
Phytotherapie bei Infektionen der Blase und der Atemwege
Bericht:
Reno Barth
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Heilpflanzen finden seit den frühen Tagen der Menschheit Anwendung bei unterschiedlichsten Erkrankungen. Aktuell besteht das Bemühen, die empirische Anwendung mit Evidenz aus klinischen Studien zu unterlegen. Indikationen mit relativ guter Studienlage sind die unkomplizierte Zystitis sowie Infektionen der oberen Atemwege.
Hinweise auf den Einsatz von Phytomedizin findet man seit den frühen Tagen menschlicher Kultur. Bereits der als „Ötzi“ bekannte Mann vom Tisenjoch trug den Pilz Fomitopsis betulina fungus (Birkenporling), vermutlich wegen dessen antibiotischer und antihelminthischer Wirkung, bei sich. Huangdi, der „Gelbe Kaiser“ Chinas, ließ um 2600 v.Chr. Phytotherapeutika sammeln und systematisieren, woraus das System der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) entstand. Die Phytotherapie beherrschte über Jahrtausende die Heilkunde, bis sie ab ca.1920 zunehmend durch standardisierte pharmazeutische Medizin ersetzt wurde. Allerdings zeigen Umfragen unter Patient:innen, dass pflanzliche Arzneien nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, erläutert Univ.-Prof. Dr. Rosa Bellmann-Weiler, Universitätsklinik für Innere Medizin II in Innsbruck.
Definiert ist Phytotherapie als Therapie zur Heilung, Linderung und Vorbeugung vonKrankheiten und Beschwerden durch Arzneipflanzen oder deren Teile (wie z.B. Blüten, Wurzeln, Blätter) oder Bestandteile (z.B. ätherische Öle) oder durch Zubereitungen aus Arzneipflanzen (z.B. Trockenextrakte, Tinkturen, Presssäfte). Phytotherapie sensustricto ist jene Therapierichtung, die zur Therapie und Prophylaxe Arzneimittel pflanzlicher Herkunft (Phytopharmaka) anwendet,dabei jedoch ausschließlich nach medizinisch-naturwissenschaftlichen Grundsätzen vorgeht. Phytotherapie ist integraler Bestandteil medizinischer Therapiekonzepte:Vor allem bei der Behandlung nicht akut lebensbedrohlicher Erkrankungen wie z.B. Erkältungskrankheiten und Magen-Darm-Krankheiten können phytotherapeutische Präparate Mittel der Wahl bzw. eine wirksame und nebenwirkungsarme Alternative oder Ergänzung zu chemisch definierten Arzneimitteln sein.1
Die Sicherung der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Phytopharmaka wird durch das Arzneimittelgesetz (AMG §1 Z23) geregelt. Mit der Erforschung und Herstellung von Phytotherapeutika befasst sich die Phytopharmazie. Reinsubstanzen aus Pflanzen sind ebenso wenig Phytopharmaka wie synthetisch hergestellte Inhaltsstoffe von Pflanzen.
Bellmann-Weiler wies auch auf die wichtige Unterscheidung zwischen Phytotherapie als traditionelle und als rationale Therapieform hin. Traditionelle Phytotherapie bedeutet die volksmedizinische Anwendung von Vielstoffgemischen. Rationale Phytotherapie beruht auf definierter pharmakologischer Wirkung durch definierte Wirkstoffe, welche eine studienbelegte Dosis-Wirkungs-Beziehung aufweisen (präklinisch, pharmakologisch, toxikologisch) oder deren Wirkung anhand von Monographien (bibliografische Unterlagen) und einhergehender Plausibilitätsprüfung aufgezeigt wird.
Evidenzbasierte Phytomedizin bei unkomplizierter Zystitis
Bellmann-Weiler: „In manchen Studien werden solide Benefits natürlicher Produkte gefunden, es gibt allerdings nur wenige Studien, die dies bei schweren Erkrankungen zeigen. Wegen mangelnder Daten zur Sicherheit und zu den Wirkmechanismen werden kaum klinische Studien mit Phytopharmaka durchgeführt.“ Dennoch bestehen in manchen Indikationen Leitlinienempfehlungen. So zum Beispiel laut deutscher S3-Leitlinie für die unkomplizierte Zystitis, die unterschiedliche Phytotherapeutika bei rezidivierender Zystitis mit Empfehlungsgrad C empfiehlt, wobei allerdings ein relativ hoher Evidenzgrad von Ib besteht. Dieser beruht auf einer systematischen Literaturrecherche über die Jahre 2011 bis 2021 im Hinblick auf „alternative nichtantibiotische Therapieoptionen“. Eingeschlossen wurden RCT zu phytotherapeutischen Agenzien als Monotherapie oder in Kombination, jeweils im Vergleich zu Placebo, keiner Therapie, nicht pharmakologischen Therapeutika oder zu Medikamenten ohne phytotherapeutische Komponente.
