Wie alloplastische Gelenkimplantate vor Biofilmbildung geschützt werden
Bericht:
Reno Barth
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Gelenkimplantate sind anfällig für Biofilmbildung und periprothetische Gelenkinfektion. Um diese zu vermeiden, ist gründliche Dekontamination vor und auch während der Operation gefragt. Das Antiseptikum Povidon-Iod, ein Komplex aus Iod und Polyvinylpyrrolidon, erweist sich in dieser Indikation als besonders vielseitig einsetzbar.
Das alloplastische Implantat ist der Ausgangspunkt für Biofilmbildung und periprothetische Gelenkinfektion („periprosthetic joint infections“; PJI), erläuterte Prof. em. Dr. Axel Kramer vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Greifswald bei seinem Vortrag im Rahmen des ÖIK. Dabei stellt die intraoperative Hauptkontaminationsquelle die endogene Mikroflora dar. Durch das Implantat selbst kommt es allerdings zu einer erheblichen Senkung der für eine Infektion erforderlichen Erregermenge. Auch Nahtmaterial senkt die Infektionsdosis rund 10000-fach, wie in einem Tiermodell mit Methicillin-sensitivem Staphylococcus aureus (MSSA) gezeigt wurde.1, 2
Kramer betonte auch, dass auf der Erregerseite nicht nur an S. aureus gedacht werden dürfe. Vielmehr spielen Koagulase-negative Staphylokokken (CNS) eine wichtige, bis vor Kurzem wenig beachtete Rolle. So bildet S. epidermidis als Hauptanteil von CNS Biofilme auf Endoprothesen.3, 4S. epidermidis ist ubiquitär auf Haut und Schleimhäuten zu finden.5 Studien zeigen, dass CNS für fastdie Hälfte der PJI verantwortlich sind. In 47% der Fälle sind mehrere Erreger gleichzeitig involviert, darunter CNS, MSSA und Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).6, 7
Mikroflora im Vestibulum nasi, in der Mundhöhle und auf der Haut
Die residente Flora im Vestibulum nasi bildet die Hauptquelle von PJI. Nasale Kolonisation mit MSSA oder MRSA erhöhtbei orthopädischen Operationen dasPJI-Risiko um das Fünf- bisZehnfache. Durch Genotypisierung wurde festgestellt, dass bei rund 80% der MSSA-Infektionen die patienteneigene nasale Flora ursächlich war.8, 9
An erster Stelle der antiseptischen Maßnahmen steht daher die prä- und postoperative Reduktion biofilmbildender Staphylokokken und residenter Anaerobier im Vestibulum nasi, in der Mundhöhle und auf der Haut. Mittlerweile hat sich dafür ein antiseptisches Standardprotokoll zur episomatischen präoperativen Dekolonisation etabliert. In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde gezeigt, dass ein präoperatives Fünf-Tage-Programm (2x/d Mupirocin 2% intranasal plus tägliches CHG[Chlorhexidindigluconat]-Bad [4%] plus Spülung der Mundhöhle mit CHG 0,2%) im Vergleich zu Kontrollen (2 antiseptische Shower mit CHG-Seife) im Hinblick auf die Eradikationsrate (72% vs. 24,5%) signifikant überlegen war.10, 11
Leider wird bei MRSA immer häufiger Mupirocinresistenz gefunden. MRSA-Isolate können auf Mupirocinresistenz getestet werden, oder man greift gleich zu einer antiseptischen Sanierung mit PVP-Iod, Polyhexanid oder Octenidin, so Kramer. In Studien hat sich insbesondere die einfache Variante mit PVP-Iod 1,25% bewährt. Zweimal täglich zwei Sprühstöße in jedes Nasenloch über drei Tage führten zur Eradikation von S. aureus.12 Bereits eine einmaligenasale Applikation von PVP-Iod mit einem in den USA erhältlichen Fertigprodukt bewirkte eine signifikante Reduktion von MSSA.135%iges PVP-Iod zweimal täglich in jede Nasenöffnung über fünf Tage reduzierte die Prävalenz von MSSA-Kolonisierung von 11,7% auf 0,6% (p<0,001).14
