Automatisierte Testung des Geruchssinns als mögliche Hilfe in der Früherkennung von Covid-19
Autoren:
Assoc. Prof. PD Dr. Christian A. Müller a
Prof. Dr. Bertold Renner b,c
a Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie
Medizinische Universität Wien
b Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
c Institut für Klinische Pharmakologie
Technische Universität Dresden
Korrespondenzadresse:
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Im Rahmen der Covid-19-Pandemie erleidet eine hohe Anzahl an Betroffenen einen Verlust oder eine Veränderung des Riechvermögens. Möglichkeiten der Diagnose sowie die aktuell einzige evidenzbasierte Therapie einer sensorineuralen Riechstörung werden diskutiert. Außerdem werden erste Ergebnisse einer Untersuchung zur automatisierten Testung des Riechvermögens in der Früherkennung von Covid-19 vorgestellt.
Keypoints
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Der menschliche Geruchssinn ist hochsensitiv und bedeutsam für die Wahrnehmung von Gefahren und für unsere Lebensqualität.
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Die Infektion mit SARS-CoV-2 führt bei über der Hälfte der Betroffenen zu einer Dysosmie.
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Das strukturierte Riechtraining ist wirksam zur Unterstützung der Regeneration bei einer sensorineuralen Riechstörung.
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Eine automatisierte Testung des Riechvermögens kann eine nützliche Hilfe im Screening von Menschen mit Verlust des Geruchssinns darstellen.
Neuere Studien belegen die ausgeprägte Sensitivität des menschlichen Geruchssinns, der uns bewusst oder unbewusst ständig begleitet und bei seinem plötzlichen Verlust erst seine volle Bedeutung für unsere Lebensqualität offenbart.
Mythos unterentwickeltermenschlicher Geruchssinn
Ein vielbeachteter Review von McGann konnte eindrucksvoll nachzeichnen, wie es zum Mythos vom unterentwickelten menschlichen Geruchssinn kommen konnte.1 So hatten einflussreiche Mediziner des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wie Broca und auchFreud, ohne Durchführung formeller Testungen proklamiert, dass unser Geruchssinn unterentwickelt sei. Diese falsche Annahme wurde lediglich auf neuroanatomische und philosophische Überlegungen gestützt und in weiterer Folge von der wissenschaftlichen Lehrmeinung übernommen. Über 100 Jahre später haben psychophysische Untersuchungen dies jedoch eindrucksvoll widerlegt. Ganz im Gegenteil zeigte sich der menschliche Geruchssinn für bestimmte Duftstoffe den Super-Schnüfflern aus dem Tierreich ebenbürtig oder sogar überlegen.
Riechen und Lebensqualität
Ebenfalls unbestritten ist heute die Bedeutung des Geruchssinns für unsere Lebensqualität.2 Außerdem leistet er wichtige Dienste in der Wahrnehmung von Gefahren (z.B. Feuer,Gas, verdorbenen Lebensmitteln) und ist bedeutsam in der bewussten und unbewussten sozialen Interaktion (Wahrnehmung anderer Menschen); aber auch die fehlende Wahrnehmung des eigenen Körpergeruchs kann zu großer Verunsicherung führen.3
Riechstörungen bei Covid-19
Knapp nach Beginn der Covid-19-Pandemie wurden Berichte über das gehäufte Auftreten von Riechstörungen bekannt. Dachte man anfangs, dass diese nur kurz andauern würden, zeigte sich in weiterer Folge, dass relativ häufig auch langwierige Verläufe bestehen.4 So belegen eigene Untersuchungen, dass ein verminderter Geruchssinn bei den Betroffenenauch noch über ein Jahr nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion bestehen kann.5 Überdies zeigen unsere Daten sowie neuere Literatur, dass es typischerweise im langfristigen Verlauf von Covid-19-bedingten Riechstörungen zur Ausbildung einer Parosmie kommen kann, die jedoch als prognostisch günstiges Zeichen aufgefasst wird.6 Pathophysiologisch geht man davon aus, dass zunächst die Riechnervenzellen nicht direkt geschädigt werden, sondern indirekt über die Infektion der Stützzellen, die im Gegensatz zu den primären olfaktorischen Rezeptorneuronen Angiotensin-konvertierendes-Enzym-2-Rezeptoren(ACE2-Rezeptoren) exprimieren. Daher kommt es im günstigen Fall nur zu einer vorübergehenden Funktionseinschränkung der Riechfunktion und im ungünstigen Fall zu einer echten Schädigung der Riechnervenzellen, welche aber durch Regeneration von den Basalzellen der Riechschleimhaut ersetzt werden können.
