Orale Medikamente gegen den schweren Verlauf
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
Derzeit läuft in Österreich eine Awareness-Kampagne zum Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 und zu den Möglichkeiten, einen solchen zu verhindern. Neben der Impfung als erstes Bollwerk kommen hier vor allem die beiden oralen Medikamente infrage.
Keypoints
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Fast die Hälfte aller Österreicher weiß nicht, dass es orale Medikamente gegen SARS-CoV-2 gibt, und die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf werden eher unterschätzt.
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Derzeit stehen mit Nirmatrelvir/Ritonavir und Molnupiravir zwei orale Medikamente der ersten Generation zur Verfügung.
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Mögliche Probleme sind Interaktionen (v.a. durch Ritonavir), Nebenwirkungen und Rebound.
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Als parenterale Alternative kann Remdesivir i.v. an drei aufeinanderfolgenden Tagen verabreicht werden.
Die Österreichische Lungenunion (ÖLU), ein bundesweit aktiver Selbsthilfeverein für Menschen mit Atemwegserkrankungen, Hauterkrankungen und Allergien, hat eine Umfrage in Auftrag gegeben. Ziel der Befragung war es, das Wissen der österreichischen Bevölkerung zu Risikofaktoren für Covid-19 und zu zielgerichteten Therapien dagegen zu erheben. Auf Basis dieser Daten hat im Oktober 2022 eine bis März 2023 laufende, groß angelegte Awareness-Kampagne zu Covid-19-Therapien begonnen. Damit soll ein Beitrag geleistet werden, um vulnerable Personen möglichst vor einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung zu schützen.
Umfrageergebnisse
Befragt wurden 1000 Personen ab einemAlter von 30 Jahren. Der Erhebungszeitraumlag zwischen 16. und 23.August 2022. Nach Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf gefragt, gaben 49% (bei gestützter Abfrage 79,3%) Lungenerkrankungen, 38% Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 30% Diabetes mellitus an. Als Risikofaktoren unterschätzt wurden Krebserkrankungen, Autoimmunerkrankungen und Asthma bronchiale. Und nur 10,7% hielten das Lebensalter für einen Risikofaktor.
Ein weiteres bedeutsames Ergebnis der Umfrage: 46% wussten nicht über spezifische antivirale Therapien gegen SARS-CoV-2 Bescheid. Auf die Frage, ob sie antivirale Therapien gegen SARS-CoV-2 möglichst früh einnehmen würden, sagten immerhin 75,6% ja, während 24,4% abwarten würden.
Welche Optionen gibt es?
Derzeit stehen zwei orale Therapieoptionen der ersten Generation für Covid-19 zur Verfügung: Nirmatrelvir (PF-07321332)/Ritonavir (Paxlovid®) sowie Molnupiravir (Lagevrio®). Weitere orale Therapieoptionen sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
Hinsichtlich des Zulassungsstatus gibt es einen Unterschied zwischen den beiden Medikamenten: Während Paxlovid® über eine konditionale Zulassung der European Medicines Agency (EMA) verfügt, ist dies bei Lagevrio® noch nicht der Fall. Dieses Medikament wird derzeit im Rahmen eines Compassionate-Use-Programms verwendet. Deshalb muss der Patient bei Verschreibung von Lagevrio® eine Einverständniserklärung unterzeichnen.
Beide Medikamente sind zugelassen für Erwachsene mit Covid-19, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Die Behandlung muss innerhalb von fünf Tagen nach Einsetzen der Symptome begonnen werden.
Wer soll ein orales Medikament bekommen?
Die Verschreibung eines oralen Covid-19-Medikaments ist eine individuelle ärztliche Entscheidung nach entsprechender Aufklärung des Patienten.
Risikofaktoren (RF) für einen schweren Verlauf sind u.a. ein Lebensalter über 60, Adipositas, Rauchen, Immunsuppression, chronische Lungenerkrankung, Hypertonie, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Nieren- und Lebererkrankung und natürlich auch das Fehlen einer entsprechenden Impfung. Weist ein Patient einen oder mehrere dieser RF auf, so besteht ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf. Diesen Patienten sollte ein orales Medikament empfohlen werden.
Aufgrund theoretischer Überlegungen und Studiendaten sollten orale Covid-19-Medikamente so früh wie möglich verabreicht werden. Deshalb ist es für die Praxis wichtig, bei nachgewiesener Infektion mit SARS-CoV-2 nicht auf Symptome zu warten, da die oralen Medikamente umso besser wirken, je früher sie gegeben werden. Und auch Patienten, welche die Kriterien für ein erhöhtes Risiko nicht erfüllen, sollte man die oralen Medikamente zumindest anbieten.
Tabelle 1 gibt Hinweise zu Dosierung, Kontraindikationen und Nebenwirkungen.
