
10 Jahre Stapesplastik: eine Dekade Erfahrung an unserer Schwerpunktklinik
Autor:innen:
Dr. Chiara Anna Reich-Rohrwig
Univ.-Prof. Dr. Georg Mathias Sprinzl
Klinische Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten
Universitätsklinikum St. Pölten
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Der Begriff Otosklerose bezeichnet eine pathologische Umwandlung im Bereich der Stapesfußplatte der Cochlea. Die dadurch bedingteprogrediente Hörminderung spricht limitiert auf konventionelle Behandlungen an. Die Therapie der Wahl stellt die chirurgische Sanierung durch eine Stapesplastik dar.
Keypoints
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Otosklerose führt durch eine Versteifung des Stapes im ovalen Fenster zu einer progredienten Hörminderung.
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In der Audiometrie zeigt sich das typische Bild einer Schallleitungsstörung mit „Carhart-Senke“. Im Verlauf kann es auch zu Innenohrabfällen kommen.
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Die Stapesplastik ist eine sichere und wirksame Therapie der Otosklerose.
Einleitung
Bei der Otosklerose handelt es sich um eine Erkrankung des knöchernen Labyrinths, typischerweise am ovalen Fenster. Durch stadienhafte Umbauprozesse kommt es im Verlauf zu einer Fixierung des Stapes im ovalen Fenster und so zu einer Hörminderung.1,2
Ätiologie und Pathogenese
Als Ursachen für diesen Umbauprozess werden verschiedene Mechanismen diskutiert:
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eine autoimmune Genese durch Bildung von Autoantikörpern gegen Kollagen Typ II
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eine gestörte Zytokinregulation von TNFα, Osteoprotegerin und RANKL im Knochenstoffwechsel
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eine infektionsgetriggerte Ätiologie nach Maserninfektion
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die hormonassoziierte Genese, basierend auf spezifischen Östrogenrezeptorprofilen, die vor allem in otosklerotischen Zellen vorliegen
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eine mechanische Ursache durch eine erhöhte Knochenspannung im Bereich des Mittel- bzw. Innenohrs aufgrund der Knickbildung der Schädelbasis1,2
Im Verlauf kommt es im Stadium I erst zum Abbau des Strähnenknochens durch Osteoklasten, welcher im Stadium II durch spongiösen Knochen ersetzt und im Stadium III dann zu kompaktem Lamellenknochen umgebaut wird. Mit dem Stadium IV sistieren die Umbauvorgänge und es liegt eine Otosklerose vor.1–3
Symptomatik
Die Patienten berichten über eine ein- oder beidseitig progrediente Hörminderung ohne Schmerzen, rezidivierende Otitiden oder Otorrhöen. Oft kann in der Familienanamnese eine familiäre Häufung erhoben werden, wobei weibliche Personen häufiger betroffen sind.4,5
Diagnostik
In der Regel besteht ein blander Ohrstatus. Häufig ist der Gehörgang sogar besonders weit und sauber, das Trommelfell intakt, zart, transparent und reizlos. Bei Untersuchung mit der pneumatischen Ohrlupe schwingt der Hammergriff regulär im Trommelfell mit.4,5
Im Stimmgabeltest nach Weber lateralisiert der Patient ins betroffene Ohr,der Rinne-Test kann ipsilateral negativ sein.
In der Tonaudiometrie liegt eine Schallleitungsstörung vor, oft mit der typischen Knochenleitungszacke bei 2kHz, der sogenannten „Carhart-Senke“. Dies kommt dadurch zustande, dass für eine optimale Bewegung der Innenohrflüssigkeit und somit Auslenkung der Basilarmembran in eben diesem Frequenzbereich um 2kHz der Stapes frei schwingen können muss. Ist dieser fixiert, wird eine scheinbare Innenohrhörminderung, die aber aufgrund fehlender Resonanz und nicht geschädigter Innenohrstrukturen entsteht, im Tonaudiogramm aufgezeichnet (Abb. 1). Diese Carhart-Senke verschwindet häufig wieder nach erfolgter Stapesplastik.4,5
Im Verlauf der Erkrankung kommt es aber auch häufig zu einer tatsächlichen Innenohrschwerhörigkeit. Hier wird eine Schädigung der Stria vascularis durch beim Knochenumbauprozess freigesetzte Zytokine vermutet.5
Als objektives, audiometrisches Verfahrenwird außerdem die Stapediusreflexmessung herangezogen. Dieser Reflex fällt bei ipsi- und kontralateraler Stimulation im kranken Ohr aus,6 da durch die Fixierung der Stapesfußplatte die Kontraktion des Musculus stapedius nur mangelhaft erfolgt.