Geruchsverlust als Screeningparameter
Der Verlust des Geruchssinns, und damit meist auch des Geschmackssinns, tritt bei den Betroffenen einer SARS-CoV-2-Infektion in der Regel schlagartig und oft in einem frühen Stadium der Erkrankungoder auch als einziges Symptom auf.7 Somit eignet es sich als Leitsymptom zum Screening einer möglichen Infektion. Obwohl der vollständige Verlust des Geruchssinns vielen Patienten plötzlich bewusst wird, merkt ein Teil der Infizierten dies nicht sofort. Analog zum Riechverlust aus anderen Ursachen (Tab.1) hat sich in Studien gezeigt, dass die Selbsteinschätzung des Riechvermögens nicht gut mit dem tatsächlichen Riechvermögen übereinstimmt.8 Dies führte im Lauf der Pandemie zuvielbeachteten Vorschlägen für das Screening auf einen möglichen Riechverlust, wobei die Detektion eines solchen als Hinweis auf eine SARS-CoV-2-Infektion zu sehen ist.9 Insbesondere als Zutrittstests wurden alleine in Österreich von zwei Unternehmen (AMX/PACT GmbH und Genius5 Instruments GmbH) Vorschläge zur automatisierten Testung des Riechvermögens mit dem Ziel der Erkennung einer hochgradigen Einschränkung des Geruchssinns vorgestellt (Abb.1 und 2).
Tab. 1: Auswahl möglicher Ursachen für Riechstörungen
Abb. 1: Duftstoffkarten mit Freisetzung der Duftstoffe nach Knicken und Abziehen der Folie (© AMX/PACT GmbH)
Abb. 2: Automatisiertes Ausgabegerät für Duftstoffkarten mit der Auswahlmöglichkeit von 6 Duftstoffen (© AMX/PACT GmbH)
Aus wissenschaftlicher Sicht ist dies zu begrüßen, da neben dem praktischen Nutzen auch das Wissen um die Bedeutung des Riechvermögens in der Allgemeinbevölkerung als ein wegweisendes Symptom einer Covid-19-Erkrankung oder anderer Erkrankungen (Tab.1) verankert sein sollte. Außerdem könnte es im derzeitigen Zustand der Pandemie mit stagnierender Impfrate auch die Wichtigkeit des Impfschutzes zur Verhinderung eines vermeidbaren Sinnesverlustes verdeutlichen.