Tab. 1: Dosierung, Kontraindikationen und Nebenwirkungen
Mögliche Probleme
Paxlovid®
Bei der Verschreibung und Einnahme von Paxlovid® können folgende drei Punkte von Bedeutung sein:
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Interaktionen
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Nebenwirkungen
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Rebound
Interaktionen
Praxistipp
Überprüfen Sie vor dem Beginn einer Covid-19-Therapie mögliche Medikamenteninteraktionen. Siehe Interaktionschecker der Universität Liverpool.Aufgrund der enthaltenen Ritonavir-Komponente besteht das Potenzial für eine Reihe von pharmakokinetischen Wechselwirkungen, weil Ritonavir auf das CYP3A4-Enzym des Cytochrom-P450-Systems hemmend wirkt. Da Patienten häufig auch eine Reihe anderer Medikamente einnehmen, muss vor Verschreibung von Paxlovid® ein Interaktionscheck vorgenommen werden, was einen gewissen Zeitaufwand bedeutet. Sehr hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Tool, das von der Universität Liverpool zur Verfügung gestellt wird und mit dem mögliche Interaktionen der verfügbaren Covid-Medikamente mit vielen gängigen Substanzen überprüft werden können. Das Tool kann online (unter covid19-druginteractions.org ) oder als Handy-App verwendet werden.1
Cave: Nirmatrelvir/Ritonavir reagiert u.a. auch mit oralen Kontrazeptiva und kann deren Wirksamkeit reduzieren.
Nebenwirkungen
Die Angaben zu den häufigsten Nebenwirkungen (NW) von Paxlovid® in Tabelle1 stammen aus den einschlägigen klinischen Studien. Die klinische Praxis zeigt jedoch, dass NW wie Geschmacksstörungen oder Diarrhö im Real-World-Einsatz häufiger auftreten dürften als in den Studien angegeben, was vereinzelt unangebrachterweise auch zu Therapieabbrüchen geführt hat.
Rebound
Das oben Gesagte dürfte auch für den Rebound gelten. Zwar sind auch in den Placebogruppen der klinischen Studien Rebounds aufgetreten; im Real-World-Einsatz ist das Rebound-Phänomen (neuerliche Symptome einige Tage nach Ende der Paxlovid®-Einnahme, neuerlich positive Antigentests) häufiger als in den Studien angegeben.
Lagevrio®
Was Lagevrio® angeht, so besteht der Hauptkritikpunkt neben der noch fehlenden Zulassung darin, dass die Studiendaten nicht ganz eindeutig waren. Ein wenig Erhellung brachte allerdings die noch nicht dem Peer-Review unterzogene PANORAMIC-Studie. Hier wurde bei mehr als 25000 Patienten ab dem 18. Lebensjahr Molnupiravir plus Standardtherapie (n=12821) mit Standardtherapie allein (n=12962) verglichen.2
Der primäre Endpunkt – Tod oder Hospitalisierung jeglicher Ursache zu Tag 28 – unterschied sich nicht zwischen den Gruppen (jeweils 0,8%), da Omikron per se weniger schwere Verläufe macht und die Bevölkerung eine hohe Durchimpfungsrate aufweist. Die Erholungszeit betrug allerdings unter Molnupiravir neun Tage, unter Standardtherapie allein 15 Tage; ebenso war die Zeit bis zur Symptomfreiheit respektive zur Reduktion des Symptomschweregrads verkürzt.2 Andere Daten für Molnupiravir gibt es aus einer Kohorte von fast 20000 Patienten über 40 Jahre. Für die Subgruppe über 65 fand sich eine signifikante Reduktion von Hospitalisierungen und Mortalität, während dies bei den 40- bis 64-Jährigen nicht der Fall war.3
Das Auftreten von Virusvarianten wie Omikron hat nach dem derzeitigen Wissensstand keinen Einfluss auf die Aktivität beider Substanzen.4–7
Parenterale Alternative
Als mögliche Alternative zu oralen Covid-19-Medikamenten – z.B. bei Schluckstörungen – kommt die i.v.Verabreichung von Remdesivir (Veklury®) an drei aufeinanderfolgenden Tagen infrage.
Dies ist grundsätzlich, bei entsprechender Ausstattung, auch im niedergelassenen Bereich möglich.
Quelle:
Pressekonferenz der Österreichischen Lungenunion: „Aktuelle Umfrage zu COVID-19: Ergebnisse zeigen Unsicherheiten bei Risikofaktoren und Unwissen um zielgerichtete COVID-19-Therapien. Awareness-Bildung als wirksame Gegenmaßnahme“ am 5. Oktober 2022, Wien
Giftiger LiveStream: COVID-19 – Orale Therapieoptionen, von der Theorie zur Praxis“, 28. September 2022, abrufbar unter infektiologie.co.at in der Mediathek (einmalige Anmeldung erforderlich)
Literatur:
1 University of Liverpool: https://covid19-druginteractions.org/ ; zuletzt aufgerufen am 28.10.2022 2 Butler C et al.: SSRN 2022; preprint: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4237902 ; zuletzt aufgerufen am 28.10.2022 3 Arbel R et al.: preprint 2022: www.researchsquare.com/article/rs-2115769/v1 ; zuletzt aufgerufen am 28.10.2022 4 Arbel R et al.: N Engl J Med 2022; 387(9): 790-8 5 Ganatra S et al.: Clin Infect Dis 2022; ciac673 6 Najjar-Debbiny R et al.: Clin Infect Dis 2022; ciac443 7 Wong CKH et al.: Lancet Infect Dis 2022; S1473-3099(22)00507-2
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