
Erste Erfahrungen mit dem OTODRIVE-System: ein Einblick in die Praxis
Autorin:
Klin. Ass. Prof. Priv.-Doz. Dr. Astrid Magele, MBA
Universitätsklinikum St. Pölten
Karl Landsteiner Privatuniversität
Krems an der Donau
E-Mail: astrid.magele@stpoelten.lknoe.at
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Am Universitätsklinikum St. Pölten wurde das OTODRIVE-System als innovative Ergänzung in der Cochlea-Implantat-Chirurgie eingeführt. Diese Technologie ermöglicht eine präzisere, schonendere und individualisierte Behandlung und stellt einen Meilenstein der modernen HNO-Heilkunde dar. Dieser Beitrag beleuchtet die bisherigen Erfahrungen, Vorteile und Herausforderungen, die mit dem Einsatz einhergehen.
Keypoints
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Präzision durch Robotik: Der OTOARM reduziert natürliche Handbewegungen und bietet zusätzliche Sicherheit. Eine gleichmäßige und langsame Insertion der Elektrode wird ermöglicht durch das OTODRIVE-System.
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Hörerhalt: Mit dem OTODRIVE-System ist ein schonender Umgang mit der Cochlea möglich, um die Strukturen im Innenohr bestmöglich zu erhalten.
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Lernkurve: Die Handhabung erfordert Übung, insbesondere bei der Nutzung des OTOARM-Aligners.
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Unterstützung, kein Ersatz: Der/die Chirurg:in bleibt im Mittelpunkt – die Technologie dient der Präzision.
Planung, Chirurgie und Nachsorge von Cochlea-Implantaten
Cochlea-Implantate ermöglichen Menschen mit schwerem bis vollständigem Hörverlust, wieder zu hören, indem sie Schall in elektrische Impulse umwandeln, die den Hörnerv direkt stimulieren und so Hörwahrnehmungen im Gehirn erzeugen. Das OTODRIVE®-System in Kombination mit der Planungssoftware OTOPLAN® bietet eine neue Dimension der Individualisierung bei Cochlea-Implantat-Versorgungen. Durch die Möglichkeit, anatomische Parameter der Hörschnecke genau zu analysieren, kann man das Elektrodenarray des Cochlea-Implantats im Vorfeld angepasst an die individuelle Anatomie auswählen. Das OTODRIVE-System ermöglicht dann über einen üblichen chirurgischen Zugang eine konsistente und langsame Bewegung während der Insertion der Elektrode.
OTOPLAN wird schon länger standardmäßig zur Planung der Implantation sowie nach der OP für die Post-OP-Analyse und das anatomiebasierte Fitting genutzt. Dieses Vorgehen ermöglicht es, das Hörerlebnis für die Patient:innen so natürlich wie möglich zu gestalten. Mit der Ergänzung durch das OTODRIVE-System werden die Planung und das anatomiebasierte Fitting durch OTOPLAN perfekt abgerundet. Das Zusammenspiel dieser beiden Systeme schafft eine nahtlose Abfolge von der präoperativen Planung bis zur postoperativen Optimierung und stellt eine maßgebliche Unterstützung für die gesamte Behandlung dar.
Ein entscheidender Vorteil bei der Elektrodenauswahl mit OTOPLAN liegt in der Möglichkeit, verschiedene Elektrodenarrays visuell zu vergleichen und die optimale Positionierung auf Basis individueller anatomischer Gegebenheiten zu bestimmen. Dies kann potenzielle Risiken minimieren und das postoperative Ergebnis verbessern. Die am besten passende Elektrode kann dann mit dem neuen OTO-DRIVE-System mühelos und atraumatisch in die Cochlea eingeführt werden, um die gesunden Strukturen im Innenohr erhalten zu können. Danach wird mit einer standardmäßigen medizinischen Bildgebung überprüft, wie die Elektrode in der Hörschnecke platziert wurde, was dann mithilfe von OTOPLAN bei der anatomiebasierten Anpassung des Audioprozessors berücksichtigt werden kann. So sollen für die Patient:innen die besten Voraussetzungen für das neue Hören mit dem Cochlea-Implantat erzielt werden.
OTODRIVE-System
Die Chirurg:innender HNO-Abteilung am Universitätsklinikum St. Pölten verfügen über umfassende Erfahrung in der Durchführung von Cochlea-Implantationen. Diese Expertise bildet die Grundlage, um innovative Technologien wie das OTODRIVE-System erfolgreich in die klinische Praxis zu integrieren. Das System besteht aus dem OTODRIVE, welches die Software und Steuerung beinhaltet und eine präzise Bewegung des Handstücks ermöglicht. Für die akkurate Positionierung des chirurgischen Tools kommen der OTOARM und der OTOARM-Aligner zum Einsatz (Abb. 1).