Zutrittstest mit hohem Prädiktivwert
Im Rahmen einer Studie der Medizinischen Universität Wien sowie der Technischen Universität Dresden wurden Duftstoffkarten im Scheckkartenformat im Hinblick auf die Erkennung von Personen mit ausgeprägter Riechstörung untersucht.10 Die Karten können alleine oder im Rahmen von Zutrittssystemen mittels automatischer Ausgabe sowie nachfolgender Auswahl von jeweils 6 Antwortmöglichkeiten durch den Probanden verwendet werden. Es wurden bei 30 gesunden Probanden und 34 Patienten mit Riechverlust 6 verschiedene Duftstoffkarten angeboten,die korrekte Auswahl der ersten 4 Karten wurde statistisch ausgewertet. Zur Klassifizierung des Riechvermögens wurde die validierte Riechtestbatterie der Sniffin‘ Sticks (SDI-Score bestehend aus Geruchsschwelle, Diskrimination und Identifikation) verwendet.11 Zur Berechnung der prädiktiven Werte der Ergebnisse einer potenziellen Zutrittskontrolle wurden die ersten 2, 3 oder 4 Duftstoffkarten herangezogen. Die Anforderungenan den Zutritt entsprachen dem Verhältnis der Anzahl korrekterkannter Duftstoffkarten zur Gesamtkartenzahl (jeweils 1 aus 2, 2 aus 3 oder 2 aus 4). Die Ergebnisse ergaben einen positiven prädiktiven Wert (entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass eine positiv getestete Person auch tatsächlich krank ist) von 69% bis 89%. Der negative prädiktive Wert (entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass eine negativ getestete Person auch tatsächlich gesund ist) reichte je nach verwendeter Methode von 82% bis 88%.
Fazit
Die Ergebnisse zeigen, dass der untersuchte Riechtest als Screeningmethode geeignet ist und insbesondere beim akut auftretenden, hochgradigen Verlust des Riechvermögens, wie es bei Covid-19 der Fall ist, eine sinnvolle Ergänzung zu etablierten Maßnahmen der Pandemiebekämpfung (Impfungen, Tests, Hygienemaßnahmen etc.) sein kann. Weitere Maßnahmen, wie das Vorgehen bei positivem Zutrittstest (Duftstoffe werden nicht erkannt), sind jeweils zu ergänzen, wie z.B. nachfolgende PCR-Betätigungstests. Außerdem muss die automatisierte Testung des Geruchssinns den Gegebenheiten angepasst werden (tägliche oder punktuelle Kontrolle, in einer Firma oder an einem öffentlichen Ort). Somit ist aus heutiger wissenschaftlicher Sicht eine allgemeine und unreflektierte Riechtestung zur Diagnostik einer möglichen Infektion auf SARS-CoV-2 nicht sinnvoll. Bei entsprechender Einbettung in ein Gesamtkonzept zeigen unsere Daten jedoch, dass eine sinnvolle Ergänzung etablierter Präventionskonzepte in der Covid-19-Pandemie mittels automatisierter Geruchstests eine Berechtigung haben.
Literatur:
1 McGann JP: Poor human olfaction is a 19th-century myth. Science 2017; 356(6338): eaam7263 2 Auinger AB et al.: Long-term impact of olfactory dysfunction on daily life. Wien Klin Wochenschr 2021; 133: 1004-11 3 Daniel V Santos et al.: Hazardous events associated with impaired olfactory function. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2004; 130(3): 317-9 4 Boscolo-Rizzo P et al.: Six-month psychophysical evaluation of olfactory dysfunction in patients with Covid-19. Chem Senses 2021; 46: bjab006 5 Prem B et al.: Long-lasting olfactory dysfunction in Covid-19 patients. In preparation 6 Liu DT et al.: Parosmia is associated with relevant olfactory recovery after olfactory training. Laryngoscope 2021; 131(3): 618-23 7 Hopkins C et al.: Presentation of new onset anosmia during the Covid-19 pandemic. Rhinology 2020; 58(3): 295-8 8 Welge-Luessen A et al.: What is the correlation between ratings and measures of olfactory function in patients with olfactory loss? Am J Rhinol 2005; 19(6): 567-71 9 Larremore DB et al.: Modeling the effectiveness of olfactory testing to limit SARS-CoV-2 transmission. Nat Commun 2021; 12: 3664 10 Müller CA et al.: Automatisierte Testung des Geruchssinns als mögliche Hilfe in der Diagnostik von Covid-19. 65. Österreichischer HNO-Kongress 2021; Vortrag 11 Kobal G et al.: „Sniffin’ sticks“: screening of olfactory performance. Rhinology 1996; 34(4): 222-6
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