Identifiziert wurden 12 RCT mit insgesamt 1797 Frauen. Die Studien waren in mehrfacher Hinsicht deutlich unterschiedlich. Eine Arbeit zeigte die Nichtunterlegenheit chinesischer Pflanzentherapie bei akuter unkomplizierter Zystitis im Vergleich zu Antibiotika. Sechs Studien untersuchten Cranberryprodukte in der Zystitis-prophylaxe und kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Rosmarin (Seidlitzia rosmarinus) in der Prophylaxe reduzierte die Zystitisrate um mehr als die Hälfte (33% vs 73%, p<0,001). Mit einer Ausnahme wurde jedoch das Biasrisiko als unklar oder hoch eingestuft. Es fehlt auch durchgehend die standardisierte Aufarbeitung der Nebenwirkungen.2 Bellmann-Weiler: „Phytopharmaka sind eine Option für die Behandlung und Prävention der rekurrierenden Zystitis der Frau. Allerdings ist die Evidenz zur Phytotherapie heterogen, und es gibt derzeit keine direkten Empfehlungen für ihren klinischen Einsatz.“
Von Interesse im Zusammenhang mit dem Management der Zystitis sind neben den genannten Pflanzen auch Kapuzinerkresse und Meerrettich (Abb.1). Die enthaltenen Senföle und ihre Wirkstoffe, die Isothiocyanate (ITC), sind antibakteriellund antiadhäsiv wirksam. Auch eine antiphlogistische Wirkung dürfte über Hemmung von Cyclooxygenase2 und Lipoxygenase5 gegeben sein. Hinsichtlich der Reduktion des mittleren Beschwerde-Scores bei Zystitis konnte im Vergleich zu Antibiotika und anderen Therapien Nichtunterlegenheit gezeigt werden.3 Die Rezidivrate wurde über drei Monate im Vergleich zu Placebo um 44% reduziert (Abb.1).4 Phase-III-Daten, die die Nichtunterlegenheit im Vergleich zu Antibiotika zeigen, liegen mittlerweile auch für Canephron® (Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckl) vor. Bellmann-Weiler: „Ein Update der Zystitis-Leitlinie wird erwartet und es ist möglich, dass angesichts dieser neueren Vergleichsstudien gegen Antibiotika bzw. Placebo ein Upgrade der Empfehlung erfolgt von ‚kann‘ zu ‚...evidenzbasierte Phytotherapien sollten bei nicht geriatrischen Patientinnen erwogen werden‘.“
Abb. 1: Einsatz von Senfölglykosiden (Kapuzinerkresse und Meerrettich) bei Zystitis versus Antibiotika (links; modifiziert nach Goos KH et al. 2006)3 und Placebo (modifiziert nach Albrecht U et al. 2007)4
Daten aus doppelblinden, prospektiven, randomisierten Studien liegen auch für Bärentraubenblätter (Uva ursi) vor. Sie enthalten Arbutin als Prodrug mit Wirksamkeit gegen uropathogene E.-coli-Stämme sowie Flavonoide und Tannine, die diuretisch und antiadhäsiv wirken. Nebenwirkung ist eine Grünfärbung des Harns, die für die Patient:innen beunruhigend sein kann. Bärentraubenblätter sollten wegen möglicher Hepatotoxizität über maximal eine Woche und maximal fünfmal im Jahr gegeben werden.6
Cranberry: viele Studien, moderate Evidenz
Quantitativ liegen die meisten Studien zu Cranberryprodukten mit den Wirkstoffen Proanthocyanide, Polyphenole und Xyloglucan vor, welche die bakterielle Adhäsion und Biofilmbildung hemmen und auch eine antiinvasive Wirkung aufweisen.
Mittlerweile liegen zwei Cochrane-Reviews zu Cranberry in der Therapie und der Prävention von Harnwegsinfekten vor. Während in der Therapie keine randomisierten, kontrollierten Studien gefunden wurden,7 liegen in der Prävention 45 RCT (n=6211) vor, die moderate Evidenz für eine Reduktion des Risikos für UTI („urinary tract infection“) bei Frauen und Kindern sowie bei neurologischen Blasenstörungen zeigen.8 Wenig oder kein Benefit wurde für ältere Patient:innen im Wohnheim oder Patient:innen mit Blasenintervention gefunden. Im Vergleich zu Antibiotika zeigten sich keine Unterschiede. Cranberrypräparate gehören zu den starken Cytochrom-Induktoren, auf Interaktionen ist daher zu achten.