Eine radiologische Diagnostik kann zum Ausschluss anderer Ursachen, wie chronischer Otitiden inklusive Cholesteatomen, Kettenunterbrechungen oder Luxationen der Gehörknöchelchen sowie Fehlbildungen, herangezogen werden.Für die Diagnose einer Otosklerose ist die Bildgebung vorrangig von akademischem Interesse, auch wenn die Verknöcherung am ovalen Fenster prinzipiell in der Dünnschicht-CT nachgewiesen werden kann.7
Therapie
Abb. 3: Nach Entfernung der Stapessuprastruktur Perforation der Stapesfußplatte mit dem Laser
Es kann eine symptomatische Therapie mit konventionellen Hörgeräten erfolgen. Da es sich aber um eine progrediente Erkrankung handelt, wird eine konservative Versorgung an ihre Grenzen stoßen. In derLiteratur finden sich zwar medikamentöse Therapieansätze mit Natriumfluoriden und Bisphosphonaten, dennoch ist die Studienlage dünn. Es werden keine Empfehlungen zur medikamentösen Therapie in den Leitlinien ausgesprochen und sie ist kein Bestandteil der gängigen Praxis.8,9
Die Therapie der Wahl stellt die operative Sanierung durch die Stapesplastik dar. Dabei wird der versteifte Stapes durch eine Protheseersetzt, die durch die perforierte oder teilentfernte Stapesfußplatte ins Innenohr ragt und am Incus fixiert wird. Im Laufe der Zeit haben sich Variationen der Operationstechnik ergeben und verschiedene Prothesenformen wurdenentwickelt. Die Wahl des Vorgehens und der Prothese hängt maßgeblich von den Vorlieben und der Praxis des Operateurs ab.10
In den Abbildungen 2–4 sind die Operationsschritte, wie sie in der Regel in unserer Klinik erfolgen, dargestellt.
Retrospektive Datenanalyse
An unserer Abteilung, der HNO-Abteilung des Universitätsklinikums St. Pölten, erfolgte eine retrospektive Analyse aller Stapesplastiken zwischen 2013 und 2023. Gescreent wurden alle Patienten, die in der SAP-Datenbank mit den Diagnose- bzw Leistungscodes „Otosklerose“ (H80.0, 1, 2, 8) bzw. „Stapesplastik“ (CB040) versehen waren (n=423). Es wurden audiologische Daten (Tonaudiogramm, Sprachaudiogramm, prä- und postoperativ), Daten zu Komplikationen, Revisionen und Folgeeingriffen, deren Zeitpunkte sowie demografische und operationsbezogene Daten erhoben. Diese wurden mithilfe von SPSS statistisch ausgewertet.
Ergebnisse
Audiologische Ergebnisse
Im Vergleichprä- vs. postoperativkonnte eine signifikante Verringerung der Luftleitungsschwelle von im Durchschnitt knapp 16dB, von präoperativ 50dB auf postoperativ 34dB, verzeichnet werden (Abb. 5).
Außerdem war die Verringerung der Schallleitung mit einer Reduktion von im Schnitt 22,6dB auf 6,8dB signifikant (Abb. 6).
Erwartungsgemäß lag keine signifikante Veränderung bei der Knochenleitung vor.
