hirnnerven. Referenz-ReiheNeurologie: Klinische Neurologie. Stuttgart, New York, Delhi, Rio: Thieme Verlagsgruppe 2006: 159-85 3 Kattah JC et al.: HINTS to diagnose stroke in the acute vestibular syndrome: three-step bedside oculomotor examination more sensitive than early MRI diffusion-weighted imaging. Stroke 2009; 40(11): 3504-10 4 Dix M, HallpikeC: The pathology, symptomatology and diagnosis of certain common disorders of the vestibular system.Proc R Soc Med1952; 45(6):341 5 Staab JP et al.:Diagnostic criteria for persistent postural-perceptual dizziness (PPPD): Consensus document of the Committee for the Classification of Vestibular Disorders of the Bárány Society. J Vestib Res 2017; 27(4): 191-208 6 Clarke AH et al.: Unilateral examination of utricle and saccule function. J Vestib Res 2003;13(4-6): 215-25
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