Abb. 1: OTODRIVE und OTOARM – das komplette System für die unterstützte elektromotorische Insertion des Cochlea-Implantat-Elektrodenarrays
OTODRIVE ermöglicht langsame, gleichmäßige und präzise Bewegungen zwischen 0,1 und 1,0mm/s, was zu konsistenteren chirurgischen Ergebnissen bei individualisierten otologischen Eingriffen führt. Die OTODRIVE-Komponente übernimmt die Steuerung und Ausführung der Bewegung. Über ein Fußpedal kann der/die Chirurg:in das Handstück, das im OTOARM fixiert ist, präzise ansteuern und so die Einleitung der Elektrodeninsertion herbeiführen. Diese Vorgehensweise sorgt nicht nur für eine höhere Präzision, sondern minimiert auch das Risiko, empfindliche Strukturen innerhalb der Cochlea zu beschädigen (Abb. 2).
Abb. 2: Ansicht des Handstückes mit der eingespannten chirurgischen Pinzette. Diese sind im OTOARM-Aligner fixiert und werden mit dem OTOARM in Position gehalten
Mit dem OTOARM und dem dazugehörigen Aligner lassen sich kompatible otologische Instrumente präzise positionieren und fixieren, wodurch natürliche Handbewegungen des Chirurgen/der Chirurgin während der Insertion reduziert werden.
Praktische Erfahrungen mit dem OTODRIVE-System
Am 23. Juli 2024 wurde die erste OTODRIVE-unterstützte Operation in Österreich amUniversitätsklinikum St.Pölten durchgeführt. Bis in den Herbst 2024 hatten drei Operateure insgesamt sieben Eingriffe erfolgreich mit dem System durchgeführt. Ein zentrales Merkmal des OTODRIVE-Systems ist die langsame, konsistente Insertion der Elektrode in die Cochlea mit einer Minimalgeschwindigkeit von 0,1mm/s. Dies ermöglichte eine durchschnittliche Insertionszeit von etwa vier Minuten.
Die Patientenkohorte, welche mit dem OTODRIVE-System operiert wurde, beinhaltet sechs Frauen und einen Mann im Alter von 28 bis 82 Jahren. Fünf Personen hatten einen progressiven und zwei einen plötzlichen Hörverlust. Diese Patient:innen wurden mit Cochlea-Implantaten der Firma MED-EL versorgt, wovon fünf ein Flex28-und zwei ein Flex24-Elektrodenarray erhielten. Die flexiblen Elektroden wurden aufgrund der individuellen Anatomie und des Hörverlustes gewählt.
Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend: Bei drei von sieben Patien-t:innen konnte das Gehör vollständig erhalten werden („hearing preservation“), bei den restlichen teilweise. Die durchschnittliche Differenz des Knochenleitungshörverlusts betrug postoperativ 10,8dB. Dies deutet darauf hin, dass die langsame und konsistente Insertion durch OTODRIVE ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Operation sein kann.
Dennoch gibt es Herausforderungen:
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Während der Insertion fehlt dem Chirurgen/der Chirurgin das haptische Feedback, weshalb die Führung der Elektrode teilweise manuell unterstützt werden muss.
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Die Handhabung des Systems erfordert Übung, insbesondere beim Einsatz der chirurgischen Pinzette und des OTOARM-Aligners.
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Kritisch ist die Entfernung der Insertionspinzette nach einer erfolgreichen Insertion, da hier das Risiko besteht, empfindliche Strukturendurch Bewegung des Kabels zu beschädigen.
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Der erfolgreiche Erhalt des Gehörs ist das Ergebnis eines Zusammenspiels vieler verschiedener Faktoren, bei dem die Insertionsgeschwindigkeit und -technik eine entscheidende Rolle spielen kann, aber nicht als alleiniges Merkmal dasteht.
Die durchschnittliche OP-Dauer variierte zwischen 54 und 112 Minuten. Diese Differenzen hängen von mehreren Faktoren ab, darunter von der Komplexität des anatomischen Zugangs und der Erfahrung des Operateurs. Das OTODRIVE-System ermöglichte jedoch insgesamt eine effiziente und konsistente Insertion.
Fazit
Die ersten klinischen Erfahrungen mit dem OTODRIVE-System zeigen nicht nur die Machbarkeit, sondern auch das Potenzial, die Cochlea-Implantat-Chirurgie weiter zu verbessern. Es sind jedoch langfristige Studien notwendig, um die Auswirkungen der robotergestützten Implantation auf die Hörqualität und Lebensqualität der Patient:innen umfassend zu bewerten.
Mit dem OTODRIVE-System wird eine individualisierte, präzise und schonende Behandlung ermöglicht, die das Potenzial besitzt, die Ergebnisse für Patient:innen mit Hörverlust nachhaltig zu verbessern. Diese Technik kann eine wertvolle Unterstützung sein, aber dennoch bleibt die manuelle Expertise der HNO-Chirurg:innen unverzichtbar.
Literatur:
bei der Verfasserin
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