Die sogenannten Nieren- und Blasentees haben ausschließlich unterstützende Wirkung, sichere klinische Daten fehlen. Im Konsumentenmagazin Ökotest erhielten die meisten Blasen- und Nierentees schlechte Noten, weil sie auffallend stark mit Pflanzengiften belastet sind. Nur 3 von 36 Produkten wurde adäquate Qualität beschieden.
Phytotherapie bei Infekten der Atemwege: EMA ist nicht überzeugt
Auch bei respiratorischen Infekten spielt Phytotherapie eine gewisse Rolle, wobei die Linderung von banalen Atemwegsinfekten im Vordergrund steht. Die üblichen Darreichungsformen sind Tees, Inhalationen, Pastillen, Lutschtabletten, Gurgelwasser, Tinkturen, Sirup oder Trockenextrakte. Mögliche Wirkungen können symptomatisch (sekretolytisch und sekretomotorisch, bronchospasmolytisch, antitussiv, antiphlogistisch) oder kausal (antibakteriell, virustatisch oder antiallergisch) sein. Bellmann-Weiler: „Am bekanntesten sind bei uns wohl die ätherischen Öle aus Anis, Campher, Eukalyptus, und Fenchel, Fichtennadelöl, Kamillenblütenöl, Pfefferminzöl, Salbeiblätter oder Thymiankraut. Sie wirken antiphlogistisch, antibakteriell, antimykotisch, bronchospasmolytisch, expektorierend und zum Teilsedativ. Indikationenkönnen gesehen werden bei banalem Infekt, Sinusitis, Pharyngitis, Husten oder Bronchitis. Inhalative Anwendung ist kontraindiziert. Mögliche Nebenwirkungen sind Reizerscheinungen, Diarrhö oder Kreislaufreaktionen. Die pharmakologische Qualität kann suboptimal, die Lagerung problematisch sein.“
Die mechanistische Evidenz für einige häufig bei Atemwegsinfektionen eingesetzte Phytopharmaka wurde 2023 in einem Review mit Experteninterviews aufgearbeitet. Ergebnis: Phytotherapeutika mit breitem Wirkungsspektrum und unterschiedlichen Wirkmechanismen zeigen vielversprechende Effekte. Weitere Studien sind nötig, um evidenzbasierte Empfehlungen für die Therapie von Infektionen des oberen Respirationstrakts zu geben.9
Ein Review zur Indikation Husten fand 34 Studien (n=7083) und letztlich starke Evidenz für Effekte von Kalmegh und EPT (Efeu/Primel/Thymian) auf die Frequenz und Schwere von Hustensymptomen.10 Die EMA hat diese Pflanzen allerdings unter „ongoing call for scientific data“ gelistet. Bellmann-Weiler: „Das heißt, eine offizielle Empfehlung kann man nicht geben.“ Darüber hinaus darf das Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial von Phytopharmaka nicht unterschätzt werden.
Abb. 2: Heilpflanzen im Einsatz gegen Zystitis: Rosmarin (a), Tausendgüldenkraut (b), Kapuzinerkresse (c), Meerettich (d), Bärentraubenblätter (e), Liebstöckel (f)
Quelle:
„Phytotherapie in der Prophylaxe und Therapie von Infektionen. Fact&Fiction“; Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Rosa Bellmann-Weiler, Innsbruck, im Rahmen des ÖIK am 10.April 2024 in Saalfelden
Literatur:
1 Kraft K, März R: Zeitschrift für Phytotherapie 2006; 27: 279-83 2 Kranz J et al.: Dtsch Arztebl Int 2022; 119(20): 353-60 3 Goos KH et al.: Arzneimittelforschung 2006; 56: 249-57 4 Albrecht U et al.: Curr Med Res Opin 2007; 23: 2415-22 5 Wagenlehner FM et al.: Urol Int 2018; 101(3): 327-36 6 Gágyor I et al.: Clin Microbiol Infect 2021 ;27(10): 1441-7 7 Jepson RG et al.: Cochrane Database Syst Rev 2023; 12(12): CD001322 8 Williams G et al.: Cochrane Database Syst Rev 2023; 4(4): CD001321 9 Veldman LM et al.: Pharmaceuticals 2023; 16(9): 1206 10 Wagner L et al.:Forsch Komplementmed 2015; 22(6): 359-68
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