Kramer betonte jedoch, dass die Studien auch erkennen lassen, dass man die fünf Behandlungstage des Standardprotokolls für eine erfolgreiche Dekolonisation offenbar nicht benötige, was insofern wichtig sei, als eine so lange Vorbehandlung im klinischen Alltag schwer umzusetzen sei und unter anderem zu Compliance-Problemen führen könne. Mittlerweile liegen auch direkte Vergleichsdaten für PVP-Iod vs. Mupirocin vor Gelenkarthoplastik oder Spinalfusion vor, die die Überlegenheit von PVP-Iod zeigen.15 Kramer wies darauf hin, dass die kürzere Remanenzwirkung von PVP-Iod beachtet und PVP-Iod daher mindestens zweimal am Tag appliziert werden müsse.16
Der Einfluss der MSSA-Dekolonisation auf PJI wurde in zahlreichen Studien und Metaanalysen untersucht. Sie zeigen eine signifikante Verringerung der Zahl von Gelenkinfektionen nach Screening-basierter Dekolonisation. Allerdings stellte Kramer die Sinnhaftigkeit des Screenings infrage, da dieses die CNS nicht erfasst.17, 18 Eine universelle Dekolonisation ohne vorhergehendes Screening löst auch dieses Problem und ist obendrein kostengünstiger.19
Anders stellt sich die Lage im Falle einer Besiedelung mit MRSA dar, da diese auch eine präoperative Kontrolle betreffend den Erfolg der Eradikation notwendig macht. Kramer empfiehlt also grundsätzlich präoperativ eine universelle Dekolonisation in Verbindung mit einem risikoadaptierten MRSA-Screening und einer präoperativen Erfolgskontrolle. Erfolgt diese Kontrolle nicht, drohen höhere Infektionsraten.20
Residente Hautflora als Kontaminationsquelle im OP-Gebiet
Die residente Hautflora befindet sich vor allem in den Haarfollikeln und Talgdrüsen und ist dort für Alkohol nicht erreichbar. Im Haarfollikel werden vor allem CNS, M. luteus, Malassezia furfur, Streptokokken, C. acnes, Acinetobacter und Corynebacterium spp. gefunden, so Kramer. Nur die transiente Flora wird durch alkoholbasierte Hautantiseptika eliminiert.21
„Während der Operation kommt es zeitabhängig zur Freisetzung tiefer residenter Flora“, so Kramer. Angestrebt wird also eine fortlaufende Reduzierung dieser Erreger durch auf die Hautoberfläche aufgebrachte remanent wirkende Antiseptika. Es gibt zwei Wege, das zu erreichen. Einerseits die direkte Remanenz durch Bindung an Zellen mit sukzessiver Wirkstofffreisetzung. Auf diesem Prinzip basiert die Wirkung von CHG, Octenisept (OCT) und Polyhexanid (PHMB). Andererseits besteht die Möglichkeit einer indirekten remanenten Wirkung durch Wirkstoffbindung an Träger mit sukzessiver Freisetzung. So wirkt PVP-Iod. Ein Wirkungsvergleich CHG/Alkohol vs. PVP-I/Alkohol auf der Haut zeigte die Gleichwertigkeit der beiden Antiseptika.22 Im Rahmen einer Cross-over-Studie zur Antiseptik im Schulterbereich wurde die Wirksamkeit von CHG/Alkohol vs. PVP-I/Alkohol – jeweils mit 2,5 bzw. 30 Minuten Exposition – hinsichtlich der Eradikation von Cutibacterium acnes verglichen. Dabei zeigte sich sowohl bei langer als auch bei kurzer Kontaktzeit die Überlegenheit von PVP-Iod.23