Komplikationen
In knapp 17% aller Fälle traten Komplikationen auf, wobei am häufigsten von Schmerzen, postoperativer Fazialisparese (Spätparese) und Wundinfektionen berichtet wurde; diese waren in der Regel reversibel und selbstlimitiert bzw. konservativ zu beherrschen. Die häufigsten Komplikationen dabei waren Schwindel bei 4,3% und Innenohrabfälle in 7,7% der Patienten ohne operativen Revisionsbedarf. 4 Patienten von 423 (<1%) ertaubten infolge der Operation, wobei sich dieser Wert mit den gängigen Ergebnissen in der Literatur deckt.6
In Bezug auf die Prothesenlänge zeigte sich, dass es bei den Patienten, welche eher die längeren Prothesen (4,75mm)erhalten hatten, häufiger zu postoperativen Schwindel kam. Bei persistierendem Schwindel muss im Einzelfall eine operative Revision angestrebt werden. In unserem Kollektiv war eine operative Revision aufgrund von Schwindel in nur zwei Fällen notwendig.
Ebenso müssen im Verlauf häufig Narbenzüge oder Prothesendislokationen durch Lockerung des Pistons bzw. Arrosion des Incusfortsatzes operativ saniert werden. Solche Eingriffe waren bei 9,4% aller Patienten notwendig.
Revisionseingriffe sind mit einem deutlich höheren postoperativen Ertaubungsrisiko behaftet.10,11
Fazit
Die Otosklerose ist eine progrediente Erkrankung des knöchernen Labyrinths amovalen Fenster und führt zu einer zunehmenden Hörminderung. Bisher gibt es keine kausale Therapie. Auch medikamentöse Therapieansätze sind derzeit aufgrund mangelnder Evidenz nicht gängige Praxis. Die operative Sanierung ist die Therapie der Wahl.
Die Stapesplastik ist eine sichere und insbesondere wirksame Therapie der Otosklerose und führt beim Großteil der Patienten zu einer Verbesserung der Lebensqualität. In der Regel sind die Patienten mit dem postoperativen Ergebnis zufrieden bis sehr zufrieden (in unserem Kollektiv gaben 77% der Patienten bei der subjektiven Zufriedenheit nach Schulnotensystem „gut“ oder „sehr gut“ an).
Literatur:
1 Arnold W: Some remarks on the histopathology of otosclerosis. Adv Otorhinolaryngol 2007; 65: 25-30 2 Batson L, Rizzolo D: Otosclerosis: an update on diagnosis and treatment. JAAPA 2017; 30(2): 17-22 3 Quesnel AM et al.: Otosclerosis: temporal bone pathology. Otolaryngol Clin North Am 2018; 51(2): 291-303 4 Metasch ML et al.: Diagnostik und operative Therapie der Otosklerose: Teil 1: Grundlagen, Diagnostik und Differenzialdiagnostik. Laryngo-Rhino-Otol 2018; 97(8): 563-78 5 Sprinzl G, Magele A: Erkrankungen des Mittelohres. ÖÄZ 2018; 7: 26-33 6 Strutz J et al. (Hrsg.): Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2010 7 Manning PM et al.: Role of radiologic imaging in otosclerosis. Curr Otorhinolaryngol Rep 2022; 10: 1-7 8 Quesnel AM et al.: Third generation bisphosphonates for treatment of sensorineural hearing loss in otosclerosis. Otol Neurotol 2012; 33: 1308-14 9 Hentschel MA et al.: Limited evidence for the effect of sodium fluoride on deterioration of hearing loss in patients with otosclerosis: a systematic review of the literature. Otol Neurotol 2014; 35: 1052 10 Vincent R et al.: Surgical findings and long-term hearing results in 3,050 stapedotomies for primary otosclerosis: a prospective study with the otology-neurotology database. Otol Neurotol 2006; 27(8 Suppl 2): 25-47 11 Schwager K: Akute Komplikationen in der Mittelohrchirurgie. Teil 2: Missgeschicke in der klassischen Stapeschirurgie und ihre Behebung. HNO 2007; 5: 411-6
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