Auch im Hinblick auf die Vermeidung von Infektionen an der Operationsstelle („surgical site infection“; SSI) wurden PVP-Iod und CHG mittlerweile in mehreren Studien mit unterschiedlichen Dosierungen der beiden Antiseptika verglichen. Dabei erwies sich PVP-Iod durchwegs als zumindest gleichwertig, wie Kramer unterstrich.24–27 Wie bedeutsam die intraoperative Freisetzung der residenten Hautflora ist, zeigte unter anderem eine Studie, in deren Rahmen zu OP-Beginn sterile OP-Handschuhe zum Zeitpunkt des Einsetzens einer Hüftendoprothese auf mikrobielle Kontamination untersucht wurden. In 54% waren die Handschuhe durch die Hautflora des Patienten kontaminiert, obwohl aseptisch gearbeitet wurde,28 so Kramer. Eine Antwort auf dieses Problem ist die antiseptische Lavage des OP-Felds vor der Naht. Kramer: „Das heißt, ich muss die Handschuhe wechseln, bevor ich das Implantat angreife, ich muss aber auch die gesamte Oberfläche des OP-Feldes durch Lavage dekontaminieren.“
Subkutane Lavage: Desinfektion unter der Haut
Subkutane Lavage in der Schulterchirurgie wurde in einer prospektiven, zweiarmigen, randomisierten und verblindeten Studie untersucht. Dabei wurde nach Freilegung der Deltafaszie 10% wässriges PVP-Iod subkutan appliziert. Sobald der proximale Humerus vollständig freigelegt war, wurden fünf Abstriche von verschiedenen Stellen entnommen. Die Studie zeigte, dass die subkutane Antiseptik die Rate positiver Kulturen im OP-Feld für alle Erreger (p=0,036) und für C. acnes (p=0,013) reduzierte. Darüber hinaus kam es zu einer Verringerung positiver Abstriche für C. acnes auf OP-Handschuhen und Wundspreizern.29
Kramer: „Daraus folgt logisch, dass auch noch eine Lavage vor Wundverschluss gemacht werden soll.“ Sinnvollerweise wird das eine antiseptische Lavage sein. Denn Studiendaten zeigen, dass eine alleinige nichtantiseptische Spülung vs. keine Spülung keinen Vorteil bringt, dass eine antiseptische vs. eine nichtantiseptische Spülung jedoch zu einer signifikanten Herabsetzung der Zahl von Infektionen an der Operationsstelle führt.30, 31 „Einiges deutet darauf hin, dass PVP-Iod optimal ist, um Bakterien zu reduzieren und gesundes Gewebe zu erhalten. Allerdings sollte dazu keine zehnprozentige Lösung, sondern 0,35%iges PVP-Iod verwendet werden. Die Spülung mit PVP-Iod zur SSI-Prävention bei Endoprothetik der unteren Extremitäten wird auch durch die amerikanischen Centers for Disease Control anerkannt“, führte der Experte weiter aus. Evidenz, welches Antiseptikum in dieser Indikation das beste ist, liegt aktuell nicht vor.
Bekannt ist allerdings, was zur subkutanen Lavage nicht verwendet werden darf: Octenidin darf wegen seiner Zytotoxizität nur oberflächlich eingesetzt werden. Andernfalls droht, etwa nach Spülung tiefer Wunden, Gewebeschädigung mit bleibender Einschränkung trotz chirurgischer Revision. Ähnliches gilt aufgrund von Zytotoxizität auch für Chlorhexidin oder Wasserstoffperoxid. Antibiotika scheiden wegen zu langsamer Wirkung und/oder Resistenzbildung aus.32, 33 Mehrere Metaanalysen stützen den Einsatz von PVP-Iod im Vergleich zu keinen oder antibiotischen Spülungen.35, 36 Auch eine Spülung mit Prontosan-Wundspüllösung (Betain plus PHMB) verhindert SSI nach Implantation von Knie- oder Hüftendoprothesen.37 Eventuell am Titanimplantat anhaftendes PHMB ist antimikrobiell wirksam und behindert nicht die Anlagerung und das Spreading von Osteoblasten.38, 39
Kramers Vorschlag für ein Antiseptikbündel zur PJI-Prävention ist in Tabelle 1 zu sehen.
Tab. 1: Antiseptikbündel zur PJI-Prävention (Quelle: A. Kramer)
Quelle:
„Das kleine 1 x 1 der Antiseptika in der Endoprothetik“; Vortrag von Prof. Dr. Axel Kramer, Greifswald, im Rahmen des Symposiums „Das kleine 1 x 1 …“ beim 16. ÖIK am 10. April 2024 in Saalfelden
Literatur:
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